Anspruch auf Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung
Rechtmäßigkeit einer Aufhebung der Familienversicherung mit Wirkung für die Vergangenheit
Anforderungen an die Beurteilung der Einkommenshöhe zur Ermittlung des Gesamteinkommens unter Rückgriff auf Einkommensteuerbescheide
und auf der Grundlage von Prognoseentscheidungen
Tatbestand
Streitig ist der Fortbestand der Familienversicherung der Klägerin im Zeitraum vom 01.11.2014 bis 28.02.2016.
Die 1970 geborene Klägerin war und ist mittlerweile wieder über ihren Ehemann, den Beigeladenen, bei der Beklagten familienversichert.
Nachdem sie auf Nachfrage der Beklagten sowohl 2014 als auch 2015 erklärt hatte, für die Zeit ab 01.01.2012 bzw 01.01.2014
über keine Einkünfte zu verfügen, gab sie im Schreiben vom 12.08.2016 erstmals an, aus Vermietung Einkünfte erzielt zu haben.
Nach erfolgloser Aufforderung an die Klägerin zur Vorlage der Einkommensteuerbescheide holte die Beklagte im Wege der Amtshilfe
bei dem Finanzamt entsprechende Auskünfte ein. Aus den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2007 bis 2012 ergaben sich
keine positiven Einkünfte der Klägerin. Nach dem am 24.10.2014 ausgestellten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2013 verfügte
die Klägerin jedoch neben negativen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von minus 398 € über Einkünfte aus Kapitalvermögen
iHv 6.256 €. Nach dem am 10.02.2016 ausgestellten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014 betrugen die Einkünfte der Klägerin
aus Kapitalvermögen 2.532 €, die aus Vermietung und Verpachtung minus 369 €.
Die Beklagte hörte die Klägerin mit Schreiben vom 25.09.2017 wegen Überschreitens der in 2013 gültigen Einkommensgrenze zur
Unterbrechung der Familienversicherung ab dem 01.11.2014 bis 28.02.2016 an. Hierzu äußerte sich die Klägerin nicht. Mit einem
an die Klägerin gerichteten Bescheid vom 13.10.2017 entschied die Beklagte dann, dass die kostenfreie Familienversicherung
der Klägerin für die Zeit vom 01.11.2014 bis zum 28.02.2016 nicht bestand, da für diesen Zeitraum das monatliche Gesamteinkommen
der Klägerin über der für die Familienversicherung geltenden Einkommensgrenze gelegen habe. Zugleich bot sie der Klägerin
eine freiwillige Mitgliedschaft bei der Beklagten für diesen Zeitraum an. Anderenfalls müsse der Austritt aus der Mitgliedschaft
erklärt werden, was aber nur möglich sei, sofern ein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall nachgewiesen
werde. Die Klägerin legte hiergegen gemeinsam mit dem Beigeladenen Widerspruch ein, da sie kein Beschäftigungsverhältnis und
keine regelmäßigen Einnahmen gehabt habe, die ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße überschritten hätten. Aus den von der
Beklagten angeforderten Unterlagen des Finanzamts ergebe sich, dass im Jahr 2014 das monatliche Gesamteinkommen 180,25 € betragen
und somit unter der maßgeblichen Einkommensgrenze gelegen habe.
Mit Schreiben vom 19.04.2018 erläuterte die Beklagte der Klägerin und dem Beigeladenen die Voraussetzungen der Familienversicherung.
Das monatliche regelmäßige Einkommen laut Einkommensteuerbescheid 2013 habe bei 488,17 € gelegen. Somit liege das Einkommen
für 2014, 2015 und 2016 über der Gesamteinkommensgrenze für die Familienversicherung, die damit zu beenden sei.
