Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld nach dem SGB XI in der sozialen Pflegeversicherung
Zuwachs eines noch nicht erfüllten Anspruchs auf Pflegegeld nach dem Tod eines vorrangigen Sonderrechtsnachfolgers auf den
nächstrangig Begünstigten
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe III für die Zeit vom 1. August 2015 bis 31. Dezember
2016 sowie nach Pflegegrad 5 für die Zeit vom 1. Januar 2017 bis 2. März 2018.
Die im Jahr 1939 geborene und am 2. März 2018 gestorbene B. Sch. (im Folgenden: Versicherte) war bei der Beklagten sozial
pflegeversichert. Die Beklagte gewährte ihr ab 1. September 2014 Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach Pflegestufe
II. Grundlage dafür war das Gutachten der für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) tätigen
Pflegefachkraft Br. vom 13. Februar 2015, die nach Befragung und Beobachtung der Versicherten in ihrem Wohnbereich am 6. Februar
2015 einen Hilfebedarf in der Grundpflege von täglich 157 Minuten (87 Minuten für Körperpflege, elf Minuten für Ernährung,
59 Minuten für Mobilität) und in der hauswirtschaftlichen Versorgung von täglich 60 Minuten ermittelte. Als pflegebegründende
Diagnosen wurden ein Selbstversorgungsdefizit bei fortschreitender demenzieller Entwicklung, Mobilitätseinschränkungen mit
Gangunsicherheiten und Sturzgefahr sowie eine Blasenschwäche festgestellt.
Am 12. August 2015 teilte der Kläger zu 1 als bevollmächtigter Sohn der Versicherten der Beklagten mit, dass sich der gesundheitliche
Zustand seiner Mutter immer weiter verschlechtere, und beantragte die Höherstufung in Pflegestufe III. In dem daraufhin übermittelten
Antragsformular kreuzte er als Antragsgegenstand "Geldleistungen" und "Leistungen wegen erheblich eingeschränkter Alltagsfähigkeiten
(z.B. Demenz)" an. Im Auftrag der Beklagten ermittelte die für den MDK tätige Pflegefachkraft K. auf Grundlage der Befragung
und Beobachtung der Versicherten in ihrem Wohnbereich am 14. Oktober 2015 im Gutachten vom selben Tag einen zeitlichen Hilfebedarf
von täglich 176 Minuten in der Grundpflege (93 Minuten für Körperpflege, 37 Minuten für Ernährung, 46 Minuten für Mobilität)
sowie von täglich 60 Minuten für hauswirtschaftliche Verrichtungen. Pflegebegründende Diagnosen seien Mobilitätseinschränkungen
bei beidseitiger Gon- und Coxarthrose, rezidivierender Schwindel mit Fallneigung sowie nachlassende kognitive Fähigkeiten
mit halluzinatorischem Erleben und nächtlicher Unruhe.
Mit Bescheid vom 16. Oktober 2015 teilte die Beklagte der Versicherten mit, dass Leistungen nach Pflegestufe III einen durchschnittlichen
täglichen Zeitaufwand von mindestens fünf Stunden voraussetzten, wobei mindestens vier Stunden auf die Grundpflege entfallen
müssten. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt, da der zeitliche Hilfebedarf für die Grundpflege ausweislich des MDK-Gutachtens
unter vier Stunden täglich liege. Deshalb könnten keine höheren Pflegeleistungen gezahlt werden.
Hiergegen legte der Kläger zu 1 am 4. November 2015 Widerspruch ein. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Hilfebedarf in der
Grundpflege, insbesondere bei der Mobilität, und der ständige Hilfebedarf bei der Betreuung sei nicht ausreichend berücksichtigt
worden. Die Versicherte benötige Hilfe rund um die Uhr. Die Beklagte beauftragte daraufhin den MDK, ein Gutachten zur Feststellung
der Pflegebedürftigkeit zu erstatten. Die Pflegefachkraft S. ermittelte auf Grundlage der Befragung und Beobachtung der Versicherten
in ihrem Wohnbereich am 9. Dezember 2015 im Gutachten vom selben Tag einen Hilfebedarf von täglich 187 Minuten in der Grundpflege
(105 Minuten für Körperpflege, 35 Minuten für Ernährung, 47 Minuten für Mobilität) sowie von 60 Minuten für die hauswirtschaftliche
Versorgung. Pflegebegründende Diagnosen seien ein ausgeprägtes Selbstpflegedefizit bei fortgeschrittener Demenz mit nächtlicher
Unruhe und Halluzinationen, eingeschränkte Mobilität aufgrund beidseitiger schmerzhafter Hüft- und Kniegelenksarthrose, Schmerzen
im LWS-Bereich und im rechten Oberarm sowie eine Blasen- und Darmschwäche. Der Kläger zu 1 wandte hiergegen mit Schreiben
vom 27. Dezember 2015 ein, es seien pflegeerschwerende Faktoren wie Körpergewicht und Demenz der Versicherten nicht berücksichtigt
worden. Die Gutachter seien zu unterschiedlichen zeitlichen Hilfebedarfen gelangt. Alle Zeitbemessungsangaben seien zu niedrig
angesetzt und nicht realitätsgerecht. Zu Unrecht seien das Duschen, Rasieren, Windelwechseln, die täglich mehrfache Reinigung
von WC und Waschbecken, das Umlagern, Treppensteigen, Verlassen der Wohnung, der Transfer und das An- und Entkleiden nicht
berücksichtigt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2016 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde
im Wesentlichen ausgeführt, der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete
Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung benötige, beurteile
sich am Maßstab der Pflegebedürftigkeits-Richtlinien und müsse für die Pflegestufe III im Tagesdurchschnitt mindestens fünf
Stunden betragen. Hiervon müssten mindestens vier Stunden auf die Grundpflege entfallen. Im vorliegenden Fall habe sowohl
die Begutachtung im Verwaltungs- als auch die Begutachtung im Widerspruchsverfahren ergeben, dass bei der Versicherten keine
Schwerstpflegebedürftigkeit bestehe. Der in den MDK-Gutachten ermittelte zeitliche Hilfebedarf in der Grundpflege betrage
täglich 176 bzw. 187 Minuten. Für die Einstufung in die Pflegestufe III müsste er aber mindestens 240 Minuten täglich betragen.
