Versicherungspflicht von Sozialhilfeempfängern in der gesetzlichen Krankenversicherung
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte einen Antrag des Klägers auf Feststellung, dass er ab dem 1. April
2007 bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert ist, zu Recht abgelehnt hat.
Der 1970 geborene, inzwischen (wieder) unter Betreuung stehende Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Am 18. Dezember 1986
erteilte ihm das Ordnungsamt des Beigeladenen eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des § 7 Abs 2 Satz 1 des Ausländergesetzes (AuslG) 1965 als Kind eines türkischen Arbeitnehmers. Der Kläger bezieht seit dem 1. März 1998 aufgrund psychiatrischer Gesundheitsstörungen
(paranoid-halluzinatorische Schizophrenie mit schizo-affektiver Psychose) eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Bescheid vom
10. Juli 1998). Bis zum 16. Juni 2000 war er, nachdem er bei den B. Werkstätten für Behinderte beschäftigt war, bei der Beklagten
als behinderter Mensch nach §
5 Abs
1 Nr
7 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) gesetzlich gegen Krankheit versichert. Sein Antrag auf Fortführung der Mitgliedschaft vom 25. September 2003 wurde von der
Beklagten mit Bescheid vom 23. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. November 2003 wegen Versäumung
der Antragsfrist abgelehnt, die dagegen gerichtete Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (S 3 KR 4413/03) wurde zurückgenommen.
Mit Beschluss vom 19. September 2003 des Amtsgerichts B. - Vormundschaftsgericht - wurde Rechtsanwalt Dr. B. für den Kläger
als Betreuer ua für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge bestellt.
Ab März 2003 bewilligte der Beigeladene dem Kläger Leistungen der Hilfe bei Krankheit nach § 37 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung meldete der Beigeladene den
Kläger zur Gewährung von Hilfe bei Krankheit im Sinne des § 48 des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII) bei der Beklagten
an, die daraufhin ab dem 1. Januar 2004 die Krankenbehandlung des Klägers auf der Grundlage des §
264 Abs
2 SGB V übernahm.
Auf den Antrag vom Juli 2005 bewilligte der Beigeladene dem Kläger mit Bescheid vom 19. Juli 2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides
vom 13. Dezember 2005 Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII.
Er entschied, dass dem Kläger im Monat Juli 2005 Leistungen in Höhe von 335,26 EUR und ab 01. August 2005 in Höhe von monatlich
76,07 EUR zustehen. Mit Änderungsbescheid vom 13. September 2005 wurde die Höhe des Zahlbetrages geändert; ab 01. März 2006
erhielt der Kläger monatlich 86,88 EUR.
Mit Beschluss vom 17. Oktober 2005 erweiterte das Amtsgericht B. - Vormundschaftsgericht - zunächst den Wirkungskreis der
Betreuung und ordnete einen Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögensangelegenheiten an, hob allerdings, nachdem
der Kläger seinen zuletzt für ihn bestellten Betreuer bedroht hatte, mit Beschluss vom 21. August 2006 - 1 XVIII 89/03 - die
Betreuung insgesamt auf.
Der Beigeladene forderte den Kläger mit einem an ihn persönlich adressierten Schreiben vom 3. November 2006 auf, näher bezeichnete
Unterlagen (aktuelle Einkommensnachweise, Girokontenauszüge) vorzulegen. Nachdem der Kläger unter seiner alten Adresse nicht
erreichbar war, richtete der Beigeladene daraufhin unter dem 14. November 2006 erneut ein Schreiben an den Kläger. Auch dieses
Schreiben wurde dem Beigeladenen ungeöffnet zurückgegeben. Er erhielt dann die Mitteilung, dass der Kläger seit dem 9. November
2006 im Psychiatrischen Zentrum N. (PZN) untergebracht sei. Daraufhin entschloss sich der Beigeladene am 30. November 2006
die Grundsicherungsleistungen für die Begleichung von Strom- und Mietschulden zu verwenden und an den Vermieter des Klägers
sowie den Energieversorger direkt und einen verbleibenden Restbetrag (106,07 EUR) an den Kläger selbst zu zahlen.
