Anspruch auf Krankengeld; ärztliche Feststellung durch Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit "auf nicht absehbare Zeit"
Tatbestand
Die Klägerin macht einen Anspruch auf Krankengeld (Krg) für die Zeit vom 03.01. bis 03.06.2009 geltend.
Die am 12.04.1954 geborene Klägerin war als Bürokauffrau versicherungspflichtig beschäftigt und Mitglied der beklagten Krankenkasse.
Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von zwei Wochen zum 15.03.2008. Am 13.03.2008
stellte der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. L. das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit (Diagnose F 33.9 G, rezidivierende depressive
Störung) fest. Die Beklagte zahlte der Klägerin daraufhin Krg ab dem 16.03.2008. Vom 30.09. bis 25.11.2008 befand sich die
Klägerin in einer vom Rentenversicherungsträger bewilligten stationären Heilbehandlung. Aus diesem Heilverfahren wurde sie
mit den Diagnosen Anpassungsstörung, Dysthymia, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode und Rückenschmerzen
vorläufig noch als arbeitsunfähig, jedoch in gebessertem Allgemeinbefinden entlassen.
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) gelangte in einer gutachterlichen Stellungnahme vom
15.12.2008 zu der Auffassung, dass die Klägerin ab 01.01.2009 wieder in der Lage sei, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten
ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen und ohne Nachtschicht auszuüben. Mit Bescheid vom 23.12.2008 teilte die Beklagte der Klägerin
mit, der MDK habe festgestellt, dass sie wieder für leichte/mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelbar
sei. Dies bedeute, dass mit dem 31.12.2008 der Anspruch auf Krg und somit auch die Mitgliedschaft bei der Beklagten ende.
Die Klägerin wurde zudem aufgefordert, sich bis spätestens 02.01.2009 bei ihrer Agentur für Arbeit zu melden. Sie vermeide
dadurch mögliche Nachteile. Die Zahlung von Krg bis zum 31.12.2008 basierte auf einem am 16.12.2008 von Dr. B. ausgestellten
Auszahlschein für Krg. Dieser Auszahlschein, der als Diagnosen CTS rechts, depressives Syndrom benennt, enthält außerdem folgende
Mitteilungen: zuletzt vorgestellt am 16.12.2008, noch arbeitsunfähig. Angaben zum nächsten Praxisbesuch werden nicht gemacht.
Am 02.01.2009 ging bei der Beklagten eine von Dr. G., Arzt für Orthopädie, am 29.12.2008 ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
ein, die als Erstbescheinigung gekennzeichnet war und in der Dr. G. das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit unter der Diagnose
M 54.5 G (Kreuzschmerz) bis zum 02.01.2009 (Freitag) bescheinigte. In einer weiteren, am 07.01.2009 eingegangenen Folgebescheinigung
attestierte der Internist und Hausarzt Dr. S. aufgrund einer Untersuchung der Klägerin am 05.01.2009 (Montag) Arbeitsunfähigkeit
bis 09.01.2009 (Freitag).
Gegen den Bescheid vom 23.12.2008 legte die Klägerin am 05.01.2009 Widerspruch ein. Auf telefonische Nachfrage der Beklagten
am 13.01.2009 legte sie eine am 19.01.2009 von Dr. S. am 19.01.2009 ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, dieses
Mal mit der Diagnose J 98.8 G (sonstige nähere bezeichnete Krankheiten der Atemwege). Die Beklagte holte erneut eine Stellungnahme
des MDK ein. In seiner sozialmedizinischen Beratung am 17.02.2009 führte der MDK ergänzend aus, hinsichtlich der Tätigkeit
einer ausgebildeten Bürokraft in einer anderen Firma bestehe seit dem 01.01.2009 ein ausreichendes Leistungsbild. Zu vermeiden
seien Nachtarbeit und Wirbelsäulenzwangshaltungen, die jedoch bei einer Beschäftigung als ausgebildete Bürokraft nicht üblich
seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.03.2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück mit der Begründung, ab
dem Jahreswechsel 2008/2009 verfüge die Klägerin wieder über ein ausreichendes Leistungsvermögen für eine Tätigkeit als Bürofachkraft,
sodass ab dem 01.01.2009 kein Anspruch auf Krg mehr bestehe.