Zudem dürften für die Bewertung des Pflegebedarfs nur die Zeiten in den grundpflegerelevanten Tätigkeitsbereichen berücksichtigt
werden. Die Bewertungen der MDK-Gutachten erschienen realistisch.
Hiergegen erhob der Kläger zu 1 am 17. März 2016 im Namen seiner Mutter Klage beim Sozialgericht (SG) R. Zuletzt beantragte er, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 23. Februar 2016 zu verurteilen, seiner Mutter Leistungen der Pflegeversicherung seit 1. Januar 2015 nach Pflegestufe
III und seit dem 1. Januar 2017 nach Pflegegrad 5 zu gewähren. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die MDK-Gutachten
hätten den tatsächlichen Hilfebedarf nicht ausreichend berücksichtigt. Ferner legte er Arztbriefe des Z.-Klinikums über die
stationäre Behandlung der Versicherten vom 3. bis 5. März 2017 (Anämie unklarer Genese, dekompensierte Herzinsuffizienz, absolute
Arrhythmie bei Vorhofflimmern, arterielle Hypertonie, bekannte Demenz) und des Hautarztes Dr. Bo. vom 3. März 2017 (seit Monaten
ein größer werdender geröteter Herd an der rechten Wange) sowie den Bericht der Tumorkonferenz des Darmzentrums Z.-Klinikum
vom 12. April 2017 (Magenkarzinom, Erstdiagnose April 2017) vor.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Die MDK-Gutachten hätten die bundesweit geltenden Zeitkorridore der Begutachtungs-Richtlinien
bei den im Rahmen der Grundpflege zu berücksichtigenden Verrichtungen beachtet. Die vom Kläger zu 1 mit Schreiben vom 27.
Dezember 2015 genannten Gründe rechtfertigten keine abweichende Beurteilung. Die mehrmals tägliche Reinigung von WC und Waschbecken
zähle zur hauswirtschaftlichen Versorgung und sei keine Verrichtung der Grundpflege. Auch sei nicht ersichtlich, dass die
Versicherte rasiert werden müsse. Schließlich könne pro Tag alternativ nur eine Ganzkörperwäsche oder Baden oder Duschen berücksichtigt
werden.
Zur Aufklärung des Sachverhalts ordnete das SG die schriftliche Beantwortung von Beweisfragen durch den behandelnden Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. R. als sachverständigen
Zeugen an. Dieser führte mit Schreiben vom 20. Mai 2016 aus, er habe die Versicherte zuletzt im April 2015 untersucht. Seitdem
sei sie nicht mehr in seine Sprechstunde gekommen und habe auch keinen Hausbesuch angefordert. Bei der Versicherten bestehe
ein dementielles Syndrom mit progredienter Immobilität, eine Blasen- und Darmschwäche mit Stuhl- und Harninkontinenz, eine
beidseitige Coxarthrose, eine Gonarthrose links, ein chronisches Lendenwirbelsäulensyndrom, eine chronische venöse Insuffizienz,
ein Inguinalsoor, ein arterieller Hypertonus, eine chronische Herzinsuffizienz und eine Osteoporose. Da er die Versicherte
nur sehr selten sehe, könne er die Pflegesituation schlecht beurteilen. Die MDK-Gutachten seien nachvollziehbar und vollständig.
Allerdings müsse man immer von einer Progredienz und Verschlechterung der Grunderkrankungen und damit von einem erhöhten Pflegebedarf
ausgehen.
Ferner ernannte das SG am 4. Mai 2016 die Ärztin G. von Amts wegen zur gerichtlichen Sachverständigen. Diese ermittelte in ihrem Gutachten vom 20.
Mai 2016 einen durchschnittlichen täglichen Hilfebedarf von 341 Minuten für die Grundpflege (156 Minuten für Körperpflege,
83 Minuten für Ernährung, 102 Minuten für Mobilität) sowie von 60 Minuten für die hauswirtschaftliche Versorgung. Pflegebegründende
Diagnosen seien ausgeprägte Einschränkungen der Beweglichkeit bei Altersgebrechlichkeit, Verdacht auf Apraxie, Polyarthrose,
Osteoporose, rezidivierend einschießende Spastik im linken Arm, Gangunsicherheit, Schwindelzustände, senile Demenz, Pollakisurie,
Inkontinenz, Einschränkung der Sehfähigkeit zum Beispiel bei seniler Maculadegeneration, Krampfadern und Lymphödeme der Beine
und Intertrigo. Im Sommer 2015 habe sich vermutlich ein Schlaganfall ereignet. Pflegebedürftigkeit nach Pflegestufe III bestehe
"seit dem vermuteten Ereignis mit anschließender rezidivierender Spastik des linken Arms und deutlich verschlechterter Fähigkeit,
die Notwendigkeit von Handlungen oder Bewegungen zu verstehen, Handlungen oder Bewegungen durchzuführen, zum Beispiel wegen
Apraxie bei Schlaganfall oder Demenz."