Mit Schreiben vom 21. Dezember 2006 wandte sich der Beigeladene - Amt für Versorgung und Rehabilitation - erneut an den Kläger
und erbat Auskünfte. Dieses Schreiben wurde an den Beigeladenen zurückgesandt. In handschriftlichen Ergänzungen auf diesem
Schreiben wurde angegeben, dass ein Rentenbezug aus der Türkei gar nicht vorliege ("ganz ausgeschlossen") und eine Tätigkeit
als Karatelehrer nicht mehr ausgeübt werde. Bezüglich der angeforderten Kontoauszüge wurde der Beigeladene gebeten, sich an
den ehemaligen Betreuer, Herrn W., zu wenden, da der Kläger keine EC-Karte gehabt habe. Die angeforderte Mietbescheinigung
und eine Mitteilung der Rentenversicherung über die Höhe der Erwerbsunfähigkeitsrente waren dem Schreiben beigefügt.
Am 29. Dezember 2006 wurde der Kläger aus dem PZN entlassen. Der Beigeladene forderte ihn mit Schreiben vom 22. Januar 2007
erneut unter Fristsetzung auf, Unterlagen vorzulegen. Hierauf reagierte der Kläger nicht. Im März 2007 stellte der Beigeladene
die Zahlungen von Grundsicherungsleistungen an den Kläger ein.
Anschließend forderte der Beigeladene mit weiteren Schreiben ergänzende Ausführungen des Klägers zu seinen bisher gemachten
Angaben und setzte ihm für die erbetene Mitwirkung verschiedene Fristen, zunächst bis zum 15. April 2007 (Schreiben vom 22.
März 2007) und dann bis 11. Mai 2007 (Schreiben vom 24. April 2007). Durch ein als Einstellungsbescheid bezeichnetes Schreiben
vom 21. Mai 2007 teilte der Beigeladene dem Kläger mit, dass die bisher gewährte Hilfe bei Krankheit nach § 48 SGB XII ab
01. April 2007 als Folge fehlender Mitwirkung eingestellt werde. Unter Bezugnahme auf diesen Einstellungsbescheid forderte
der Beigeladene den Kläger mit Schreiben vom 8. Juni 2007 auf, die AOK-Versichertenkarte zurückzugeben. Auch hierauf reagierte
der Kläger nicht. Allerdings übersandte das Bürgerbüro L. (Ortsteil von B. S.) mit einem am 05. Juli 2007 beim Beigeladenen
eingegangen Kurzbrief die AOK-Versichertenkarte des Klägers.
Am 3. Juli 2007 zeigte der Kläger bei der Beklagten seine Pflichtversicherung an und beantragte sinngemäß, diese festzustellen.
Mit Bescheid vom 31. August 2007 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab. Der Kläger sei nach § 26 Abs 3 Nr 3 AuslG verpflichtet, dafür zu sorgen, dass sein Lebensunterhalt einschließlich eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes
ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel sichergestellt werde. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Mit
Widerspruchsbescheid vom 27. November 2007 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, ein Versicherungsschutz
komme in den Fällen nicht zustande, in denen der Ausländer verpflichtet sei, seinen Lebensunterhalt einschließlich eines ausreichenden
Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel sicherzustellen. Dies sei bei dem Kläger der Fall, er
sei verpflichtet, für seinen Lebensunterhalt selbst zu sorgen. Deshalb könne er nicht krankenversicherungspflichtig werden.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid wurde keine Klage erhoben.
Mit einem als "Einstellungsbescheid" überschriebenen und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Schreiben vom 26. Oktober
2007 bestätigte der Beigeladene zunächst, dass der Kläger seit 01. Juli 2005 Leistungen der Grundsicherung erhielt. Anschließend
führte der Beigeladene aus: "Anspruch auf Grundsicherungsleistungen besteht nur dann, wenn der Lebensunterhalt nicht durch
eigenes Einkommen oder Vermögen sichergestellt werden kann. Bereits im Bewilligungsbescheid wurden Sie darauf hingewiesen,
dass Sie uns im Rahmen Ihrer Mitwirkungspflichten alle Sachverhalte und Veränderungen mitteilen müssen, die für die Ermittlung
Ihres grundsicherungsrechtlichen Bedarfs erforderlich sind. In den letzten Monaten wurden Sie mehrfach erfolglos gebeten,
Angaben zu Ihren persönlichen Verhältnissen zu machen. Wir verweisen auf unsere hierzu ergangenen Anschreiben. Auf die Folgen
fehlender Mitwirkung gem. §§
60 SGB I wurden Sie hingewiesen. Leistungen der Grundsicherung wurden somit zum 30.03.2007 eingestellt, da keine weitere Bedürftigkeit
Ihrerseits über diesen Zeitpunkt hinaus festgestellt werden kann."
