Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten für ein Liegedreirad.
Die 1961 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet an einer wohl 1984 begonnenen, im Jahr 1999
diagnostizierten Enzephalomyelitis disseminata mit schubweisem Verlauf. Es besteht eine Gangunsicherheit aufgrund einer links-
und beinbetonten Tetraspastik.
Am 15.11.2002 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung und einer ärztlichen
Verordnung des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. Sch. sowie eines Kostenvoranschlages über 2.234,-- EUR die Gewährung eines
Liegedreirads Marke "Kett Wiesel". Nach der ärztlichen Bescheinigung von Dr. Sch. wirken sich laut Aussage der Physiotherapeutin
die beim Radfahren gemachten Pedalierbewegungen einerseits günstig auf die Kräftigung der Muskulatur, andererseits auf die
Lockerung des Muskeltonus aus. Damit werde die krankengymnastische Behandlung unterstützt. Die Förderung der Bewegung sei
durch solche Maßnahmen auch zur Anregung und Stärkung der Herz- und Kreislauf-Funktionen notwendig. Ein gewöhnliches Fahrrad
könne inzwischen wegen Sturzgefahr kaum mehr benutzt werden.
Nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), die E. Schindler
abgab, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21.01.2003 die beantragte Kostenübernahme mit der Begründung ab, das Liegerad
diene nicht dazu, eine wesentliche Behinderung auszugleichen. Es zähle zu den Gegenständen des täglichen Gebrauchs. Auf diese
Grundbedürfnisse erstrecke sich die Leistungspflicht der Krankenkasse nicht.
Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch. Sie legte eine fachärztliche Bescheinigung des Arztes für Neurologie U. F., wonach
er das von der Klägerin vorgeschlagene Liegedreirad für sehr tauglich hält, und eine Abbildung des von ihr begehrten Liegedreirads
vor und wies darauf hin, dass das Fahrrad Abänderungen speziell für ihre Behinderung enthalte. Es verfüge über einen abgesenkten
Vorbau und einen Haltegriff an der Sitzlehne.
Die Beklagte wandte sich daraufhin erneut an den MDK. E. Schindler blieb dabei, dass es sich bei dem Liegedreirad um einen
Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06.10.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Radfahren gehöre laut Bundessozialgericht
(BSG) nicht zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens. Gegenstände des täglichen Lebens seien gemäß §
33 Abs.
1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) ausdrücklich von einer Hilfsmittelversorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen.
Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG). Zur Begründung trug sie vor, sie benötige das Liegedreirad, um die Ausübung ihres Grundbedürfnisses auf Erschließung eines
gewissen körperlichen Freiraums erhalten zu können. Sie leide unter einer sich zunehmend ausweitenden außergewöhnlichen Bewegungseinschränkung.
Aufgrund ihrer Gangataxie und Gleichgewichtsproblemen sei ihr inzwischen eine freie Bewegung ohne Hilfsmittel nicht mehr möglich.
Durch das Liegedreirad finde nur ein Basisausgleich der Behinderung statt, bei dem es ihr nicht ermöglicht werde, auch nur
im Ansatz mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten des Gesunden gleichzuziehen. In ihrer konkreten Familiensituation komme
gemeinsamen Fahrradausflügen eine große Bedeutung zu. Fahrradfahren sei inzwischen die einzige Möglichkeit, sich mit ihren
Familienmitgliedern gemeinsam zu bewegen. Im übrigen sei das Liegedreirad zur Krankenbehandlung notwendig. Die Pedalierbewegung
des Rades kräftige einerseits die Muskulatur, andererseits lockere sie den Muskelspasmus.
Die Beklagte teilte auf Nachfrage des SG mit, dass die Klägerin keine sonstigen Hilfsmittel habe.
Der vom SG als sachverständige Zeuge gehörte Neurologe U. F. führte aus, er habe die Klägerin im März und April 2003 behandelt. Es bestehe
eine links- und beinbetonte Tetraspastik mit Unsicherheit in den Zeigeversuchen, linksbetonter Einschränkung der Feinmotorik
der Hände und ein spastisch-ataktisches Gangbild. Selbst bei gutem körperlichen Befinden sei die Klägerin nicht in der Lage
ortsübliche Wegstrecken in angemessener Zeit zurückzulegen. Es bestehe eine Einschränkung der freien Wegstrecke auf unter
500 m. Die Versorgung mit einem Rollstuhl halte er für medizinisch indiziert.