Die Klägerin meldete sich zunächst am 01.04.2009 arbeitslos, änderte die Arbeitslosmeldung aber nachträglich (am 10.06.2009)
auf den 04.06.2009 ab und erhielt mit Bewilligungsbescheid vom 10.06.2009 von der Agentur für Arbeit L. Arbeitslosengeld ab
04.06.2009.
Am 02.04.2009 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Stuttgart erhoben und die Gewährung von Krg ab dem 01.01.2009 geltend
gemacht. Das SG hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen schriftlich befragt. Dr. G.
hat mitgeteilt, er habe die Klägerin im fraglichen Zeitraum am 19.03.2009, 06.04.2009, 22.04.2009, 19.05.2009 und 06.07.2009
behandelt. Es bestehe bei der Klägerin eine chronische Wirbelsäulenschmerzsymptomatik infolge der Irritation über den Gelenkfacetten,
sodass längeres Sitzen oder dauerhaftes Stehen zu lumbosakralen Beschwerden führe. Die krankhaften Veränderungen der Lendenwirbelsäule
beeinträchtigten die Belastbarkeit, leichte körperliche Arbeiten mit Bewegungspausen, der Möglichkeit zwischendurch aufzustehen,
seien vom orthopädischen Befund sechs bis acht Stunden täglich zumutbar. Eine Arbeitsunfähigkeit sei der Klägerin von ihm
im erfragten Zeitraum von Januar bis Juli 2009 nicht attestiert worden. Dr. M., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, und
Dr. B. haben mit Schreiben vom 27.07.2009 ausgeführt, die Klägerin habe sich seit Januar 2009 zu folgenden Terminen in ihrer
Praxis vorgestellt: 27.01.2009, 17.02.2009, 10.03.2009, 31.03.2009, 28.04.2009, 02.06.2009 und zuletzt am 14.07.2009. Die
nervenärztliche Behandlung sei wegen eines depressiven Zustandsbildes mittelgradiger Ausprägung sowie eines Carpaltunnelsyndroms
rechts erfolgt. Die Beeinträchtigungen im Rahmen der genannten Erkrankungen hätten in der ersten Hälfte des Jahres 2009 zu
einer deutlichen Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit geführt. Die Klägerin sei bis Ende Juni 2009 nicht in der
Lage gewesen, einer regelmäßigen beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Die Belastbarkeit habe unter drei Stunden täglich gelegen.
Die Klägerin sei von ihnen arbeitsunfähig krankgeschrieben worden, jeweils zu den genannten Terminen, an denen sie in der
Praxis war, zuletzt am 02.06.2009. Es habe sich jeweils um einen Auszahlschein gehandelt. Dr. S. hat in seinem Schreiben vom
28.07.2009 die Behandlungsdaten aufgeführt und jeweils angegeben, welche Erkrankungen er dabei festgestellt hat. Durch die
rezidivierenden Rückenschmerzen und Bauchbeschwerden sei die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin vor dem Hintergrund
einer chronischen Depression immer wieder eingeschränkt gewesen. Im Zeitraum vom 01.01. bis 30.06.2009 sei die Klägerin nicht
in der Lage gewesen, als Bürokraft acht Stunden zu arbeiten. Die abdominelle Symptomatik habe sich nach Behandlung der Heliobacter-Infektion
deutlich gebessert. Durch Therapie des Eisenmangels habe sich der Kräftezustand der Klägerin insgesamt verbessert. Auch die
depressive Stimmungslage sei Ende Juni etwas gebessert gewesen.
Hierzu hat die Beklagte mit Schreiben vom 25.08.2009 ausgeführt, sie habe die sachverständigen Zeugenaussage selbst ausgewertet
und dabei festgestellt, dass unter Zugrundelegung dieser Ausführungen möglicherweise Arbeitsunfähigkeit über den 31.12.2008
hinaus vorliege. Somit würde grundsätzlich ein Anspruch auf Krg ab dem 01.01.2009 bestehen. Der Gesetzgeber sehe jedoch vor,
dass bei Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch auf Krg am Tag nach der ärztlichen Feststellung entstehe. Das Bundessozialgericht
(BSG) habe in seinem Urteil vom 26.06.2007 (B 1 KR 37706 R) hierzu entschieden, dass sich der Anspruch auf Krg grundsätzlich nach
dem Versicherungsverhältnis richte, das am Tag nach der ärztlichen Feststellung bestehe. Die Klägerin habe eine Erstbescheinigung
von Herrn Dr. G. für die Zeit vom 29.12.2008 bis 02.01.2009 sowie eine Folgebescheinigung von Dr. S. vom 05.01.2009 bis 09.01.2009
sowie weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt. Die Arbeitsunfähigkeit ab dem 05.01.2009 sei an diesem Tag von
Dr. S. festgestellt worden. Maßgebend für den Anspruch auf Krg seien die konkret am 06.01.209 bestehenden Verhältnisse. Das
Arbeitsverhältnis der Klägerin sei bereits zum 15.03.2008 beendet worden. Für die Klägerin bestehe demnach am 06.01.2009 keine
Versicherung mehr, die einen Anspruch auf Krg beinhalte. Somit anerkenne die Beklagte noch einen Krg-Anspruch vom 01.01. bis
02.01.2009.