Rechtsbehelfe gegen diesen Bescheid wurden nicht eingelegt.
Am 8. Januar 2008 forderte der Beigeladene den Kläger auf, sich nochmals an die Beklagte zu wenden. Daraufhin beantragte der
Kläger erneut, das Bestehen einer Pflichtversicherung festzustellen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28.
Februar 2008 ab und verwies zur Begründung auf den ablehnenden Bescheid vom 31. August 2007, der Bestandskraft erlangt habe.
Am 27. Juni 2008 bestellte das Amtsgericht B. - Vormundschaftsgericht - G. K. zum Betreuer des Klägers (1 XVII 153/08). Die
Betreuung umfasst die Besorgung aller Vermögensangelegenheiten, die Postvollmacht einschließlich der Entgegennahme, des Öffnens
und des Anhaltens der Post, die Gesundheitsfürsorge und die Aufenthaltsbestimmung (Bl 7 der SG-Akte S 9 KR 4406/08).
Der Betreuer beantragte im Juli 2008, die Beklagte möge ihren Bescheid vom 31. August 2007 im Wege des Zugunstenverfahrens
nach § 44 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) überprüfen. Bei der Erteilung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis sei von der Anwendung des § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG abgesehen worden. Der Kläger sei neben einer geringen Rente, die 404,89 EUR betrage, auf Sozialhilfe angewiesen. Bei ihm
bestehe deshalb eindeutig keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Die Beklagte lehnte es darauf mit Bescheid vom 16. Juli 2008 erneut ab, das Bestehen einer Versicherungspflicht festzustellen.
Der Kläger verfüge über eine unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis nach altem Ausländerrecht. Diese gelte nach § 101 Abs 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis im Sinne von § 9 AufenthG fort. Der Gesetzgeber habe die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis in § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG iVm § 9 AufenthG von einer Lebensunterhaltssicherung abhängig gemacht. Die erhobene Bedingung des Fehlens einer solchen Verpflichtung sei
deshalb im Falle des Klägers nicht erfüllt. Den dagegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger unter Hinweis auf eine
Stellungnahme des Beigeladenen, wonach der Kläger über eine sogenannte "Kinder-Niederlassungserlaubnis", für die das Gesetz
in § 35 AufenthG nur bei volljährigen, nicht aber minderjährigen Kindern die Sicherung des Lebensunterhalts zur Voraussetzung erhebe, verfüge.
Die dem Kläger 1986 erteilte Aufenthaltserlaubnis gelte unter dem Aufenthaltsgesetz als Niederlassungserlaubnis für minderjährige Kinder fort.
Mit Bescheid vom 2. September 2008 bewilligte der Beigeladene dem Kläger auf einen von seinem Betreuer gestellten Antrag hin
ab dem 1. Juli 2008 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Höhe von monatlich 109,48 EUR.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 2008 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 16. Juli 2008 als
unbegründet zurück. Die Dauer des Aufenthalts des Klägers in der Bundesrepublik, der seit 1986 seinen Wohnsitz habe, ändere
nichts an der Lebensunterhaltssicherungsverpflichtung.
Mit seiner dagegen am 13. Oktober 2008 beim SG erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, da er unter einer chronischen Erkrankung leide, welche die regelmäßige Einnahme
von verschreibungspflichtigen Psychopharmaka erfordere, sei er ohne eine vorläufige Regelung zu seinem Versicherungsstatus
nicht in der Lage, wenigstens ein Mindestmaß an ärztlicher und medizinischer Versorgung zu erhalten. Weder die Neuregelung
des AuslG im Jahre 1990 noch das Inkrafttreten des AufenthG hätten an seinem Status etwas geändert. Ihm sei ohne Nachweis der Sicherung des eigenen Lebensunterhalts eine unbefristete
Niederlassungserlaubnis zu erteilen gewesen.
Mit Beschluss vom 20. November 2008 hat das SG das Landratsamt K. zum Rechtsstreit beigeladen und die Beklagte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verurteilt (Beschluss
vom 27. Oktober 2008, S 9 KR 4407/08 ER).