Nachdem die Klägerin in der Folgezeit keine anderweitige Absicherung im Krankheitsfalle nachgewiesen hatte, stellte die Beklagte
mit Bescheid vom 08.05.2018 die obligatorische Anschlussversicherung für den streitigen Zeitraum fest und bezifferte die Beiträge
zur Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 01.11.2014 auf monatlich 686,48 €, ab dem 01.01.2015 auf 711,57 € und ab dem 01.01.2016
auf 739,44 €. Für die Zeit vom 01.11.2014 bis zum 28.02.2016 bestehe noch ein offener Betrag in Höhe von 11.341,38 €.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.08.2018 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 13.10.2017 zurück. Zur Begründung
stellte sie die rechtlichen Grundlagen der Familienversicherung und der Berechnung des Gesamteinkommens sowie die verfahrensrechtlichen
Bestimmungen für das Meldeverfahren bei Durchführung der Familienversicherung sowie für die Aufhebung bzw Rücknahme von Verwaltungsakten
dar. Die Krankenkasse könne das Ende der Familienversicherung auch rückwirkend feststellen. Einkommensveränderungen seien,
unabhängig vom Zeitpunkt der Nachweisführung, grundsätzlich vom 1. des Folgemonats der Ausstellung des jeweiligen Einkommenssteuerbescheides
zu berücksichtigen, vorliegend somit die Einkünfte aus dem Einkommensteuerbescheid für 2013 ab dem 01.11.2014 bis zum 28.02.2016.
Das ab dem 01.11.2014 bis 28.02.2016 zu berücksichtigende Gesamteinkommen sei höher als die in den Jahren 2014 (395 €), 2015
(405 €) und 2016 (415 €) gültigen monatlichen Gesamteinkommensgrenzen. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Familienversicherung
mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) seien gegeben, da die Klägerin insbesondere spätestens durch den vom Finanzamt im Oktober 2014 erstellten Einkommensteuerbescheid
davon Kenntnis gehabt habe, dass ihr Gesamteinkommen höher als die zulässige Gesamteinkommensgrenze sei. Der Bescheid gelte
auch für die Pflegeversicherung.
Hiergegen hat die Klägerin hat am 03.09.2018 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben mit der Begründung, sie habe im Jahr 2013 nicht regelmäßig Einkünfte erzielt, die oberhalb der gültigen Einkommensgrenze
gelegen hätten. Sie sei Miteigentümerin eines Depots, aus welchem Jahr 2013 Verkäufe getätigt worden seien und aus dem sie
aus Verkauf und Dividenden anteilig Einkünfte erzielt habe. Die maßgebliche Einkommensgrenze sei damit nur in vier von zwölf
Monaten des Jahres 2013 überschritten worden. Die Prüfung der Voraussetzungen der Familienversicherung erfordere eine Prognose
unter Einbeziehung der mit hinreichender Sicherheit zu erwartenden Veränderungen. Abgesehen davon stelle die Beklagte darauf
ab, wann der Einkommensteuerbescheid 2014 erstellt worden sei, und damit auf einen beitragsrechtlich, nicht aber statusrechtlich
relevanten Aspekt. Die Klägerin hat noch die Erträgnisaufstellungen für das Depot der Klägerin und des Beigeladenen bei der
Bank ... für die Jahre 2013 bis 2015 vorgelegt, ferner den Einkommensteuerbescheid für 2013, den der Beigeladene aber für
falsch halte; er sei bemüht, einen korrigierten Steuerbescheid beizubringen.
