Gründe
1. Die am 15. Oktober 2020 beim Sozialgericht Mannheim (SG) zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers gegen den
Beschluss des SG vom 14. September 2020 ist zulässig, insbesondere ist sie nicht gemäß §§
172 Abs.
3 Nr.
1,
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ausgeschlossen. Denn das Begehren des Antragstellers, die Antragsgegnerin vorläufig zur Auszahlung des Entlastungsbetrages
in monatlicher Höhe von 125,00 EUR seit April 2020 zu verpflichten, überstieg bereits im Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung
den Beschwerdewert von 750,00 EUR.
2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das SG hat den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.
a) Nach §
86b Abs.
2 Satz 1
SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit - wie hier - nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug
auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung
eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur
Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG in Betracht.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache
sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch)
und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i. V. m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache können auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt
werden, solange jedenfalls nicht schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die
durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären (Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 -
1 BvR 569/05 - juris, Rn. 23 ff.; 25. Februar 2009 - 1 BvR 120/09 - juris, Rn. 11; 4. Juni 2020 - 1 BvR 2846/16 - juris, Rn. 10). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt
der gerichtlichen Entscheidung.
b) Bei Berücksichtigung dieser Maßstäbe liegt bereits kein Anordnungsanspruch i.S.e. materiell-rechtlichen Leistungsanspruches
vor. Dabei steht aufgrund des bestandskräftig gewordenen Bescheides der Antragsgegnerin vom 20. November 2019 zwischen den
Beteiligten bindend fest, dass der Antragsteller ab dem 1. Oktober 2019 Anspruch auf Leistungen zumindest nach Pflegegrad
2 hat und ihm damit auch der Entlastungsbetrag nach §
45b Elftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB XI) dem Grunde nach zusteht. Die begehrten Kosten für die vom Antragsteller ab April 2020 in Anspruch genommenen Hilfeleistungen
sind jedoch nicht im Rahmen des Entlastungsbetrages erstattungsfähig.
aa) Nach §
45b Abs.
1 SGB XI haben Pflegebedürftige in häuslicher Pflege Anspruch auf einen Entlastungsbetrag in Höhe von bis zu 125,00 EUR monatlich.
Der Betrag ist zweckgebunden einzusetzen für qualitätsgesicherte Leistungen zur Entlastung pflegender Angehöriger und vergleichbar
Nahestehender in ihrer Eigenschaft als Pflegende sowie zur Förderung der Selbständigkeit und Selbstbestimmtheit der Pflegebedürftigen
bei der Gestaltung ihres Alltags. Er dient der Erstattung von Aufwendungen, die den Versicherten entstehen im Zusammenhang
mit der Inanspruchnahme von 1. Leistungen der Tages- oder Nachtpflege, 2. Leistungen der Kurzzeitpflege, 3. Leistungen der
ambulanten Pflegedienste im Sinne des §
36 SGB XI, in den Pflegegraden 2 bis 5 jedoch nicht von Leistungen im Bereich der Selbstversorgung, 4. Leistungen der nach Landesrecht
anerkannten Angebote zur Unterstützung im Alltag im Sinne des §
45a SGB XI. Der Anspruch auf den Entlastungsbetrag entsteht nach §
45b Abs.
2 SGB XI, sobald die in Absatz
1 Satz 1 genannten Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, ohne dass es einer vorherigen Antragstellung bedarf.
Nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des §
45b Abs.
1 Satz 2
SGB XI ist der Betrag zweckgebunden einzusetzen für die in Satz 3 genannten qualitätsgesicherten zusätzlichen Betreuungsleistungen
(zum Ganzen Senatsurteil vom 18. Mai 2020 - L 4 P 561/19 - nicht veröffentlicht, m.w.N.). Diese Aufzählung ist nach der amtlichen Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung
der Leistungen bei häuslicher Pflege von Pflegebedürftigen mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf (Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz
- PflEG), in dessen Folge §
45b SGB XI eingeführt wurde, abschließend (BT-Drucks. 14/6949 S. 10, 15; Linke, in: Krauskopf,
SGB XI, Stand Oktober 2018, §
45b Rn. 8; Koch, in: Kasseler Kommentar,
SGB XI, Stand Juli 2020, §
45b Rn. 8 f.). Ausdrücklich sollte eine pauschale Pflegegelderhöhung verhindert werden, die nicht die gewünschten infrastrukturfördernden
Effekte bedingte. Die knappen Finanzmittel der Pflegeversicherung sollten nur für qualitätsgesicherte Betreuungsangebote eingesetzt
werden, die gleichzeitig infrastrukturprägende Wirkungen haben. Das Konzept an Leistungsverbesserungen dürfe nicht den Charakter
eines bloßen Geldhingabemodells aufweisen (BT-Drucks. 14/6949 S. 9, 10).
