LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.05.2015 - 1 U 2542/14
Anerkennung eines Wegeunfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung bei einem Richtungswechsel mit dem PKW; Beweiserleichterungen
bei der Sachverhaltsermittlung bei Vorliegen eines appallischen Syndroms
1. Kann der Verunfallte wegen seiner Erkrankung (hier: apallisches Syndrom) nicht mehr zu seiner subjektiven Handlungstendenz
befragt werden, kann eine Beweiserleichterung der Gestalt gewährt werden, dass an die Bildung der richterlichen Überzeugung
weniger hohe Anforderungen gestellt werden. Daraus folgt, dass das Tatsachengericht schon aufgrund weniger tatsächlicher Anhaltspunkte
von einem bestimmten Geschehensablauf überzeugt sein kann.
2. Ein Richtungswechsel mit dem PKW führt nicht automatisch zum Verlust des Versicherungsschutzes in der Wegeunfallversicherung.
Eine deutliche Zäsur liegt regelmäßig nur dann vor, wenn der Richtungswechsel aus eigenmotivierten, d.h. aus privaten Gründen
vollzogen worden ist, sodass ein sachlicher Zusammenhang mit der an sich versicherten Tätigkeit nicht mehr besteht.
Fundstellen: NZS 2015, 511
Vorinstanzen: SG Mannheim 30.04.2014 S 4 U 3426/13
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 30.04.2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines Arbeitsunfalls vom 22.01.2013 in der Wegeunfallversicherung streitig.
Der 1990 geborene Kläger, der im Haus seiner Eltern in der K.rstr. . in M. wohnt, war am 22.01.2013, dem Tag des Verkehrsunfalls,
als Produktionsarbeiter bei der Firma C.l Zeitarbeit GmbH, H., beschäftigt. Am Unfalltag war er für seine Arbeitgeberin bei
deren Kundin, der (Entleiher-)Firma M. in Mannheim, F.-J.-S.-Str., tätig. Um 14.00 Uhr stempelte er an diesem Tag dort aus
und verließ das Betriebsgelände zwischen 14.30 und 14.45 Uhr. Gegen 15.20 Uhr verunfallte er mit seinem PKW BMW ..., Kennzeichen
..-.., auf der Landstraße L 7. zwischen W. und der D.-H.-Allee in Richtung W., als er ins Schleudern kam und auf der Gegenfahrbahn
mit einem entgegenkommenden LKW frontal mit seiner Beifahrerseite zusammenstieß. Der Kläger wurde durch den Aufprall in seinem
Fahrzeug eingeklemmt und musste von der Feuerwehr geborgen werden. Er erlitt ein Polytrauma mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma
Grad III mit ausgeprägtem Kalottenhämatom und Hirnödem beidseits, eine Lazeration des Nierenparenchyms links, eine Milzkontusion
links, Kontusionen des Lungenparenchyms beidseits, eine Fraktur der 11. und 12. Rippe rechts sowie eine Fraktur BWK 6. Seither
leidet er an einem apallischen Syndrom, d.h. bis auf minimale Reaktionen auf akustische oder Schmerzreize durch Blinzeln mit
geschlossenen Augen bzw. Abwehrreaktionen der rechten Hand bei Manipulation besteht keine weitere erkennbare Reaktionsfähigkeit.
Die Eltern des Klägers, B. und K. B., wurden für den Kläger als gesetzliche Betreuer bestellt (Beschluss des Amtsgerichts
H. vom 29.01.2013, Az.: B 40 XVII 152/13; Beschluss vom 02.07.2013, Az.: XVII 112/13).
In der Verkehrsunfallanzeige vom 22.01.2013 nahm Polizeikommissar (PK) Bürgermeister auf, der Kläger sei zur Unfallzeit mit
seinem PKW auf der L 7. in westlicher Richtung, 50 m östlich der Einmündung D.-H.-Allee infolge nicht angepasster Geschwindigkeit
ins Schleudern geraten und habe die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren. Dies habe dazu geführt, dass sich sein PKW ca.
100 Grad nach links um seine Hochachse gedreht habe und auf die Gegenfahrbahn gerutscht sei. Hier sei er nach etwa 65 m nach
Verlassen seiner Fahrbahn mit dem auf dem rechten der beiden Geradeausfahrstreifen entgegenkommenden LKW (7,49-Tonner) frontal
mit seiner Beifahrerseite zusammengeprallt. Der geschädigte Fahrer des LKW, R., gab bei seiner Vernehmung an, er sei von der
A5 kommend in Richtung H. AG unterwegs gewesen und habe plötzlich kurz vor der Abfahrt D.-H.-Allee von links ein Auto quer
auf ihn zufliegen gesehen. Aufgrund der Schnelligkeit habe er den Zusammenstoß nicht mehr vermeiden können (Bl. 55 ff. der
Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft H., Az.: 510 Js 5572/13). Der Zeuge Dr. V. gab an, der Kläger habe mit seinem PKW ebenfalls an einer roten Ampel gehalten. Sie seien beide jeweils
das erste Fahrzeug an der Ampel gewesen. Es sei auffällig gewesen, dass der Kläger, als es grün geworden sei, mit quietschenden
Reifen Vollgas gegeben habe (Bl. 47 der Ermittlungsakte) .Eine unmittelbar nach dem Unfall erfolgte Alkoholbestimmung beim
Kläger ergab 0,00 Promille. Die Staatsanwaltschaft H. holte sodann das Verkehrsgutachten des Dipl.-Ing. H. vom 08.12.2013
ein, wonach Hinweise auf unfallursächliche technische Mängel an dem PKW nicht vorlägen. Unter Berücksichtigung der Zeugenaussagen
sei Ursache für den instabilen Fahrzustand die zu intensive durchgeführte Beschleunigung des PKW's gewesen. Eine negative
Beeinflussung des Fahrverhaltens des PKW durch die relativ alte Bereifung sei aus technischer Sicht nicht auszuschließen.
Nach Einholung des Gutachtens des Rechtsmediziners Prof. Dr. H. vom 24.05.2012, wonach die Verletzungen des Gehirns so schwerwiegend
seien, dass ein folgenloses Ausheilen nicht erwartet werden könne, stellte die Staatsanwaltschaft H. das Verfahren gem. §
153 b Abs. 1 Strafprozessordnung ( StPO) ein (Beschluss vom 27.08.2013).
Mit Unfallanzeige vom 23.01.2013 zeigte die Arbeitgeberin des Klägers den Unfall bei der Beklagten an. Der Kläger sei am 22.01.2013
um 15.20 Uhr auf dem Nachhauseweg von der Arbeit auf der L 7., Nähe L 2./L .9.Einmündung D.-H.-Allee in W. verunfallt, als
sein Auto auf die Gegenfahrbahn geraten und frontal mit einem entgegenkommenden LKW kollidiert sei. Dabei habe sich der Kläger
(laut Informationen seines Vaters) schwerste Verletzungen zugezogen, liege auf der Intensivstation des Krankenhauses und werde
für mehrere Tage in ein künstliches Koma versetzt. Der Vater des Klägers teilte der Beklagten in dem Unfallberichtsvordruck
unter dem 31.01.2013 mit, der Unfall habe sich am 22.01.2013 um 15.19 Uhr ereignet. Der PKW sei auf ihn zugelassen. Der Kläger
sei von der Arbeitsstätte gekommen und habe sich auf der Heimfahrt befunden. Er habe keine Besorgungen gemacht oder beabsichtigt.
Die Arbeitsstätte habe er nach dem tatsächlichen Arbeitsende um 14.00 Uhr nach dem Duschen und der Gehzeit auf dem Parkplatz
um 14.45 Uhr verlassen.