Mit Beschluss vom 13.03.2019 hat das SG den Ehemann der Klägerin als Stammversicherten zu dem Rechtstreit beigeladen und mit Urteil vom 02.12.2019 der Klage unter
Aufhebung der angefochtenen Bescheide und Feststellung des Weiterbestehens der Familienversicherung im streitgegenständlichen
Zeitraum vollumfänglich stattgegeben. Die Voraussetzungen für die Familienversicherung seien auch in der Zeit ab dem 01.11.2014
bis 28.02.2016 erfüllt. Die Klägerin habe im Jahr 2013 über Kapitalerträge in Höhe von 6.256 € verfügt. Nach Abzug der negativen
Einkünfte habe sich noch ein monatliches Einkommen in Höhe von gerundet 488,17 € ergeben und damit mehr als der in §
10 Abs
1 Satz 1 Nr
5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) bestimmten Grenze. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei die Verteilung der Einkünfte im Kalenderjahr unbeachtlich, da
schwankendes Einkommen für Kapitaleinkünfte typisch sei, so dass von dem gezwöftelten Jahreseinkommen auszugehen sei. Dieses
Einkommen führe jedoch nicht dazu, dass ab dem 01.11.2014 bis 28.02.2016 ein regelmäßiges Überschreiten der maßgeblichen Einkommensgrenze
vorgelegen habe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei insoweit eine "rückblickend vorausschauende Betrachtung" und damit eine Prognose vorzunehmen. Auch dann habe rückblickend
nur für solche Zeiträume keine Familienversicherung bestanden, zu deren Beginn - gegebenenfalls anhand der durchschnittlichen
Verhältnisse der vergangenen Zeit - bereits absehbar gewesen sei, dass die insoweit geltenden Voraussetzungen nicht erfüllt
würden. Es sei damit prognostizierend zu befinden, welche Einkünfte mit hinreichender Sicherheit zu erwarten seien. Ausgehend
hiervon sei ein regelmäßiges Überschreiten der Einkommensgrenze nach den für den 01.11.2014 bekannten Verhältnissen für den
Zeitraum ab dem 01.11.2014 nicht zu erwarten gewesen. Nach der Rspr des BSG werde ausgehend von der Summe der Einkünfte aus dem Einkommensteuerbescheid des jeweiligen Jahres entschieden, ob die Voraussetzungen
für die Familienversicherung in diesem Jahr gegeben seien. Da die Beklagte das Ende der Familienversicherung erst ab dem 01.11.2014
festgestellt habe, könne dahingestellt bleiben, ob die Familienversicherung nur für das Jahr 2013 (wegen der Aktienverkäufe
ggfls erst ab der Jahresmitte) rückwirkend hätte beendet werden dürfen. Bei einer Prognose ausgehend von den Verhältnissen
des Jahres 2013 habe ab dem 01.11.2014 keine Überschreitung der Einkommensgrenze vorgelegen. Denn einmalige, zeitbezogene
Einkünfte seien bei der Schätzung nur dann zu berücksichtigen, wenn sie mit hinreichender Sicherheit zu erwarten gewesen seien.
Da sich die höheren Einkünfte 2013 hauptsächlich aus Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien ergeben hätten, die in diesem
Umfang 2014 und 2015 nicht mehr erzielt worden seien, habe eine positive Prognose jedenfalls zum 01.11.2014 nicht mehr vorgelegen.
Hinzu komme, dass die Klägerin nach den jeweiligen Einkommensteuerbescheiden in den Jahren bis 2012 keine Einkünfte aus Kapitalvermögen
erzielt habe. Nach den Einkommensteuerbescheiden für 2014 und 2015 sei die jeweilige Einkommensgrenze als Voraussetzung der
Familienversicherung in diesen Jahren zudem eingehalten worden. Nach alledem ergebe eine Schätzung ausgehend von den Verhältnissen
am 01.11.2014, dass zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht mit einem regelmäßigen Gesamteinkommen zu rechnen gewesen sei, das
die Einkommensgrenze überstieg.