Die vorliegend geltend gemachten haushaltsnahen Dienstleistungen (Einkaufen, Putzen, Botengänge, Abfallentsorgung) sind nur
unter den Voraussetzungen des §
45a Abs.
1 Satz 2 Nr.
3 SGB XI erstattungsfähig. Danach sind Angebote zur Unterstützung im Alltag u.a. Angebote, die dazu dienen, die Pflegebedürftigen
bei der Bewältigung von allgemeinen oder pflegebedingten Anforderungen des Alltags oder im Haushalt, insbesondere bei der
Haushaltsführung, oder bei der eigenverantwortlichen Organisation individuell benötigter Hilfeleistungen zu unterstützen (Angebote
zur Entlastung im Alltag). Nach §
45a Abs.
1 Satz 3, Abs.
3 SGB XI benötigen diese Angebote eine Anerkennung durch die zuständige Behörde nach Maßgabe des Landesrechts.
Nach den vorgelegten Rechnungen und Quittungen wurden die Hilfeleistungen durch verschiedene Privatpersonen erbracht. Dies
gilt auch für die Hilfeleistungen ab Juli 2020 durch Frau I. W. (im Folgenden IW). So hat der Antragsteller selbst vorgetragen,
diese nunmehr privat in Anspruch zu nehmen und nicht mehr - wie zu Beginn des Jahres - im Rahmen der Nachbarschaftshilfe der
Diakonie Sozialstation M. Bei diesen Hilfeleistungen durch Privatpersonen handelt es sich somit nicht um durch einen Stadt-
oder Landkreis (§ 4 Abs. 1 der Verordnung der Landesregierung über die Anerkennung der Angebote zur Unterstützung im Alltag
nach §
45a Absatz
3 SGB XI, zur Förderung ehrenamtlicher Strukturen und Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen und Versorgungskonzepte nach §
45c Absatz
7 SGB XI sowie über die Förderung der Selbsthilfe nach §
45d SGB XI [Unterstützungsangebote-Verordnung - UstA-VO] vom 17. Januar 2017, GBl. 2017, 49) anerkanntes Angebot (vgl. §
45a Abs.
1 Satz 3, Abs.
3 SGB XI i.V.m. §§
6 Abs.
2,
10 UstA-VO). Eine solche Anerkennung hat der Antragsteller selbst nicht behauptet. Sie kommt vorliegend auch nicht in Betracht.
Denn die Anerkennung von Einzelpersonen ist ausgeschlossen (§10 Abs. 4 UstA-VO). Dies entspricht dem Zweck der Regelungen
der §§ 45a und b
SGB XI, die gewünschten infrastrukturfördernden Effekte zu erzielen. Auf die Frage der Qualifikation der IW kommt es daher nicht
an.
bb) Ein materiell-rechtlicher Anspruch ergibt sich auch nicht aus §
150 SGB XI.
(1) §
150 SGB XI wurde mit Wirkung vom 28. März 2020 neu eingefügt (Art. 4 Nr. 6 des Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen
[COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz - COVKHEntlG] vom 27. März 2020, BGBl. I, S. 580) und durch Art. 5 Nr. 4 des Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite
vom 19. Mai 2020 (BGBl. I, S. 1018) u.a. um die Absätze 5a bis 5d ergänzt. Die zunächst bis 30. September 2020 befristete Regelung wurde durch Art. 5 Nr. 3
des Gesetzes für ein Zukunftsprogramm Krankenhäuser (Krankenhauszukunftsgesetz - KHZG) vom 23. Oktober 2020 (BGBl. I, S. 2208) m.W.v. 1. Oktober 2020 bis zum 31. Dezember 2020 verlängert, ist also vorliegend anwendbar.
(2) Nach §
150 Abs.
5b Satz 1
SGB XI können Pflegebedürftige des Pflegegrades 1 den Entlastungsbetrag abweichend von §
45b Abs.
1 Satz 3
SGB XI auch für die Inanspruchnahme anderer Hilfen im Wege der Kostenerstattung einsetzen, wenn dies zur Überwindung von infolge
des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Versorgungsengpässen erforderlich ist. Nach dem ausdrücklichen gesetzlichen
Wortlaut gilt diese Regelung nicht für Pflegebedürftige des Pflegegrades 2 und höher, wie den Antragsteller. Denn für diesen
Personenkreis wurde bereits durch §
150 Abs.
5 SGB XI eine Sonderregelung zur Kostenerstattung geschaffen (amtl. Begr. zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung
bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, BT-Drucks. 19/18967, S. 73 zu Absatz 5b).
(3) Nach §
150 Abs.
5 SGB XI können die Pflegekassen nach ihrem Ermessen zur Vermeidung von durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 im Einzelfall im
häuslichen Bereich verursachten pflegerischen Versorgungsengpässen Kostenerstattung in Höhe der ambulanten Sachleistungsbeträge
(§ 36) nach vorheriger Antragstellung gewähren, wenn die Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 3 nicht ausreichend sind; dabei haben
sie vorrangig Leistungserbringer zu berücksichtigen, die von Pflegefachkräften geleitet werden. Entsprechende Kostenerstattungszusagen
sind jeweils auf bis zu drei Monate zu begrenzen.