Die Beklagte holte daraufhin medizinische Befundunterlagen ein. Im Entlassungsbericht des Universitätsklinikums H. vom 29.01.2013
wurden nach dem stationären Aufenthalt vom 29.01. bis 12.02.2013 folgende Diagnosen genannt: Polytrauma bei Verkehrsunfall,
Schädel-Hirn-Trauma Grad III, Kontusionsblutung parietal rechts sowie vorderes Balkenknie links betont, subkotrikale Mikroblutungen
mit Verdacht auf diffuse axonale Schäden, stabile BWK-6-Fraktur, Rippenfraktur 11 und 12 rechts, Humerusschaftfraktur links,
Lungenkontusionen beidseits, Nierenlazeration links Grad IV mit retroperitonealem Hämatom links, Milzlazeration gedeckt und
Blasentamponade am 23.01.2013. Im Durchgangsarztbericht des Prof. Dr. S. vom 06.02.2013 wurden folgende Erstdiagnosen genannt:
Schweres Schädel-Hirn-Trauma mit ausgeprägtem Kalottenhämatom und Hirnödem beidseits, Verdacht auf ICB hochparietal rechts,
Lazeration des Nierenparenchyms links, Milzkontusion links, Kontusionen des Lungenparenchyms beidseits, Fraktur der 11. und
12. Rippe rechts und Fraktur BWK 6. Im Befundbericht des Psychiaters Dr. P. vom 23.04.2013 (Kliniken Schmieder) wurde angegeben,
der Kläger werde seit dem 20.03.2013 stationär behandelt. Es liege ein Minimal-Responsiv-Status als Remissionsstadium eines
apallischen Syndroms vor. Die Prognose sei insgesamt ungünstig.
Die Beklagte holte sodann die Arbeitgeberauskunft vom 25.02.2013 ein. Darin wurde angegebenen, der Kläger sei am Unfalltag
bei der Firma M. in M., tätig gewesen sei. Nach ihren Informationen (vom Vater) habe er direkt den Heimweg angetreten. Die
Firma M. habe mitgeteilt, dass der Kläger bei einer Arbeit eingesetzt gewesen sei, bei der er sehr schmutzig werde. Deshalb
werde im Regelfall nach Arbeitsende geduscht (Bl. 62 der Verw.-Akte). Auf die telefonische Nachfrage der Beklagten gab die
Firma M. an, der Kläger habe um 14.00 Uhr am 22.01.2013 ausgestempelt. Er sei in einem Unternehmensteil mit sehr viel Rußentwicklung
tätig gewesen, sodass auf jeden Fall hinterher habe geduscht werden müssen. Zeugen für das Verlassen des Betriebsgeländes
gebe es nicht (Bl. 68 der Verw.-Akte). Unter dem 05.03.2013 teilte die Firma M. schriftlich mit, der Kläger habe nach dem
Ausstempeln um 14.00 Uhr wahrscheinlich noch geduscht und gegen 14.30 Uhr das Werk verlassen. Beigefügt war ein Auszug der
Zeitnachweisliste (Bl. 69/70 der Verw.-Akte). Die Beklagte zog zudem die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft H. bei (Az.:
510 Js 5572/13). Anlässlich eines Telefongesprächs am 06.05.2013 teilte sie dem Vater des Klägers mit (Bl. 233 der Verw.-Akte), aus der
Akte der Staatsanwaltschaft habe sich ergeben, dass sich der Kläger zum Unfallzeitpunkt nicht in Fahrtrichtung Arbeitgeber
zum Wohnort befunden habe, sondern in entgegengesetzter Richtung (von W. nach W.). Dies sei nicht der direkte Weg, sodass
ein Arbeitsunfall nicht vorliege. Der Vater habe sich das nicht erklären können, er habe gemutmaßt, dass der Kläger eventuell
auf Grund eines Staus wieder zurück auf die Autobahn gewollt habe. Nachweise für Staumeldungen, insbesondere Sperrungen, lägen
jedoch keine vor. Es sei mitgeteilt worden, das Spekulationen nicht ausreichend seien, um einen Arbeitsunfall zu begründen.
Mit Bescheid vom 15.05.2013 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Leistungen aufgrund des Verkehrsunfalls vom 22.01.2013
ab. Versicherungsschutz habe auf dem direkten Weg von M. (Arbeitsstätte) nach M. (Wohnort) bestanden. Bei der Zurücklegung
des Weges müsse die Handlungstendenz auf das Erreichen des Wohnorts gerichtet sein. Aufgrund der Erkenntnisse im Ermittlungsverfahren
der Staatsanwaltschaft H. stehe fest, dass der Kläger die L 7. von Richtung W. kommend in Richtung W. befahren habe. Der Weg
auf der L 7. in westlicher Richtung sei jedoch entgegengesetzt zum Wohnort. Werde die Zielrichtung geändert und der Weg aus
privaten Gründen ab- bzw. unterbrochen, bestehe kein Versicherungsschutz. Es seien keine Gründe ersichtlich, die die Abkehr
von der Fahrtrichtung zum Wohnort (versicherte Tätigkeit) erklären könnten. Zum Unfallzeitpunkt habe sich der Kläger deshalb
von einer versicherten Tätigkeit gelöst, sodass ein Arbeitsunfall nicht vorliege.
Hiergegen legte der Kläger, vertreten durch seine Eltern, am 29.05.2013 Widerspruch ein. Zur Begründung wurde vorgetragen,
der Kläger habe sich zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls auf dem direkten Nachhauseweg zu seinem Wohnort (M.) befunden. Er habe
diesen Weg weder aus privaten Gründen abgebrochen noch unterbrochen. Die Ermittlungen hätten ergeben, dass der Kläger vermutlich
zwischen 14.30 Uhr und 14.40 Uhr die Betriebsstätte verlassen habe. Der schnellste Weg nach Hause führe über die Autobahn
A 656, am H.er Kreuz auf die A5 und am W.er Kreuz auf die A6. Die A6 werde an der Ausfahrt W. verlassen. Für diese Strecke
sehe jedes Navigationssystem ca. 31 Minuten bei einer Fahrstrecke von ca. 40 km vor. Zwar sei dies bei einem günstigen Verkehrsaufkommen
der schnellste Weg, er sei aber nicht der kürzeste. Aus diesem Grund sei der Kläger häufig nicht über die Autobahn, sondern
über Land- und Bundesstraßen gefahren. Für die Strecke von 36 km benötige man rund 41 Minuten. Der direkte Weg vom Arbeitgeber
nach Hause führe über die Kreisstraße K 9. auf die L 5., B 3. und B 2. bis W.. Kurz vor W. werde auf die L 7. eingebogen,
auf der sich der Unfall ereignet habe. Werktäglich komme es auf der L 7. wegen des Software-Unternehmens S. AG zu Feierabendstaus
in beiden Richtungen zur A5 und A6. Die "Rush-Hour" beginne dort gegen 15.00 Uhr, da der von der S. AG abfließende Verkehr
von den Straßen nicht aufgenommen werden könne. Diese Verkehrssituation sei ortsüblich bekannt und könne von diversen Personen
bestätigt werden. Je nachdem, wann der Kläger die Arbeitsstätte verlassen und den Heimweg antrete, fahre er vor dem "Rush-Hour-Stau"
die L 7. entlang, oder er gerate mitten hinein. Über derartige Vorfälle habe er sich mehrfach mit seinen Eltern unterhalten.
In der Vergangenheit habe der Kläger in der Regel bei nächster Gelegenheit gewendet, sobald er einen Stau auf Höhe der S.
AG bemerkt habe und sei dann auf direktem Weg auf die Autobahn A5 gefahren, um den Rest des Weges auf der A5/A6 bis zur Ausfahrt
W. zurückzulegen. Diese Fahrtroute des Klägers sei in der Familie und im Freundeskreis bekannt. Der Kläger habe wegen des
"Rush-Hour-Staus" an einer der nächsten Kreuzungen gewendet und sei auf direktem Weg Richtung Autobahn A5 (W.er Kreuz) gefahren.