Gegen das ihr am 16.01.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11.02.2020 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg
(LSG) eingelegt mit der Begründung, entgegen der Meinung des Gerichts habe es sich bei den Einkünften in 2013 nicht um einen
einmaligen Aktienverkauf gehandelt, sondern um regelmäßige Kursgewinne. Die Klägerin habe in den Bestandspflegebögen immer
wieder Falschangaben gemacht. Im Jahr 2013 und 2014 habe sie angegeben, dass keine sonstigen Einkünfte bezogen würden. Auf
Vertrauen könne sie sich nicht berufen, da sie wissentlich Falschangaben gemacht habe. Zudem seien die angeforderten Unterlagen
(Steuerbescheide) nie eingereicht worden. Eine vorausschauende Prüfung habe die Berufungsklägerin nicht durchführen können,
da die Klägerin ihre Einkünfte der Beklagten gegenüber unterschlagen habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 02.12.2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat auf ihren Vortrag erster Instanz sowie auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils verwiesen und hinzugefügt,
neben regelmäßigen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung im Jahr 2013 einmalig über Kapitalerträge verfügt zu haben, weil
der Ehemann aus dem gemeinsamen Depot Aktien veräußert habe. Regelmäßige Einkünfte aus Kapitalerträgen, welche die Einkommensgrenze
überschritten hätten, habe sie zu keinem Zeitpunkt erzielt.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie
der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§
143,
144,
151 SGG) der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 02.12.2019 ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat zu Recht den Bescheid der Beklagten über die Unterbrechung der Familienversicherung zwischen dem 01.11.2014 und 28.02.2016
aufgehoben.
Die von der Klägerin erhobene Anfechtungs- und Feststellungsklage ist zulässig. Gegenstand des Verfahrens ist lediglich der
Bescheid der Beklagten vom 13.10.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.08.2017, nicht jedoch der Bescheid vom
08.05.2018 über das Bestehen der freiwilligen Versicherung. Die Beklagte ist aber verpflichtet, nach Rechtskraft der vorliegenden
Entscheidung den Bescheid vom 08.05.2018 über die obligatorische Anschlussversicherung für den streitigen Zeitraum (ggf gemäß
§ 44 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch) aufzuheben.
Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die
Beklagte war nicht zu der Feststellung berechtigt, dass die Familienversicherung der Klägerin zwischen dem 01.11.2014 und
dem 28.02.2016 unterbrochen war. Dies hat das SG mit zutreffender Begründung, der sich der Senat anschließt, entschieden. Daher wird insoweit von einer Begründung abgesehen
(§
153 Abs
2 SGG).
Ergänzend wird nur auf Folgendes hingewiesen: Die Voraussetzungen der Familienversicherung ergeben sich aus §
10 SGB V. Gemäß §
10 Abs
1 Satz 1
SGB V in der vom 01.01.2013 bis zum 28.02.2016 geltenden Fassung sind versichert der Ehegatte, der Lebenspartner und die Kinder
von Mitgliedern sowie die Kinder von familienversicherten Kindern, wenn diese Familienangehörigen
1. ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben,
2. nicht nach §
5 Abs
1 Nr
1,
2,
3 bis 8, 11 oder 12
SGB V oder nicht freiwillig versichert sind,
3. nicht versicherungsfrei oder nicht von der Versicherungspflicht befreit sind; dabei bleibt die Versicherungsfreiheit nach
§
7 SGB V außer Betracht,
4. nicht hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind und
5. kein Gesamteinkommen haben, das regelmäßig im Monat ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach §
18 des
Vierten Buches überschreitet; bei Renten wird der Zahlbetrag ohne den auf Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten entfallenden Teil berücksichtigt;
für geringfügig Beschäftigte nach §
8 Abs
1 Nr
1, §
8a des
Vierten Buches beträgt das zulässige Gesamteinkommen 450 €.
Vorliegend scheitert eine Familienversicherung im streitgegenständlichen Zeitraum nicht bereits daran, dass die Beklagte eine
obligatorische Weiterversicherung auf der Grundlage von §
188 Abs
4 SGB V angenommen hat. Für eine solche Weiterversicherung ist kein Raum, da die Familienversicherung zum 31.10.2014 nicht endete.