In der mündlichen Verhandlung am 13.09.2012 hat die Klägerin das Angebot der Beklagten, ihr bis zum 02.01.2009 Krg zu gewähren,
als Teil-Anerkenntnis angenommen.
Mit Urteil vom 13.09.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe über den 02.01.2009 hinaus keinen Anspruch auf Krg. Sie sei zunächst aufgrund ihrer
abhängigen Beschäftigung gemäß §
5 Abs
1 Nr
1 SGB V in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig gewesen. Dieses Krankenversicherungsverhältnis sei aber über
das Ende des Beschäftigungsverhältnisses zum 15.03.2008 hinaus gemäß §
192 Abs
1 Nr
2 SGB V lediglich bis zum 02.01.2009 erhalten geblieben. Die Voraussetzungen, unter denen die Pflichtmitgliedschaft ausnahmsweise
über das Ende der Versicherungspflicht hinaus fortbestehe, seien vorliegend ab dem 02.01.2009 nicht mehr erfüllt gewesen.
Denn die Klägerin habe vom 03.01. bis 05.01.2009 weder Krg bezogen noch habe sie für die Tage Anspruch auf Krg gehabt. Ihr
Krg-Anspruch sei vielmehr entsprechend dem Attest des Dr. G. vom 29.12.2008 bis 02.01.2009 befristet gewesen. Die Klägerin
könne sich nicht darauf berufen, sie habe in der Zeit vom 02.01. bis 05.01.2009 eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
nicht erlangen können. Denn eine rückwirkende Entstehung des Krankengeldanspruches sei bei verspäteter ärztlicher Feststellung
selbst dann ausgeschlossen, wenn die Arbeitsunfähigkeit zweifelsfrei ununterbrochen bestanden habe und den Versicherten keinerlei
Verschulden an der unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen ärztlichen Feststellung treffe. Die Tatsache, dass man im Falle
der Arbeitsunfähigkeit seinen Arzt wieder aufsuchen müsse, sei in der erwerbstätigen Bevölkerung allgemeinkundig. Die Klägerin
habe auch keinen nachgehenden Krankengeldanspruch für die Dauer eines Monats ab Beendigung ihrer Mitgliedschaft. Denn ein
solcher, aus der früheren Mitgliedschaft abgeleiteter Versicherungsschutz sei gemäß §
19 Abs
2 SGB V gegenüber Ansprüchen aus einem aktuellen Versicherungsverhältnis nachrangig. Infolge des Wegfalls der eigenen Mitgliedschaft
sei die Klägerin ab dem 03.01.2009 nach §
10 SGB V über die Familienversicherung in die Krankenversicherung ihres Ehemannes einbezogen, sodass sie nicht mehr mit einem Anspruch
auf Krg versichert gewesen sei.
Am 06.10.2012 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie trägt im Wesentlichen vor, es sei nicht nachvollziehbar, woher das
SG die Überzeugung habe, es sei in der erwerbstätigen Bevölkerung allgemeinkundig, dass man im Falle der Arbeitsunfähigkeit
seinen Arzt spätestens am letzten Tag der bisherigen Krankschreibung zwecks weiterer Krankschreibung wieder aufsuchen müsse.
