Anerkennung einer körperlichen Auseinandersetzung unter Kollegen als Arbeitsunfall in der gesetzlichen Unfallversicherung
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung eines Ereignisses vom 23.11.2015, bei dem sich der Kläger einen Halswirbelbruch
zugezogen hat, als Arbeitsunfall.
Der 1964 geborene Kläger war zum Unfallzeitpunkt als Kommissionierer bei der Firma A. GmbH & Co.KG beschäftigt. Laut Durchgangsarztbericht
von PD Dr. T. (S.-B.-K. V.-S.) wurde der Kläger am 23.11.2015 um 8:29 Uhr mit dem Rettungshubschrauber in die Notaufnahme
gebracht. PD Dr. T. diagnostizierte neben einer Schädelprellung eine HWK 3/4 Luxationsfraktur, welche im S.-B.-K.während des
stationären Aufenthalts des Klägers dort (vom 23.11.2015 bis zum 05.12.2015) am 30.11.2015 operativ versorgt wurde. Zum Unfallhergang
enthielt der Durchgangsarztbericht folgende Angaben: "Der UV erlitt heute einen Sturz als er auf einer Palette ausrutschte
und mit dem Kopf auf dem Boden aufschlug. Es bestand keine Amnesie und keine Bewusstlosigkeit."
In der Unfallanzeige der Firma A. GmbH & Co.KG vom 24.11.2015 ist ausgeführt, dass der Kläger entgegen der Arbeitsanweisung
fünf Bündel Transportaufträge für die Kommissionierung genommen habe. Dies sei von Herrn K.(im Folgenden: K.) angesprochen
worden, welchem er dann drei Bündel gegeben habe, was ebenfalls nicht korrekt gewesen sei. K. habe dann später mit Herrn W.
(im Folgenden: W.) über die Thematik gesprochen und dieser habe dann mit dem Kläger eine verbale Auseinandersetzung gehabt.
Der Kläger sei dann plötzlich aus Gang 7 über die Pakete auf W. in Gang 5 zugestürmt und habe ihn mit dem Kopf in die Rippen-
und Magengegend gerammt. Beide Personen seien zu Boden gegangen. W. habe wieder aufstehen können und habe sich Rippenprellungen
zugezogen, wobei er die Arbeit habe fortführen können. Der Kläger sei mit großen Nacken- und Wirbelsäulenschmerzen liegen
geblieben und mit dem Rettungshubschrauber in das S.-B.-Klinikum eingeliefert worden. K. habe den Kläger loslaufen gesehen.
Auf Grund eines dazwischen stehenden Stapels habe er den direkten Aufprall nicht gesehen, sei aber sofort danach dazugekommen,
als beide am Boden gelegen seien. Nach den Aussagen von K. und W. habe der Kläger die Situation herbeigeführt; nach derzeitigem
Sachstand habe es sich um ein nicht vertretbares grob fahrlässiges Verhalten des Klägers gehandelt. Mit diesem habe man auf
Grund der schweren Verletzungen noch nicht sprechen können. Man gehe nicht von einem Arbeitsunfall aus.
Gemäß dem Entlassungsbericht des S.-B..-K.. vom 07.12.2015 sei der Kläger nach operativer Versorgung am 30.11.2015 in gutem
Allgemeinzustand mit reizlosen Wundverhältnissen am 05.12.2015 in die ambulante Behandlung entlassen worden. Er sei bis auf
Weiteres arbeitsunfähig. Eine bleibende MdE sei jedoch nicht zu erwarten.
Mit Bescheid vom 02.12.2015 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 10.03.2015 (richtig wohl: 23.11.2015)
als Arbeitsunfall und die Gewährung von Leistungen ab. Nach einer Rüge durch den W. sei es zu einer verbalen Auseinandersetzung
gekommen. Der Kläger habe in Gang 7 gearbeitet, während W. in Gang 5 seiner Arbeit nachgegangen sei. Plötzlich sei der Kläger
aus Gang 7 über die Pakete auf W. in Gang 5 zugestürmt und habe ihn mit dem Kopf in die Rippen- und Magengegend gerammt. Dabei
sei er zu Boden gestürzt und habe einen Halswirbelbruch erlitten. Bei dem vorliegenden Sachverhalt handle es sich bei dem
tätlichen Angriff um eine Tätigkeit, die nicht dem Unternehmen gedient habe. Der Unfall habe sich somit nicht in Folge einer
versicherten Tätigkeit ereignet, weshalb die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nicht erfüllt seien.
Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 17.12.2015 Widerspruch. Er widerspreche den Angaben seines Arbeitgebers. Als
W. in Gang 5 gewesen sei, habe er ihn erneut mit verbalen Beschimpfungen bedrängt, worauf er ihn in einem normalen Gespräch
habe bitten wollen, dies zu unterlassen. Er sei nicht auf ihn zugestürmt, sondern auf einer Palette ins Rutschen gekommen
und daraufhin gegen W. gefallen und dann auf den Boden gestürzt. Die Auseinandersetzung sei schon lange erledigt gewesen,
bevor der Unfall passiert sei. Er habe keinen tätlichen Angriff gegen W. gemacht.
Auf die Aufforderung der Beklagten zur Stellungnahme teilte der Personalleiter der Arbeitgeberin des Kläger mit Schreiben
vom 01.03.2016 mit, der Kläger habe, als er mit ihnen im Rahmen des Gütetermins beim Arbeitsgericht im Februar 2016 habe sprechen
können, mitgeteilt, dass er die Streitigkeiten mit W. habe besprechen wollen und hierzu über die Paletten in den anderen Gang
habe gehen wollen. Hierbei sei er auf einer Palette ausgerutscht, habe das Gleichgewicht verloren und sei dann nach vorne
gegen den W. gestürzt. Anschließend sei er mit dem Kopf auf den Boden geknallt und hätte sich die schwerwiegenden Halswirbelverletzungen
zugezogen. Diese Aussage widerspreche der Darstellung des W. Nach seiner Aussage habe K. zwar die verbale Auseinandersetzung
der beiden im Vorfeld mitbekommen, aber den Aufprall des Klägers auf W. nicht gesehen, da eine Palette mit Möbelpaketen so
hoch dazwischen gestanden sei, dass er nach seiner Aussage keinen Sichtkontakt gehabt habe. In diesem Fall stehe die Aussage
des Klägers gegen die Aussage des W., da es keine weiteren Augenzeugen gebe.