Der Familienversicherung stand ab dem 01.11.2014 auch nicht das von der Klägerin erzielte Gesamteinkommen entgegen. Der zulässige
Grenzwert des §
10 Abs
1 Satz Nr
5 SGB V beträgt ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach §
18 SGB IV, er lag 2013 bei 385 €, 2014 bei 395 €, 2015 bei 405 € und 2016 bei 415 €. Das Gesamteinkommen der Klägerin überschritt in
der Zeit vom 01.11.2014 bis zum 28.02.2016 diesen Grenzwert nicht. Dies ergibt sich aus den Einkommensteuerbescheiden für
2014 und 2015. Allerdings erzielte die Klägerin im Jahr 2013 ein Gesamteinkommen oberhalb des maßgeblichen Grenzwerts. Darauf
kann die Beklagte die mit der Klage angefochtene Entscheidung jedoch nicht stützen.
Gesamteinkommen ist nach der in §
16 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV) enthaltenen Legaldefinition die Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommensteuerrechts; es umfasst insbesondere das Arbeitsentgelt
(§
14 SGB IV) und das Arbeitseinkommen (§
15 SGB IV). Mit der Verweisung in §
16, 1. Halbsatz
SGB IV auf das Einkommensteuerrecht ergibt sich ein abschließender Katalog der Einkunftsarten, der für die Feststellung des Gesamteinkommens
maßgebend ist. Zu berücksichtigen sind alle sieben Einkunftsarten des
Einkommensteuergesetzes (
EStG), dh die in §
2 Abs
1 Satz 1
EStG unter der Überschrift "Umfang der Besteuerung" genannten Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (Nr 1), Gewerbebetrieb (Nr
2), selbstständiger Arbeit (Nr 3), nichtselbständiger Arbeit (Nr 4), Kapitalvermögen (Nr 5), Vermietung und Verpachtung (Nr
6) sowie sonstige Einkünfte im Sinne des §
22 EStG (Nr 7). Zu welcher Einkunftsart Einkünfte im Einzelfall gehören, ergibt sich aus den §§
13-
24 EStG (§
2 Abs
1 Satz 2
EStG).
Nicht zu beanstanden ist, dass die Beklagte zur Beurteilung der Einkommenshöhe auf einen Einkommensteuerbescheid zurückgegriffen
hat. Auch das BSG zieht in seiner Rechtsprechung regelmäßig bei der Prüfung von Tatbestandsvoraussetzungen sozialrechtlicher Normen, die auf
Einkünfte im Sinne des Einkommensteuerrechts abstellen, Steuerbescheide heran (BSG 25.08.2004, B 12 KR 36/03 R, USK 2004-20; BSG 06.11.2008, B 1 KR 28/07 R, SozR 4-2500 § 47 Nr 10 [Berechnung Krankengeld bei Selbstständigen]; BSG 02.09.2009, B 12 KR 21/08 R, SozR 4-2500 § 240 Nr 12 und BSG 30.10.2013, B 12 KR 21/11 R, SozR 4-2500 § 240 Nr 19 [beide zur Beitragsbemessung Selbstständiger]). Ausweislich des Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 2013 erzielte
die Klägerin in diesem Jahr aus Kapitalerträgen einen Gewinn in Höhe von 7.057 €, der sich in Gewinne aus Kapitalerträgen
sowie Gewinne aus Aktienveräußerungen aufteilte. Von diesen Gewinnen waren der Sparerfreibetrag abzuziehen (BSG 22.05.2003, B 12 KR 13/02 R, BSGE 91, 83-89, SozR 4-2500 § 10 Nr 2) und auch der Verlust aus Verpachtung- und Vermietung in Abzug zu bringen (vertikaler Verlustausgleich,
s. Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB, 01/20, §
10 SGB V, Rn 158 mwN), so dass die Klägerin bereinigt über ein Einkommen in Höhe von 5.858 € verfügte. Verteilt auf 12 Monate errechnet
sich so ein monatliches Gesamteinkommen von 488,16 €. Entgegen den Ausführungen der Klägerin ist die Verteilung der Einkünfte
innerhalb des Kalenderjahres unbeachtlich. Bei schwankenden Einkommen - wie bei Einkünften aus Kapitalvermögen typisch - ist
für die Feststellung, ob ein Gesamteinkommen "regelmäßig im Monat" überschritten wird, vom gezwölftelten Jahreseinkommen auszugehen
(vgl BSG 04.06.1981, SozR 2200 § 205 Nr 41 S 104 f; BSG 07.12.2000, B 10 KR 3/99 R, SozR 3-2500 § 10 Nr 19, SozR 3-2400 § 15 Nr 8, Rn 15). Dieses monatliche Gesamteinkommen iHv 488,16 € lag über dem Grenzbetrag des §
