Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung; Berücksichtigung einer Verletztenrente
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet.
Die gemäß §
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist nicht nach §
172 Abs
3 Nr
1 SGG in der seit 11.08.2010 geltenden Fassung des Art 6 Drittes Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 05.08.2010 (BGBl I S 1127) ausgeschlossen.
Denn in der Hauptsache wäre die Berufung nicht unzulässig, da sich der Antragsteller gegen die Festsetzung seiner Beiträge
zur freiwilligen Kranken- (KV) und sozialen Pflegeversicherung (PV) durch die Antragsgegnerinnen wendet und mithin Beiträge
für mehr als ein Jahr streitig sind.
Das Passivrubrum war dahin zu berichtigen, dass nicht nur die Antragsgegnerin zu 1), sondern auch die Antragsgegnerin zu 2)
Beteiligte des Rechtsstreits ist (§
69 Nr 2
SGG). Denn der Antragsteller hat sich sowohl im Klageverfahren als auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die
Berechnung der Beiträge zur gesetzlichen KV und zur sozialen PV ab dem 01.05.2011 durch die Antragsgegnerinnen gewandt. Er
hat sowohl in seiner Klageschrift als auch in seiner Antragsschrift ausdrücklich als Streitgegenstand die (getrennten) Bescheide
vom 18.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.08.2011 benannt und hierbei darauf hingewiesen, dass die Beiträge
zur freiwilligen KV und zur sozialen PV seiner Ansicht nach zu Unrecht unter Berücksichtigung seiner Verletztenrente aus der
gesetzlichen Unfallversicherung festgesetzt worden sind. Damit hat er aber hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass er sich
gegen die Neufestsetzung der Beiträge sowohl durch die Antragsgegnerin zu 1) als auch durch die Antragsgegnerin zu 2) wenden
wollte.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das SG hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu Recht abgelehnt. Denn an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen
Bescheide der Antragsgegnerinnen vom 18.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.08.2011 bestehen keine ernstliche
Zweifel.
Der Widerspruch des Antragstellers hat nicht bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung. Nach Abs 1 des mit Wirkung vom
02.01.2002 durch Art 1 Nr 35 des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (6. SGGÄndG) vom 17.08.2001 (BGBl
I S 2144) eingefügten §
86a SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage zwar grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Bis zu diesem Zeitpunkt galt der umgekehrte
Grundsatz, wonach Rechtsmittel in sozialgerichtlichen Verfahren nur aufschiebende Wirkung hatten, wenn dies im Gesetz ausdrücklich
angeordnet war (Timme NZS 2004, 292, 293). Nach Abs
2 Nr
1 des §
86a SGG entfällt jedoch die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der
Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten.
Die Regelung dient der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Leistungsträger der Sozialversicherung (vgl BT-Drs 14/5943 S 25).
Nach §
86b Abs
1 Nr
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende
Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Frage, ob die aufschiebende Wirkung von Widerspruch
und Klage aufgrund von §
86b Abs
1 Nr
2 SGG anzuordnen ist, ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des
Verwaltungsaktes und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen. Dabei ist zu
beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung dem öffentlichen Interesse einer sofortigen Vollziehung
des angefochtenen Bescheides Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt. Diese typisierend
zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung kann aber auch im Einzelfall zugunsten des Betroffenen ausfallen.
Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsachverfahrens,
dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung
(so auch Beschluss des Senats vom 06.05.2010, L 11 R 1806/10 ER-B). Dabei sind auch stets die Maßstäbe des §
86a Abs
3 Satz 2
SGG zu berücksichtigen. Demgemäß hat eine Aussetzung der Vollziehung zu erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabepflichtigen eine unbillige, nicht durch
überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ausgehend hiervon hat der Senat keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der hier maßgeblichen Beitragsbescheide vom 18.06.2011
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.08.2011. Mit diesen Beitragsbescheiden, gegen die sich der Antragsteller in
zulässiger Weise mit seiner Teilanfechtungsklage wendet (vgl hierzu BSGE 87, 228, 229; BSG SozR 4-2500 § 240 Nr 6), haben die Antragsgegnerinnen den Beitrag zur freiwilligen KV und zur sozialen PV ab dem
1. Mai 2011 zu Recht unter Berücksichtigung der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung festgesetzt. Der Senat
schließt sich der Auffassung des Sozialgerichts Reutlingen an und weist die Beschwerde aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen
Entscheidung zurück. Zur Vermeidung von Wiederholungen sieht der Senat insoweit von einer weiteren Begründung ab (§
142 Abs
2 Satz 3
SGG).
Lediglich ergänzend wird im Hinblick auf das Beschwerdevorbingen auf Folgendes hingewiesen: Entgegen einer teilweise in der
Literatur vertretenen Auffassung (Baier in Krauskopf, Soziale KV/PV, §
240 SGB V Rdnr 15, Stand 06/2010), wonach nur der den Einkommensverlust ausgleichende Anteil beitragspflichtig sei, nicht aber der
pauschale Ausgleich eines verletzungsbedingten Mehrbedarfs, hat das Bundessozialgericht (BSG) seine frühere Rechtsprechung
zu § 180
Reichsversicherungsordnung (
RVO) aufgegeben und entschieden, dass die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung eine (insgesamt) der Beitragsbemessung
unterworfene Einnahme darstellt (BSG 24.01.2007, B 12 KR 28/05 R, SozR 4-2500 § 240 Nr 9 = juris Rdnr 15). Darüber hinaus hat jüngst das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Zusammenhang
mit den Einkommensvorschriften des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) entschieden, dass die Verletztenrente aus der
gesetzlichen Unfallversicherung eine abstrakt berechnete Verdienstausfallentschädigung darstellt, die ebenso wie der Arbeitslohn
selbst der Sicherung des Lebensunterhalts dient und dieses Einkommen mithin nicht als zweckbestimmte Einnahme anzusehen ist
(BVerfG 16.03.2011, 1 BvR 591/08, 1 BvR 593/08, UV-Recht Aktuell 2011, 581 = juris Rdnr 38). Die Auffassung der Antragsgegnerinnen ist daher nicht zu beanstanden.
Vor diesem Hintergrund kommt es auf die Wirksamkeit der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler nicht an (vgl hierzu zuletzt
Urteil des Senats vom 16.08.2011 - L 11 KR 3165/10).
Dass die Vollziehung eine unbillige, nicht von den überwiegend öffentlichen Interesse gebotenen Härte zur Folge haben würde,
hat der Antragsteller weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.
Die Beschwerde war danach zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf §
193 SGG beruht.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.