Dies treffe bekanntermaßen gerade nicht zu. Sie habe Dr. S. am Montag, den 05.01.2009 in seiner Praxis aufgesucht. Dieser
habe Arbeitsunfähigkeit seit dem 29.12.2008 festgestellt. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von Dr. G. habe gleichfalls
am 29.12.2008 Arbeitsunfähigkeit vom 29.12.2008 bis einschließlich 02.01.2009 festgestellt. Der 03.01. und der 04.01.2009
seien ein Wochenende gewesen. Vor diesem Hintergrund sei es daher Dr. S. möglich gewesen, sie im Anschluss ohne zeitliche
Unterbrechung arbeitsunfähig zu schreiben. Damit habe über den 02.01.2009 hinaus ein Anspruch auf Krg bestanden. Soweit die
Krankenkassen überdies die Möglichkeit einer rückwirkenden Arbeitsunfähigkeitsfeststellung in ihren eigenen Richtlinien vorsähen,
müssten sie eine solche Feststellung durch einen Vertragsarzt auch gegen sich gelten lassen. Sie könnten sich nicht darauf
berufen, dass der Krankengeldanspruch erst einen Tag nach der ärztlichen Feststellung entstehe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.09.2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23.12.2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 19.03.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit vom 03.01. bis
03.06.2009 Krankengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, in ständiger Rechtsprechung zu §
46 Satz 1 Nr 2
SGB V habe das BSG erläutert, dass die leistungsrechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krg nicht nur beim erstmaligen Eintritt der Arbeitsunfähigkeit,
sondern auch bei einer zeitlich befristeten Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und dementsprechenden Gewährung des Krg für
jeden Bewilligungsabschnitt erneut festzustellen seien. Dies gelte selbst dann, wenn es sich um eine Folgearbeitsunfähigkeit
aufgrund derselben Krankheit handele. Ergänzend habe das BSG in seinem Urteil vom 10.05.2012 dargelegt, dass der genannte Grundsatz es nicht ausschließe, dass eine ärztliche Feststellung
aus vorangegangener Zeit, die den weiteren Bewilligungsabschnitt mit umfasse, für §
46 Satz 1 Nr 2
SGB V als ausreichend anzusehen sei. Diese Ergänzung des BSG dürfe jedoch nicht so verstanden werden, dass nach Ausstellung einer zeitlich nicht befristeten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
durch einen Arzt die Krankenkasse trotz zu späteren Zeitpunkten ausgefertigten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht mehr
zur Überprüfung der leistungsrechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krg berechtig ist, weil die zeitlich frühere und
ohne Befristung ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung alle anderen zeitlich nachfolgenden ärztlichen Feststellungen
zur Arbeitsunfähigkeit, zeitlich befristet oder zeitlich unbefristet, verdränge oder überlagere und dadurch deren Wirksamwerden
verhindere.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster
und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin hat Erfolg.
Die nach den §§
143,
144,
151 Abs
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte und auch ansonsten statthafte Berufung ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid
der Beklagten vom 23.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägern
in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Krg auch für die Zeit vom 03.01.2009 bis zum 03.06.2009.
Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Krg sind die §§
44 ff
SGB V. Nach §
44 Abs
1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krg, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär
behandelt werden. Der Anspruch auf Krg entsteht bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung
von ihrem Beginn an, im Übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt (§
46 Satz 1
SGB V). Grundsätzlich setzt daher der Anspruch auf Krg die vorherige ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit voraus. Dem
Attest des behandelnden Arztes mit der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit kommt lediglich die Bedeutung einer gutachtlichen
Stellungnahme zu, welche die Grundlage für den über den Krg-Bezug zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bildet, ohne
dass Krankenkasse und Gerichte an den Inhalt der ärztlichen Bescheinigung gebunden sind (BSG 08.11.2005, B 1 KR 18/04 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 7). Die Voraussetzungen eines Krg-Anspruchs, also nicht nur die Arbeitsunfähigkeit, sondern auch die ärztliche Feststellung
der Arbeitsunfähigkeit, müssen bei zeitlich befristeter AU-Feststellung und dementsprechender Krg-Gewährung für jeden Bewilligungsabschnitt
jeweils erneut vorliegen (BSG 26.06.2007, B 1 KR 8/07 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 12). Zudem muss der Versicherte die Arbeitsunfähigkeit und deren Fortdauer grundsätzlich rechtzeitig ärztlich feststellen