Mit Urteil vom 8. April 2009, der Beklagten zugestellt am 20. April 2009, hat das SG die Beklagte verurteilt, den Kläger mit Wirkung vom 1. April 2007 als pflichtversichertes Mitglied aufzunehmen. Zur Begründung
hat das SG ausgeführt, der Kläger erfülle die Voraussetzungen für eine Versicherungspflicht, denn er sei zuletzt gesetzlich krankenversichert
gewesen, habe keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall und falle nicht unter die Ausschlusstatbestände.
Dass der Kläger in der Zeit vom 1. Januar 2004 bis 31. März 2007 nicht gesetzlich krankenversichert gewesen wäre, stünde dem
nicht entgegen. Es komme allein darauf an, dass der Kläger bis zum 16. Juni 2000 bei der Beklagten gegen Krankheit versichert
gewesen sei. Er habe auch keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall. Denn er sei ab 1. April 2007 nicht
krank im Sinne des § 48 SGB XII gewesen. Er habe zur Zeit von April 2007 bis Juni 2008 auch nicht laufende Leistungen nach
dem SGB XII bezogen. Dass er diese wieder seit dem 1. Juli 2008 erhalte, sei hingegen unerheblich. Ob er einen Anspruch auf
Leistungen gehabt habe, sei nicht zu prüfen. Auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Bescheid vom 26. Oktober
2007 nicht wirksam gewesen wäre. Der Kläger habe schließlich über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfügt, aus der
keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhaltes folge.
Mit ihrer dagegen am 18. Mai 2009 eingelegten Berufung macht die Beklagte geltend, der Einstellungsbescheid sei nichtig, weil
er an besonders schwerwiegenden Fehlern leide. Da die Beigeladene selber davon ausgehe, dass der Kläger bedürftig sei, müsse
sie ihm auch Krankenhilfe zur Verfügung stellen. Bei den Leistungen der Krankenbehandlung handele es sich um existentielle
Grundbedürfnisse, welche ihrer Auffassung nach auch bei fehlender Mitwirkung nicht vollständig versagt werden könnten. Ein
Empfang von Leistungen sei bereits dann anzunehmen, wenn der Betroffene einen Anspruch auf diese Leistungen habe. Es komme
auch nicht darauf an, wann der Sozialhilfeträger über diesen Anspruch entscheide. Auch der Umstand, dass dem Kläger ab 01.
Juli 2008 wieder Leistungen zur Verfügung gestellt worden wären, belege, dass der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen auch
für die zurückliegende Zeit erfüllt habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 8. April 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und der Beigeladene beantragen,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie sind der Auffassung, dass die Entscheidung des SG zu Recht ergangen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§
143,
151 Abs
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft im Sinne des §
144 Abs.
1 Satz 2
SGG. Die damit insgesamt zulässige Berufung der Beklagten ist auch begründet. Das SG hat der zulässigen Klage zu Unrecht teilweise stattgegeben, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen
den Kläger nicht in seinen Rechten.
Grundlage für das Begehren des Klägers ist (auch) § 44 Abs 1 SGB X, da die Beklagte den Aufnahmeantrag des Klägers bereits mit den bestandskräftig gewordenen Bescheiden (§
77 SGG) vom 31. August 2007 und 28. Februar 2008 abgelehnt hatte. Der Betreuer des Klägers hat demzufolge zutreffend eine Überprüfung
der Bescheide im Wege des Zugunstenverfahrens beantragt. Nach dieser Vorschrift gilt, dass, soweit sich im Einzelfall ergibt,
dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der
sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben
worden sind, der Verwaltungsakt danach, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen
ist. Die Voraussetzungen liegen nicht vor.
Mangels sonstiger eine Versicherungspflicht in der GKV auslösender Tatbestände kommt bei dem Kläger allein eine Versicherungspflicht
auf Grund von §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V in Betracht. Danach werden ua Personen krankenversicherungspflichtig, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im
Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren. Der über §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V vermittelte Krankenversicherungsschutz ist jedoch in mehrfacher Hinsicht nachrangig ausgestaltet. Diese Nachrangigkeit lässt
sich bereits aus der in der Norm selbst geregelten Beschränkung auf Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung
im Krankheitsfall haben, entnehmen (ausführlich hierzu LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. September 2009, L 16 (5) KR
206/08, zitiert nach juris). Auch Empfänger laufender Leistungen der Sozialhilfe nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (Grundsicherung
im Alter und bei Erwerbsminderung) werden nach §
5 Abs
8a Satz 2
SGB V nicht der Versicherungspflicht nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V unterstellt, zumindest nicht beim Inkrafttreten zum 01. April 2007 (Wille in jurisPK-
SGB V §
264 RdNr 65). Der Gesetzgeber wollte damit (auch) eine Verschiebung der Krankheitskosten durch die Sozialhilfeträger infolge
der Einführung der Versicherungspflicht nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V verhindern (LSG Nordrhein-Westfalen aaO.).