Der von der Beklagten daraufhin befragte W. gab mit E-Mail vom 08.03.2016 an, dass es beim Kommissionieren vorgegebene Mengen
an Teilaufträgen einer einzelnen Tour gebe. Die sogenannten "Bündel" hätten einen Zeitgrad, der für die Prämienberechnung
benötigt werde. Laut Arbeitsanweisung dürften nur einzelne Bündel und nicht mehrere auf einmal abgearbeitet werden. Zum Ablauf
des Vorfalls führte er aus, der Kläger habe mehrere Bündel genommen. Nachdem ihm das aufgefallen sei, habe es eine kurze Diskussion
am Tisch gegeben. Ca. 30 Minuten nach dem Vorfall habe er (W.) mit einem anderen Kollegen im Paketlager darüber geredet. Der
Kläger habe dies mitbekommen und es sei wieder zu Diskussion mit Schimpfworten gekommen. Dabei seien ca. 10 Meter sowie mindestens
fünf Paletten mit Paketen zwischen ihnen gewesen. Daraufhin habe der Kläger den Handscanner zur Erfassung der kommissionierten
Pakete weggeschmissen und sei über die Pakete in seine Richtung gerannt. Er habe den Kopf gesenkt, um ihn vermutlich umzurennen
(ein Stolpern habe er zu keiner Zeit erkennen können). Er habe ihn getroffen, worauf er zu Boden gegangen und liegen geblieben
sei. Der K. gab mit Erklärung vom 14.03.2015 (richtig wohl: 14.03.2016) an, dass gegen 6:00 Uhr morgens am 23.11.2015 zwischen
dem Kläger und dem W. eine Diskussion entstanden sei, weil der Kläger die Etiketten bündelweise zu sich genommen habe. Zwischen
dem Beginn der Diskussion und der eigentlichen Auseinandersetzung hätten etwa 30 Minuten gelegen. Als er das Geschrei der
beiden gehört habe, habe er nachgeschaut und beide auf dem Boden liegend gesehen. Als er nachgefragt habe, habe W. gesagt,
dass er einen Kopfstoß erhalten habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.06.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach Wertung und Würdigung des aktenkundigen
Sachverhalts sei davon auszugehen, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Ereignisses seinen Arbeitsplatz verlassen habe, um aus
privaten Motiven die Streitigkeiten mit seinem Kollegen W. zu klären. Kurz vor Eintritt der Verletzung sei es vermutlich zu
einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen ihm und W. gekommen. Nach Wertung der Aktenlage sei er mit gesenktem Kopf auf
W. zugelaufen und habe ihm den Kopf in den Bauch gerammt. Seine Hergangsschilderung, dass er über eine Palette gestolpert
und mit dem Kopf gegen W. und danach auf den Boden gefallen sei, lasse sich anhand des aktenkundigen Sachverhalts nicht nachweisen.
Es seien bei der Erstbehandlung auch keine äußerlichen Verletzungszeichen im Bereich des Kopfes festgestellt worden, die auf
einen Sturz auf den Boden hätten schließen lassen können. Eine versicherte Verrichtung zum Verletzungszeitpunkt habe nicht
mit dem geforderten Vollbeweis nachgewiesen werden können. Der Widerspruchsbescheid benannte das Sozialgericht Reutlingen
als zuständiges Gericht für den Fall einer Klage. Am 01.07.2016 kam der per einfachen Brief versandte Widerspruchsbescheid
als unzustellbar mit dem Vermerk "Empfänger - Firma unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln" zurück. Am 12.07.2016
meldete sich die Ehefrau des Klägers und teilte mit, ein Widerspruchsbescheid sei bei ihrem Mann noch nicht eingegangen. Mit
Schreiben vom 13.07.2016 gab die Beklagte den Widerspruchsbescheid erneut bekannt und stellte klar, dass das zuständige Gericht
das Sozialgericht Karlsruhe sei.
Am 05.08.2016 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und geltend gemacht, dass er sich die Verletzung bei einem Sturz über eine Palette zugezogen habe und zu diesem
Zeitpunkt die Auseinandersetzung mit dem W. schon lange beendet gewesen sei. Der Kläger habe, nachdem es zuvor wohl Unstimmigkeiten
im Hinblick auf die Bearbeitung der Transportaufträge für die Kommissionierung gegeben habe, von seinem Gang in den Gang des
W. gelangen wollen, da dieser ihm etwas zugerufen habe, was er nicht verstehen habe können, weil er schlecht höre. Hierbei
sei es dann zu dem Sturz über die Palette gekommen, genauer gesagt sei der Kläger auf einer Palette ausgerutscht, habe das
Gleichgewicht verloren und sei dann in seinen Kollegen W. gestürzt.
Die Beklagte ist der Klage unter Berufung auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid entgegen getreten.
Das SG hat in einer nicht öffentlichen Sitzung vom 18.11.2016 den Kläger angehört sowie W. und K. als Zeugen vernommen. Der Kläger
hat angegeben, am 23.11.2015 zum Tisch gegangen zu sein und die dort liegenden drei Bündel genommen zu haben. Eines davon
habe er dem K. gegeben. Dann sei W. dazu gekommen und habe deshalb geschimpft. Sie hätten sich beide beschimpft. Ein Kollege
habe dann den Streit geschlichtet und sie hätten weiter gearbeitet. Er hätte später in Gang 6 mit seiner Ameise Waren kommissioniert.
