Höhe der Vergütung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege durch die gesetzliche Krankenversicherung; Auslegung von Vergütungsregelungen
Tatbestand
Im Streit steht die Höhe der Vergütung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege.
Die Klägerin erbringt Leistungen der häuslichen Krankenpflege und ist Mitglied des Caritasverbandes der Erzdiözese F. eV.
Sie ist dem Rahmenvertrag zwischen dem Caritasverband und dem Verband der beklagten Krankenkasse nach §
132a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) über die Versorgung mit häuslicher Krankenpflege, Haushaltshilfe und häuslicher Pflegehilfe (im Folgenden: RV) durch schriftliche
Erklärung beigetreten.
Die Versicherte der Beklagten, E. R. (im Folgenden: Versicherte), litt an Lungenkrebs im Stadium IV mit multipler Metastasierung.
Ihr Arzt verordnete häusliche Krankenpflege in Form von "Anlegen und Wechseln von Wundverbänden" am Thorakostoma. Auf Grundlage
der Verordnung vom 24.09.2010 erbrachte die Klägerin im Zeitraum vom 01.10.2010 bis 31.12.2010 insgesamt 56 Wundversorgungen.
Mit Schreiben vom 10.11.2010 erklärte die Beklagte die Kostenübernahme der Wundversorgungen "in Höhe der vertraglich vereinbarten
Sätze". Auf den Antrag der Klägerin, "aufwendige Wundbehandlungen" festzustellen, unterbreitete die Beklagte der Klägerin
das Angebot, statt des vertraglich vereinbarten Betrags 20,00 € pro Wundversorgung zu zahlen. Die Klägerin lehnte dies ab
und machte 36,33 € als Einzelpreis geltend (Rechnungen vom 14.02.2011). Die Beklagte zahlte sodann 16,27 € pro Wundversorgung
(Leistungsgruppe III der Preisvereinbarung gültig vom 01.02.2010 bis 31.12.2010).
Am 11.03.2011 hat die Klägerin beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, das Anlegen und Wechseln von Wundverbänden gehöre zwar grundsätzlich zur Leistungsgruppe
III. Da es sich jedoch um ungewöhnlich aufwendige Wundversorgungen gehandelt habe, müsse eine Vergütung nach der Leistungsgruppe
IV erfolgen. Der Fall einer aufwendigen Wundversorgung werde von der Leistungsgruppe IV erfasst. Dies sei auch schon vor dem
01.01.2011 gängige und ständige Verwaltungspraxis gewesen. Mit der AOK sei in solchen Fällen eine Vergütung von 54,50 € pro
Stunde vereinbart gewesen. Bei einem Zeitaufwand von 40 min, der im Fall der Versicherten der Beklagten entstanden sei, ergebe
sich der geforderte Betrag in Höhe von 36,33 €. Ziel der Klage sei es, die mit der AOK getroffenen Absprachen zu vereinheitlichen.
Mit Urteil vom 03.02.2012 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es könne nicht durch das Gericht festgestellt werden, ob es sich bei
den erbrachten Wundverbänden um Leistungen der Leistungsgruppe IV handele. Denn der Vertrag nach §
132a SGB V unterliege der Ausgestaltung der Vertragsparteien. Das Gericht könne keine Vorgaben hinsichtlich des Vertragsinhalts machen.
Die Vertragsparteien hätten es einer konkret zu treffenden Vereinbarung im Einzelfall vor Ort überlassen, welche Tätigkeit
der Leistungsgruppe IV unterliege. Könne eine Einigung über die Zuordnung einer Leistung und ihrer Vergütung nicht erzielt
werden, müsse im jeweiligen Einzelfall eine Schiedsperson bestimmt werden, die den Inhalt der Einzelfallvereinbarung festlege.
Am 28.02.2012 hat die Klägerin beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, die Auslegung
der Vertragsbestimmungen obliege den Gerichten. Hierbei sei die geübte Verwaltungspraxis zu berücksichtigen. Es sei nicht
maßgeblich, ob eine ausdrückliche schriftliche Regelung existiere, solange eine geübte Verwaltungspraxis gegeben sei. Die
Zuordnung der Wundversorgung zu einer Leistungsgruppe müsse das Gericht ggf im Wege einer Beweisaufnahme klären. Bei Nichteinigung
über eine Vergütung könne das Gericht im Rahmen der Auslegung der Vertragsbestimmungen die Vergütung auf der Basis einer Beweisaufnahme
festlegen. Die (vorherige) Durchführung eines Schiedsverfahrens sei nicht erforderlich. Jedenfalls müsse die Beklagte verpflichtet
werden, mit der Klägerin in Verhandlungen zu treten.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Mannheim vom 03.02.2012 zu verurteilen, an die Klägerin 1.123,36
€ nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.02.2011 zu zahlen,
hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Mannheim vom 03.02.2012 zu verurteilen, die durch die
Klägerin im Zeitraum vom 01.10.2010 bis 31.12.2010 für E. R. erbrachten Wundversorgungen der Leistungsgruppe IV der Preisvereinbarung
über die Versorgung mit häuslicher Krankenpflege zuzuordnen und die Vergütung dieser Wundversorgung gemeinsam mit der Klägerin
unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts festzulegen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG im Ergebnis für zutreffend. Zur Begründung hat die Beklagte ausgeführt, die Wundversorgung sei bis zum 31.12.2010 in Leistungsgruppe
III aufgeführt. Die Leistungsgruppe IV könne nicht zur Anwendung kommen. Erst ab dem 01.01.2011 ordne die Preisvereinbarung
die "aufwendige Wundversorgung" der Leistungsgruppe IV zu. Eine hiervon abweichende Verwaltungspraxis habe es nicht gegeben.