An der Kreuzung L 7./D.-H.-Allee sei es dann gegen 15.20 Uhr beim Anfahren auf nasser Fahrbahn zu dem folgenschweren Unfall
gekommen. Im Übrigen werde der ortsbekannte Rückstau auf der L 7. Richtung A6 nicht nur durch den abfließenden Verkehr der
Beschäftigten der S. AG verursacht, sondern auch durch den Verkehr der H. AG. Der Feierabendverkehr dieser Firma müsse ebenfalls
über die L 7. und führe von dort nach Südosten auf die A6 bzw. nach Westen auf die A5. Allen Beschäftigten der S.AG sowie
der H. AG sei dieses Verkehrsaufkommen zu den genannten Stoßzeiten bekannt. Der Kläger ließ sodann über seine Eltern diverse,
jeweils gleichlautende Bestätigungen von Bekannten vorlegen, wonach bekannt sei, dass zwischen 15.00 Uhr bis ca. 17.00 Uhr
nachmittags zur Stoßzeit häufig ein Stau auf der L 7. Richtung Autobahn A6 entstehe, der von vielen umfahren werde, indem
man die Autobahn A5 und ab dem W.er Kreuz die A6 fahre. Aus diesem Grund komme es zeitweise auch an der Anschlussstelle W.-W.
an der A5 zu einem Rückstau (Bl. 280 bis 286 der Verw.-Akte).
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.09.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Ausführungen zum üblichen Verkehrsaufkommen
und einer damit eventuell erforderlichen Umfahrung des Staus werde nicht in Abrede gestellt, wie die vorgelegten Bestätigungen
von Beschäftigten der H. AG auch bestätigten. Es handle sich jedoch um allgemeine Aussagen, die nicht konkret die Situation
zur Unfallzeit beschrieben. Nach Aussage weiterer Unfallbeteiligter sei die Straße an der Unfallstelle freigewesen. Lediglich
die Vermutung, dass sich der Kläger auf dem direkten Weg nach Hause befunden habe, reiche nicht aus, um einen Versicherungsschutz
zu begründen.
Hiergegen hat der Kläger am 08.10.2013 durch den (auch) allein vertretungsberechtigten Vater Klage beim Sozialgericht Mannheim
(SG) erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, der Kläger habe sich am Unfalltag auf dem direkten Weg von seiner
Arbeitsstelle nach Hause befunden. Er habe seine Tätigkeit in M. gegen 14.00 Uhr beendet. Da er in der Produktion tätig gewesen,
die mit viel Schmutz verbunden sei, habe er noch im Betrieb geduscht. Diese Duschgelegenheit werde vom Arbeitgeber zur Verfügung
gestellt. Der Kläger sei schließlich gegen 14.30 Uhr bzw. 14.40 Uhr von dem Betriebsgelände in M. mit seinem PKW aufgebrochen.
Für den direkten Nachhauseweg seien zwei Strecken möglich, eine kurze über die Landstraße führende und eine längere, aber
schnellere, über die Autobahn führende Strecke. Der Kläger habe sich am Unfalltag zunächst für die kürzeste Wegstrecke entschieden.
Allerdings bildeten sich zu Stoßzeiten auf der L 7. Richtung A6 regelmäßig Staus, die nicht direkt örtlich umfahren werden
könnten. Vielmehr bleibe als einzige Umfahrung nur der schnellere Weg über die Autobahn. Ortsüblich sei es, im Falle eines
Staus zu wenden und über die Autobahn auf den schnelleren Weg auszuweichen, um den Stau zu umfahren. Dies habe der Kläger
am Unfalltag getan. Er habe - wie immer, wenn er Frühschicht gehabt habe - versucht, noch vor dem Berufsverkehrsstau M. zu
erreichen, was ihm aber nicht gelungen sei. Dafür sei er bereits zu spät gewesen. Er habe daher, als er den Stau auf seiner
Strecke bemerkt habe, sein Fahrzeug bei nächster Gelegenheit gewendet und sei auf der L 7. zurück Richtung Autobahn A5 gefahren.
Er habe sich hierbei immer noch auf dem direkten Nachhauseweg befunden. Er sei auch nicht verabredet gewesen. Es hätten keine
sonstigen Termine bestanden und er habe auch nicht einkaufen wollen, sondern habe gegenüber seinen Eltern schon am Abend vorher
bekundet, nach der Arbeit direkt nach Hause zu kommen. Da der Kläger angekündigt habe, direkt nach der Arbeit nach Hause zu
kommen, sei für ihn mitgekocht worden. Er habe an Tagen, an dem er Frühschicht gehabt habe, grundsätzlich zu Hause verspätet
sein Mittagessen eingenommen. Hätte der Kläger - geplant oder kurzfristig - nach der Arbeit etwas anderes vorgehabt, hätte
er sich zu Hause abgemeldet. Dies sei mit den Eltern so vereinbart und der Kläger habe sich auch stets daran gehalten. Am
Unfalltag hätten die Eltern ihren Sohn zu Hause längst erwartet. Ihnen gegenüber habe er des Öfteren angegeben, ihn nerve
der Stau auf der L 7., weshalb er dann auf der Autobahn nach Hause fahre. Diesen Stau-Umfahrungsweg wählten alle, die sich
mit der örtlichen Verkehrssituation auskennten. Auch am Unfalltag sei es zu dem bekannten Berufsverkehrsstau gekommen. Der
Kläger habe sich mithin auf einer der beiden möglichen Routen für den direkten Weg nach Hause befunden. Dass er seine darauf
gerichtete subjektive Handlungstendenz geändert habe, sei nicht ersichtlich und schlage sich auch nicht in einem objektiv
erkennbaren Verhalten nieder. Vielmehr gebe es für die Wahl des Weges durch den Kläger einleuchtende Gründe, die sich objektivieren
ließen, nämlich die bessere Fahrqualität und auch die bessere Fahrzeit. Eine Richtungswechsel führe nicht zu einer Beendigung
des Versicherungsschutzes, wenn der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nicht entfalle, also der ursprüngliche
Weg vom Arbeitsplatz der Tätigkeit nicht aus eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen werde. Soweit die Beklagte geltend
mache, von den üblichen Gegebenheiten, die sie nicht in Abrede stelle, wäre abzuweichen und eine geänderte Handlungstendenz
des Klägers vorhanden, so gebe es hierfür keinerlei Anhaltspunkte. Eine Änderung der Handlungstendenz sei durch die Beklagte
nachzuweisen. Einen solchen Nachweis habe sie aber nicht geführt. Da sich der Unfall auf einem grundsätzlich versicherten
Wegeabschnitt ereignet habe, trage die Beklagte die Beweislast dafür, dass es sich bei der Umkehr um eine Unterbrechung oder
Beendigung des unmittelbaren Nachhausewegs gehandelt habe. Soweit sie sich auf Zeugen berufe, wonach am Unfallort normale
Straßenverhältnisse bestanden hätten, also kein Stau, gelte dies nur für den unmittelbaren Unfallort selbst. Die Zeugenaussagen
enthielten keine Hinweise darauf, dass im weiteren Verlauf der L 7. Richtung Autobahn A6 der werktägliche Berufsverkehrsstau
am Unfalltag nicht bestanden habe. Die Beklagte habe auch keinen entsprechenden Zeugen hierfür benannt. Zur weiteren Begründung
hat der Kläger zwei Ausdrucke von Google-Maps sowie die bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegten Bestätigungen über das
Verkehrsaufkommen auf der L 7. vorgelegt (Bl. 31 bis 36 der SG-Akte).
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 30.04.2014 hat der Vater des Klägers angegeben, am Unfalltag sei das Essen für den
Kläger warm gehalten worden. Er sei in der Regel verlässlich gewesen und sei immer zum Essen gekommen, wenn er es gesagt habe.
Ab und zu habe er sogar angerufen und gefragt, was es an dem Tag zu essen gebe. Seine Frau habe ihm gesagt, dass sein Sohn
auch an diesem Tag angerufen habe. Sie hätten keine Anrufe von irgendwelchen Freunden ihres Sohnes erhalten, die sich erkundigt
hätten, warum er am Unfalltag nicht zu einem vereinbarten Treffen gekommen sei. Seine Freunde habe er ohnehin abends getroffen,
da sie alle berufstätig seien. Seinen Führerschein habe der Kläger erst mit 21 Jahren gemacht. Er sei eher sportlich gefahren
(Niederschrift vom 30.04.2014, Bl. 46 bis 48 der SG-Akte).