W. sei mit seiner Ameise in Gang 7 gewesen und habe dort ebenfalls kommissioniert. Er habe ihm dann etwas zugerufen, das er
nicht verstanden habe. Er sei daraufhin durch einen schmalen Durchgang zwischen den Paletten zu ihm rüber gegangen. Er gebe
auch zu, dass er ihm dabei ein Schimpfwort zugerufen habe. Eine fast leere Palette sei weggerutscht, das sei etwa zwei Meter
vor W. gewesen. Er sei dann nach vorne gestürzt und sei gegen den Bauch des W. gestürzt. Er sei auf die linke Seite gerutscht
und auf den Boden gestürzt. Er habe mit W. sprechen wollen, nicht ihn angreifen. Er habe danach nicht mehr weiter im Betrieb
gearbeitet. Das Arbeitsverhältnis habe Ende Januar 2016 aufgrund arbeitsgeberseitiger Kündigung geendet.
W. hat als Zeuge angegeben, es habe im Betrieb die Vorgabe gegeben, dass man immer nur ein Bündel habe nehmen dürfen, da man
sich sonst einen Zeitvorteil verschafft hätte. Als er zurück an den Tisch gekommen sei, habe er gesehen, wie der Kläger und
K. gestritten hätten. Der Kläger habe drei Bündel genommen und habe eines davon dem K. gegeben, obwohl das eigentlich sein
Auftrag gewesen sei. Er habe sich dann geärgert, weil das ein guter Auftrag gewesen sei. Sie hätten sich dann gegenseitig
beschimpft, etwa mit "du Arschloch" oder "du Wichser". Streit habe es bei ihnen immer mal wieder gegeben, das sei bei ihnen
normal gewesen. Sie hätten danach weiter gearbeitet. Später sei es so gewesen, dass er sich mit dem K. nochmal über den Fall
unterhalten habe, und zwar seien sie beide im Gang 7 gewesen. Dies habe der Kläger gehört. Der Kläger und er hätten sich dann
nochmals verbal gestritten und beschimpft. Er habe zu ihm rüber gestikuliert. Mit dem K. habe er sich nicht gestritten. Der
Kläger sei dann ausgetickt, habe seinen Scanner weggeworfen und sei über die Pakete hinweg gerannt, ihm in den Bauch. Er sei
sich ziemlich sicher, dass er nicht auf der Ameise drauf gewesen sei, sondern daneben gestanden sei. Sie seien ja beide auf
den Boden gefallen, besser gesagt sei er zusammen gesackt, weil er ihm mit voller Wucht in den Bereich der untersten Rippe
geknallt sei. Er sei danach in der Praxis von Dr. S. in W. gewesen und habe dort auch die Rippenprellung aufnehmen lassen.
Auf den Vorhalt, dass der Kläger gesagt habe, er sei zu ihm herübergekommen, um zu reden, hat der W. angegeben, dass es so
nicht gewesen sei. Der Kläger sei rüber gerannt und habe nicht reden wollen, so jedenfalls sein Eindruck. Sein Eindruck sei
gewesen, dass er ihn habe umschmeißen wollen. Es könne sei, dass er sich irre, aber diesen Eindruck habe er gehabt.
Der K. hat als Zeuge angegeben, dass W. nicht zufrieden gewesen sei, weil der Kläger die Bündel genommen habe. Es habe Streit
gegeben. Später habe er in Gang 7 mit dem W. gesprochen. Er habe ihn gefragt, warum er Ärger mache. Er habe dann gesagt, es
habe nichts mit ihm zu tun. Er habe dann seinen Wagen voll kommissioniert und habe zum Beladen gehen wollen. Er sei dann schon
etwa acht bis zehn Meter weg gewesen, er habe ihn nicht mehr gesehen, weil er mit dem Rücken zu ihm gestanden habe. Der Kläger
habe in Gang 6 gewesen sein müssen, er habe ihn nicht gesehen. Danach habe er erst das Geschrei gehört. Der Kläger sei auf
dem Boden gelegen und habe geschrien "mein Kopf!" und der W. habe zu ihm gesagt "er ist mir mit dem Kopf in den Bauch gerammt".
Auf Frage hat er angegeben, vorher keinen Streit zwischen dem Kläger und W. gehört zu haben.
Nachdem sich die Beteiligten mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt hatten,
hat das SG mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 15.03.2017 den Bescheid vom 02.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 22.06.2016 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, das Ereignis vom 23.11.2015 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Das Unfallereignis,
durch welches sich der Kläger den Wirbelkörperbruch zugezogen habe, sei unmittelbare Folge einer Auseinandersetzung zwischen
dem Kläger und dem W. gewesen, wobei es letztlich dahinstehen könne, wodurch im Einzelnen die Verletzung konkret verursacht
worden sei. Gegenstand der Auseinandersetzung hätten betriebliche Vorgänge gebildet, und zwar die offensichtlich auch nach
Beendigung des ersten morgendlichen Streits noch nicht endgültig geklärte Frage einer "gerechten" Verteilung der Arbeitsaufträge.
Anhaltspunkte dafür, dass rein private, betriebsunabhängige Vorgänge Anlass für die Streitigkeiten gewesen sein könnten, hätten
sich weder im Laufe des Verwaltungsverfahrens noch durch die gerichtliche Beweiserhebung ergeben. Auch wenn letztlich nicht
zweifelsfrei geklärt habe werden können, ob der Kläger den W. tätlich angreifen habe wollen oder ob er sich lediglich verbal
mit dem Zeugen auseinandersetzen habe wollen und zu diesem Zweck in die Nähe des Zeugen habe gelangen wollen und dabei gestürzt
sei, stehe doch zur Überzeugung des SG fest, dass der dargelegte Streit unmittelbar aus der Betriebsarbeit erwachsen sei. Damit hätten betriebliche Vorgänge die
wesentlichen Beweggründe für das Handeln des Klägers (Wechseln von dem einen Gang des Lagers über eine Palette in den benachbarten
Gang) bestimmt. Im Zusammenhang mit diesem Handeln habe sich der Kläger verletzt und den Halswirbelbruch zugezogen.
