Beitragssatz aus Versorgungsbezügen und Arbeitseinkommen, Verfassungsmäßigkeit
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten über die Höhe der Beiträge zur Krankenversicherung.
Die Klägerin ist bei der Beklagten in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) pflichtversichert. Neben der Rente aus der
gesetzlichen Rentenversicherung bezieht die Klägerin eine Versorgung nach dem
Beamtenversorgungsgesetz, hinsichtlich derer bis zum 31.12.2003 gemäß §
248 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) in der bis 31.12.2003 gültigen Fassung i.V.m. §
229 Abs.
1 Nr.
1 SGB V nur der halbe Beitragssatz für die Bemessung der Beiträge zur Krankenversicherung zugrundegelegt wurde.
Nachdem die Beklagte für den Monat Januar 2004 entsprechend §
248 Satz 1
SGB V in der ab 01.01.2004 gültigen Fassung den vollen Beitragssatz für den Versorgungsbezug erhoben hatte, legte die Klägerin
mit Schreiben vom 03.02.2004, da sie die gesetzliche Neuregelung als mit der Verfassung unvereinbar hält, Widerspruch ein.
Hilfsweise beantragte sie die Neufestsetzung ihres Krankenversicherungsbeitrags in der Form eines rechtsmittelfähigen Bescheides.
Mit Bescheid vom 16.06.2004 erläuterte die Beklagte, dass sich durch eine Neuregelung im Rahmen des "Gesetzes zur Modernisierung
der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG)" der Beitragssatz auf den vollen allgemeinen Beitragssatz, der am 01.07. des Vorjahres
gegolten habe, erhöht habe. Diese sozialpolitische Regelung gelte ab 01.01.2004 bindend für alle Versicherten der gesetzlichen
Krankenkassen. Im Falle der Klägerin würden die Beiträge aus den Versorgungsbezügen, gemäß der neuen Regelung, entsprechend
von der Zahlstelle (LBV - Landesamt für Besoldung und Versorgung in Fellbach) berechnet und abgeführt.
Ihren hiergegen erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, die zum 01.01.2004 in Kraft getretenen gesetzlichen Änderungen
seien verfassungswidrig und dürften daher nicht angewandt werden. Es liege ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz
des Art.
3 Abs.
1 Grundgesetz (
GG) sowie gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot vor. Beziehern von Versorgungsbezügen würde ein unzulässiges Sonderopfer
abverlangt. Außerdem handele es sich um eine verfassungswidrige unechte Rückwirkung, da auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene
Sachverhalte bzw. Rechtsbeziehungen für die Zukunft negativ eingewirkt werde. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.2004 wies
die Beklagte den Widerspruch zurück.
Mit ihrer dagegen beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage trug die Klägerin vor, für sie bedeute die übergangslose Verdopplung des Beitragssatzes auf ihre Versorgungsbezüge
eine Beitragsmehrbelastung in Höhe von 200,-- EUR monatlich. Zusammen mit den erheblichen weiteren Belastungen, welche den
Beamten und Beamtinnen durch den Gesetzgeber zugemutet würden, führe dies zu einer wesentlichen, ihre Lebensführung stark
betreffenden Belastung. Die Neuregelung des §
248 Satz 1
SGB V verstoße gegen Art.
3 Abs.
1 GG. Die Bezieher von Beamtenpensionen würden im Vergleich zu den Beziehern einer gesetzlichen Rente ungleich behandelt. Damit
werde ihr ein Sonderopfer zugemutet. Dies sei nicht verhältnismäßig im engeren Sinne. Außerdem handele es sich um eine verfassungswidrige
unechte Rückwirkung. Es werde in die laufende Rechtsbeziehung zwischen der gesetzlichen Krankenkasse und ihr, dem Mitglied,
eingegriffen. Auf jeden Fall ergebe sich eine Verfassungswidrigkeit aber auch daraus, dass jegliche Übergangsregelung fehle.
Mit Urteil vom 16.12.2004, den Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 22.12.2004, wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, der angefochtene Bescheid entspreche der gesetzlichen Neuregelung. Diese sei
verfassungsgemäß. Insbesondere liege kein Verstoß gegen Art.