Mit Urteil vom 29.07.2004, an die Klägerin per Übergabe-Einschreiben abgesandt am 14.09.2004, wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, nach der ständigen Rechtsprechung des BSG gehörten zu den Grundbedürfnissen die
allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens wie z.B. Gehen, Stehen und die Erschließung eines gewissen körperlichen und
geistigen Freiraums. Das Grundbedürfnis der Erschließung eines körperlichen Freiraums habe die Rechtsprechung jedoch nur im
Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung definiert. Zu dem Grundbedürfnis gehörten diejenigen Wegstrecken, die ein Gesunder
zu Fuß zurückzulegen vermöge. Der durch ein Hilfsmittel zu gewährende Behinderungsausgleichs sei grundsätzlich auf die grundlegenden
Organfunktionen, nämlich das Gehen und Stehen beschränkt. Durch das Hilfsmittel seien bei Gehbehinderten im Rahmen des technisch
machbaren und wirtschaftlich vertretbaren diese grundlegenden Funktionen ganz oder teilweise herzustellen oder zu ersetzen,
nicht jedoch die Fähigkeit zu gewährleisten, mittels der Beine ein schnelleres und bequemeres Fortbewegungsmittel zu betreiben.
Deshalb bestehe grundsätzlich kein Anspruch auf ein Hilfsmittel, das einem Versicherten das Radfahren ermögliche.
Dagegen richtet sich die am 11.10.2004 eingelegte Berufung der Klägerin. Zur Begründung weist sie gestützt auf einen Arztbrief
des Neurologen U. F., wonach sie auf Grund der deutlichen Einschränkung der Gehfähigkeit (mit Hilfsmitteln noch 150 bis 200
Meter) auf die Benutzung von Hilfsmitteln angewiesen ist, wobei sich das von ihr benutzte Liegedreirad als sehr günstig erwiesen
habe, darauf hin, dass sich das Liegedreirad medizinisch günstig auf den Krankheitsverlauf auswirke und eine andere Versorgungsart
ungeeignet sei. Das Liegedreirad sei für sie kein "schnelleres und bequemeres Hilfsmittel". Mit dem Liegedreirad sei sie in
keiner Weise schneller und es sei für sie auch nicht bequemer als das Gehen für einen gesunden Menschen. Durch das Liegedreirad
habe sie nur den körperlichen Freiraum, der mit dem eines Rollstuhlfahrers vergleichbar sei. Ohne das Liegedreirad bräuchte
sie einen Rollstuhl. Dieser hätte keine günstigen Auswirkungen auf ihren Krankheitsverlauf, sondern würde im Gegenteil dazu
führen, dass sie ihre Beine noch weniger benutze. Das Liegedreirad sei für sie als die für ihren Fall angemessene Form eines
Rollstuhls anzusehen. Es dürfe auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass im Gegensatz zu einem Liegedreirad, das sich psychologisch
positiv auswirke, ein Rollstuhl auch psychologisch nachteilige Auswirkungen hätte.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29. Juli 2004 sowie den Bescheid vom 21. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 6. Oktober 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten des Dreirades, Marke "Kett Wiesel" in Höhe
von 2.200,-- EUR zu erstatten,
hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, den Differenzbetrag zu einem normalen Fahrrad zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.
Die Klägerin hat das Liegedreirad mittlerweile angeschafft, wofür ihr von der Fa. R., Friesenheim-Schuttern, mit Rechnung
vom 02.07.2003 ein Betrag in Höhe von 2.200,-- EUR in Rechnung gestellt wurde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§
143,
151 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und insbesondere nach §
144 Abs.
1 Satz 2
SGG statthaft, da der geltend gemachte Erstattungsanspruch 2.200,-- EUR beträgt und damit die erforderliche Berufungssumme von
500,-- EUR übersteigt.
Eine Beiladung der Rehabilitationsträger hatte nicht zu erfolgen. Gegenstand des Antrags war keine Leistung zur Teilhabe im
Sinne des §
5 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (
SGB IX), sondern eine Leistung der Krankenbehandlung (Welti in HK -
SGB IX §
14 RdNr. 22).
Die zulässige Berufung der Klägerin ist aber nicht begründet. Das SG hat unter Darlegung der maßgeblichen Rechtsgrundlagen und der ständigen Rechtsprechung des BSG zutreffend entschieden, dass
die Klägerin keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für das Liegedreirad hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist
der Senat gemäß §
153 Abs.
2 SGG auf die entsprechenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil. Die Tatsache, dass sich die Klägerin das Liegedreirad mittlerweile
selbst angeschafft hat, ändert hieran nichts. Ein Unterschied ergibt sich nur insofern, als Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch
nunmehr §
13 Abs.
3 2. Alt. Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) ist. Diese Vorschrift regelt die Kostenerstattung für den Fall, dass eine Sachleistung zu Unrecht verweigert und der Versicherte
dadurch gezwungen wurde, sich die notwendige Leistung selbst zu beschaffen. Dies war hier nach den Ausführungen des SG, auf die Bezug genommen wird, nicht der Fall.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass das BSG in seiner Entscheidung vom 16.09.2004 - B 3 KR 15/04 R - erneut daran festgehalten hat, dass das Grundbedürfnis des "Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums", das im
Falle der Klägerin allein als ausgefallenes Grundbedürfnis in Betracht kommt, immer nur im Sinne eines Basisausgleichs der
Behinderung selbst und nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten des Gesunden
zu verstehen ist. Die Rechtsprechung stellt dabei auf diejenigen Entfernungen ab, die ein Gesunder zu Fuß zurücklegt oder
um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen
sind. Zur Zurücklegung dieser Entfernungen benötigt die Klägerin kein Liegedreirad. Diese Entfernungen sind vielmehr mit Hilfe
eines - der Klägerin auf Antrag noch zur Verfügung zu stellenden - Rollstuhls zu bewältigen. Hierzu ist die Klägerin, für
den Fall, dass ihre Armkraft für das Bewegen eines Aktivrollstuhls nicht mehr ausreichend sein sollte, zumindest mit einem
Elektrorollstuhl in der Lage. Ein Rollstuhl ist bei diesen Entfernungen einem Liegedreirad vorzuziehen. Er ist durch seine
Wendigkeit einem auf Grund seiner Länge unhandlichen Liegedreirad überlegen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Beachtung des Gesichtspunktes, dass sich ein Liegedreirad nach dem Vortrag der
Klägerin psychologisch positiv auf sie auswirken würde. Im Rahmen der Hilfsmittelversorgung ist allein zu überprüfen, ob das
Hilfsmittel in der Lage ist, die ausgefallene Behinderung auszugleichen. Psychologische Aspekte haben insoweit außen vor zu
bleiben.
Das Bedürfnis der Klägerin, sich mit Hilfe des Liegedreirads gemeinsam mit ihrer Familie zumindest auf kurzen Strecken zu
bewegen, vermag den Anspruch ebenfalls nicht zu begründen. Insoweit handelt es sich um Entfernungen, die auch ein Gesunder
nicht zu Fuß zurücklegt und die nicht im Nahbereich der Wohnung liegen. Das BSG hat insoweit in der jüngsten Entscheidung
vom 16.09.2004 noch einmal ausgeführt, dass soweit die Frage eines größeren Radius über das zu Fuß Erreichbare hinaus aufgeworfen
wird, bisher stets zusätzliche qualitative Momente verlangt worden seien. Es sei auf die Erforderlichkeit "im Einzelfall"
abzustellen. Dies könne das Alter eines Versicherten sein (BSG SozR 3-2500 § 33 NR. 27), die Förderung des Integrationsprozesses
(BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 46) die Schwere einer Behinderung (Urteil des Senats vom 24.01.1990 - 3/8 RK 16/87 -) oder die Notwendigkeit medizinischer Intensivbehandlung, die die Individualität eines Lebenssachverhalts ausmache. Derartige
zusätzliche - qualitative - Merkmale, die die Beklagte zur Gewährung eines Liegedreirads zwecks Herstellung größerer und den
Nahbereich überschreitenden Mobilität verpflichten könnte, sind im Falle der Klägerin nicht ersichtlich. Die Klägerin wünscht
das Liegedreirad, um sich mit ihrer Familie gemeinsam zu bewegen. Dies ist zweifelsohne ein außerordentlich wichtiger Punkt
im Leben einer Familie. Es fördert die Gemeinsamkeit und dient letztendlich auch der Stärkung der Kinder. Zu den Aufgaben
der gesetzlichen Krankenversicherung gehört das gemeinsame Familienerlebnis jedoch nicht.
Der Klägerin steht auch kein Anspruch unter dem Blickwinkel "Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung" zu. Der Senat stellt
insoweit nicht in Abrede, dass die Benutzung des Liegedreirads durchaus "medizinisch sinnvoll" sein kann. Das therapeutische
Ziel der Kräftigung der Arm- und Beinmuskulatur bzw. Lösung der Spastik kann jedoch wesentlich effektiver durch krankengymnastische
und physiotherapeutische Behandlungen, Leistungen, die die Klägerin erhält, erreicht werden. Auch die allgemeine Leistungsfähigkeit
kann gezielter durch solche Behandlungen unterstützt werden.
Die hilfsweise geltend gemachte Erstattung des Differenzbetrages zwischen einem Fahrrad und dem Liegedreirad scheidet ebenfalls
aus. Das von der Klägerin erworbene Liegedreirad gehört von vornherein nicht zu den Leistungen, die die gesetzlichen Krankenkassen
zu gewähren haben. Auch der Umstand, dass die Beklagte an sich verpflichtet ist, der Klägerin einen Rollstuhl zur Verfügung
zu stellen, begründet keinen Anspruch auf Erstattung von Kosten. Im System der gesetzlichen Krankenversicherung gilt das Sachleistungsprinzip.
Es ist das beantragte und dem Versicherten zustehende Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen bzw. zu erstatten. Eine Verrechnung
oder einen Ausgleich sieht das Gesetz nicht vor.
Die Berufung konnte hiernach keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.