Gegen das ihr am 27.03.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18.04.2017 Berufung eingelegt. Das SG habe es im Rahmen des Urteils offen gelassen, ob der Kläger den Zeugen W. tätlich angegriffen habe oder im Rahmen einer verbalen
Auseinandersetzung lediglich auf den Zeugen zugelaufen und dabei über eine Palette gestürzt sei. Nach Auffassung der Beklagten
stehe es jedoch fest, dass der Kläger im Rahmen einer zunächst verbalen Auseinandersetzung bezüglich Abarbeitung von Arbeitsaufträgen
seinen Arbeitsplatz verlassen habe, auf den Zeugen W. zugestürmt sei und diesem seinen Kopf in die Rippen- und Magengegend
gerammt habe. Das SG habe den Versicherungsschutz hier bejaht, da es sich um einen Ausfluss eines Streits über betriebliche Abläufe gehandelt
habe und derartige Streitigkeiten unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) als versicherte Arbeitsunfälle anzusehen seien. Unter Berücksichtigung einiger neuerer Entscheidungen des BSG halte die Beklagte es allerdings für fraglich, ob diese Rechtsprechung tatsächlich noch Bestand haben könne. So werde in
den Entscheidungen des BSG vom 13.11.2012 (B 2 U 19/11 R) und vom 17.12.2015 (B 2 U 7/14 R) ausgeführt, dass die Verrichtung der versicherten Tätigkeit die Einwirkung und in gleicherweise auch zum Gesundheitsschaden
oder den Tod sowohl objektiv (erste Stufe) als auch rechtlich wesentlich (zweite Stufe) verursacht haben müsse. Selbst wenn
die versicherte Tätigkeit also als Wirkursache feststehe, müsse auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung
auch aller auf der ersten Stufe festgestellten weiteren mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den
Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Die Wesentlichkeit der Wirkursache sei
somit zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründenden Versicherung zu beurteilen. Gehe
man von dem nach Auffassung der Beklagten zutreffenden Hergang (s. o.) aus, spreche die Handlungstendenz des Klägers zum Ereigniszeitpunkt
eindeutig gegen die Annahme einer versicherten Tätigkeit, da der Kläger seinen Arbeitsplatz verlassen habe, um die Streitigkeit
mit dem W. in Form einer tätlichen Auseinandersetzung zu klären. Ein Unfall in Folge eines Streits, auch wenn dieser grundsätzlich
betriebliche Vorgänge betreffe, könne nach Auffassung der Beklagten nur dann versichert sein, wenn die Handlungstendenz darauf
gerichtet sei, den betrieblichen Zweck zu erfüllen (Schutzzweck der Norm). Ein tätlicher Angriff auf einen Kollegen sei aber
diesem eindeutig nicht dienlich, sondern widerspreche betrieblichen Interessen. Selbst wenn man davon ausgehe, dass der Kläger
seinen Arbeitsplatz verlassen hätte, um die Auseinandersetzung verbal weiterzuführen und dann über eine Palette gestolpert
sei, erscheine es mehr als fraglich, ob er sich dabei noch bei einer versicherten Tätigkeit befunden habe. Es könne auch hier
nicht im Interesse des Arbeitsgebers sein, dass der Kläger seinen Arbeitsplatz verlasse und somit nicht mehr produktiv im
Sinne des Unternehmens arbeite. Somit führe auch schon das Verlassen des Arbeitsplatzes zu einer zeitlichen und örtlichen
Zäsur, die dem Schutzzweck des Versicherungsschutzes entgegenstehe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15.03.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
Der Senat hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 22.11.2017 den Kläger persönlich angehört und den W. als Zeugen vernommen.
Der Kläger hat angegeben, er sei auf dem Weg zum W. ausgerutscht, als er über einen Stoß Pakete auf einer Palette gelaufen
sei. Er sei ca. 2 Meter vom W. entfernt gewesen und sei dann quasi in dessen Ameise hineingefallen. Nach dem Wegrutschen habe
er die Gabeln von der Ameise gesehen, Angst bekommen und sei dann im W. gelandet. Der W. hat demgegenüber angegeben, der Kläger
sei "ausgetickt", nachdem er ihm nach Wiederaufflammen des Streits nach ca. 30 bis 45 Minuten, weil er mit einem anderen Kollegen
über den Vorfall am Tisch geredet habe, ein Handzeichen (Öffnen und Schließen der Finger und des Daumens der nach oben gestreckten
Hand im Sinne von "bla bla bla") gemacht habe und weitergefahren sei, ohne ihn ausreden zu lassen. Der Kläger sei über mehrere
Paletten hinweg von dem benachbarten Gang in seinen Gang gerannt. Nach dem Verlassen der letzten Palette habe der Kläger noch
ca. 8-10 Meter im Gang zurückzulegen gehabt, habe sich auf halbem Wege geduckt, sei mit gesenktem Kopf auf ihn zu gerannt
und habe ihn schließlich mit dem Kopf im Bauch/Rippenbereich gerammt, wodurch er sich eine Prellung zugezogen habe. Auf den
Inhalt der Niederschrift wird ergänzend Bezug genommen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte
der Beklagten und die Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft (§§
143,
144 Sozialgerichtsgesetz -
SGG) und wurde form- und fristgerecht eingelegt (§
151 Abs.
1,
2 SGG). Sie ist auch begründet.
Der Bescheid vom 02.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.06.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger
nicht in seinen Rechten, weshalb das SG ihn zu Unrecht aufgehoben und die Beklagte verurteilt hat, das Ereignis vom 23.11.2015 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Mit
ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen die im Urteil des SG vom 15.03.2017 unter Aufhebung der genannten Bescheide ausgesprochene Verpflichtung, das Ereignis vom 23.11.2015 als Arbeitsunfall
anzuerkennen. Die Verpflichtungsklage ist in Fällen wie dem vorliegenden neben einer Feststellungsklage statthafte Klageart;
der Kläger kann sein Begehren nicht nur im Feststellungswege, sondern auch mit einer Kombination aus einer Anfechtungsklage
gegen den das Nichtbestehen des von ihm geltend gemachten Versicherungsfalls feststellenden Verwaltungsakt und einer Verpflichtungsklage
verfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R - SozR 4-2700 § 11 Nr. 1 Rn. 12 m. w. N.).
Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers auf Anerkennung eines Versicherungsfalls ist §
102 SGB VII. Danach haben die Versicherten gegen den zuständigen Unfallversicherungsträger einen Anspruch auf Feststellung eines Versicherungsfalls
(oder von Unfallfolgen), wenn ein Unfall vorliegt, der die Voraussetzungen von §
8 Abs.
1 SGB VII erfüllt. §
102 SGB VII ist damit nicht nur eine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass des feststellenden Verwaltungsaktes für den Unfallversicherungsträger,
sondern zugleich auch Anspruchsgrundlage für den Versicherten (ausführlich hierzu BSG, Urteil vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R = a.a.O., Rn. 15 ff.). Der Tatbestand des §
102 SGB VII setzt voraus, dass der Versicherte einen Versicherungsfall und, soweit die Feststellung von Unfallfolgen begehrt wird, weitere
Gesundheitsschäden erlitten hat, die im Wesentlichen durch den Gesundheitserstschaden verursacht oder einen (u.U. nur behaupteten)
Versicherungsfall aufgrund besonderer Zurechnungsnormen zuzurechnen sind.
Nach §
8 Abs.
1 Satz 1
SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu den versicherten Tätigkeiten zählt gemäß §
8 Abs.
2 Nr.
1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§
2,
3 oder 6
SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Unfälle sind nach §
8 Abs.
1 Satz 2
SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen
Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes,
von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des
Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; stRspr.,
vgl in neuerer Zeit etwa BSG, Urteil vom 05.07.2016 - B 2 U 5/15 R -, SozR 4-2700 § 2 Nr. 35, Rn. 13, BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 55 Rn. 9; BSG vom 26.06.2014 - B 2 U 7/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 53 Rn. 11; BSG vom 04.07.2013 - B 2 U 3/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 50 Rn. 10 und - B 2 U 12/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 49 Rn. 14; BSG vom 18.06.2013 - B 2 U 10/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 47 Rn. 12; BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 46, Rn. 20; BSG vom 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 44 Rn. 26 f.).
Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis"
sowie "Gesundheitserstschaden" bzw. (evtl.) "Gesundheitsfolgeschaden" im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge
zwischen diesen Voraussetzungen die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103 45).
Nach Auswertung aller Angaben, die der Kläger, W. und K. gegenüber der Beklagten und dem SG im Erörterungstermin vom 13.11.2016 gemacht haben und die Angaben, die der Kläger und der als Zeuge im Termin vom 22.11.2017
gehörte W. im Rahmen der mündlichen Verhandlung gemacht haben, sieht der Senat Folgendes als erwiesen an: Der Kläger, W. und
K. sind am Unfalltag, dem 23.11.2015, im Lager der A. GmbH & Co. KG einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Kommissionierer
nachgegangen. Entgegen den firmeninternen Arbeitsanweisungen hat sich der Kläger mehrere Bündel Transportaufträge genommen;
erlaubt gewesen wäre nur ein Bündel. Darüber sind der Kläger und W. in Streit geraten, in dessen Verlauf sich beide wechselseitig
mit Beleidigungen bedacht haben. Danach sind beide weiter ihrer Arbeit nachgegangen. Etwa 30 bis 45 Minuten später ist der
Streit zwischen dem Kläger und dem W. erneut aufgeflammt, als sich der W. mit dem K. nochmals über den Vorfall unterhalten
hatte und der Kläger dies mitbekommen hat. Es ist daraufhin wiederum zu einem verbalen Schlagabtausch zwischen dem Kläger
und W. mit gegenseitigen Beschimpfungen gekommen. Dabei haben sich der Kläger und der W. zunächst in benachbarten Hauptgängen
des Lagers aufgehalten. Der Kläger hat schließlich, nachdem der W. an ihn eine Geste mit der Hand (Öffnen und Schließen der
Hand im Sinne von "bla bla bla") gerichtet hat und mit seiner "Ameise" (Ladegerät) einfach losgefahren ist, um weiter seiner
Tätigkeit nachzugehen, seinen Scanner weggeworfen und ist über sechs Paletten und die darauf ca. einen halben Meter hoch gestapelten
Pakete hinweg von seinem Arbeitsbereich in den Gang, in dem sich W. befunden hat, gerannt. Der W. hat, nachdem er den Kläger
loslaufen sehen hat, seine Ameise wieder angehalten, ist dann vom Trittbrett abgestiegen und hat sich dem von schräg hinten
auf ihn zurennenden Kläger zugewandt. Der Kläger hatte noch ca. 8-10 Meter im Hauptgang des W. zurückzulegen, nachdem er über
die letzte Palette gelaufen war. Nach der Hälfte dieser Strecke hat er sich im Laufen geduckt und hat schließlich absichtlich
seinen Kopf in den Rumpf des W. gestoßen und ist dabei auf den unteren Rippen-/ oberen Baubereich aufgetroffen, woraufhin
beide zu Boden gegangen sind. Der Kläger hat sich infolge dessen einen Halswirbelbruch (Luxationsfraktur HWK III/IV, vgl.
Entlassungsbericht des S.-B.-K. vom 07.12.2015) zugezogen, der W. eine Prellung im unteren Rippenbereich.
Im Ergebnis ist hier kein Geschehensablauf nachgewiesen, der die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls erfüllt.