3 Abs.
1 GG vor. Erfasst würden von der Neuregelung alle Arten von Versorgungsbezügen (§
229 Abs.
1 SGB V) sowie von Arbeitseinkommen. Darin, dass versicherungspflichtige Rentner hinsichtlich der aus der gesetzlichen Rentenversicherung
erhobenen Beiträge einen Beitragszuschuss erhalten würden, sei eine Ungleichbehandlung nicht zu sehen. Bei diesem Beitragszuschuss
handle es sich um eine besondere Leistung, die den Beziehern von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung als Versicherten
gewährt werde. Dieser Leistungsanspruch werde aufgrund einer Zahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung erworben. Soweit
es sich um Einnahmen aus Versorgungsbezügen und Arbeitseinkommen handele, sei eine solche Beitragsleistung, die einen Anspruch
auf Zahlung eines Beitragszuschusses begründen könnte, nicht erfolgt. Die Neuregelung verletze auch nicht das Rechtsstaatsprinzip.
Die Gesetzesänderung stelle eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende unechte Rückwirkung dar. Eine Rücksichtnahme
durch den Gesetzgeber könne unter Berücksichtigung aller Umstände nicht beansprucht werden, da mit der Neuregelung eine Angleichung
der Belastung versicherungspflichtiger Rentner und freiwillig Versicherter, die bisher schon den vollen Beitragssatz geleistet
hätten, bei der beitragsrechtlichen Berücksichtigung von Versorgungsbezügen und Arbeitseinkommen erfolgt sei. Gemeinwohlinteressen
würden die vom Gesetzgeber beabsichtigte stärkere Belastung der versicherungspflichtigen Rentner rechtfertigen.
Hiergegen richtet sich die am 20.01.2005 eingelegte Berufung der Klägerin. Ergänzend weist sie darauf hin, dass die Privilegierung
von Leistungen bzw. Leistungsbeziehern der landwirtschaftlichen Rentenversicherung gemäß §
248 Satz 2 und
3 SGB V nicht zu rechtfertigen sei. Außerdem sei das ganz offensichtlich tangierte rechtsstaatliche Vertrauensschutzprinzip nicht
hinreichend gewürdigt worden. Ein derart rigoroses Vorgehen unter Verzicht auf jegliche vertrauensschützende Übergangsregelung
sei auch angesichts der notwendigen Finanzierbarkeit der Sozialsysteme und im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber einen
stärkeren Beitrag der versicherungspflichtigen Rentner an deren Leistungsausgaben beabsichtigt habe, nicht gerechtfertigt.
Als milderes Mittel zur Behebung von Finanzierungsschwierigkeiten hätten im Sinne der Verhältnismäßigkeit wie bei der gesetzlichen
Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit Zuschüsse und Liquiditätshilfen aus Steuermitteln auch für die gesetzliche
Krankenversicherung eingeführt werden können und müssen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 16. Dezember 2004 sowie den Bescheid vom 16. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 30. Juli 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, lediglich über den 31. Dezember 2003 hinaus den halben Beitragssatz
bei der Bemessung des Beitrags zur Krankenversicherung hinsichtlich der Versorgungsbezüge in Abzug zu bringen,
hilfsweise das Verfahren gemäß Art.
100 Abs.
1 Grundgesetz auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass das Urteil des SG nicht zu beanstanden ist.
Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit einer Entscheidung nach §
153 Abs.
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) bestehe und ihnen Gelegenheit zur Äußerung gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die erst- und zweitinstanzlichen
Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung der Klägerin ist sachlich nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig. Die Klägerin hat keinen Anspruch
darauf, dass von ihren Versorgungsbezügen auch nach dem 31.12.2003 nur der halbe Beitragssatz bei der Bemessung des Beitrages
zur Krankenversicherung in Abzug gebracht wird. Hierüber konnte der Senat gemäß §
153 Abs.
4 SGG durch Beschluss entscheiden, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich
hält.
Der Senat teilt in vollem Umfang die in den Gründen des angefochtenen Urteils dargestellte Auffassung des SG und nimmt hierauf gemäß §
153 Abs.
2 SGG Bezug. Das SG hat sich mit der vorliegenden streitigen Problematik des zum 01.01.2004 erhöhten Beitragssatzes bei der Bemessung des Beitrags
zur Krankenversicherung auf Versorgungsbezüge auseinandergesetzt und zutreffend dargelegt, dass ein Verstoß gegen Verfassungsrecht
nicht ersichtlich ist. Die Neuregelung ist unter dem Gesichtspunkt des Art.
3 GG nicht zu beanstanden. Auch ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip wird zu Unrecht gerügt.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Senat bereits mit Urteil vom 25.01.2005 - L 11 KR 4452/04 - hinsichtlich der Bemessung der Beiträge aus Versorgungsbezügen nach dem vollen Beitragssatz ab 01.01.2004 entschieden hat,
dass §
248 SGB V in der ab 01.01.2004 geltenden Fassung nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art.
3 GG verstößt. Die zum 01.01.2004 erfolgte Änderung des §
248 SGB V geht auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 15.03.2000 (Az. 1 BvL 16/96, 1 BvL 17/96, 1 BvL 18/96, 1 B BvL 19/96, 1 BvL 20/96 und 1 BvL 18/97) zurück (SozR 3-2500 § 5 Nr.