Durch das Corona-Virus verursachte pflegerische Versorgungsengpässe für den vorliegend geltend gemachten Hilfebedarf sind
aber derzeit nicht ersichtlich und werden vom Antragsteller weder behauptet noch substantiiert dargelegt. Zwar wurden die
erbrachten Hilfen in den Quittungen für April und Mai 2020 als "Haushalt-Corona-Hilfe" bezeichnet. Hieraus ergeben sich aber
keine Hinweise auf das tatsächliche Bestehen eines pflegerischen Versorgungsengpasses. Die für den Zeitraum ab Juni 2020 vorgelegten
Rechnungen und Quittungen enthalten eine solche Bezeichnung bereits nicht mehr. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass und
weshalb die Hilfeleistung nicht weiterhin durch die zuvor eingeschaltete Sozialstation erbracht werden könnte. Der Antragsteller
hatte vielmehr die ursprünglich am 3. März 2020 erklärte Abtretung seines Anspruches auf den Entlastungsbetrag an die Sozialstation
mit Schreiben vom 9. Juli 2020 ohne Angabe von Gründen widerrufen. Gleiches gilt für seine den Widerruf bestätigende E-Mail
vom 17. Juli 2020. Die Sozialstation teilte der Antragsgegnerin auch nicht mit, dass sie die Hilfen wegen eines coronabedingten
Versorgungsengpasses nicht länger erbringen könne. Erst dann, wenn eine Versorgung des Pflegebedürftigen durch ein - vom Stadt-
oder Landkreis (§ 4 Abs. 1 UstA-VO) - anerkanntes Angebot wegen der Corona-Pandemie nicht mehr möglich ist, kommt für die
Versorgung des Pflegebedürftigen auch eine Person ohne Qualifikation aus dem Gesundheits- und Sozialbereich, z.B. ein Nachbar,
in Betracht (vgl. Bockholdt/Lungstras/Schmidt, NZS 2020, 324, 331). Dabei knüpft das Gesetz die Versorgung durch nicht anerkannte Angebote an die Bedingung, dass allein die Corona-Pandemie
die Ursache für den eingetretenen pflegerischen Notstand ist (vgl. Abs. 5 Satz 1: "[ ] von durch das neuartige Coronavirus
SARS-CoV-2 im Einzelfall im häuslichen Bereich verursachten [ ]"). Ein durch das Corona-Virus verursachter pflegerischer Versorgungsengpass
wurde aber weder vom Antragsteller behauptet noch liegen entsprechende Anhaltspunkte im konkreten Einzelfall hierfür vor.
Es bedarf daher keiner Prüfung, ob und gegebenenfalls inwieweit der den Pflegekassen durch §
150 Abs.
5 SGB XI eingeräumte weite Gestaltungsspielraum (amtl. Begr. zum Entwurf des COVKHEntlG, BT-Drucks. 19/18112, S. 42 zu Absatz 5: "Den
Pflegekassen wird ein weiter Gestaltungsspielraum [ ] eingeräumt Sodann ist auf andere Leistungserbringer, wie Betreuungsdienste,
andere medizinische Leistungserbringer und zuletzt auf Nachbarinnen und Nachbarn zurück zu greifen."; s. auch Klein, in: Schlegel/Voelzke,
jurisPK-
SGB XI, Stand November 2020, §
150 SGB XI, Rn. 33) im vorliegenden Fall auf eine konkrete Leistung reduziert sein könnte.
c) Einen Anordnungsgrund i.S.e. besonderen Eilbedürftigkeit hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Der Senat nimmt
insoweit nach eigener Prüfung auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Beschluss Bezug (§
142 Abs.
2 Satz 3
SGG). Trotz des Hinweises im angefochtenen Beschluss hat der Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren keine Angaben zu seinen
Vermögensverhältnissen gemacht. Soweit der Antragsteller die Gewährung des Entlastungsbetrags für einen bei Stellung des Antrags
auf einstweiligen Rechtsschutz bereits in der Vergangenheit liegenden, abgeschlossenen Zeitraum begehrt, hat das SG zutreffend dargelegt, dass und aus welchen Gründen grundsätzlich durch Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keine Leistungen
für einen Zeitpunkt erstritten werden können, der vor der Erhebung des Antrags bei Gericht liegt. Der Antragsteller hat auch
nicht glaubhaft gemacht, dass eine in der Vergangenheit eingetretene Notlage noch in die Gegenwart hineinwirkt, dass also
fehlende oder unzulängliche Leistungen in der Vergangenheit wirtschaftliche Auswirkungen in der Gegenwart zeitigen.
3. Die Kostenerstattung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs.
1 und 4
SGG.
4. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§
177 SGG).