Zwar läge dann, wenn der Kläger, wie er zuletzt behauptet hat, den W. nur aufsuchen wollte, um den Inhalt eines nicht verstandenen
Zurufs des Klägers zu klären, er dann auf dem Weg zu diesem über eine Palette gestolpert, im Fallen mit dem Kopf unglücklich
gegen den Rippen-/Bauchbereich des W. gestoßen wäre, und sich dadurch die HWK-Luxationsfraktur zugezogen hätte, ein versicherter
Arbeitsunfall vor. Der Senat vermochte sich jedoch nach Anhörung des Klägers und Vernehmung des W. als Zeugen nicht davon
zu überzeugen, dass sich der Vorfall so zugetragen hat. Vielmehr sieht es der Senat als erwiesen an, dass sich der Vorfall
so zugetragen hat, wie vom W. geschildert, dass der Kläger während des Schlagabtausches mit gegenseitigen Beleidigungen nach
einer abfälligen Geste des W. seinen Scanner weggeworfen hat, auf den W. zugerannt ist und - ohne zuvor ins Stolpern geraten
zu sein - seinen Kopf willentlich in den Rippen-/Bauchbereich des W. gestoßen hat. Ein solcher Geschehensablauf aber stellt
keinen Arbeitsunfall in der gesetzlichen Unfallversicherung dar.
Das Vorbringen des Klägers ist bereits deshalb wenig glaubhaft, weil er im Verlauf des gesamten Verfahrens insgesamt drei
unterschiedliche Varianten des Geschehensablaufes geschildert hat, die zueinander teilweise im Widerspruch stehen und auch
in sich teils gravierende Schlüssigkeitsmängel aufweisen. So hat er gegenüber dem Durchgangsarzt Dr. H. angegeben (Bericht
vom 23.11.2015, Entlassungsbericht vom 07.12.2015), einen Sturz erlitten zu haben, als er auf einer Palette ausgerutscht sei,
und dann mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen zu sein. Von einem Sturz mit dem Kopf gegen den Bauch des W. war hier keine
Rede. Dieser Geschehensablauf lässt sich mit dem erhobenen Erstbefund nicht in Übereinstimmung bringen, denn bei einem sturzbedingten
Aufprall mit dem Kopf auf den Boden einer Lagerhalle wären Prellmarken zu erwarten gewesen, die Dr. H. jedoch ausdrücklich
ausgeschlossen hat.
In seiner Widerspruchsbegründung hat der Kläger dann behauptet, vom W. erneut mit verbalen Beschimpfungen bedrängt worden
zu sein, weshalb er ihn habe bitten wollen, dies zu unterlassen. Er sei nicht auf ihn zugestürmt, sondern auf einer Palette
ins Rutschen gekommen, gegen den W. gefallen und dann auf den Boden gestürzt. Mit dieser Schilderung ist aber nicht schlüssig
dargetan, wie der Kläger mit einer solchen Wucht auf den Rumpf des W. aufprallen konnte, dass er sich dadurch einen Spaltbruch
des 4. Halswirbelkörpers, einen Ausriss der Hinterkante des 3. Halswirbelkörpers, eine Ruptur der Bandscheibe HWK 3/4 und
eine Ruptur des vorderen Längsbandes auf Höhe HWK 3/4 (vgl. Durchgangsarztbericht vom 23.11.2015) zuziehen konnte. Es handelt
sich dabei um gravierende Verletzungen der Knochen und des Bandapparates, die von dem auf den Zusammenprall mit W. folgenden
Sturz auf den Hallenboden nicht verursacht worden sein können, weil Prellmarken im Kopfbereich nicht festgestellt werden konnten,
die aber unvermeidlich gewesen wären, wenn der Kläger auf den Hallenboden mit dem Kopf aufgekommen wäre. Verursacht worden
sein können diese Verletzungen somit nur durch den Anprall des Kopfes des Klägers gegen den Rumpf des W. wie er von letzterem
auch - als Kopfstoß - beschrieben worden ist. Dass ein Ausrutschen bei normalem bis zügigem Gehtempo einen Zusammenprall des
Kopfes mit dem Rumpf des W. im unteren Rippen-/oberen Bauchbereich mit einer so erheblichen Kraftentfaltung des Kopfes in
Richtung des Rumpfes des W. zur Folge haben kann, dass daraus die gravierenden Verletzungen beim Kläger entstehen konnten,
sieht der Senat als sehr unwahrscheinlich an. Art und Ausmaß der Verletzungen des Klägers wertet der Senat als Indiz, dass
der Kläger entgegen seiner Hergangsschilderung gerade doch, was er abgestritten hat, auf den W. "zugestürmt" ist.
Außerdem steht die Darstellung des Klägers in der Widerspruchsbegründung auch im Widerspruch zu seinen späteren Angaben im
Rahmen seiner Anhörung vor dem SG am 18.11.2016. In der Widerspruchsbegründung hat er angegeben, deshalb zum W. gegangen zu sein, weil er ihn erneut mit verbalen
Beschimpfungen bedrängt habe, um ihn zu bitten, dies zu unterlassen. Im Rahmen der Anhörung am 18.11.2016 hat er dann angegeben,
einen Zuruf des W. nicht verstanden und ihn deshalb aufgesucht zu haben. Diese Angabe hat er sinngemäß im Rahmen seiner Anhörung
vom 22.11.2017 wiederholt. Sie ist aber bereits deshalb nicht überzeugend, weil der W. kurz vor dem hier streitigen Geschehensablauf
eine eindeutige Geste mit der Hand in Richtung des Klägers gemacht hat.