Auch im Fall des Klägers steht dem Eintritt von Versicherungspflicht nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V die Regelung in §
5 Abs
8a SGB V entgegen. Der Kläger war auch am 01. April 2007 Empfänger laufender Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
nach den §§ 41 ff SGB XII. Der Empfang von Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII im Sinne von §
5 Abs
8a Satz 2
SGB V ist bereits dann anzunehmen, wenn der Betroffene einen Anspruch auf diese Leistung hat, dh in absehbarer Zeit die Gewährung
laufender Leistungen erwartet werden kann. Dies ist dann der Fall, wenn nicht nur Hilfebedürftigkeit vorliegt, sondern auch
der für die Leistungsgewährung erforderliche Antrag gestellt wurde. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist es nicht sachgerecht,
den Eintritt von Versicherungspflicht allein von den Zufälligkeiten der rechtzeitigen Erteilung eines Bescheides oder der
Leistungsauszahlung durch den Sozialhilfeträger abhängig zu machen, zumal es anderenfalls der Sozialhilfeträger in der Hand
hätte, durch einen verzögerten Hilfeeinsatz eine ihm vorteilhaft erscheinende Versicherungspflicht in der GKV zu bewirken
(LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. September 2009. aaO.). Für den umgekehrten Fall, in dem zB laufende Leistungen der
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bereits bewilligt worden sind, gilt, dass die rechtswidrige Nichtzahlung
dieser Leistungen keine Versicherungspflicht in der GKV begründen kann. Empfänger laufender Leistungen nach dem Vierten Kapitel
des SGB XII ist deshalb auch derjenige, dem solche Leistungen durch verbindlichen Verwaltungsakt zuerkannt worden sind, dem
diese Leistungen aber tatsächlich nicht ausgezahlt werden.
Ein solcher Sachverhalt ist hier gegeben. Dem Kläger standen aufgrund des Änderungsbescheides des Beigeladenen vom 13. September
2005 ohne zeitliche Begrenzung laufende (monatlich auszuzahlende) Leistungen der Grundsicherung zu, und zwar ab März 2006
in Höhe von monatlich 86,88 EUR. Dieser Änderungsbescheid ist ein Verwaltungsakt iSd § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), der nach § 39 Abs 2 SGB X wirksam bleibt, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder
auf andere Weise erledigt ist. Eine Aufhebung des Bescheides mit Wirkung ab 01. April 2007 ist nicht erfolgt. Mit der Einstellung
der Zahlung durch den Beigeladenen im März 2007 wurde der Bewilligungsbescheid nicht aufgehoben. Eine bloße Zahlungseinstellung
hat nach der Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 18. September 1996, 5/4 RA 27/94, zitiert nach juris; 23. März 1994, 5 RJ 68/93, HVBG-Info 1994, 2883) nicht die Wirkung, dass ein durch Bescheid zuerkannter Zahlungsanspruch beseitigt wird. Die Wirkungen eines
begünstigenden früheren Zahlungsbescheides - hier: Anspruch auf monatliche Auszahlung der Grundsicherungsleistung - bleiben
vielmehr bestehen, bis dieser Bescheid durch einen anderen Bescheid beseitigt wird oder ein sonstiger Wegfallgrund eintritt
(vgl ausführlich hierzu Udsching/Link, SGb 2007, 513 ff mwN zur früheren Rspr des BVerwG).