lassen und seiner Krankenkasse gemäß §
49 Abs
1 Nr
5 SGB V melden (BSG 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 1).
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG bestimmt allein das bei Entstehen eines Krg-Anspruchs bestehende Versicherungsverhältnis, wer in welchem Umfang als Versicherter
Anspruch auf Krg hat (BSG 05.05.2009, B 1 KR 20/08 R, SozR 4-2500 § 192 Nr 4; BSG 02.11.2007, B 1 KR 38/06 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 14). Die Versicherungsverhältnisse, die die Gewährung von Krg nicht einschließen, sind in §
44 Abs
2 SGB V aufgeführt. Danach können insbesondere gemäß §
5 Abs
1 Nr
2a (wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld II) und Nr 13 (Auffangversicherung) Versicherte Krg nicht beanspruchen (§
44 Abs
2 Satz 1 Nr
1 SGB V). Die Klägerin war im streitgegenständlichen Zeitraum gemäß §
5 Abs
1 Nr
1 SGB V und damit mit Anspruch auf Krg bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Zwar endet die versicherungspflichtige Beschäftigung
durch die Kündigung des Arbeitgebers zum 15.03.2008. Dennoch bestand der sich aus §
5 Abs
1 Nr
1 SGB V ergebende Versicherungsschutz bis zum 03.06.2009 fort. Die Mitgliedschaft der Klägerin blieb gemäß §
192 Abs
1 Nr
2 und
3 SGB V erhalten, da sie vom 16.03.2008 bis zum 02.01.2009 Krg bzw Übergangsgeld bezog und für die Zeit vom 03.01. bis zum 03.06.2009
Anspruch auf Krg hatte.
Bei Versicherten, die im Zeitpunkt der Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit in einem Arbeitsverhältnis stehen und einen Arbeitsplatz
innehaben, liegt Arbeitsunfähigkeit vor, wenn diese Versicherten die an ihren Arbeitsplatz gestellten beruflichen Anforderungen
aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erfüllen können. Die Krankenkasse darf diese Versicherten, solange das Arbeitsverhältnis
besteht, nicht auf Tätigkeiten bei einem anderen Arbeitgeber "verweisen", die sie gesundheitlich noch ausüben könnten. Dem
krankenversicherten Arbeitnehmer soll durch die Krg-Gewährung nämlich gerade die Möglichkeit offen gehalten werden, nach Beseitigung
des Leistungshindernisses seine bisherige Arbeit wieder aufzunehmen (BSG 07.12.2004, B 1 KR 5/03 R, BSGE 94, 19 mwN). Danach war bei Entstehen des Krg-Anspruchs der Arbeitsplatz der Klägerin als Bürokauffrau maßgeblicher Bezugspunkt
für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit.
Eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum vom 03.01. bis zum 03.06.2009 ist zur Überzeugung
des Senats nachgewiesen. Die Klägerin erkrankte im März 2008 an einer rezidivierenden depressiven Störung mit mittelgradiger
Ausprägung, die auch nach Ansicht der Beklagten zu einer mindestens bis Dezember 2008 dauernden Arbeitsunfähigkeit geführt
hat. Eine Bestätigung der von den behandelnden Ärzten gestellten Diagnose ergibt sich aus dem ärztlichen Entlassungsbericht
der Psychosomatischen Klinik S. W., in der sich die Klägerin vom 30.09. bis zum 25.11.2008 befand. Im Gegensatz zu der Beklagten
ist der Senat der Auffassung, dass die Klägerin wegen dieser depressiven Störung sowie zeitweise wegen zusätzlicher somatischer
Erkrankungen darüber hinaus auch in der Zeit vom 03.01. bis zum 03.06.2009 nicht in der Lage war, eine Tätigkeit als Bürokauffrau
oder leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ganztägig auszuüben. Dies folgt aus den schriftlichen
Angaben der vom SG als sachverständige Zeugen gehörten behandelnden Ärzte. So hat der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. in seiner
Aussage vom 27.07.2009 bestätigt, dass sich die Klägerin im streitigen Zeitraum regelmäßig wegen eines depressiven Zustandsbildes
in seiner Behandlung befunden hat und die Klägerin aufgrund dieses Krankheitsbildes bis Anfang Juni 2009 nicht in der Lage
war, wenigstens leichte Tätigkeiten mehr als drei Stunden täglich zu verrichten. Damit war auch eine Arbeit als Bürokauffrau
nicht mehr möglich. Die Arbeitsfähigkeit der Klägerin war durch rezidivierende Rückenschmerzen zusätzlich eingeschränkt. Dies
folgt aus der schriftlichen Zeugenauskunft des Dr. S. vom 28.07.2009. Nach dessen Angaben litt die Klägerin in den Monaten
März und April 2009 außerdem an Bauchschmerzen, die teilweise mit Durchfällen verbunden waren. Diese Beschwerden besserten
sich erst nach der Behandlung einer mittels Biopsie (Arztbrief des Internisten und Gastroenterologen Dr. L. vom 06.04.2009,
Bl 45 der SG-Akte) gesicherten Helicobacter-Pylori-Infektion. Der Senat gründet seine Überzeugung auf die vom SG eingeholten Arztauskünfte und schließt sich nicht der vom MDK vertretenen Auffassung an. Der MDK hat die Klägerin zwar im
Mai 2008, aber nicht mehr nach dem 03.01.2009 untersucht, und zu den vom SG eingeholten Auskünften ist er von der Beklagten nicht um eine Stellungnahme gebeten worden. Der Senat sieht deshalb keinen
Grund, die nachvollziehbaren und plausiblen Bewertungen der behandelnden Ärzte in Zweifel zu ziehen. Dabei ist auch zu beachten,
dass es eine Teil-Arbeitsunfähigkeit nicht gibt. Kann eine Versicherte - wie hier die Klägerin - ihre bisherige Tätigkeit
zwar nicht mehr in vollem Umfang, aber noch teilweise ausüben, ist sie dennoch ganz und nicht nur teilweise arbeitsunfähig.
