Statthaftigkeit der Berufung im sozialgerichtlichen Verfahren bei offensichtlich missbräuchlichen Forderungen
Eine offensichtlich missbräuchliche, nicht ansatzweise hinsichtlich der Höhe begründete Forderung kann die Statthaftigkeit
einer Berufung nicht begründen.
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine oder mehrere Rechtsfragen aufwirft, die - über den
Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts im allgemeinen Interesse einer Klärung durch
das Berufungsgericht bedürftig und fähig sind.
2. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts unter Berücksichtigung der (höchstrichterlichen) Rechtsprechung,
gegebenenfalls sogar des Schrifttums, angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind,
weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und das
angestrebte Berufungsverfahren eine Klärung erwarten lässt.
3. Geht es um bereits geklärte Rechtsfragen, so ist darzulegen, aus welchen erheblichen Gründen sich die Notwendigkeit einer
Überprüfung der bereits vorliegenden Rechtsprechung ergibt; dies ist etwa dann der Fall, wenn dieser Rechtsprechung in nicht
nur geringfügigen Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden.
Gründe
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe (SG) vom 7.6.2016 hat keinen Erfolg. Sie ist zwar form- und fristgerecht (§
145 Abs.
1 Satz 2
SGG) eingelegt worden aber in der Sache unbegründet, da die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nicht vorliegen.
Gemäß §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts
(LSG), wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten
Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt und es sich nicht um laufende Leistungen für mehr als ein Jahr handelt.
Vorliegend macht der Kläger mit Antrag vom 6.8.2015 nachträglich Kosten für seinen Umzug von Weil der Stadt nach Rastatt zum
1.6.2014 geltend. Es handelt sich mithin nicht um Leistungen für mehr als ein Jahr. Ungeachtet dessen, dass der Kläger mit
der Klage vor dem SG einen Betrag hierfür von 850 EUR geltend gemacht hat, seinen Antrag auch in der mündlichen Verhandlung vom 7.6.2016 vor dem
SG trotz anderslautendem Hinweis des Vorsitzenden aufrecht erhalten hat und entsprechend der Rechtsmittelbelehrung im Urteil
des SG mit der Nichtzulassungsbeschwerde die Zulassung der vom SG nicht zugelassenen Berufung erstrebt, wird vorliegend die Berufungssumme von 750 EUR nicht überschritten. Die Beschwerde
gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des SG ist der statthafte Rechtsbehelf.
Der gesamte Ablauf im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren belegt, dass es sich bei dem Betrag von 850 EUR lediglich um einen
aus der Luft gegriffenen Betrag handelt, der jeder sachlichen Grundlage entbehrt. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat
auf entsprechende Aufforderungen sowohl im Verwaltungsverfahren durch den Beklagten als auch im SG-Verfahren durch den Vorsitzenden die Art der Aufwendungen im Wesentlichen gleich benannt, nämlich Mietwagen, Helfer, Sprit,
Verpflegung und Umzugsmaterial. Im Verwaltungsverfahren hat er dafür einen als entgegenkommend bezeichneten Pauschalbetrag
von 600 EUR gefordert, ohne die angefallenen Kosten - bis auf den Mietwagen - näher der Höhe nach zu benennen. Den dann vor
dem SG geforderten Betrag von 850 EUR hat er in keinster Weise schlüssig gemacht. So hat er auf Aufforderung im SG-Verfahren mit Schriftsatz vom 18.2.2016 die für die einzelnen Posten angefallenen Kosten zwar näher aufgeschlüsselt - Mietwagen
179,23 EUR, 60 EUR Umzugsmaterial, 40 EUR Benzin, 240 EUR für Helfer, 30 EUR Benzingeld für Bruder, 80 EUR Bewirtung - , damit
in der Summe die Umzugskosten jedoch lediglich mit 629,23 EUR angegeben. Zutreffend geht das SG im Urteil vom 7.6.2016 unter Hinweis auf den Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichts vom 15.10.2015 ( L 7 AS 709/15) daher davon aus, dass in diesem Fall der Klagantrag nur mit dem Ziel höher angesetzt worden ist, um die Berufungssumme zu
überschreiten, der Betrag von 850 EUR jedoch jeder sachlichen Grundlage entbehrt. Für die Zulässigkeit der Berufung ist allein
von Belang, was der Rechtsmittelkläger als sachlich verfolgtes Prozessziel anstrebt, was er unter den gegebenen Umständen
allenfalls wollen kann. Maßgebend ist der materielle Kern des gerichtlichen Verfahrens. Die Statthaftigkeit der Berufung darf
nicht dem Belieben, der Willkür des Rechtsmittelklägers ausgeliefert sein (BSG, Urteil vom 5.3.1980 - 9 RV 44/78, [...] Rn. 14; Urteil vom 26.10.1983 - 9b RU 46/83, [...] Rn. 10). Von daher liegt der Beschwerdewert unter 750 EUR und die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung
im Urteil des SG ist der statthafte Rechtsbehelf.