Mit Urteil vom 30.04.2014 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 15.05.2013 und den Widerspruchsbescheid vom 26.09.2013 aufgehoben und festgestellt, dass das
Unfallereignis vom 22.01.2013 als Arbeitsunfall anerkannt werde. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Versicherte
könne grundsätzlich frei entscheiden, welchen Weg er wähle. Er müsse nicht die kürzeste oder schnellste Strecke nehmen. Ihm
stehe vielmehr ein weiter Rahmen der Wahlfreiheit zu. Hierbei könnten auch Verkehrsverhältnisse eine Rolle spielen, solange
die Fortbewegung nach der Handlungstendenz des Versicherten der Zurücklegung des Weges von oder zum Ort der Tätigkeit zu dienen
bestimmt sei. Im vorliegenden Fall sprächen mehrere Indizien dafür, dass sich der Kläger am fraglichen Tag auf dem Heimweg
befunden habe. So passten die Uhrzeit des Unfalls und die Uhrzeit des Abstechens bei der Arbeit zu dem in Frage stehenden
Unfallort. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger nach Beendigung der Tätigkeit habe duschen müssen, da die von ihm verrichtete
Tätigkeit mit erheblichem Schmutz verbunden gewesen sei. Daraus lasse sich schließen, dass er zwischen 14.35 Uhr und 14.45
Uhr das Werksgelände mit dem Auto verlassen haben müsse. Der Unfallzeitpunkt um ca. 15.10 Uhr passe genau mit der laut Routenplaner
für diesen Weg erforderlichen Zeit überein. Darüber hinaus spräche viel dafür, dass der Kläger am 22.01.2013 in einen Stau
im Bereich der D.-H.-Allee in W. gekommen sei. Zwar habe sich das Gericht nicht veranlasst gesehen, bei der Polizei oder bei
Radiosendern dazu zu ermitteln, ob am fraglichen Tag auf der L 7. in Höhe der D.-H.-Allee auch ein Stau, wie so oft werktags,
gemeldet gewesen sei. Denn auch die Tatsache, dass möglicherweise keine Meldung über einen Stau vorliege, beweise nicht, dass
es tatsächlich nicht zu Stockungen gekommen sei. Es sei gerichtsbekannt, dass nicht jeder Stau oder jede Verkehrsstockung
auf einer Bundes- oder Landstraße der Polizei oder den Verkehrsdiensten gemeldet werde. Demgegenüber habe der Kläger mit den
von ihm vorgelegten Bestätigungen mehrerer Personen belegt, dass es zum Zeitpunkt des Dienstendes bei der S AG und der H.
AG auf der L 7. in Fahrtrichtung des Klägers von der Arbeit nach Hause in der Regel zu einem Stau oder zu Stockungen komme.
Das Gericht sei daher davon überzeugt, dass dies auch am fraglichen Tag der Fall gewesen sei. Sodann spreche für das Vorbringen
des Klägers, dass er auch am fraglichen Tag bei seinen Eltern zum Essen verabredet gewesen sei und sich nicht abgemeldet habe.
Auch sei bei den Eltern kein Anruf irgendeines Freundes oder Bekannten eingegangen, mit dem Inhalt, herauszufinden, weshalb
der Kläger etwa zu einem verabredeten Treffen nicht gekommen sei. Daraus lasse sich schließen, dass der Kläger auch nicht
spontan ein Treffen mit einem Bekannten verabredet habe und zu diesem Zweck auf dem Weg nach Hause umgedreht sei. Aus den
Angaben der Eltern des Klägers, die gleichzeitig dessen Betreuer seien, ergebe sich auch, dass der Kläger am fraglichen Tag
keine anderen Pläne gehabt habe, als nach Hause zu fahren, um dort zu essen. Dies habe der Vater in der mündlichen Verhandlung
schlüssig und überzeugend geschildert. Dafür, dass der Kläger diesen Nachhauseweg aus eigenwirtschaftlichen Gründen abgebrochen
oder unterbrochen habe, lägen keine Anhaltspunkte vor. Entgegen der Auffassung der Beklagten bedeute allein die Tatsache,
dass der Kläger sein Fahrzeug gewendet habe, um in die entgegengesetzte Richtung zu fahren, nicht, dass er sich damit unmittelbar
auf einen unversicherten Ab- oder Umweg befunden habe. Denn es stehe dem Versicherten in der Regel frei, den Weg zu wählen,
der ihm beliebe. Insbesondere könne er seinen Fahrweg von den örtlichen Umständen und der Verkehrssituation abhängig machen.
So sei es vorliegend. Dagegen spreche nicht, dass der LKW-Fahrer, mit dem der Kläger kollidiert sei, berichtet habe, er habe
kein erhöhtes Verkehrsaufkommen bemerkt. Der Unfallort habe eine erhebliche Strecke von der D.-H.-Allee entfernt gelegen,
die L 7. sei an dieser Stelle nicht vollkommen gerade verlaufend, sondern mache eine langgezogene Biegung. Da die Mitarbeiter
der S AG und der H.AG aber erst in Höhe der D.-H.-Allee bzw. noch weiter Richtung A6 auf die L 7. einbögen, könne der in Fahrtrichtung
der D.-H.-Allee fahrende LKW ein erhöhtes Verkehrsaufkommen, welches sich erst wesentlich weiter hinten auf der L 7. befinde,
nicht gesehen haben. Entsprechendes gelte für den Fahrer des Fahrzeugs, das kurz vor dem Unfall des Klägers mit ihm in dieselbe
Richtung gefahren sei. Dieser sei kurz zuvor auf die L 7. Richtung A5 eingebogen, in diese Richtung sei jedoch kein Stau gewesen.
Der Kläger habe sich auch nicht auf einem unversicherten Abweg befunden. Denn es lägen keine Hinweise dafür vor, dass er sein
Fahrzeug aus privaten Gründen um 180 Grad zur ursprünglichen Fahrtrichtung gewendet und in die entgegengesetzte Richtung gelenkt
habe. Beweisbelastet dafür, dass der Kläger sich aus privaten Gründen von der Heimfahrt gelöst und eine andere Zweckrichtung
verfolgt habe, sei in Konstellationen wie der vorliegenden die Beklagte. Allein das Wenden des Fahrzeugs und das Zurückfahren
auf ein Teil des Weges beweise nicht, dass der Kläger nunmehr aus anderer Motivation gehandelt habe, als nach Hause zu fahren.
Hiergegen richtet sich die am 12.06.2014 eingelegte Berufung der Beklagten, mit der sie geltend macht, das SG habe es unterlassen festzustellen, ob ein Stau oder stockender Verkehr an diesem Tag tatsächlich vorhanden gewesen sei. Es
sei auch mutmaßend davon ausgegangen, dass der Kläger aus Zeitgründen eine entsprechend gereizte und aggressive Fahrweise
gezeigt habe. Dabei habe das SG unberücksichtigt gelassen, dass der Kläger wohl einen eher sportlichen Fahrstil gepflegt habe. Die Indizien einer (nicht
nachgewiesen) Stauverkehrslage, einer mangelnden Kenntnis von vereinbarten Treffen des Klägers mit Bekannten sowie einem häufigen
Verhalten des Klägers vor dem Unfall (verspätete Einnahme des Mittagessens zu Hause im Fall der Frühschicht) reichten nicht
aus, um eine Beweislastumkehr zu begründen. Ein Richtungswechsel mit einem PKW auf einem grundsätzlich versicherten Heimweg
bewirke eine deutliche Zäsur, wenn sich die Umkehr nach ihrer Zielrichtung als auch ihrer Zweckbestimmung von einem zunächst
zurückgelegten Heimweg unterscheide. Dass sich der Kläger beim Zurücklegen des Weges noch auf einem Weg vom Ort der Tätigkeit
nach Hause befunden habe, sei nicht voll bewiesen, deshalb bestehe auch kein Versicherungsschutz. Im Übrigen sei entgegen
dem klägerischen Vortrag noch eine weitere Routenoption über die B 3 denkbar gewesen, welche nach der Routenplanung 38,8 km
umfasse und zu einer Fahrtzeit von 43 Minuten geführt hätte. In diesem Fall wäre der Kläger erst nach dem Einfließen der Mitarbeiter
der H.AG auf die L 7. getroffen. Würde man diese Routenoption für die zurückgelegte Wegstrecke des Klägers am Unfalltag zu
Grunde legen, ergäben sich keinerlei Anhaltspunkte für ein eventuelles staubedingtes Befahren der L 7. in Richtung W. und
damit keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger noch die Handlungstendenz besessen habe, in Richtung nach Hause zu fahren.