Die Beklagte bot mit Schreiben vom 26. September 2016 an, der Versicherten rückwirkend ab 1. April 2016 Leistungen der Pflegeversicherung
nach Pflegestufe III zu gewähren. Zur Begründung führte sie aus, der von der Ärztin G. angenommene Eintritt eines Ereignisses
im September 2015 könne nicht objektiviert werden. Insbesondere gebe es hierfür keine Befundberichte. Ferner legte die Beklagte
das MDK-Gutachten des Arztes Dr. P. vom 24. August 2016 vor. Darin wurde aufgrund einer am 22. August 2016 durchgeführten
Untersuchung der Versicherten in ihrem Wohnbereich ein Zeitaufwand von täglich 294 Minuten für die Grundpflege (135 Minuten
für Körperpflege, 102 Minuten für Ernährung, 57 Minuten für Mobilität) und von täglich 60 Minuten für die hauswirtschaftliche
Versorgung festgestellt. Mit der dementiellen Entwicklung habe auch der pflegerische Hilfebedarf zugenommen. Zwischen den
Begutachtungszeitpunkten im Dezember 2015 (187 Minuten) und August 2016 (294 Minuten) habe der Hilfebedarf durchschnittlich
um 14 Minuten pro Monat zugenommen. Demnach habe die Versicherte die Voraussetzungen für die Pflegestufe III bereits im April
2016 erfüllt. Nicht überzeugen könne die von der Ärztin G. vertretene Annahme eines entsprechenden Hilfebedarfs bereits seit
September 2015. Es gebe hierfür keine Nachweise. Der Kläger zu 1 habe eine Krankenhausbehandlung seiner Mutter seit Sommer
2015 verneint. Die MDK-Gutachten der Pflegefachkraft K. vom 14. Oktober 2015 und der Pflegefachkraft S. vom 9. Dezember 2015
enthielten weder in der Anamnese noch in der Befunderhebung Anhaltspunkte für den Eintritt eines medizinischen Ereignisses
im September 2015. Mit nach Aktenlage erstelltem Gutachten vom 19. Dezember 2016 führte Dr. P. ergänzend aus, im Falle von
seit September 2015 auftretenden rezidivierenden Spastiken im linken Arm wäre bis zum Zeitpunkt der erstmaligen Dokumentation
durch die Sachverständige G. im Mai 2016 eine ärztliche Abklärung bzw. Behandlung oder zumindest eine Mitteilung an den Hausarzt
zu erwarten gewesen.
Die Sachverständige G. hielt in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 10. November 2016 an ihrer Auffassung fest. Zwar sei es
richtig, dass der Eintritt eines akuten Ereignisses im September 2015 nicht aktenkundig sei. Doch sei der grundpflegerische
Hilfebedarf auch von Dr. P. zu gering bewertet und deshalb der Zeitpunkt der Höherstufung zu spät angesetzt worden.
Schließlich ernannte das SG den Pflegesachverständigen Bi. von Amts wegen zum gerichtlichen Sachverständigen. Dieser untersuchte die Versicherte am 26.
Juni 2017 in ihrem Wohnbereich und ermittelte in seinem Gutachten vom 6. Juli 2017 einen grundpflegerischen Hilfebedarf von
290 Minuten (120 Minuten für Körperpflege, 102 Minuten für die Ernährung, 68 Minuten für Mobilität) und einen Hilfebedarf
von 60 Minuten für die hauswirtschaftliche Versorgung. Die von Dr. P. im Gutachten vom 22. August 2016 vertretene lineare
Ableitung des grundpflegerischen Hilfebedarfs aus früheren MDK-Gutachten sei nicht realitätsgerecht. Es komme vielmehr darauf
an, wann die Versicherte in welchem Umfang Hilfe bei Verrichtungen mit besonders hohem Zeitaufwand benötigt habe. Dazu zählten
insbesondere Verrichtungen in Verbindung mit Ausscheidungen, der Nahrungsaufnahme und der Mobilität. Eine Rückdatierung der
Pflegestufe III bis zum Zeitpunkt der Antragstellung oder der Begutachtungstermine durch den MDK im Oktober und Dezember 2015
sei nicht mit ausreichender Sicherheit und ohne berechtigten Zweifel belegbar, jedoch bis Februar 2016 möglich. Stufenrelevant
habe sich dabei insbesondere der steigende Hilfebedarf im Rahmen der Nahrungsaufnahme ausgewirkt.
Mit Urteil vom 27. September 2017 verurteilte das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Februar
2016, der Versicherten Leistungen der Pflegeversicherung seit dem 1. Februar 2016 in Pflegestufe III sowie seit dem 1. Januar
2017 in Pflegegrad 5 zu gewähren. Im Übrigen wies das SG die Klage ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Versicherte habe seit dem 1. Februar 2016 einen grundpflegerischen
Hilfebedarf, der ihre Einstufung in Pflegestufe III rechtfertige. Bei ihr bestehe im Wesentlichen ein Selbstversorgungsdefizit
bei fortschreitender dementieller Entwicklung mit Halluzinationen, nächtlicher Unruhe und progredienter Immobilität, eine
Lendenwirbelsäulenskoliose mit degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, eine partielle Blasen- und Darminkontinenz, eine Coxarthrose
links, eine beidseitige Gonarthrose, eine chronische Herzinsuffizienz sowie eine chronisch venöse Insuffizienz. Die MDK-Gutachten
vom 14. Oktober und 9. Dezember 2015 lägen mit einem grundpflegerischen Hilfebedarf von 176 Minuten und 187 Minuten deutlich
unterhalb des für die Pflegestufe III erforderlichen Schwellenwertes von 240 Minuten täglich. In den Gutachten seien sämtliche
notwendigen Hilfen aus den einstufungsrelevanten Bereichen Körperpflege, Ernährung und Mobilität sowohl in der Häufigkeit
wie auch im zeitlichen Umfang ausreichend berücksichtigt worden. Die Gutachten seien auf Grundlage einer eingehenden Untersuchung
im häuslichen Wohnbereich der Versicherten erstellt worden. Die in den Gutachten gewählten Zeitansätze entsprächen den Pflegebedürftigkeits-
und Begutachtungsrichtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen. Die vom Kläger zu 1 geltend gemachten Zeiten der hauswirtschaftlichen
Verrichtung (mehrmals tägliche Reinigung des Bereichs von WC und Waschbecken) seien bei der Ermittlung des Grundpflegebedarfes