Die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin war auch für die Zeit vom 03.01. bis 03.06.2009 ärztlich festgestellt. Der Grundsatz,
dass die leistungsrechtlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Krg für jeden Bewilligungsabschnitt neu zu prüfen ist,
schließt es nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 10.05.2012, B 1 KR 20/11, BSGE 111, 18) nicht aus, eine ärztliche Feststellung aus vorangegangener Zeit, die den weiteren Bewilligungsabschnitt mit umfasst, als
ausreichend anzusehen. Dies hat zur Folge, dass bei einer Krankschreibung "auf nicht absehbare Zeit" oder "bis auf Weiteres"
für eine ärztliche Feststellung iSd §
46 Satz 1 Nr 1
SGB V keine neuen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mehr vorgelegt werden müssen, unabhängig davon, ob die Krankenkasse dieser
Beurteilung folgt oder nicht (ebenso LSG Rhld-Pf 23.12.2011, L 5 KR 309/11 B, [...]; LSG Nds-Bremen 11. 01. 2011, L 4 KR 446/09, NZS 2011,942 = Breith 2011, 412; SG Oldenburg 27. 5. 2011, S 61 KR 239/10, [...]). Im vorliegenden Fall beruht die Zahlung von Krankengeld bis zum 31.12.2008 auf einem am 16.12.2008 von der Praxis
Dr. M./Dr. B. ausgestellten Auszahlschein für Krankengeld (Bl 16 der Verwaltungsakte). Dieser Auszahlschein enthält folgende
Aussagen: zuletzt vorgestellt am 16.12.2008, noch arbeitsunfähig. Angaben zum nächsten Praxisbesuch werden nicht gemacht.
Die Bejahung der Frage, ob noch Arbeitsunfähigkeit besteht, wertet der Senat in Verbindung mit dem fehlenden Eintrag in der
Rubrik "nächster Praxisbesuch" als Krankschreibung bis auf Weiteres. Die Vorlage neuer Bescheinigungen über das Vorliegen
von Arbeitsunfähigkeit war deshalb nicht mehr notwendig. Diese zeitlich über den 31.12.2008 hinausreichende Bescheinigung
des Vertragsarztes ist nicht etwa deshalb unbeachtlich, weil die Beklagte entschied, die Krg-Zahlung an die Klägerin (zunächst)
mit dem 31.12.2008 zu beenden. Aus diesem Grund gereicht es der Klägerin nicht zum Nachteil, dass sie dennoch weitere Krankmeldungen
- dieses Mal allerdings befristet - vorgelegt hat (am 07.01.2009). Denn sie hatte bereits zuvor, nämlich am 05.01.2009, Widerspruch
gegen den Bescheid der Beklagten eingelegt. Außerdem bezog sich die am 07.01.2009 vorgelegte Bescheinigung auf andere Diagnosen
als die von Dr. M./Dr. B. gestellten. Eine (im Ergebnis) bis auf Weiteres attestierte Arbeitsunfähigkeit wegen einer rezidivierenden
Depression wird nicht dadurch beendet, dass eine andere Krankheit (zB auf orthopädischem Fachgebiet) - vorübergehend - zusätzlich
Arbeitsunfähigkeit verursacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.