42), wo anlässlich der verfassungsrechtlichen Beanstandung des §
5 Abs.
1 Nr.
1 SGB V, d.h. der Regelung des Zugangs zur Krankenversicherung der Rentner, auch §
248 SGB V a.F. beanstandet wurde, nämlich die nicht begründete unterschiedliche beitragsrechtliche Belastung der Versorgungsbezüge.
§
248 SGB V in der alten Fassung hatte nämlich zur Folge, dass nur die freiwillig Versicherten aus diesen beitragspflichtigen Einkommen
einen vollen Beitrag leisten mussten. Dies war unter Gleichbehandlungsgründen nicht unproblematisch (so auch KassKomm Peters,
§
248 SGB V RdNr. 8). Hieraus folgt zum einen der sachliche Grund für die Heranziehung der Versorgungsbezüge in vollem Umfang für die
Beitragsbemessung und zum anderen wird hierdurch die bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Ungleichheit beseitigt. Nichts anderes
ergibt sich unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Neuregelung dazu führt, dass die versicherungspflichtigen Mitglieder
den Beitrag nach dem vollen Beitragssatz nach §
150 Abs.
1 Nr.
1 SGB V alleine tragen müssen, wohingegen bei Rentnern aus der gesetzlichen Rentenversicherung der Versicherungspflichtige und der
Träger der Rentenversicherung den Beitrag je zur Hälfte tragen (§
249a SGB V). Eine Rechtfertigung und sachliche Begründung ist insoweit darin zu sehen, dass die gesetzliche Rentenversicherung aus ihrem
Beitragsaufkommen selbst die Hälfte der Beitragslast zur Krankenversicherung zu tragen hat. Soweit bemängelt wird, dass weiterhin
ein Unterschied im Hinblick auf Renten und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte mit Ausnahme
einer Übergangshilfe vorliegt, ist dies dadurch gerechtfertigt, dass der Personenkreis der Landwirte aufgrund der in der Regel
geringen Einkommensverhältnisse besonders schutzbedürftig ist, was sich auch darin widerspiegelt, dass für diesen Personenkreis
die eigene Versicherung in der Landwirtschaftlichen Alterskasse begründet wurde. Insgesamt ist nach Auffassung des Senats
kein Verstoß gegen Art.
3 GG ersichtlich. Die weiterhin bestehenden Unterschiede sind jeweils sachlich begründet und im Ergebnis nicht willkürlicher Natur.
Im vorliegenden Fall handelt es sich auch nicht um eine unzulässige Rückwirkung. Der Sachverhalt stellt sich als tatbestandliche
Rückanknüpfung (BVerfGE 76,356), bei der auf noch nicht abgewickelte Sachverhalts- und Rechtsbeziehungen für die Zukunft eingewirkt
wird, dar. Die Leistungsphase, die in der Zahlung der Versorgungsbezüge zu sehen ist, besteht weiterhin. In einem solchen
Fall ist es erforderlich, dass das Vertrauen des Einzelnen auf den Fortbestand der bestehenden Vergünstigung abgewogen wird
mit der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit (so ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht
zuletzt BVerfGE 75,155). Hier hat der Gesetzgeber einfließen lassen, dass die eigenen Beiträge der Rentner nur noch 43% der
Leistungsaufwendungen für sie decken. Dies ist ein nachvollziehbares Motiv des Gesetzgebers, Versorgungsbezüge für die Zukunft
der vollen Beitragspflicht zur Krankenversicherung zu unterwerfen. Eine Übergangsregelung, etwa eine schrittweise Anhebung
des Beitragssatzes, war nicht geboten.
Insgesamt erachtet der Senat deshalb - wie auch das Sozialgericht München in seiner Entscheidung vom 30.09.2004 (S 2 KR 321/04), das Sozialgericht Bayreuth in seiner Entscheidung vom 25.01.2005 (S 9 KR 264/04) und das Sozialgericht Köln in seiner Entscheidung vom 09.08.2004 (S 19 KR 387/04) - §
248 SGB V in der ab 01.01.2004 gültigen Fassung für verfassungsgemäß und sieht deshalb von einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht
ab.
Die Berufung war daher insgesamt zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf §
193 SGG beruht.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.