nicht in Ansatz zu bringen. Der pauschale Hinweis des Klägers zu 1, dass der tatsächliche Hilfebedarf der Versicherten im
Rahmen der Begutachtungen nicht oder in nicht ausreichendem Umfang berücksichtigt worden sei, genüge nicht, um das Vertrauen
in die Richtigkeit der Gutachten zu erschüttern. Ein von der Sachverständigen G. dem Beginn der Pflegestufe III zugrunde gelegtes
Akutereignis im Sommer 2015 mit anschließenden rezidivierenden Spastiken im linken Arm sei nicht belegt. Ihre Einschätzung
zum Beginn der Pflegestufe stütze sich auf bloße Äußerungen des Klägers zu 1 als Pflegeperson. Unterlagen über eine ärztliche
Abklärung oder Behandlung des von der Sachverständigen vermuteten Ereignisses seien nicht dokumentiert. Im Rahmen der Begutachtungen
durch den MDK am 14. Oktober und 9. Dezember 2015 sei ein derartiges Ereignis weder mitgeteilt worden, noch lasse die Befunderhebung
Rückschlüsse auf einen Schlaganfall, ein ischämisches Geschehen oder einen ähnlichen medizinischen Notfall zu. Die den Anspruch
begründenden Tatsachen müssten im Wege des Vollbeweises, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Der
von der Sachverständigen G. auf eine Vermutung gestützte Beginn der Pflegestufe III genüge diesem Beweismaßstab nicht. Der
Sachverständige Bi. habe die Pflegestufe III überzeugend bis Februar 2016 zurückdatiert. Die im MDK-Gutachten des Dr. P. vertretene
lineare Steigerung des grundpflegerischen Hilfebedarfs zwischen den Begutachtungsterminen am 9. Dezember 2015 und 22. August
2016 überzeuge nicht, da sich der grundpflegerische Hilfebedarf kaum abschließend auf die Minute bestimmen lasse und eine
streng formalisierte Betrachtung potentiell fehleranfällig sei. Es komme bei der Rückdatierung vielmehr darauf an, in welchen
Bereichen ein solch stetiger Zuwachs an grundpflegerischem Hilfebedarf festzustellen sei, dass hiermit eine pflegestufenrelevante
Änderung einhergehe. Im Bereich der Ernährung sei mit zunehmender dementieller Entwicklung durch zeitintensive und kleinschrittige
Aufforderung, Anleitung und Anreichung ein Hilfebedarf eingetreten, der in erheblichem Maße für das Erreichen der Pflegestufe
III ursächlich gewesen sei. Sei bei der Begutachtung durch die Pflegefachkraft S. am 9. Dezember 2015 im Bereich der Ernährung
noch ein täglicher Hilfebedarf von 35 Minuten festgestellt worden (zehn Minuten für mundgerechte Zubereitung, 25 Minuten für
die Aufnahme der Nahrung), habe sich dieser bis zum Zeitpunkt der Begutachtung durch die Sachverständige G. im Mai 2016 auf
täglich 83 Minuten erhöht (acht Minuten für mundgerechte Zubereitung, 75 Minuten für die Aufnahme von Nahrung und Getränken)
und sei bis zur Untersuchung durch Dr. P. am 22. August 2016 auf 102 Minuten angewachsen (zwölf Minuten für mundgerechte Zubereitung,
90 Minuten für Nahrungsaufnahme), was auch der Sachverständige Bi. aufgrund seiner Untersuchung am 26. Juni 2017 bestätigt
habe. In Übereinstimmung mit dem Gutachten des Sachverständigen Bi. gebe es keine Nachweise dafür, dass bereits am 9. Dezember
2015 eine zeitintensivere Anleitung und Betreuung der Versicherten bei der Nahrungsaufnahme erforderlich gewesen sei.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Versicherten am 5. Oktober 2017 zugestellte Urteil richtet sich die am 6. November
2017 (einem Montag) beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Berufung (früheres Az.: L 4 P 4207/17). Zur Begründung wird ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, warum das Gutachten des Sachverständigen Bi. den Ausführungen
der Sachverständigen G. vorzuziehen sei. Der Kläger zu 1 könne den Eintritt einer Verschlechterung des Gesundheitszustands
der Versicherten bezeugen.
Nach dem Tod der Versicherten am 2. März 2018 ist das Verfahren durch Beschluss vom 16. März 2018 ausgesetzt worden. Mit Schreiben
vom 17. Dezember 2019 haben der Ehemann der Versicherten und der Kläger zu 1 das Verfahren wiederaufgenommen. Nach dem Tod
des Ehemanns der Versicherten am 20. Juli 2019 hat der Kläger zu 1 mit Schreiben vom 24. September 2020 das Verfahren fortgeführt
und mitgeteilt, er und seine Schwester, die Klägerin zu 2, seien als einzige Kinder Rechtsnachfolger der Versicherten und
ihres Ehemanns geworden. Der Anspruch auf höheres Pflegegeld stehe ihnen sowohl gemäß §§
1924 Abs.
1, 4
Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) als auch gemäß §
56 Abs.
1 Nr.
2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) zu. Im Erörterungstermin am 17. November 2020 hat der Kläger zu 1 mitgeteilt, er habe bis zum Tod seiner Mutter mit ihr
in derselben Wohnung im Erdgeschoß des Mehrfamilienhauses im G.-weg in H. gelebt. Die Klägerin zu 2 hat vorgetragen, sie habe
in einer eigenen Wohnung im ersten Obergeschoß dieses Hauses gelebt und den Kläger zu 1 gelegentlich bei der Pflege der Eltern
unterstützt.
Der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 beantragen ausdrücklich,
das Urteil des Sozialgerichts R. vom 27. September 2017 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, jedem von ihnen jeweils
zur Hälfte Pflegegeld nach Pflegestufe 3 für die Zeit vom 1. August 2015 bis 31. Dezember 2016 sowie Pflegegeld nach Pflegegrad
5 für die Zeit vom 1. Januar 2017 bis 2. März 2018 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Zu Recht habe das SG den gutachtlichen Feststellungen des Sachverständigen Bi. mehr Gewicht als den spekulativen Äußerungen der Sachverständigen
G. beigemessen. Den mit Urteil des SG tenorierten Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe III ab 1. Februar 2016 habe sie bereits erfüllt.