Von Anfang an hat der W. stets freimütig eingeräumt, dass er und der Kläger sich gegenseitig beschimpft haben, und zwar nicht
nur anfangs im zeitlichen Zusammenhang mit dem Disput über die mehreren Auftragsbündel, sondern auch, als der Streit ca. 30
bis 45 Minuten später wieder aufgeflammt ist. Die Schilderung des W. sieht der Senat schon deshalb, weil er den Geschehensablauf
nicht so geschildert hat, dass er selbst stets in einem guten Licht steht, als glaubwürdig an. Er hat auch im Termin vom 22.11.2017
den Vorfall anschaulich, detailliert und authentisch geschildert. Ausgehend von seiner Schilderung ist der Senat davon überzeugt,
dass die Gabeln der "Ameise" mit dem Ladekorb nach vorne in Fahrtrichtung gerichtet waren, als der Kläger sich dem W. von
schräg hinten genähert hat, und der W. hinter seiner Ameise stand, mit dem Rücken zur Ameise gewandt. Der Zeuge W. hat, vom
Kläger mit der Behauptung konfrontiert, dass eine Fahrweise "Korb voraus" vorschriftswidrig gewesen sei, spontan und authentisch
reagiert und verbunden mit der Erläuterung, dass nach seiner Auffassung eine solche Fahrweise erlaubt sei, wenn man freie
Sicht nach vorne habe, und der Bemerkung "verklag mich doch" in Richtung des Klägers glaubhaft auf seiner Angabe beharrt,
ohne sich selbst zu schonen. Er konnte dabei nicht wissen, dass es auf dieses Detail ankommen könnte. Der Senat sieht die
Angabe des Klägers, er sei aus Angst vor den Gabeln der Ameise "im W. gelandet", durch die glaubhaften Äußerungen des W. als
widerlegt an. Dasselbe gilt für die erstmals im Termin vom 22.11.2017 aufgestellte Behauptung, der Scanner sei vom Kläger
ordnungsgemäß verstaut und nicht von ihm weggeworfen worden, bevor er sich zum W. aufgemacht hat. Hiernach ist der Senat davon
überzeugt, dass der Kläger, nachdem der Streit ca. 30 bis 45 Minuten nach dem eigentlichen Anlass wieder aufgeflammt ist,
weil sich W. und K. über den Vorfall unterhalten haben und der Kläger dies mitbekommen hat, nach gegenseitigen Beschimpfungen
und einer provokativen Geste des W. seinen Scanner weggeworfen hat, über niedrig mit Paketen bestapelte Paletten hinweg in
den Gang des W. gelaufen ist, dann im Hauptgang von hinten auf den W. zugerannt ist und ihm seinen Kopf in den Bauch gerammt
hat, wodurch er eine Halswirbelluxationsfraktur erlitten hat.
Dieser zur Überzeugung des Senats erwiesene Geschehensablauf erfüllt nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls.
Nachdem ein Stolpern des Klägers gerade nicht erwiesen ist, erscheint bereits fraglich, ob das Rammen des Kopfes des Klägers
in den Rumpf des W. eine äußere Einwirkung auf den Körper des Klägers darstellt, denn es hat sich nach den Feststellungen
des Senats um eine durch eine Eigenbewegung gewollt herbeigeführte Einwirkung gehandelt (vgl. dazu etwa BSG, Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 42, Rn. 16). Jedenfalls aber stand die zur Zeit des schadensstiftenden Ereignisses verrichtete Tätigkeit
- das auf den W. Zulaufen - nicht im sachlichen Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit als Kommissionierer. Weder hat der
Kläger eine Beschäftigung i.S. des §
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII ausgeübt, noch im Zusammenhang mit dieser einen Betriebsweg zurückgelegt.
Versicherter i.S. des §
8 Abs.
1 Satz 1
SGB VII ist jemand nur, wenn, solange und soweit er den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit durch eigene Verrichtungen erfüllt.
Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar und (subjektiv)
- zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestands der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist. Diese innere
Tatsache der subjektiven Ausrichtung des objektiven konkreten Handelns des Verletzten wird als "Handlungstendenz" bezeichnet.
Wenn das beobachtbare objektive Verhalten allein noch keine abschließende Subsumtion unter den jeweiligen Tatbestand der versicherten
Tätigkeit erlaubt, diese aber auch nicht ausschließt, kann die finale Ausrichtung des Handelns auf die Erfüllung des jeweiligen
Tatbestands, soweit die Intention objektiviert ist (sog objektivierte Handlungstendenz), die Subsumtion tragen. Die bloße
Absicht einer Tatbestandserfüllung reicht hingegen nicht (zur Handlungstendenz zuletzt BSG, Urteil vom 05.07.2016 - B 2 U 5/15 R -, SozR 4-2700 § 2 Nr. 35, Rn. 15).
Indem der Kläger seinen Arbeitsbereich verlassen und sich aus seinem Hauptgang im Lager über ca. sechs Paletten, die niedrig
mit Paketen bepackt waren, hin zum Standort des W. im benachbarten Hauptgang begeben hat, war sein Handeln nicht auf die Erfüllung
des gesetzlichen Versicherungstatbestandes als Beschäftigter i.S.d. §
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII gerichtet. Eine nach §
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII versicherte Tätigkeit als Beschäftigter liegt vor, wenn der Verletzte zur Erfüllung eines von ihm begründeten Rechtsverhältnisses,
insbesondere eines Arbeitsverhältnisses, eine eigene Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen (vgl. §
7 Abs.
1 SGB IV) zu dem Zweck verrichtet, dass die Ergebnisse ihrer Verrichtung diesem und nicht ihm selbst unmittelbar zum Vorteil oder
Nachteil gereichen (vgl. §
136 Abs.
3 Nr.
1 SGB VII). Es kommt objektiv auf die Eingliederung des Handelns der Verletzten in das Unternehmen eines anderen und subjektiv auf
die zumindest auch darauf gerichtete Willensausrichtung an, dass die eigene Tätigkeit unmittelbare Vorteile für das Unternehmen
des anderen bringen soll. Eine Beschäftigung i.S. des §
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII wird daher ausgeübt, wenn die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, entweder eine eigene objektiv
bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen, oder der Verletzte eine objektiv
nicht geschuldete Handlung vornimmt, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, sofern er nach
den besonderen Umständen ihrer Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht, oder
er unternehmensbezogene Rechte aus dem Rechtsverhältnis ausübt (BSG, Urteil vom 05. Juli 2016 - B 2 U 5/15 R -, a.a.O., Rn. 17).