Im Einstellungsbescheid vom 26. Oktober 2007 kann eine rückwirkende Aufhebung des Änderungsbescheides vom 13. September 2005
nicht gesehen werden. Zwar handelt es sich bei diesem Schreiben schon aus formalen Gründen - das Schreiben enthält zB eine
Rechtsbehelfsbelehrung - um einen Verwaltungsakt (sog Formverwaltungsakt). Seinem Inhalt nach regelt der Bescheid aber nicht
die rückwirkende Entziehung der Leistungsbewilligung. Einen vom übrigen Text des Schreibens abgesetzten Verfügungssatz, dem
eine Regelung iSd des § 31 SGB X entnommen werden könnte, enthält der Bescheid ohnedies nicht, so dass es allein auf den Inhalt des Schreibens ankommt. Der
Beigeladene schildert zunächst den Sachverhalt und verweist auf seine früheren Anschreiben, mit denen der Kläger erfolglos
um Mitwirkung gebeten worden sei. Die anschließende Formulierung "Leistungen wurden somit zum 30.03.2007 eingestellt, "kann
unschwer so verstanden werden, dass damit nur die bereits erfolgte Zahlungseinstellung im Nachhinein begründet wird. Die nachträgliche
Begründung eines tatsächlichen Verwaltungshandelns, das seinerseits keine Regelung (Verwaltungsakt) darstellt (hier: bloße
Zahlungseinstellung), macht aus der Maßnahme noch keinen Verwaltungsakt. Dieses Auslegungsergebnis liegt auch deshalb nahe,
weil die Beklagte keine Rechtsgrundlage nennt, die einen Hinweis darauf geben könnte, welche Regelung sie getroffen hat. Es
wird lediglich referiert, dass der Kläger auf die Folgen fehlender Mitwirkung gem §§
60 ff Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) hingewiesen worden sei. Im Zusammenhang mit dem Geschehensablauf spricht dies dafür, dass der Beigeladene bereits die tatsächliche
Zahlungseinstellung als Folge fehlender Mitwirkung betrachtet, die es nur noch schriftlich zu begründen gilt. Offen bleiben
kann im vorliegenden Fall, ob die Ausführungen auch als eigenständige Regelung (Entziehung) verstanden werden können. Dies
würde am Ergebnis nichts ändern. Denn bei mehreren möglichen Auslegungen einer behördlichen Entscheidung gehen inhaltliche
Zweifel zu Lasten der Behörde. Unerheblich ist, ob der Bescheid vom 26. Oktober 2007 den Bewilligungsbescheid mit Wirkung
für die Zukunft (ab Wirksamwerden, dh ab Bekanntgabe) aufhebt. Darauf kommt es hier nicht an.
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich an dem vom Senat für richtig erachteten Ergebnis nichts ändert, wenn
davon ausgegangen werden müsste, dass der Bescheid des Beigeladenen vom 26. Oktober 2007 dahin auszulegen wäre, dass damit
die dem Kläger gewährte Grundsicherungsleistung nach den §§ 41 ff SGB XII wegen nicht ausreichender Mitwirkung entzogen wird.
Der Bescheid wäre insoweit nicht nur rechtswidrig, sondern auch unwirksam. Denn §
66 SGB I ermöglicht keine rückwirkende Leistungsentziehung (BSG, Urteil vom 31. Januar 2006, B 11a AL 13/05 R, zitiert nach juris,
unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 26. Mai 1983, 10 RKg 13/82, SozR 1200 § 66 Nr 10). Eine Rechtswidrigkeit dieses Bescheides könnte sich überdies daraus ergeben, dass der Kläger mit
der Rücksendung der Anfrage vom 21. Dezember 2006 und den beigefügten Unterlagen seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen ist.
Diese Rechtswidrigkeit führt zwar, wie das SG zutreffend entschieden hat, nicht auch zur Nichtigkeit des Bescheides vom 26. Oktober 2007. Dennoch würde eine vom Beigeladenen
ausgesprochene Entziehung nicht zum Erlöschen der Leistungsansprüche bereits ab 01. April 2007 führen. Der Kläger hätte ungeachtet
der Bestandskraft des Bescheides vom 26. Oktober 2007 Anspruch auf die mit Änderungsbescheid vom 13. September 2005 bewilligten
Leistungen auch für die Zeit vom 01. April 2007 bis zum Wirksamwerden des Bescheides vom 26. Oktober 2007. Denn insoweit ist
die Entziehung aus anderen Gründen unwirksam.