Der Berichterstatter hat die Beteiligten im Erörterungstermin am 17. November 2020 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei,
die Berufung gemäß §
153 Abs.
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) durch Beschluss zurückzuweisen, da sie unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich sei. Die Beteiligten
haben hiergegen keine Einwendungen erhoben.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die von der Beklagten
vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Der Senat entscheidet gemäß §
153 Abs.
4 SGG durch Beschluss, da er die Berufung des Klägers zu 1 und der Klägerin zu 2 einstimmig für unbegründet und eine mündliche
Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der Rechtsstreit weist nach Einschätzung des Senats keine besonderen Schwierigkeiten
in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten.
Zu der beabsichtigten Verfahrensweise sind die Beteiligten im Erörterungstermin am 17. November 2020 angehört worden.
2. Die gemäß §
143 SGG statthafte und gemäß §
151 Abs.
1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Versicherten bedurfte nicht der Zulassung gemäß §
144 Abs.
1 Nr.
1 SGG, da der Wert des Beschwerdegegenstands zum maßgebenden Zeitpunkt der Einlegung der Berufung (vgl. §
202 Satz 1
SGG i.V.m. §
4 Abs.
1 Satz 1
Zivilprozessordnung <ZPO>) 1.620,00 € beträgt und damit 750,00 € übersteigt. Die Berufung der Versicherten richtete sich gegen die Abweisung
der Klage, soweit die Zahlung von Pflegegeld nach Pflegestufe III für die Zeit vom 1. August 2015 bis 31. Januar 2016 begehrt
worden ist. Der Wert des Beschwerdegegenstands entsprach der Differenz zwischen dem begehrten Pflegegeld nach Pflegestufe
III (728,00 €) und dem von der Beklagten gewährten Pflegegeld nach Pflegestufe II (458,00 €) über einen Zeitraum von sechs
Monaten.
Die Berufung ist zulässig. Die bereits bei Einlegung der Berufung erforderliche Beschwer (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
Kommentar zum
SGG, 13. Aufl. 2020, Vor § 143 Rn. 10 m.w.N.) der Versicherten bestand, soweit das SG mit Urteil vom 27. September 2017 die begehrte Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Pflegegeld nach Pflegestufe III
für die Zeit vom 1. Januar 2015 bis 31. Januar 2016 abgelehnt hat. Keine Beschwer der Versicherten bestand dagegen, soweit
das SG ihrem Rechtsschutzbegehren entsprochen und die Beklagte zur Zahlung von Pflegegeld nach Pflegestufe III für die Zeit vom
1. Februar 2016 bis 31. Dezember 2016 sowie von Pflegegeld nach Pflegegrad 5 ab 1. Januar 2017 verurteilt hat. Soweit die
Beschwer der Versicherten bei Einlegung der Berufung bestand, ist sie bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht
vollständig entfallen. Denn der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 haben ihr Rechtsschutzbegehren im Berufungsverfahren zuletzt
auf die Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe III für die Zeit ab 1. August 2015 gerichtet.
Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 16. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Februar
2016 (§
95 SGG). Hierbei ist noch die Zahlung von Pflegegeld nach Pflegestufe III für die Zeit vom 1. August 2015 bis 31. Januar 2016 streitig.
Soweit die Kläger zuletzt ausdrücklich auch Pflegegeld für die Zeit ab dem 1. Februar 2016 beantragt haben, geht dieses Begehren
insoweit ins Leere, als dieser Anspruch bereits durch die Beklagte erfüllt worden ist.
Der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 sind rechtsmittelberechtigt, da sie geltend machen, als Rechtsnachfolger der Versicherten
im Wege eines gesetzlichen Beteiligtenwechsels in deren prozessuale Rechtsposition eingetreten und Inhaber ihres Anspruchs
auf Pflegegeld nach Pflegestufe III geworden zu sein. Ob dieser Anspruch tatsächlich im Wege der Rechtsnachfolge auf sie übergegangen
ist, ist eine Frage der Begründetheit der Berufung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 8. August 2018 - L 5 KR 1591/18 - juris, Rn. 20; BSG, Urteil vom 13. Juli 2010 - B 8 SO 11/09 R - juris, Rn. 11 zur Rechtsnachfolge nach § 19 Abs. 6 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch; BSG, Urteil vom 11. September 2019 - B 6 KA 2/18 R - juris, Rn. 30 zum Rechtserwerb durch Abtretung). Der Kläger zu 1 hat das nach dem Tod der Versicherten unbefristet ausgesetzte
Berufungsverfahren durch Schriftsatz vom 17. Dezember 2019 ausdrücklich wiederaufgenommen und dabei seine Rechtsnachfolge
dargelegt. Die Klägerin zu 2 hat durch Antragstellung im Erörterungstermin am 17. November 2020 ihren Willen zur Fortsetzung
des Berufungsverfahrens als Rechtsnachfolgerin der Versicherten klar zum Ausdruck gebracht. Eines Schriftsatzes nach §
250 ZPO bedurfte es hierzu nicht, da diese Norm wegen des Untersuchungsgrundsatzes keine Anwendung im sozialgerichtlichen Verfahren
findet (vgl. BSG, Urteil vom 16. Juli 1965 - 8 RV 893/64 - juris, Rn. 10; Keller, a.a.O., § 114 Rn. 10a).
3. Die Berufung ist unbegründet. Denn die Voraussetzungen für die Einordnung der Versicherten in Pflegestufe III im Zeitraum
vom 1. August 2015 bis 31. Januar 2016 liegen nicht vor Das SG hat die Klage insoweit zutreffend abgewiesen.
a) Nur der Kläger zu 1 ist aktivlegitimiert. Er allein ist Sonderrechtsnachfolger der am 2. März 2018 gestorbenen Versicherten
geworden (hierzu aa). Die Klägerin zu 2 hat dagegen keine Aktivlegitimation für den streitgegenständlichen Anspruch auf Pflegegeld
nach Pflegestufe III für die Zeit vom 1. August 2015 bis 31. Januar 2016 (hierzu bb).
