Unzulässigkeit der Berufung im sozialgerichtlichen Verfahren beim Begehren einer vom konkreten Einzelfall losgelösten Überprüfung
von Gesetzen und untergesetzlichen Normen
Gründe
I.
Der Kläger begehrt mit seiner am 19.02.2018 beim Sozialgericht Ulm (SG) erhobenen Klage "gegen das Gesundheitswesen" die Änderung der geltenden gesetzlichen Bestimmungen mit dem Ziel, für Sozialhilfeempfänger
die zuzahlungsfreie Versorgung mit Arzneimitteln, zuzahlungsfreie Versorgung mit Augengläsern in regelmäßigen Abständen und
halbjährliche zuzahlungsfreie Zahnreinigung zu erreichen.
Die Beklagte, bei der der Kläger gesetzlich krankenversichert ist, ist der Klage entgegengetreten.
Mit Urteil vom 08.08.2018 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klage sei bereits unzulässig, soweit der Kläger für Sozialhilfeempfänger
oder ganz allgemein Forderungen aufstelle. Eine Verletzung in eigenen Rechten scheide insoweit aus. Im Übrigen sei die Klage
als echte Leistungsklage zulässig. Dass Verwaltungsakte fehlten, stünde der Zulässigkeit nicht entgegen, weil der Kläger Leistungen
für die Zukunft begehre. Es sei nur dem Grunde nach über eine Leistungspflicht der Beklagten zu entscheiden. Die Klage sei
jedoch unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf zuzahlungspflichtige Versorgung mit Arzneimitteln. Nach §
31 Abs.
3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) müssten Versicherte, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben, an die abgebende Stelle zu jedem zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung verordneten Arznei- und Verbandmittel als Zuzahlung den sich aus §
61 Satz 1
SGB V ergebenden Betrag leisten. Um die finanzielle Zumutbarkeit sicherzustellen, sehe §
62 SGB V Zuzahlungen nur bis zu einer Belastungsgrenze vor. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf eine zuzahlungspflichtige Versorgung
mit Augengläsern in regelmäßigen Abständen. Ein Anspruch auf Versorgung mit Augengläsern bestünde nur unter den Voraussetzungen
des §
33 Abs.
2 SGB V in Verbindung mit den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) nach §
92 SGB V. Schließlich habe der Kläger auch keinen Anspruch auf Zahnreinigung zweimal jährlich. Den Anspruch auf eine ausreichende
und zweckmäßige Zahnbehandlung im Sinne von §
28 Abs.
1 Satz 2
SGB V konkretisierten die Richtlinien des GBA nach §
92 SGB V. Danach gehörten zur vertragszahnärztlichen Versorgung auch das Entfernen von harten verkalkten Belägen. Aus dem Gebührenverzeichnis
für zahnärztliche Leistungen (Bema-Z) ergebe sich, dass das Entfernen harter Zahnbeläge nur einmal pro Jahr abrechnungsfähig
sei. Ein darüber hinaus gehender Anspruch stehe dem Kläger nicht zu.
Gegen das ihm am 23.08.2018 zugestellte Urteil des SG hat der Kläger am 24.08.2018 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung trägt er
vor, die gesetzlichen Bestimmungen seien durch höchstrichterliche Entscheidung in seinem Sinne reformbedürftig.
Der Kläger beantragt - sachdienlich ausgelegt -,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 08.08.2018 aufzuheben und festzustellen, dass die geltenden gesetzlichen Bestimmungen
rechtswidrig sind, soweit Sozialhilfeempfänger keinen Anspruch auf eine zuzahlungsfreie Versorgung mit Arzneimitteln, zuzahlungsfreie
Versorgung mit Augengläsern in regelmäßigen Abständen und halbjährliche zuzahlungsfreie Zahnreinigung haben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.
Mit Schreiben vom 18.11.2019 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass der Senat beabsichtigt, nach §
153 Abs.
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) durch Beschluss zu entscheiden. Ihnen wurde Gelegenheit eingeräumt, sich hierzu zu äußern. Der Kläger hat hiervon Gebrauch
gemacht und ausgeführt, er halte seine Berufung für begründet. Die Bestimmungen seien zu seinen Gunsten reformbedürftig. Bei
Gericht könne er nicht erscheinen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insb. des Vorbringens der Beteiligten, wird auf die Prozessakten
erster und zweiter Instanz sowie die bei der Beklagten für den Kläger geführte Verwaltungsakte, die Gegenstand der Entscheidungsfindung
geworden sind, verwiesen.
II.
Der Senat konnte die Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten gemäß §
153 Abs.
4 SGG durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich
hält. Gründe für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurden nicht vorgebracht und sind dem Senat auch anderweitig
nicht ersichtlich.
Die form- und fristgerecht (vgl. §
152 Abs.
1 SGG) erhobene und statthafte (vgl. §
143 SGG) Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet.
Die Klage ist bereits unzulässig. Das Begehren des Klägers ist auf eine, vom konkreten Einzelfall losgelöste Überprüfung von
Gesetzen und untergesetzlichen Normen gerichtet. Das
SGG sieht jedoch Rechtsschutz in Form der Normenkontrolle (mit Ausnahme des hier nicht einschlägigen §
55a SGG) nicht ausdrücklich vor. Eine §
47 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) entsprechende Norm fehlt im
SGG. Nur in Ausnahmefällen, in denen die Betroffenen ansonsten keinen effektiven Rechtsschutz erreichen können, etwa weil ihnen
nicht zuzumuten ist, auf Vollzugsakte zur Umsetzung der untergesetzlichen Norm zu warten, oder die Wirkung der Norm ohne anfechtbare
Vollzugsakte eintritt, hat die Rechtsprechung eine Feststellungsklage gemäß §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG als Normfeststellungsklage für zulässig erachtet (zu Richtlinien des GBA z.B. BSG, Urteil vom 31.05.2006 - B 6 KA 13/05 R - in juris; zu Klagen gegen die Verordnung von Festbeträgen siehe auch §
35 Abs.
7 SGB V). Die Rechtsschutzgarantie des Art.
19 Abs.
4 Satz 1
GG erfordert es vorliegend jedoch nicht, dem Kläger eine unmittelbare Klagemöglichkeit gegen die im Raum stehenden untergesetzlichen
Normen (Hilfsmittel-Richtlinie und Behandlungsrichtlinie-Zahnärzte des GBA) zu eröffnen. Dem Kläger ist es vielmehr zumutbar,
die begehrten Leistungen bei der Beklagten zu beantragen, eine Entscheidung abzuwarten und die Rechtsnormen (ggf.) inzident
im Rahmen der gegen eine ablehnende Verwaltungsentscheidung eröffneten Rechtsbehelfe zur Überprüfung zu stellen. Eine Feststellungsklage
ist gegenüber der (dann möglichen) kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage subsidiär (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG Komm., 12. Aufl., §
55 Rn. 19). Darüber hinaus fehlt es an einer Klagebefugnis (zur entsprechenden Geltung der Grundsätze des §
54 Abs.
1 Satz 2
SGG für die Feststellungsklage, z.B. BSG, Urteil vom 21.03.2012 - B 6 KA 16/11 R -, in juris, Rn. 31), soweit der Kläger Ansprüche "für Sozialhilfeempfänger" im Allgemeinen geltend macht. Insoweit fehlt
es an der eigenen subjektiven Rechtsbetroffenheit des Klägers. Schließlich wäre eine Normfeststellungsklage auch nicht gegen
die Krankenkasse, sondern gegen den Normgeber (hier: GBA) zu richten.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.2
SGG) liegen nicht vor.