10 Abs
1 Satz 1 Nr
5 SGB V von 385 € für 2013 €.
Bei der Prüfung der Frage, ob eine Familienversicherung besteht oder nicht, ist nach der Rechtsprechung des BSG zwischen den materiellen Voraussetzungen der Familienversicherung und der Berechtigung der Krankenkasse zur Beendigung einer
Familienversicherung zu unterscheiden (vgl hierzu BSG 07.12.2000, B 10 KR 3/99 R, SozR 3-2500 §
10 Nr 19). Zunächst ist zu prüfen, ob die sich aus §
10 SGB V ergebenden materiellen Voraussetzungen für eine Familienversicherung vorliegen. Dies war im Jahr 2013 nicht der Fall, da
die Klägerin im gesamten Jahr ein über dem Grenzwert liegendes Einkommen bezog. Dennoch bestand - rückblickend - nur für solche
Zeiträume keine Familienversicherung, zu deren Beginn - ggf anhand der durchschnittlichen Verhältnisse der vergangenen Zeit
- bereits absehbar war, dass die insoweit geltenden Voraussetzungen nicht (mehr) erfüllt würden (BSG 07.12.2000, B 10 KR 3/99 R, SozR 3-2500 § 10 Nr 19, Rn 30). Die Beklagte hätte demnach im vorliegenden Fall ermitteln müssen, ab wann im Jahr 2013 (zB durch die Verkäufe
aus dem Depot) absehbar war, dass die Klägerin ein Gesamteinkommen beziehen wird, das über dem monatlichen Grenzbetrag lag.
Auch in diesem Fall hätte die Beklagte jedoch die Familienversicherung nur bis zum 31.12.2013 beenden dürfen. Denn in den
Jahren 2014 und 2015 lag das tatsächliche Einkommen der Klägerin unterhalb des jeweils maßgebenden Grenzwerts, so dass die
materiellen Voraussetzungen für eine Familienversicherung in diesen Jahren gegeben waren.
Für die Frage, ob auch in den Jahren 2014 und später ein zu hohes Gesamteinkommen erzielt wurde, kann nicht auf den für das
Jahr 2013 ergangenen Einkommensteuerbescheid abgestellt werden. Selbst bei einer Prognoseentscheidung käme es, worauf das
SG mit zutreffender Begründung hingewiesen hat, maßgeblich auf die Art der erzielten Einkünfte an. Aus den im Jahr 2013 erzielten
(schwankenden) Einkünften aus Kapitalvermögen kann nicht ohne Weiteres der Schluss gezogen werden, dass Einkünfte in dieser
Höhe auch in den Folgejahren erzielt worden wären. Für eine Prognoseentscheidung ist jedoch auch nach der Rechtsprechung des
BSG nur Raum, wenn es um die rückwirkende Beendigung der Familienversicherung für Zeiträume geht, in denen nachweislich die materiellen
Voraussetzungen für eine Familienversicherung nicht bestanden haben, weil tatsächlich ein höheres Einkommen erzielt wurde
(vgl auch BSG 25.08.2004, B 12 KR 36/03 R, USK 2004-20: darin Heranziehung der Einkommenssteuerbescheide für das darin beurteilte Jahr; aA LSG Berlin-Brandenburg 30.08.2019,
L 9 KR 130/17 und 05.09.2016, L 1 KR 288/14; LSG Baden-Württemberg 14.02.2020, L 4 KR 2701/17).