Gemäß §
56 Abs.
1 Satz 1
SGB I stehen fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen beim Tod des Berechtigten nacheinander 1. dem Ehegatten, 1a. dem Lebenspartner,
2. den Kindern, 3. den Eltern, 4. dem Haushaltsführer zu, wenn diese mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen
Haushalt gelebt haben oder von ihm wesentlich unterhalten worden sind. Mehreren Personen einer Gruppe stehen die Ansprüche
zu gleichen Teilen zu (§
56 Abs.
1 Satz 2
SGB I). Soweit fällige Ansprüche auf Geldleistungen nicht nach den §§
56 und
57 SGB I einem Sonderrechtsnachfolger zustehen, werden sie nach den Vorschriften des
Bürgerlichen Gesetzbuchs vererbt (§
58 Satz 1
SGB I).
aa) Der Kläger zu 1 erfüllt die Voraussetzungen einer Sonderrechtsnachfolge gemäß §
56 Abs.
1 SGB I. Der streitgegenständliche Anspruch auf Zahlung von Pflegegeld ist auf laufende, weil je Kalendermonat zu zahlende Geldleistungen
gerichtet (vgl. § 37 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 1 und 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch <SGB XI>) und wäre - bei Vorliegen der
materiell-rechtlichen Voraussetzungen (s. hierzu weiter unten) - gemäß §
41 SGB I zum Zeitpunkt seines Entstehens, d.h. mit Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen der §§
33,
37 SGB XI im Zeitraum vom 1. August 2015 bis 31. Januar 2016 fällig geworden. Der Anspruch wäre auch übergangsfähig, da er weder durch
Erfüllung noch gemäß §
59 Satz 2
SGB I erloschen ist. Nach §
59 Satz 2
SGB I erlöschen Ansprüche auf Geldleistungen nur, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind noch
ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist. Im vorliegenden Fall ist im Zeitpunkt des Todes der Versicherten am 2. März
2018 das Verwaltungsverfahren über die Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe III für die Zeit ab 1. August 2015 noch anhängig
gewesen. Zwar hat die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 16. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 23. Februar 2016 die Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe III gegenüber der Versicherten abgelehnt. Gleichwohl endet
das Verwaltungsverfahren erst, wenn die Verwaltungsakte unanfechtbar werden (BSG, Urteil vom 11. August 1992 - 1 RK 46/91 - juris, Rn. 15). Hier ist bisher keine Unanfechtbarkeit im Sinne formeller Bestandskraft (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
a.a.O., § 77 Rn. 2) eingetreten, da die von der Versicherten erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl. §
54 Abs.
1 Satz 1 i.V.m. Abs.
4, §
56 SGG) bisher nicht rechtskräftig abgewiesen worden ist. Denn die rechtzeitige Einlegung der Berufung durch die Versicherte (s.o.)
hemmt den Eintritt der Rechtskraft des Urteils des SG R. vom 27. September 2017 (vgl. §
202 Satz 1
SGG i.V.m. §
705 Satz 2
Zivilprozessordnung <ZPO>).
Der Anspruch auf Zahlung von Pflegegeld für die Zeit vom 1. August 2015 bis 31. Januar 2016 stand nach dem Tod der Versicherten
am 2. März 2018 zunächst ihrem Ehegatten als vorrangigem Sonderrechtsnachfolger im Sinne des §
56 Abs.
1 Nr.
1 SGB I zu. Der Ehegatte der Versicherten hat mit ihr zur Zeit ihres Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Dies entnimmt der
Senat dem Gutachten der Sachverständigen G. vom 20. Mai 2016 sowie den Angaben des Klägers zu 1 und der Klägerin zu 2 im Erörterungstermin
am 17. November 2020. Demnach haben die Versicherte, ihr Ehegatte und ihr gemeinsamer Sohn, der Kläger zu 1, als Hauptpflegeperson
der Versicherten bis zu ihrem Tod dauerhaft in einer abschließbaren Wohnung im Erdgeschoß des Mehrfamilienhauses im G.-Weg
4 in H. gelebt, in denselben Räumen geschlafen und gekocht sowie einander gemeinsam unterhalten.
Mit dem Tod des Ehegatten der Versicherten am 20. Juli 2019 ist der geltend gemachte, noch nicht erfüllte Anspruch auf Pflegegeld
nach Pflegestufe III für die Zeit vom 1. August 2015 bis 31. Januar 2016 dem Kläger zu 1 als dem nach §
56 Abs.
1 Nr.
2 SGB I nächstrangigen Begünstigten zugewachsen (vgl. zur Zuwachsungstheorie BSG, Urteil vom 11. Mai 2000 - B 13 RJ 85/98 R - juris, Rn. 28, 34 f.). Nach Sinn und Zweck des §
56 SGB I wächst der Anspruch im hier gegebenen Fall des Todes eines Sonderrechtsnachfolgers vor Erfüllung des Sozialleistungsanspruchs
entsprechend §
57 Abs.
1 Satz 3
SGB I den Personen zu, die bei Fehlen des verstorbenen Sonderrechtsnachfolgers berechtigt gewesen wären (BSG, a.a.O., Rn. 28). Zwar enthält §
56 SGB I für den Fall des Todes des Sonderrechtsnachfolgers - anders als §
57 Abs.
1 Satz 3
SGB I für den Fall seines Verzichtes - keine ausdrückliche Zuwachsungsregelung (BSG, a.a.O., Rn. 34). Wenn jedoch fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen nach §