Aus der Rechtsprechung lasse sich nicht entnehmen, dass für die Annahme eines Richtungswechsels nur ein Abbiegen in eine andere
Straße oder ein Abfahren von einer Straße maßgeblich sei. Das Befahren einer mehrspurigen Straße in Gegenrichtung stelle objektiv
keine weniger deutliche Zäsur dar, als beispielsweise das Abbiegen in eine andere Straße. Des Weiteren treffe den Versicherten
die objektive Beweislast. Zur weiteren Begründung hat die Beklagte einen Ausdruck von Google-Maps vorgelegt (Bl. 69 der LSG-Akte).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 30.04.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend. Die Beklagte lasse außer Acht, dass es letztendlich nicht darauf ankomme, ob es am Unfalltag an dieser Stelle
tatsächlich einen Stau gegeben habe. Vielmehr sei entscheidend, dass der Kläger die einmal eingeschlagene Route für eine Alternativroute
habe verlassen können, wenn er seine innere Handlungstendenz, nach Hause zu fahren, nicht geändert habe. Ihm habe es freigestanden,
ob er den kürzeren Weg über die Landstraße oder den schnelleren Weg über die Autobahnen wähle. Der Kläger habe weder den Blinker
gesetzt, um die L 7. zu verlassen, noch sei er dabei gewesen, private Besorgungen zu erledigen. Die Annahme der Beklagten,
eine mögliche Routenoption sei über die B 3 denkbar gewesen, sei abwegig. Der Weg über das staubelastete Autobahnende der
A 6., hinein in den H. Stadtteil B, entweder über das Nadelöhr C oder über H.s Verkehrsbrennpunkt Hauptbahnhof, um anschließend
durch den Stadtverkehr auf die nach Süden chronisch überlastende B 3 nach L. zu gelangen, könne nur mit mangelnder Kenntnis
der örtlichen Verkehrsverhältnisse erklärt werden. Als Routenoption scheide diese Strecke völlig aus. Niemand wähle den Weg
über H.-Stadt. Die Beklagte schließe deshalb unzulässig anhand dieser "Option" auf die angeblich geänderte Handlungstendenz
des Klägers.
Der Senat hat Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung des PK B.. In seiner Auskunft vom 20.08.2014 hat er angegeben,
Verkehrsstauungen an der Unfallörtlichkeit hätten zum Unfallzeitpunkt laut Aussagen der Zeugen und Beteiligten und nach seiner
Kenntnis nicht vorgelegen. Der Verkehr sei in beiden Richtungsfahrbahnen flüssig gewesen. Insgesamt sei die L 7. in diesem
Bereich generell stark verkehrsbelastet. Dies sei insbesondere zu Stoßzeiten wegen der zahlreichen Einmündungen aus den angrenzenden
Gewerbegebieten und den damit verbundenen Verkehrsströmen der Beschäftigten der dort ansässigen zahlreichen Betrieben der
Fall. Dass sich hieraus jedoch zur Unfallzeit ein erhöhtes Verkehrsaufkommen mit Staulagen ergeben habe, sei nicht festzustellen
gewesen. Im Falle einer starken Verkehrsbehinderung auf der L 7. gebe es durchaus adäquat annehmbare Ausweichmöglichkeiten,
die wenig bis gar kein Zeitverzug ergäben, insbesondere nicht, da diese Strecken teilweise deutlich weniger verkehrsbelastend
seien. Auf die Fahrtstrecke des Klägers von M. nach M. bezogen, könne hier insbesondere die Wegführung vom Knotenpunkt des
Autobahnkreuzes W. beginnend über die L 5., Ortsumgehung St. und L 546 über M. nach M. genannt werden. Zum Unfallzeitpunkt
habe der Kläger die L 7. in die entgegengesetzte Fahrtrichtung befahren, quasi von M. in Richtung Mannheim. PK B. hat seiner
Aussage zudem zwei Straßenkarten beigefügt (Bl. 26 bis 28 der LSG-Akte).
Der Senat hat darüber hinaus die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft H. (Az.: 510 Js 5572/13) zum Verfahren beigezogen und den Rechtsstreit mit dem Beteiligten am 25.11.2014 erörtert. Hierbei wurden die Eltern des
Klägers ausführlich angehört; auf die Niederschrift wird Bezug genommen (Bl. 42 bis 45 der LSG-Akte). Die Eltern des Klägers
haben darüber hinaus den Beschluss des Amtsgerichts W. vom 02.07.2013 über die endgültige Anordnung der Betreuung (Bl. 55/56
der LSG-Akte) sowie die Betreuerausweise des Amtsgerichts W. vom 03.07.2013 (Az.: XVII 112/13) vorgelegt, wonach sie berechtigt
sind, den Kläger im Rahmen seines Aufgabenkreises gerichtlich und außergerichtlich in allen Angelegenheiten zu vertreten (Bl.
46/47 der LSG-Akte).
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster
und zweiter Instanz, auf die beigezogene Akte der Staatsanwaltschaft H. sowie auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz ( SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten
ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG) ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat zu Recht den Bescheid der Beklagten vom 15.05.2013 "und" (gemeint in der Gestalt) den Widerspruchsbescheid vom 26.09.2013
aufgehoben, denn die Entscheidung der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der vom Kläger
am 22.01.2013 erlittene Verkehrsunfall war ein Arbeitsunfall.
Der Kläger hat seine Klage zulässig auf die Anfechtung der Entscheidung der Beklagten im Bescheid vom 15.05.2013 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2013 (§ 95 SGG) und die Feststellung des Eintritts eines Versicherungsfalles beschränkt. Die Zulässigkeit der mit der Anfechtungsklage nach
§ 54 Abs. 1 SGG verbundenen Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG steht in Fällen der vorliegenden Art, in denen allein die vom Versicherungsträger abgelehnte Feststellung des Vorliegens
eines Arbeitsunfalls als Versicherungsfall begehrt wird, die grundsätzliche prozessrechtliche Nachrangigkeit der Feststellungsklage
nicht entgegen (vgl. hierzu zuletzt BSG, Urteil vom 14.11.2013 - B 2 U 27/12 R = SozR 4-2700 § 8 Nr. 51 RdNr. 10 m.w.N.).
Nach § 8 Abs 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu den versicherten Tätigkeiten zählt gemäß § 8 Abs 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Unfälle sind nach § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung unmittelbar vor dem fraglichen Unfallereignis
den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "versichert" ist. Die Verrichtung muss ein
zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod
des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität;
vgl. BSG, Urteil vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 46, RdNr. 20; zuletzt BSG, Urteil vom 14.11.2013 - B 2 U 27/12 R = SozR 4-2700 § 8 Nr. 51 RdNr. 3 m.w.N.).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das hier allein als versicherte Tätigkeit in Betracht kommende Zurücklegen des mit
der Tätigkeit des Klägers als Beschäftigter zusammenhängenden Weges von dem Ort dieser nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Tätigkeit verursachte objektiv und rechtlich wesentlich den Autounfall am 22.01.2013 und die darauf zurückführenden
Verletzungen des Klägers, denn der Kläger befand sich unmittelbar vor dem Unfallereignis auf einem versicherten Weg von dem
Ort seiner Tätigkeit im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII. Dies hat das SG ausführlich und überzeugend in seinen Entscheidungsgründen dargelegt. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf
ausdrücklich Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).