Eine andere Auslegung wäre mit dem
Grundgesetz (
GG) nicht vereinbar. Die beitragsfreie Familienversicherung ist eine Maßnahme des sozialen Ausgleichs zur Entlastung der Familie.
Aus Art
6 Abs
1 GG folgt für die Ausgestaltung der Familienversicherung zwar nicht, dass deren Leistungen ohne Rücksicht auf die Einkommensverhältnisse
der von dieser Versicherung Begünstigten erbracht werden müssen. Der Gesetzgeber kann deshalb bei der Bestimmung des Personenkreises,
den er in die Familienversicherung einbezieht, und bei der Entscheidung darüber, unter welchen Voraussetzungen er Familienmitglieder
von ihr ausschließt, auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Betroffenen abstellen und damit den Gesichtspunkt der
sozialen Schutzbedürftigkeit zur Geltung bringen (BVerfG 12.02.2003, 1 BvR 624/01, BVerfGE 107, 205 zu §
10 Abs
3 SGB V). Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Familienmitglieds darf nach Ansicht des Senats aber nicht bloß vermutet oder
unterstellt werden, sondern muss tatsächlich vorliegen. Deshalb kann die auf der Grundlage der bis 31.12.2017 geltenden Rechtslage
zur Beitragsbemessung bei hauptberuflich selbständig Erwerbstätigen ergangene Rechtsprechung nicht für die Ermittlung des
Gesamteinkommens nach §
10 Abs
1 Satz 1 Nr
5 SGB V herangezogen werden. Nach dieser Rechtsprechung war es zulässig, dass die tatsächlich erzielten Einnahmen bei den hauptberuflich
Selbstständigen nur zeitversetzt berücksichtigt werden. Dies hatte seinen Grund darin, dass die Höhe des Arbeitseinkommens
nicht vor Schluss eines Kalenderjahres feststand (BSG 22.03.2006, B 12 KR 14/05 R, BSGE 96, 119 = SozR 4-2500 § 240 Nr 5). Die zeitversetzte Berücksichtigung von Einkünften ist unproblematisch, soweit es nur um die Höhe
der Beiträge geht und für den gesamten Zeitraum wenigstens Mindestbeiträge zu entrichten sind. Eine zeitversetzte Berücksichtigung
des Gesamteinkommens bei der Beurteilung der Familienversicherung hätte aber zur Folge, dass für den Ausschluss der beitragsfreien
Familienversicherung ein fiktives Einkommen genügt (im konkreten Fall: für die Zeit vom 01.11.2014 bis 28.02.2016). Der Gesichtspunkt
der sozialen Schutzbedürftigkeit schließt jedoch die Berücksichtigung eines nur fiktiven Einkommens aus. Auch die Beitragsverfahrensgrundsätze
Selbstzahler (ua deren § 6 Abs 5 Satz 3) können bei der Ermittlung des Gesamteinkommens nach §
10 Abs
1 Satz 1 Nr
5 SGB V nicht herangezogen werden. Da die Krankenkasse nach der Rechtsprechung des BSG auch rückwirkend durch Bescheid feststellen kann, dass eine Familienversicherung in der Vergangenheit nicht bestanden hat
(BSG 07.12.2000, B 10 KR 3/99 R, SozR 3-2500 § 10 Nr 19), besteht für eine nur zeitversetzte Berücksichtigung von Einkünften ohnedies kein Bedürfnis. Im Übrigen fehlt es für
eine solche Vorgehensweise an einer Rechtsgrundlage.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache wird die Revision zugelassen (§
160 Abs
2 Satz 1 Nr
1 SGG).