56 Abs.
1 Satz 1
SGB I beim Tode des Berechtigten "nacheinander" den dort aufgeführten Personen - und zwar mehreren Personen einer Gruppe zu gleichen
Teilen - zustehen, kann darin nicht nur die Festlegung einer Rangfolge bezogen auf den Zeitpunkt des Todes des ursprünglich
Berechtigten, sondern auch eine Zuwachsungs- und Nachrückbestimmung für die unmittelbare Zeit danach (längstens bis zur Auszahlung
der Leistung an den/die dann berechtigten Sonderrechtsnachfolger) gesehen werden (BSG, a.a.O., Rn. 34). Dieser Rechtsauffassung schließt sich der Senat an. Mit Rücksicht darauf, dass das BSG ausdrücklich offengelassen hat, ob die einem Sonderrechtsnachfolger nach §
57 Abs.
1 Satz 1
SGB I für einen Verzicht gelassene Zeitspanne von sechs Wochen eine sachgerechte Grenze für eine Anwendung der Zuwachsungstheorie
bietet (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 34 a.E.), sieht der Senat im vorliegenden Fall keinen Grund, die Wertungen des §
56 SGB I zur Sonderrechtsnachfolge für Sozialleistungsansprüche allein wegen der Zeit, die zwischen dem Tod der Versicherten am 2.
März 2018 und dem Tod ihres Ehegatten und vorrangigen Sonderrechtsnachfolgers am 20. Juli 2019 verstrichen ist, nicht zur
Geltung kommen zu lassen (vgl. gegen eine zeitliche Begrenzung Lilge, in: Lilge/Gutzler,
SGB I, 5. Aufl. 2019, §
56 Rn. 18; Groth, in: juris-PK
SGB I, Stand Dezember 2019, §
56 Rn. 49; vgl. ohne Forderung einer zeitlichen Begrenzung Lebich, in: Hauck/Noftz, SGB, Stand Dezember 2005, §
56 SGB I, Rn. 19). Nach der Rechtsprechung des BSG beschränkt sich die Regelung des §
56 SGB I gerade nicht auf die Rechtsnachfolge beim Tode des ursprünglich Berechtigten, sondern erfasst auch den Fall des Todes von
Sonderrechtsnachfolgern (vgl. BSG. a.a.O., Rn. 35). Anhaltspunkte für die zeitliche Begrenzung der Fortsetzung der vom ursprünglich Berechtigten ausgehenden
Sonderrechtsnachfolge enthält der Wortlaut des §
56 SGB I nicht.
bb) Die Klägerin zu 2 ist keine Sonderrechtsnachfolgerin der Versicherten. Die Voraussetzungen des §
56 Abs.
1 SGB I liegen bei der Klägerin zu 2 nicht vor. Weder lebte sie zum Zeitpunkt des Todes ihrer Mutter am 2. März 2018 mit ihr in einem
gemeinsamen Haushalt, noch wurde sie wesentlich von ihr unterhalten. Vielmehr lebte die Klägerin zu 2 in einer eigenen abschließbaren
Wohnung im ersten Obergeschoß des Mehrfamilienhauses im G.-Weg 4 in H.. Dies entnimmt der Senat den Angaben der Klägerin zu
2 im Erörterungstermin. Dass sie über einen Schlüssel für die Wohnung ihrer Mutter im Erdgeschoß verfügte und ihren Bruder,
den Kläger zu 1, gelegentlich bei der Pflege der Eltern unterstützte, reicht nicht aus, um den Senat von einem gemeinsamen
Haushalt im Sinne eines auf Dauer angelegten räumlichen Zusammenlebens mit gemeinsamer Lebens- und Wirtschaftsführung zu überzeugen
(vgl. zum Begriff des gemeinsamen Haushalts Siefert, in: Kasseler Kommentar,
SGB I, Stand September 2020, §
56 Rn. 18). Dass die Klägerin zu 2 von ihrer Mutter wesentlich unterhalten worden ist, wurde nicht vorgetragen und ist auch
sonst nicht ersichtlich.
Der Senat muss nicht entscheiden, ob die Klägerin zu 2 Gesamtrechtsnachfolgerin der Versicherten geworden ist, da hier selbst
eine Gesamtrechtsnachfolge nach §
1922 Abs.
1, §
1924 Abs.
1 und 4
BGB keine Aktivlegitimation der Klägerin zu 2 begründen kann. Denn der streitgegenständliche Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe
III für die Zeit vom 1. August 2015 bis 31. Januar 2016 wird gemäß §
58 Satz 1
SGB I nicht nach den Vorschriften des
Bürgerlichen Gesetzbuchs vererbt, weil er dem Kläger zu 1 als Sonderrechtsnachfolger zusteht (s.o.).
b) Das SG hat die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl. §
54 Abs.
1 Satz 1 i.V.m. Abs.
4, §
56 SGG) statthafte Klage der Versicherten zu Recht abgewiesen, soweit die Zahlung von Pflegegeld nach Pflegestufe III für die Zeit
vor dem 1. Februar 2016 begehrt worden ist. Der Bescheid der Beklagten vom 16. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 23. Februar 2016 ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger zu 1 nicht in seinen Rechten. Der Kläger zu 1 hat keinen
Anspruch auf Zahlung von Pflegegeld nach Pflegestufe III für die Zeit vom 1. August 2015 bis 31. Januar 2016.
aa) Da die Versicherte ihren Antrag auf Pflegegeld nach Pflegestufe III am 12. August 2015 und damit vor dem 31. Dezember
2016 stellte, beurteilt sich nach §
140 Abs.
1 Satz 1
SGB XI ihr Anspruch nach den Vorschriften des
SGB XI in der bis 31. Dezember 2016 geltenden Fassung (
SGB XI a.F.).
Nach §
37 Abs.
1 Satz 1
SGB XI a.F. können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Das Pflegegeld beträgt 458,00
€ für Pflegebedürftige der Pflegestufe II und 728,00 € für Pflegebedürftige der Pflegestufe III je Kalendermonat ab 1. Januar
2015 (§
37 Abs.
1 Satz 3 Nr.
2 Buchstabe d und Nr.
3 Buchstabe d
SGB XI a.F.)