Lediglich ergänzend und im Hinblick auf die Ermittlungen im Berufungsverfahren ist noch Folgendes auszuführen: Der Kläger
hat seine Heimfahrt am 22.01.2013 am Ort der nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Tätigkeit begonnen. Der Kläger war nämlich als versicherungspflichtiger Beschäftigter der Zeitarbeit GmbH, H.,
als Produktionsarbeiter am besagten Tag bei der (Entleiher-)Firma M. in M., F.-J. S.-Straße , tätig. Dies entnimmt der Senat
der Unfallanzeige der Arbeitgeberin vom 23.01.2013 und aus deren schriftlichen Auskunft vom 25.02.2013 gegenüber der Beklagten.
Darüber hinaus hat die Firma sowohl schriftlich als auch telefonisch der Beklagten gegenüber am 05.03.2013 bestätigt, dass
der Kläger am 22.01.2013 in einem Unternehmensteil der Betriebsstätte in Mannheim tätig war, wo sich auch sehr viel Ruß entwickelte.
Dies haben die frühere Arbeitgeberin (Auskunft vom 25.02.2013) und die Entleiherfirma (telefonische Auskunft vom 05.03.2013)
gegenüber der Beklagten bestätigt. Der Kläger war bis 14 Uhr in dem genannten Unternehmensteil beschäftigt. Dies ergibt sich
aus der von der Firma M. vorgelegten Zeitnachweisliste, wonach der Kläger um 5.58 Uhr seine Tätigkeit begann und um 14 Uhr
beendet hatte. Der Senat geht mit dem SG davon aus, dass der Kläger nach Beendigung seiner versicherten Tätigkeit noch duschte. Dabei stützt sich der Senat zum einen
auf die Auskunft der Arbeitgeberin des Klägers vom 25.02.2013 und zum anderen auf die Auskünfte der Firma M. vom 05.03.2013.
Im telefonischen Aktenvermerk vom 05.03.2013 über das Gespräch zwischen einem Mitarbeiter der Entleiherfirma und der Beklagten
wurde ausdrücklich festgehalten, dass aufgrund der starken Rußentwicklung nach Beendigung der Tätigkeit auf jeden Fall geduscht
werden müsse. In der schriftlichen Auskunft vom 05.03.2013 teilte die Firma dementsprechend mit, dass der Kläger wahrscheinlich
gegen 14.30 Uhr - nach dem Duschen - das Werk verlassen hat. Die von der Firma M. mitgeteilten Umstände sprechen zur Überzeugung
des Senats daher dafür, dass der Kläger das Betriebsgelände zwischen 14.30 Uhr und 14.45 Uhr mit seinem Auto verlassen hat.
Nach dem Verlassen der Arbeitsstätte befand sich der Kläger auf dem Heimweg zu seiner Wohnung (M.). Objektive Umstände, denen
Hinweise auf eine abweichende Handlungstendenz entnommen werden könnten, fehlen. Weder die Arbeitgeberin des Klägers noch
die Entleiherfirma haben Angaben gemacht, aus denen geschlossen werden könnte, dass der Kläger nach Beendigung seiner versicherten
Tätigkeit als Produktionsarbeiter einen anderen Weg als den nach Hause einschlagen wollte. Dagegen sprechen insbesondere auch
die Aussagen seiner Eltern, die ihn an dem Unfalltag zum Mittagessen erwartet hatten. So hat der Vater des Klägers bereits
am 31.01.2013 gegenüber der Beklagten angegeben, dass sich der Kläger auf der Heimfahrt befunden habe. Dies hat er auch gegenüber
der Arbeitgeberin des Klägers angegeben, was sich aus deren Auskunft vom 25.02.2013 ergibt. In der mündlichen Verhandlung
vom 30.04.2014 hatte er angegeben, dass am Unfalltag das Essen für den Kläger warm gehalten wurde und er (der Kläger) in der
Regel verlässlich gewesen sei, d.h. immer dann zum Essen nach Hause gekommen sei, wenn er es gesagt habe. Dies ergibt sich
für den Senat aus der Niederschrift des SG vom 30.04.2014. Danach hat der Vater des Klägers auch angegeben, dass an diesem Tag keine Anrufe von Freunden eingegangen
seien, die sich erkundigt hätten, warum der Kläger nicht zu einem vereinbarten Treffen gekommen sei. Auch im Erörterungstermin
vom 25.11.2014 haben die Eltern wiederholt, dass sich der Kläger zum Mittagessen angekündigt habe. Am Unfalltag habe er sich
- so die Auskunft seiner Eltern - nach seinem Schichtende auch telefonisch wegen des Mittagessens gemeldet, da er auch immer
wissen wollte, was es gibt (vgl. Niederschrift vom 25.11.2014, Bl. 244 der LSG-Akte). Aus den genannten Umständen und den
Aussagen der Eltern des Klägers, deren Wahrheitsgehalt weder von der Beklagten noch - mangels Anhaltspunkte - vom Senat bezweifelt
werden, ergibt sich für den Senat, dass der Kläger nach Verlassen der Arbeitsstätte den Heimweg mit seinem PKW angetreten
hat.
Bereits an dieser Stelle weist der Senat darauf hin, dass weitere Ermittlungen zur subjektiven Handlungstendenz des Klägers
nicht möglich sind. Denn der Kläger ist nicht vernehmungsfähig. Als Folge des am 22.01.2013 erlittenen Verkehrsunfalls leidet
er an einem appalischen Syndrom, was u.a. aus dem ärztlichen Befundbericht des Dr. P. vom 23.04.2013 folgt. Daraus ergibt
sich, dass bis auf minimale Reaktionen auf akustische oder Schmerzreize durch Blinzeln mit geschlossenen Augen bzw. Abwehr-
oder Fluchtreaktionen der rechten Hand bei Manipulation ist keine erkennbare Reaktionsfähigkeit des Klägers erhalten. Auch
die Eltern haben gegenüber dem Senat im Rahmen des Erörterungstermins vom 25.11.2014 bestätigt, dass eine Verständigung mit
dem Kläger nicht möglich ist (vgl. Niederschrift vom 25.11.2014, Bl. 43 der LSG-Akte). Aus diesem Grund wurde auch die Betreuung
durch die Eltern des Klägers endgültig angeordnet, was sich aus dem Beschluss des Amtsgerichts W. vom 02.07.2013 ergibt.
Zur Überzeugung des Senats bestehen im Wesentlichen zwei Verkehrsrouten, um von der Arbeitsstätte in M. nach M. zu gelangen,
nämlich eine Strecke unter Vermeidung von Autobahnen und eine Strecke unter Nutzung von Autobahnen. Der Senat stützt sich
hierbei auf die von dem Kläger im Klageverfahren vorgelegten Routenbeschreibungen des Navigationssystems Google-Maps (Bl.
31/32 der SG-Akte). Der Senat hat die vom Kläger vorgelegten Routenberechnungen auf der Internetseite www.google.de/maps überprüft. Gibt
man dort als Startpunkt "F.-J.-S.-Str., n" und als Zielpunkt "K.straße , M." ein, so werden die von dem Kläger vorgelegten
Routenverläufe (einmal unter Vermeidung von Autobahnen und einmal unter Nutzung von Autobahnen) angezeigt, sodass der Senat
keine Zweifel daran hat, dass es sich bei den genannten Routen um zwei grundsätzlich zulässige Varianten handelt. Die Variante
unter Nutzung der Autobahnen A 5 und A 6 ist ca. 39 km lang, so dass die Fahrzeit ungefähr 31 Minuten beträgt. Die Variante
unter Vermeidung der Autobahnen und unter Nutzung der Landstraßen ist ca. 35,5 km lang. Die hierfür benötigte Fahrzeit beträgt
ca. 40 Minuten. Auch dies entnimmt der Senat den im SG-Verfahren vorgelegten Routenbeschreibungen, die auch nach der Routenberechnung nach www.google.de/maps bestätigt wurden.
Der Senat geht in diesem Zusammenhang mit dem SG davon aus, dass der Kläger am Unfalltag die Variante über die Landstraßen gewählt hat, mithin den kürzesten Weg nach Hause.