Am 31.07.2012 hat das LSG die Beteiligten darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, die Berufung ohne mündliche Verhandlung
und ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss zurückzuweisen, da der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet
und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Den Beteiligten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Sie haben keine Einwände gegen die beabsichtigte Vorgehensweise erhoben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat kann gemäß §
153 Abs
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) über die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss entscheiden, da
die Berufsrichter des Senats die Berufung einstimmig für unbegründet erachten und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich
halten. Die Beteiligten sind darauf hingewiesen worden, dass der Senat diese Verfahrensweise beabsichtigt.
Die nach den §§
143,
151 Abs
1,
144 Abs
1 Satz 2
SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.
Die Berufung ist nicht bereits deshalb unbegründet, weil es an einem Rechtsschutzbedürfnis als Sachentscheidungsvoraussetzung
für die Erhebung der Klage mangelt. Die für eine Klage beim SG notwendigen Sachentscheidungsvoraussetzungen sind - mit Ausnahme der persönlichen Sachentscheidungsvoraussetzungen, die für
jedes Verfahren gegeben sein müssen - im Berufungsverfahren Voraussetzungen der Begründetheit der Berufung (Bernsdorff in
Hennig,
SGG, Vorbem zu §§
143- 178
SGG Rz 17). Zwar ist nach §
10 RV in der am 01.01.1997 geltenden Ergänzungsvereinbarung zur Klärung von Meinungsverschiedenheiten und Zweifelsfragen, die
auf örtlicher Ebene zwischen einer Krankenkasse und einem Leistungserbringer nicht bereinigt werden können, ein paritätisch
besetzter Vertragsausschuss zu bilden. Der Regelung lässt sich aber nicht entnehmen, dass dieser Ausschuss zwingend einzuschalten
ist. Mangels gegenteiliger Regelung im RV ist davon auszugehen, dass es der Entscheidung der Vertragspartner überlassen bleibt,
ob der Ausschuss einberufen wird (vgl hierzu BSG 27.10.2009, B 1 KR 4/09 R, SozR 4-2500 § 125 Nr 5). Hinzukommt, dass die Klägerin als Leistungserbringerin nicht Vertragspartner des RV ist, alleine den Ausschuss also
gar nicht einberufen könnte.
Die Klage ist als Leistungsklage nach §
54 Abs
5 SGG zulässig, weil zwischen den Beteiligten ein Gleichordnungsverhältnis besteht und die beklagte Krankenkasse die streitige
Zahlung nicht in der Form eines Verwaltungsakts abgelehnt hat. Das Rechtsverhältnis zwischen dem klagenden Leistungserbringer
und der beklagten Krankenkasse wird nicht durch Verwaltungsakt, sondern durch Vertrag nach §
132a Abs
2 Satz 1
SGB V geregelt. Hier ist maßgeblich der zwischen dem Caritasverband der Erzdiözese F. eV und dem Verband der Beklagten abgeschlossene
Vertrag nach §
132a SGB V über die Versorgung mit häuslicher Krankenpflege, Haushaltshilfe und häuslicher Pflegehilfe vom 13.11.1990, dem die Klägerin
durch schriftliche Erklärung beigetreten ist.
Die Klage ist jedoch unbegründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf höhere Vergütung der von ihr erbrachten Leistungen hat.
Ihr steht für die streitgegenständlichen Leistungen lediglich der von der Beklagten bereits erbrachte Betrag in Höhe von 16,27
€ pro Wundversorgung zu.
Die Versicherte hatte unstreitig Anspruch auf die Krankenpflegeleistungen nach §
37 SGB V. Danach erhalten Versicherte neben der ärztlichen Behandlung häusliche Krankenpflege durch geeignete Pflegekräfte, wenn Krankenhausbehandlung
geboten, aber nicht ausführbar ist, oder wenn sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt wird (Abs 1 Satz
1) sowie wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (Abs 2 Satz 1). Die häusliche Krankenpflege
umfasst die im Einzelfall erforderliche Grund- und Behandlungspflege sowie hauswirtschaftliche Versorgung. Im Hinblick auf
die Schwere der Erkrankung bestehen keine Zweifel an der Notwendigkeit der von der Klägerin im streitigen Zeitraum erbrachten
Wundversorgungen.
Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs ist § 6 RV in Verbindung mit der in Anlage A getroffenen Preisvereinbarung mit Gültigkeit
vom 01.02.2010 bis 31.12.2010. Danach war eine Vergütung nach vier Leistungsgruppen vorgesehen. In Leistungsgruppe III, für
die ein Preis von 16,27 € vereinbart war, fielen unter Nr 3.10 "Verbände: Anlegen und Wechseln von Wundverbänden" (Leistungsbeschreibung
gemäß Nr 31 der Richtlinie über die Verordnung von "häuslicher Krankenpflege" nach §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
6 und Abs
7 SGB V). Für die Leistungen der Leistungsgruppe IV galt, dass die Preise für die Leistungen für den jeweiligen Einzelfall zwischen
den Beteiligten vor Ort vereinbart werde. In dieser Leistungsgruppe waren die Leistungen Nr 4.1 bis 4.3 verzeichnet (Flüssigkeitsbilanzierung,
Bedienung und Überwachung des Beatmungsgeräts, spezielle Krankenbeobachtung). Für Maßnahmen, die nicht im Leistungsverzeichnis
aufgeführt waren, sah die Vereinbarung vor, dass diese unter bestimmten Voraussetzungen "in medizinisch begründeten Ausnahmefällen
verordnungs- und genehmigungsbedürftig" seien. In diesen Fällen werde mit der jeweiligen Krankenkasse der Preis im Einzelfall
festgelegt. Die ab dem 01.01.2011 gültige Preisvereinbarung (vereinbart am 07.12.2010) ordnete "aufwendige Wundbehandlungen"
(Leistungsbeschreibung gemäß Nrn 31, 12, 28 der Richtlinie über die Verordnung von "häuslicher Krankenpflege" nach §
92 SGB V) der Leistungsgruppe IV zu.
Unter Anwendung dieser Rechtsgrundlage hat die Klägerin nur Anspruch auf Vergütung der Wundversorgungen in Höhe von 16,27
€ pro Einzelleistung. Ein darüber hinausgehender Vergütungsanspruch ist der damals gültigen Vereinbarung nicht zu entnehmen.
Vergütungsregelungen, die wie vorliegend für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen bzw die Abrechnung
mit zahlreichen Pflegediensten vorgesehen sind, können ihren Zweck - die Eignung für die tägliche Praxis - nur erfüllen, wenn
sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt werden und keinen Spielraum
für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belassen. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut, ergänzend
noch nach dem systematischen Zusammenhang, auszulegen. Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (BSG 13.12.2001, B 1 KR 1/01 R, SozR 3-5565 § 14 Nr 2; BSG 21.02.2002, B 3 KR 30/01 R, SozR 3-5565 § 15 Nr 1). Danach waren Wundversorgungen nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Preisvereinbarung vom 01.02.2010 unabhängig
von ihrem konkreten Aufwand der Leistungsgruppe III zugeordnet. Erst in der ab dem 01.01.2011 gültigen Fassung wurde danach
differenziert, ob es sich um eine aufwendige Wundbehandlung handelt oder nicht. Entsprechendes kann der hier einschlägigen
Vereinbarung nicht entnommen werden. Die von der Klägerin behauptete "geübte Verwaltungspraxis" kann dem Vertragswerk nicht
entnommen werden. Ein entsprechend übereinstimmender Wille der Vertragspartner ist nicht erkennbar. Eine dahingehende Auslegung
der Vereinbarung ist nicht möglich. Die Regelungen sind bereits vom Wortlaut her eindeutig; die Frage einer Auslegung stellt
sich damit von vornherein nicht (vgl dazu BSG 05.02.1985, 6 RKa 37/83; BSG 15.11.1995, 6 RKa 57/94; BSG 31.08.2005, B 6 KA 35/04 R; BSG 18.08.2010, B 6 KA 23/09 R; alle [...]).
Soweit es sich in der Praxis erweist, dass es zu Bewertungsunstimmigkeiten und sonstigen Ungereimtheiten kommt, ist es Aufgabe
der Vertragspartner, die dafür zuständig sind, dies durch Einigung und gegebenenfalls durch Weiterentwicklung der Abrechnungsbestimmungen
zu beheben. Kommt eine Einigung nicht zustande, ist zunächst ein Schiedsverfahren durchzuführen (§
132a Abs
2 Satz 6
SGB V). Die Vertragspartner haben sich vorliegend ab dem 01.01.2011 auf eine neue Vergütungsvereinbarung verständigt, die auf die
streitgegenständlichen Leistungen jedoch noch keine Anwendung findet.
Aus den genannten Gründen konnte auch der Hilfsantrag der Klägerin nicht durchdringen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.