Pflegebedürftig sind nach §
14 Abs.
1 SGB XI a.F. Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und
regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in §
14 Abs.
4 SGB XI a.F. genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§
15 SGB XI a.F.) der Hilfe bedürfen.
Für die Gewährung von Leistungen nach dem
SGB XI sind gemäß §
15 Abs.
1 Satz 1
SGB XI a.F. pflegebedürftige Personen im Sinne des §
14 SGB XI a.F. einer von drei Pflegestufen zuzuordnen. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind Personen,
die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe
bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen (§
15 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGB XI a.F.). Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für
die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt
in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen
(§
15 Abs.
3 Satz 1 Nr.
2 SGB XI a.F.). Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung
oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei
der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen (§
15 Abs.
1 Satz 1 Nr.
3 SGB XI a.F.). Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für
die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt
in der Pflegestufe III mindestens fünf Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen
(§
15 Abs.
3 Satz 1 Nr.
3 SGB XI a.F.).
Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§
14 Abs.
4 Nr.
1 SGB XI a.F.), der Ernährung (§
14 Abs.
4 Nr.
2 SGB XI a.F.) und der Mobilität (§
14 Abs.
4 Nr.
3 SGB XI a.F.). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem
Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der
Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden,
Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.
Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Denn §
14 SGB XI a.F. stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs bzw. die
tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. Senatsurteil vom 30. März 2012 - L 4 P 342/10 - juris, Rn. 27; Senatsurteil vom 3. August 2012 - L 4 P 5324/11 - juris, Rn. 26; BSG, Urteil vom 21. Februar 2002 - B 3 P 12/01 R - juris, Rn. 12 ff.). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die
Zeitkorridore der Richtlinie der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem
SGB XI (Begutachtungs-Richtlinie) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch
um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinie; vgl. Senatsurteil vom 30. März 2012 - L 4 P 342/10 - juris, Rn. 27; Senatsurteil vom 3. August 2012 - L 4 P 5324/11 - juris, Rn. 26; BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 - B 3 P 7/97 R - juris, Rn. 17; BSG, Urteil vom 13. Mai 2004 - B 3 P 7/03 R - juris, Rn. 32 m.w.N.; BSG, Urteil vom 6. Februar 2006 - B 3 P 26/05 B - juris, Rn. 8). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft.
Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und
auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (BSG, Urteil vom 10. März 2010 - B 3 P 10/08 R - juris, Rn. 20 m.w.N.).
bb) In Anwendung dieser Maßstäbe liegen die Voraussetzungen für die Einordnung der Versicherten in Pflegestufe III im streitgegenständlichen
Zeitraum vom 1. August 2015 bis 31. Januar 2016 nicht vor, da die Grundpflege der Versicherten in diesem Zeitraum keinen Zeitaufwand
von durchschnittlich mindestens vier Stunden pro Tag erfordert hat. Dies hat das SG zutreffend dargelegt. Der Senat verweist deshalb auf die überzeugende Begründung des angefochtenen Urteils vom 27. September
2017 und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§
153 Abs.
2 SGG).
Der Vortrag der Versicherten sowie des Klägers zu 1 und der Klägerin zu 2 im Berufungsverfahren veranlassen keine abweichende
Entscheidung. Die nur von der Sachverständigen G. vertretene Annahme einer Pflegebedürftigkeit der Versicherten nach Pflegestufe
III bereits seit Sommer 2015 überzeugt nicht. Die Sachverständige hat die Versicherte erst im Mai 2016 untersucht. Sie hat
ihre Annahme zum Zeitpunkt des Eintritts der Pflegebedürftigkeit nach Pflegestufe III zunächst allein darauf gestützt, dass
der Kläger zu 1 im Rahmen der Begutachtung im Mai 2016 vom "vermuteten Ereignis" (vgl. Bl. 40 der SG-Akte) eines Schlaganfalls der Versicherten im Sommer 2015 berichtet hat. Hierfür gibt es freilich keinen medizinischen Nachweis,
was zuletzt auch die Sachverständige G. in ihrer ergänzenden Stellungnahme zugestanden hat (vgl. Bl. 78 der SG-Akte). Aufgrund der schriftlichen Antwort des sachverständigen Zeugen Dr. R. vom 20. Mai 2016 steht zur Überzeugung des Senats
fest, dass er die Versicherte zuletzt im April 2015 hausärztlich behandelt hat und danach auch keine Hausbesuche mehr angefordert
worden sind. Die Versicherte hat sich seit Sommer 2015 auch keiner Krankenhausbehandlung unterzogen. Dies entnimmt der Senat
dem Gutachten des Dr. P. vom 24. August 2016, das im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden konnte (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 26. September 2019 - B 5 R 268/18 B - juris, Rn. 20; BSG, Beschluss vom 30. März 2017 - B 2 U 181/16 B - juris, Rn. 9 m.w.N.). Soweit die Sachverständige den von ihr angenommenen Zeitpunkt des Eintritts von Pflegebedürftigkeit
nach Pflegestufe III im Sommer 2015 zuletzt damit gerechtfertigt hat, die früheren Gutachten des MDK bildeten den Hilfebedarf
der Versicherten nicht realistisch und zu gering ab, ist dies für den Senat nicht nachvollziehbar. Denn die Sachverständige
hat nicht dargelegt, aufgrund welcher konkreten medizinischen Befunde bei der Versicherten bereits seit Sommer 2015 bei einzelnen
Verrichtungen ein Hilfebedarf bestanden haben soll, der insgesamt einen täglichen Zeitaufwand von mindestens fünf Stunden
erforderte.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs.
1 Satz 1
SGG. Für den Kläger zu 1 ist das Berufungsverfahren gemäß §
183 Satz 1
SGG kostenfrei, da er in seiner Eigenschaft als Sonderrechtsnachfolger der Versicherten als Kläger beteiligt ist. Für die Klägerin
zu 2, die das Berufungsverfahren als sonstige Rechtsnachfolgerin aufgenommen hat, bleibt das Berufungsverfahren gemäß §
183 Satz 2
SGG im Rechtszug vor dem LSG Baden-Württemberg kostenfrei.
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. §
160 Abs.
2 SGG) nicht vorliegen.