Dies ergibt sich daraus, dass der Autounfall auf der L 7. stattfand. Der Senat stützt sich hierbei auf die Ermittlungen der
Staatsanwaltschaft H.. Nach der Verkehrsunfallanzeige des PK B. vom 22.01.2013 passierte der Verkehrsunfall auf der L 7. in
westlicher Richtung, wobei der Kläger ca. 50 Meter östlich der Einmündung D.-H.-Allee in Folge nicht angepasster Geschwindigkeit
ins Schleudern gekommen war. Dadurch drehte sich sein Fahrzeug und rutschte auf die Gegenfahrbahn, wo er nach etwa 65 Metern
nach Verlassens seiner Fahrbahn mit dem auf dem rechten der beiden Geradeausfahrstreifen entgegenkommenden LKW frontal mit
seiner Beifahrerseite zusammenstieß. Die in der Verkehrsunfallanzeige vom 22.01.2013 genannten Umstände zur Unfallzeit, dem
Unfallort und dem Unfallgeschehen wurden letztendlich auch von den von der Polizei vernommenen Zeugen und dem Gutachten des
Dipl.-Ing. H. vom 08.02.2013, welches im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden konnte, bestätigt. Darüber hinaus haben
die Eltern des Klägers angegeben, dass der Kläger die Variante über die Landstraße gewählt habe.
Der Kläger musste sich auch nicht für den schnellsten Weg nach Hause entscheiden, sondern konnte auch den kürzesten Weg wählen.
Denn dem Versicherten steht es grundsätzlich frei, sich im öffentlichen Verkehrsraum beliebig zu bewegen, wenn die Fortbewegung
nur nach seiner Handlungstendenz der Zurücklegung des Wegs von oder zum Ort der Tätigkeit zu dienen bestimmt ist (BSG, Urteil vom 04.07.2013 - B 2 U 12/12 R = SozR. 4-2700 § 8 Nr. 49 RdNr. 19; zur Wahlfreiheit im Hinblick auf den "unmittelbaren" Weg (vgl. auch BSG, Urteil vom 09.12.2003 - B 2 U 23/03 R = SozR. 4-2700 § 8 Nr. 3 RdNr. 24; Urteil vom 11.09.2001 - B 2 U 34/00 R = SozR. 3-2700 § 8 Nr. 9 RdNr. 18). Insofern passt auch der Unfallzeitpunkt (15.19 Uhr gemäß der Unfallanzeige des PK B.
vom 21.02.2013), also eine gute halbe Stunde nach Verlassen der Arbeitsstätte mit der laut Routenplaner für diesen Weg erforderlichen
Zeit überein.
Wie der Senat bereits festgestellt hat, kam es am 22.01.2013 gegen 15.19 Uhr auf der L 7. zu einem Verkehrsunfall, als der
Kläger wegen nicht angepasster Geschwindigkeit ins Schleudern kam und die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor, so dass er
auf die Gegenfahrbahn geriet und mit einem entgegen kommenden LKW frontal mit seiner Beifahrerseite zusammenstieß. Der genannte
Unfallhergang wurde auch durch den Sachverständigen H. in seinem Gutachten vom 08.02.2013 bestätigt. Insoweit nimmt der Senat
auch auf dessen Unfallskizze Bezug (Bl. 121 der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft H., Az.: 510 Js 5572/13). Zwar hat der von der Polizei vernommene Zeuge Dr. V. (vgl. 45/47 der genannten Ermittlungsakte) angegeben, dass der Kläger
mit "quietschenden Reifen Vollgas" gegeben habe, als die Ampel grün geworden sei, woraufhin auch der Sachverständige H. die
zu intensiv durchgeführte Beschleunigung als Unfallursache angesehen hat. Das BSG hat aber bereits klargestellt, dass ein den Unfall herbeiführendes unzureichendes ggf. sogar "verkehrswidriges", aber dennoch
versichertes Fahrverhalten ebenfalls Wirkursache für eine Realisierung einer geschützten "Wegegefahr" sein kann (BSG, Urteil vom 04.07.2013 - B 2 U 12/12 R = SozR. 4-2700 § 8 Nr. 49 RdNr. 20 m.w.N.). Auch eine überhöhte Geschwindigkeit kann danach als eigenständige Wirkursache
für einen Unfall festgestellt werden, die dann aber im Regelfall hinter der Wirkursache, sich auf dem Weg nach Hause zu befinden,
rechtlich zurückzutreten hat (BSG, a.a.O.). Dem entsprechend kann vorliegend nicht maßgeblich sein, dass der Kläger beim Anfahren zu intensiv beschleunigt
hat. Denn seine Handlungstendenz war zur Überzeugung des Senats ausschließlich darauf gerichtet, nach Hause zu gelangen.
An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass sich der Kläger zum Unfallzeitpunkt auf der L 7. in westlicher Richtung
und damit entgegengesetzt zur Richtung nach M. befand. Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass der innere Zusammenhang
mit der versicherten Tätigkeit durch den Richtungswechsel unterbrochen wurde. Denn ob die Verrichtung, bei der sich der Unfall
ereignet hat, zur versicherten Tätigkeit oder zur Privatsphäre gehört, beurteilt sich nach dem objektivierten Zweck des Handelns
(vgl. hierzu BSG, Urteil 17.02.2009 - B 2 U 26/07 R = SozR 4-2700 § 8 Nr. 32 RdNr. 17; Urteil vom 04.07.2013 - B 2 U 12/12 R, a.a.O., RdNr. 19; Urteil vom 04.07.2013 - B 2 U 3/13 R = SozR 4-2700 § 8 Nr. 50 RdNr. 13). Der Versicherungsschutz auf einem Weg zwischen Arbeitsstätte und Wohnung wird danach
unterbrochen, sobald der Versicherte seine Absicht, sich auf dem versicherten Weg nicht weiter fortbewegen zu wollen, nach
außen sichtbar (objektiv) dokumentiert. Die Unterbrechung dauert bis zu dem Zeitpunkt an, bis zu dem der Versicherte wiederum
nach außen dokumentiert, dass er sich wieder in Richtung seines ursprünglichen Ziels bewegen will und er den öffentlichen
Straßenraum wieder erreicht hat (vgl. hierzu ausführlich Schur/Spellbrink, SGb 2014, 589, 590). Auf den vorliegenden Fall angewandt bedeutet dies, dass eine Unterbrechung allenfalls im Wendevorgang gesehen werden
kann. Während des Wendens kam es jedoch nicht zu dem Unfall. Zu dem Unfall kam es erst, als der Kläger nach einem Halt an
einer Ampel zu intensiv beschleunigte, als er in westlicher Richtung die L 7. befuhr. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich aber
nach Überzeugung des Senats wieder auf dem Weg von der Arbeitsstelle nach Hause. Denn der Senat kann eine eigenmotivierte,
nach außen dokumentierte Wegeunterbrechung und damit auch eine nach außen hin dokumentierte Änderung der subjektiven Handlungstendenz
des Klägers nicht feststellen. Dass der Richtungswechsel nicht automatisch zum Verlust des Versicherungsschutzes in der Wegeunfallversicherung
führt, ergibt sich bereits unmittelbar aus der Rechtsprechung des BSG. Danach bewirkt ein Richtungswechsel innerhalb eines grundsätzlich versicherten Heimwegs nur dann eine deutliche Zäsur, wenn
der Richtungswechsel aus eigenmotivierten, d.h. aus privaten Gründen vollzogen worden ist, sodass ein sachlicher Zusammenhang
mit der an sich versicherten Tätigkeit (vgl. zum "sachlichen Zusammenhang" Becker, BG 2011, 462 ff, 463 f) dann nicht mehr
besteht (BSG, Urteil vom 19.03.1991 - 2 RO 45/90 = SozR 3-2200 § 548 Nr. 8 RdNr. 14, 15: "nur aus privaten Gründen"; Urteil vom 17.02.2009
- B 2 U 26/07 R = SozR 4-2700 § 8 Nr. 32 RdNr. 15, 17: "zur Regulierung des Verkehrsunfalls"). Eine solche Änderung der subjektiven Handlungstendenz,
die zu einer deutlichen Zäsur geführt hätte, kann der Senat nicht feststellen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger
aufgrund der Folgen des hier streitigen Verkehrsunfalls nicht vernehmungsfähig ist. Dies ergibt sich insbesondere aus dem
bereits genannten ärztlichen Befundbericht des Dr. P. vom 23.04.2013, den insoweit übereinstimmenden Aussagen der Eltern im
Erörterungstermin vom 25.11.2014 und letztlich auch aus der endgültigen Anordnung der Betreuung durch die Eltern (Beschluss
des Amtsgerichts W. vom 02.07.2013). Der Kläger leidet nämlich nach dem Verkehrsunfall, bei dem er sich ein Polytrauma mit
Schädel-Hirn-Trauma Grad III sowie mehrere Brüche zugezogen hat (vgl. Entlassungsbericht des Universitätsklinikums H. vom
29.01.2013 und Durchgangsarztbericht des Prof. Dr. S. vom 06.02.2013) an einem apallischen Syndrom, sodass bis auf das Blinzeln
mit geschlossenen Augen keine weitere erkennbare Reaktionsfähigkeit mehr vorhanden ist (ärztlicher Befundbericht des Dr. P.
vom 23.04.2013). Da der Kläger mithin nicht mehr in der Lage ist, im Hinblick auf seine Handlungstendenz am 22.01.2013 an
einer entsprechenden Aufklärung mitzuwirken, muss dies der Senat bei der Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen
entsprechend berücksichtigen, d.h. es sind umso mehr alle Anhaltspunkte aufzuklären, die geeignet sein können, wenigstens
mittelbare Hinweise auf die unerforschten Tatsachen zu geben (BSG, Urteil vom 12.06.1990 - 2 RU 58/89 = HV-Info 1990, 2064; Keller in: Hauck/Noftz, § 8 SGB VII, RdNr. 335 a, Stand Januar 2013). Insbesondere bei einer unfallbedingten Erinnerungslücke des Verletzten sind danach die
Grundsätze zum Beweisnotstand zu berücksichtigen (BSG, a.a.O.). Danach kann eine Beweiserleichterung der Gestalt gewährt werden, dass an die Bildung der richterlichen Überzeugung
weniger hohe Anforderungen gestellt werden. Das bedeutet praktisch, dass das Tatsachengericht schon aufgrund weniger tatsächlicher
Anhaltspunkte von einem bestimmten Geschehensablauf überzeugt sein kann. Da der Kläger - wie bereits dargelegt - vorliegend
nicht mehr vernommen werden kann, ist der hier zu entscheidende Fall mit dem vom BSG entschiedenen Sachverhalt einer unfallbedingten Erinnerungslücke vergleichbar.
Vor diesem Hintergrund hat der Senat eine schriftliche Auskunft bei der Polizei W. eingeholt, um den Sachverhalt weiter aufzuklären.
PK . der den Unfall am 22.01.2013 aufgenommen hat, hat in seiner schriftlichen Auskunft vom 20.08.2014 angegeben, dass zwar
Verkehrsstauungen an der Unfallörtlichkeit zum Unfallzeitpunkt laut Aussagen der Zeugen und Beteiligten und nach seinen Kenntnisstand
nicht vorgelegen hätten. Insgesamt sei die L 7. in diesem Bereich aber generell stark verkehrsbelastet. Zu Stoßzeiten und
durch die zahlreichen Einmündungen aus den angrenzenden Gewerbegebieten und den damit verbundenen Verkehrsströmen der dort
Beschäftigten komme es zu dieser starken Verkehrsbelastung. Dass zur Unfallzeit ein erhöhtes Verkehrsaufkommen mit Staulagen
bestanden habe, habe er aber nicht feststellen können. Der Senat geht aufgrund dieser Auskunft davon aus, dass die Ausführungen
der Klägerseite, wonach es auf der L 7. insbesondere im Bereich der D.-H.-Allee immer wieder nachmittags zu stauähnlichen
Situationen kommt, letztlich bestätigt wurde. Denn PK B. hat ausdrücklich angegeben, dass die L 7. in diesem Bereich generell
stark verkehrsbelastet ist und hat hierbei ausdrücklich auf die Einmündungen der angrenzenden Gewerbegebiete und die damit
verbundenen Verkehrsströme der dort Beschäftigten hingewiesen. Dass am Unfalltag zur Unfallzeit kein konkreter Stau gemeldet
wurde oder von PK B. festgestellt wurde, führt nicht dazu, dass vorliegend der Versicherungsschutz unterbrochen ist, da dem
Kläger ein solcher Nachweis nicht gelungen ist. Unter Berücksichtigung der bereits genannten Rechtsprechung des BSG zur "unfallbedingen Erinnerungslücke" (BSG, a.a.O.) geht der Senat davon aus, dass vorliegend die Grundsätze der Beweiserleichterung zu berücksichtigen sind. Danach
kann der Senat schon aufgrund weniger tatsächlicher Anhaltspunkte von einem bestimmten Geschehensablauf überzeugt sein. Dies
ist vorliegend der Fall. Denn es ist - wie das SG auch zutreffend ausgeführt hat - allgemein bekannt, dass nicht jede Staulage der Polizei gemeldet wird. Darüber hinaus hat
PK B. den Vortrag des Klägers bestätigt, dass die L 7. in diesem Bereich generell stark verkehrsbelastet ist. Im Übrigen hat
auch die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid vom 26.09.2013 die Ausführungen des Klägers zum üblichen Verkehrsaufkommen
und einer damit eventuell erforderlichen Umfahrung des Staus ausdrücklich nicht in Abrede gestellt. Von daher ist davon auszugehen,
dass alle Beteiligten davon ausgehen, dass es zu Stoßzeiten auf der L 7. zu stauähnlichen Situationen kommen kann, die eine
Umfahrung erforderlich machen. Vor diesem Hintergrund genügen dem Senat die ermittelten Anhaltspunkte, nämlich die im Hinblick
auf die Entfernung von der Arbeitsstätte schlüssige Unfallzeit (ca. 30 bis 40 Minuten nach Verlassen der Arbeitsstätte), die
Auskunft des PK B. hinsichtlich der generellen Verkehrsbelastung, die Aussagen der Beteiligten während des Verfahrens zur
Verkehrsbelastung auf der L 7., der Umstand, dass er zum Mittagessen erwartet wurde und der Umstand, dass sich der Kläger
zum Unfallzeitpunkt in Richtung A 5 fortbewegte (und es sich hierbei um eine zulässige Alternativroute handelte), für die
Überzeugung, dass sich der Kläger kurz vor dem Unfallzeitpunkt wieder auf dem versicherten Heimweg befand. Eine den Versicherungsschutz
unterbrechende Zäsur kann der Senat mithin nicht feststellen.
Soweit die Beklagte (erstmals) im Berufungsverfahren geltend macht, es habe auch noch eine weitere Routenoption über die B
3 bestanden, so führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn der Kläger kann, wie der Senat bereits dargelegt hat, seine Fahrstrecke
frei wählen. Wie der Senat weiter dargelegt hat, stellten beide Verkehrsrouten (über die A5 und A6 sowie über die Landstraße
L 7.) zulässige Wege dar. Dass es möglicherweise noch andere Routen geben hat, ändert nichts an dem Umstand, dass sich der
Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls auf einem in der Wegeunfallversicherung versicherten Nachhauseweg befunden hat.
Der notwendige sachliche Zusammenhang der unfallbegründenden Versichertenfortbewegung als Nachbereitungshandlung mit der nach
§ 2 SGB VII versicherten Tätigkeit ist damit ebenso gegeben wie die Unfallverursachung und die Realisierung der von der Wegeunfallversicherung
umfassten Gefahr gerade durch die versicherte Verrichtung (vgl. BSG, Urteil vom 14.11.2013 B 2 U 27/12 R = SozR 4-2700 § 8 Nr. 51 RdNr. 16 m.w.N.). Durch den Unfall vom 22.01.2013 hat der Kläger auch - wie bereits dargelegt -
einen Gesundheitserstschaden erlitten.
Die Berufung der Beklagten war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
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