Nach der Rechtsprechung des BSG (ausführlich hierzu Urteil vom 22. Februar 1995, 4 RA 44/94, SozR 3-1200 §
66 Nr
3) erlaubt die Entziehungsermächtigung nach §
66 Abs
1 Satz 1
SGB I dem Leistungsträger, durch gestaltenden Verwaltungsakt einen Sozialleistungsanspruch zu verändern. Dies geschieht dadurch,
dass (Einzel-)Ansprüche ganz oder teilweise vernichtet werden. Die Entziehung verhindert nicht das Entstehen eines Leistungsanspruchs
oder das Bestehen eines subjektiven Leistungsrechts; jedoch gehen Leistungsansprüche (erst) vom Zeitpunkt des Wirksamwerdens
der Entziehungsentscheidung an, dh zukunftsgerichtet für die Dauer der Wirksamkeit der Entziehungsentscheidung, unter. Da
die Entziehung nach §
66 Abs
1 Satz 1
SGB I rechtmäßig nur wegen fehlender Mitwirkung des Leistungsberechtigten, nicht aber wegen Fehlens materieller Leistungsvoraussetzungen
ausgesprochen werden darf, wird dieser Verwaltungsakt rechtswidrig, sobald die Mitwirkungspflicht nachgeholt wird oder aus
sonstigen Gründen entfällt. Dann ist der Entziehungsbescheid gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 1 SGB X aufzuheben. Dies hat jedoch wegen der vernichtenden Wirkung der Entziehung nicht zur Folge, dass die Ansprüche, die während
der Geltungszeit der Entziehungsentscheidung erloschen waren, rückwirkend wieder aufleben. Vielmehr entsteht, sobald die Mitwirkung
nachgeholt wird, gemäß §
67 SGB I iVm §
39 Abs
1 SGB I ein Recht des Bürgers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die nachträgliche Erbringung der entzogenen Sozialleistungen
(BSG aaO.). Diese Rechtsprechung hat nach Auffassung des Senats zur Folge, dass eine rückwirkend, dh für die Zeit vor dem
Wirksamwerden des Entziehungsbescheides ausgesprochene "Entziehung", unbeachtlich ist, weil sich die rechtsvernichtende Wirkung
einer auf §
66 Abs
1 SGB I gestützten Entziehung kraft Gesetzes nur auf die Zeit ab dem Wirksamwerden (Bekanntgabe) des Entziehungsbescheides erstreckt.
Eine Versicherungspflicht nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V würde aber auch dann ausscheiden, wenn mit dem Bescheid vom 26. Oktober 2007 die dem Kläger bewilligten Leistungen der Grundsicherung
im Alter und bei Erwerbsminderung wirksam bereits ab 01. April 2007 entzogen worden wären. Dem Beigeladenen wäre es in diesem
Fall nach dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (§
242 BGB) verwehrt, sich gegenüber dem Kläger oder der beklagten Krankenkasse auf die Bestandskraft ihres Entziehungsbescheides zu
berufen. Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass die Beendigung der Leistungszahlung durch den Beigeladenen zum März 2007
ausschließlich deshalb erfolgte, um eine Krankenversicherungspflicht des Klägers nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V herbeizuführen. Mit einem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 21. Mai 2007 vertrat der Beigeladene die Auffassung,
dass der Kläger zum Personenkreis nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V gehöre. Erst danach erging der Bescheid vom 26. Oktober 2007, der - eine dahingehende Auslegung dieses Bescheides vorausgesetzt
- die förmliche Einstellung der Leistungsbewilligung rückwirkend zum 01. April 2007 anordnete. Die Beklagte ist berechtigt,
diesen Einwand auch gegenüber dem Kläger zu erheben, weil ein Wahlrecht, welcher Versicherungstatbestand erfüllt sein soll,
nicht besteht. Der Beigeladene ist deshalb verpflichtet, die Krankenversicherung des Klägers über den 31. März 2007 hinaus
nach §
264 Abs
2 SGB V sicherzustellen. Eine ausdrückliche Entscheidung darüber ist dem Senat allerdings verwehrt, weil der Kläger und die Beklagte
sich vor dem SG im Rahmen eines Teil-Vergleichs einig waren, dass sich die Klage nur gegen die Beklagte richten und Streitgegenstand nur
die Frage der Krankenversicherung nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V sein soll (Niederschrift vom 08. April 2009 im Verfahren S 9 KR 4406/08).
Auf die Berufung der Beklagten ist deshalb das angefochtene Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Der Senat sieht es als sachgerecht an, dass der Beigeladene die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen hat. Er
hat am 22. Juni 2009 schriftlich beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und ist deshalb ebenso wie der Kläger
mit seinem Begehren erfolglos geblieben. Da er jedoch mit seiner Einstellung der Leistungen im März 2007 den Grund für den
vorliegenden Rechtsstreit gelegt hat und ohne diese Zahlungseinstellung über die Krankenversicherung des Klägers kein Streit
entstanden wäre, hat er auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen zu tragen.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.