Da das SG die Berufung im Urteil nicht zugelassen hat, bedarf die Berufung der Zulassung durch Beschluss des LSG (§
144 Abs.
1 Satz 1
SGG). Nach §
144 Abs.
2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des
LSG, Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf
dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht
wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Keine dieser Voraussetzungen liegt vor. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch weicht das Urteil des SG vom 7.6.2016 von Entscheidungen des LSG, des BSG, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG ab, noch liegt ein der Beurteilung des Berufungsgerichts
unterliegender Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine oder mehrere Rechtsfragen aufwirft, die - über den Einzelfall
hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts im allgemeinen Interesse einer Klärung durch das Berufungsgericht
bedürftig und fähig sind. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts unter Berücksichtigung der (höchstrichterlichen)
Rechtsprechung, gegebenenfalls sogar des Schrifttums, angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese Rechtsfragen noch nicht
geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich
ist, und das angestrebte Berufungsverfahren eine Klärung erwarten lässt (s. hierzu Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl., § 144 Rn. 28 u. § 160 Rn. 6; s. u.a. BSG SozR 1500 § 160a Nr. 60 und SozR 3-1500 § 160 a Nr. 16). Geht es um bereits geklärte Rechtsfragen, so ist darzulegen, aus welchen erheblichen Gründen sich die Notwendigkeit
einer Überprüfung der bereits vorliegenden Rechtsprechung ergibt; dies ist etwa dann der Fall, wenn dieser Rechtsprechung
in nicht nur geringfügigen Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht
werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr. 13). Der Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, aufzeigen: (1) eine konkrete Rechtsfrage,
(2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie (4)
die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sogenannte Breitenwirkung). Eine klärungsbedürftige
Rechtsfrage in diesem Sinne hat der Kläger im Hinblick auf den Streitgegenstand bereits nicht aufgeworfen, weil er sich in
der Sache mit dem Urteil nicht auseinandergesetzt hat.
Darüber hinaus liegt auch eine Divergenz im Sinne des §
144 Abs.
2 Nr.
2 SGG nicht vor. Eine solche Divergenz ist anzunehmen, wenn tragfähige abstrakte Rechtssätze, die einer Entscheidung des SG zugrunde liegen, mit denjenigen eines der in §
144 Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten Gerichte nicht übereinstimmen. Das SG muss seiner Entscheidung also einen Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit der Rechtsprechung jener Gerichte nicht übereinstimmt
(vgl. hierzu Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 160 Rdnr. 13 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung zur Frage der Revisionszulassung).
Einen Rechtssatz in diesem Sinn hat das SG in seinem Urteil vom 7.6.2016 nicht aufgestellt, so dass eine Divergenz nicht in Betracht kommt.
Ebenso wenig liegt ein Verfahrensmangel vor. Ein Verfahrensmangel im Sinne von §
144 Abs.
2 Nr.
3 SGG muss geltend gemacht werden und die Entscheidung muss auf ihm beruhen können. Der Verfahrensmangel muss außerdem der Beurteilung
des LSG unterliegen, das bedeutet, das LSG muss ihn prüfen können. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift,
die das sozialgerichtliche Verfahren (nicht das Widerspruchsverfahren und nicht das Verwaltungsverfahren) regelt. Der Mangel
bezieht sich nicht auf den sachlichen Inhalt, es geht insoweit nicht um die Richtigkeit der Entscheidung, sondern um das prozessuale
Vorgehen des Gerichts auf dem Wege zum Urteil oder die Zulässigkeit des Urteils (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage, §
144 Rn. 32 m.w.N.). Einen Verfahrensmangel hat der Kläger nicht geltend gemacht.
Gründe für die Zulassung der Berufung liegen daher nicht vor.
Mit der Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde wird das Urteil des Sozialgerichts rechtskräftig (§
145 Abs.
4 Satz 4
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).