Der Kläger hat sich nicht von seinem Arbeitsbereich hin zum Standort des W. begeben, um seiner Tätigkeit als Kommissionierer
nachzugehen. Das folgt bereits daraus, dass er, was der W. sowohl in seiner E-Mail vom 08.03.2016 als auch in der Zeugenvernehmung
vor dem SG am 18.11.2016 und in seiner Zeugenvernehmung vor dem Senat am 22.11.2017 glaubhaft angegeben hat, seinen Scanner weggeworfen
hat, bevor er zum W. hinübergelaufen ist.
Zwar kann die Klärung eines Disputs bzw. das Austragen eines über betriebliche Pflichten und betriebliches Verhalten bestehenden
Konflikts durchaus auch im betrieblichen Interesse liegen. Hier ging es dem Kläger aber gar nicht mehr wesentlich um die Klärung
des ca. 30 Minuten zurückliegenden Konflikts um die Arbeitsaufträge. Vielmehr hat der Kläger den W. aufgesucht, um ihm als
Reaktion auf dessen Geste (mehrfaches Öffnen und Schließen des Daumens und der Finger der erhobenen Hand im Sinne von "bla
bla bla") den Kopf in den Bauch zu rammen, um ihn so umzuwerfen. Ein solches Verhalten kann selbst dann, wenn, was der Senat
aufgrund der Angaben des W. als erwiesen ansieht, im Lager ein rauer Ton herrschte und wechselseitige Beleidigungen zwischen
dem Kläger und W. immer wieder vorkamen, nicht mehr als betriebsdienlich angesehen werden, denn eine körperliche Attacke vermag
das kollegiale Verhältnis so zu stören, dass eine künftige Zusammenarbeit nicht mehr möglich ist, außerdem ist mögliche Folge
solchen Handelns eine Arbeitsunfähigkeit des Opfers, die ebenfalls in keiner Weise im betrieblichen Interesse liegt.
Aus diesen Gründen hat es sich bei dem Weg, den der Kläger bei Eintritt des schadensstiftenden Ereignisses zurückgelegt hat,
auch nicht um einen Betriebsweg gehandelt. Betriebswege sind Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt
werden, Teil der versicherten Tätigkeit sind und damit der Betriebsarbeit gleichstehen. Sie werden im unmittelbaren Betriebsinteresse
unternommen, unterscheiden sich von Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit i.S. von §
8 Abs.
2 Nr.
1 SGB VII dadurch, dass sie der versicherten Tätigkeit nicht lediglich vorausgehen oder sich ihr anschließen. Sie sind nicht auf das
Betriebsgelände beschränkt, sondern können auch außerhalb der Betriebsstätte anfallen (vgl, m.w.N., BSG, Urteil vom 05. Juli 2016 - B 2 U 5/15 R -, a.a.O., Rn. 20). Hier hat der Kläger den Weg hin zum W. gerade nicht im unmittelbaren Betriebsinteresse unternommen, sondern
um den W. zu attackieren.
Der Senat verkennt nicht, dass nach älterer BSG-Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur (vgl. die ausführlichen Nachweise bei: Krasney, WzS 2012, 131 ff. [134], dort Fn. 26, ebenfalls Keller in: Hauck/Noftz/Keller,
SGB VII, §
8 Rn. 149) bei tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Beschäftigten aufgrund eines Streits auf der Betriebsstätte der für
den Unfallversicherungsschutz erforderliche innere Zusammenhang zwischen dem zum Unfall führenden Streit und der versicherten
Tätigkeit als gegeben angesehen wird, wenn der Streit unmittelbar aus der Betriebsarbeit erwachsen ist. Ein Versicherungsschutz
scheidet danach auch nicht deshalb aus, weil der später Verletzte den Streit ausgelöst hat. Hier hat es sich aber gerade nicht
um eine Rauferei gehandelt, die im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang aus einem Streit über betriebliche
Belange zwischen Arbeitskollegen erwachsen ist. Ganz im Vordergrund stand hier vielmehr die persönliche Streitfreudigkeit
der beteiligten Protagonisten (Kläger und W.). Zwar war ursprünglich zwischen dem Kläger und W. ein Konflikt aus betrieblichem
Anlass, einem Fehlverhalten des Klägers und der Reaktion des W. darauf, entstanden. Der hier zu beurteilende Geschehensablauf
schloss sich aber an ein späteres bloßes Wiederaufflammen des Streits an, wobei der gegenseitige Austausch von Schimpfwörtern
im Vordergrund stand und der ursprüngliche Vorfall mit den vom Kläger genommenen mehreren Aufträgen in den Hintergrund getreten
war. Das Geschehen stand nicht mehr im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der vorangegangenen Meinungsverschiedenheit
über betriebliche Belange, sondern erfolgte abseits des Tisches ca. 30 bis 45 Minuten später aus Anlass eines vom Kläger bemerkten
Gesprächs des W. mit dem K. über den Vorfall. Im Vordergrund stand zum Zeitpunkt des schadensstiftenden Ereignisses der persönliche
Konflikt zwischen dem Kläger und W., der den ursprünglichen Streit aus betrieblichem Anlass 30 bis 45 Minuten vor dem hier
zu beurteilenden Geschehensablauf überlagert hat und schließlich zu einer überschießenden Reaktion des Klägers auf das als
Kränkung empfundene abrupte Wegfahren mit abfälliger Geste durch den W geführt hat. Der Kläger hat als Reaktion auf die Geste
des W. seinen unmittelbaren Arbeitsbereich verlassen, um den W. vorsätzlich körperlich zu attackieren. Ein dabei erlittener
Gesundheitsschaden aber ist nicht vom Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst.
Hiernach war das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht.