Rechtmäßigkeit einer Herabsetzung des Grades der Behinderung – GdB – nach dem SGB IX nach Ablauf der Heilungsbewährung
Anforderungen an die Beurteilung eines Gesamt-GdB bei Funktionsbeeinträchtigungen in den Funktionssystemen "Gehirn einschließlich
Psyche", "Geschlechtsapparat", "Rumpf", "Verdauung" und "Blut einschließlich blutbildendes Gewebe und Immunsystem" sowie "Herz
- Kreislauf"
Begründetheit der Berufung im sozialgerichtlichen Verfahren bei einem Hinausgehen des Sozialgerichts über das Begehren des
Klägers - Verstoß gegen den Grundsatz "ne ultra petita"
Übernahme der außergerichtlichen Kosten durch die Staatskasse
Tatbestand
Der Beklagte wendet sich mit der Berufung gegen die erstinstanzliche Aufhebung der Herabsetzung des Grades der Behinderung
(GdB) nach Ablauf der Heilungsbewährung von 70 auf 40 ab dem 24. November 2018.
Die Klägerin ist 1948 geboren. Sie war zuletzt als Chefarztsekretärin beschäftigt und ist seit 2013 Rentnerin. Sie ist geschieden,
Mutter von drei Kindern, lebt allein und versorgt sich selbst. Im Haushalt erhält sie Hilfe von einer Putzfrau, bei der Versorgung
ihres Gartens hilft ihr ein Gärtner. Sportlich betätigt sie sich im Fitnessstudio (Zirkeltraining) und macht dreimal wöchentliche
Nordic Walking (vgl. Anamnese Entlassungsbericht MediClin S. Klinik).
Das Landratsamt C. (LRA) stellte durch Bescheid vom 2. August 2006 einen GdB von 40 seit dem 25. April 2006 fest. Nach der
versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. K. lagen dieser Feststellung zugrunde ein Einzel-GdB von 30 (Teilverlust des Dickdarms,
Teilverlust des Dünndarms, Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperation), von 10 (depressive Verstimmung, psychovegetatives
Erschöpfungssyndrom), von 20 (Funktionsbehinderung der Wirbelsäule [WS], degenerative Veränderungen der WS, Schulter-Arm-Syndrom)
und von 20 (Bluthochdruck).
Am 8. Juni 2016 beantragte die Klägerin die Neufeststellung des GdB. Es gelangten unter anderem zur Vorlage der endgültige
Entlassungsbericht des Kreisklinikum C.-N. vom 1. Mai 2016, aus dem sich als Diagnosen ergaben Carcinoma in situ Milchgänge
D05.1 rechts mit 0,1 cm Abstand nach lateral, Z. n. BET rechts am 11. April 2016, Z. n. Milchgangspapillom rechts und Z. n.
nichtinvasivem gut. diff. pap. Mamma-CA rechts (in sano im Rahmen der BET rechts reseziert). Als Therapie sei am 28. April
2016 eine Nachresektion rechte Mamma nach lateral durchgeführt worden. Die Histologie vom 2. Mai 2016 habe ein tumorfreies
laterales Nachresektat rechts mit schmaler Nekrosezone, eine umgebende resorptive granulierende schaumzellige Entzündung und
Fadengranulome, eine fibröse Mastopathie des Drüsengewebes mit apokriner Metaplasie und mikrofokaler Epitheliose (UDH) sowie
eine resorptive Entzündung und eine riesenzellige Fremdkörperreaktion der Haut ergeben.
Dr. Z. bewertete versorgungsärztlich die Erkrankung der rechten Brust (in Heilungsbewährung) mit einem Einzel-GdB von 50,
den Teilverlust des Dickdarms, den Teilverlust des Dünndarms und die Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperation mit einem
Einzel-GdB von 30, die Funktionsbehinderung der WS, die degenerativen Veränderungen der WS und das Schulter-Arm-Syndrom mit
einem Einzel-GdB von 20, den Bluthochdruck mit einem Einzel-GdB von 20, die depressive Verstimmung und das psychovegetatives
Erschöpfungssyndrom mit einem Einzel-GdB von 10 und die Myelofibrose mit einem Einzel-GdB von 10. Der Gesamt-GdB betrage 70.
Eine Nachprüfung sei im April 2018 erforderlich. Das LRA stellte hierauf gestützt durch Bescheid vom 8. Juli 2016 einen GdB
von 70 seit dem 8. Juni 2016 fest.
Am 7. Mai 2018 leitete das LRA das Nachprüfungsverfahren ein und erhob den Befundschein der Fachärztin für Frauenheilkunde
Dr. B.. Demnach hätten bei der letzten Vorstellung im April 2018 auch nach Absetzen der Medikamente weiterhin rezidivierende
Gelenkbeschwerden bestanden. Sonst habe kein auffälliger Befund vorgelegen. Es bestehe Rezidivfreiheit, es seien keine Begleiterscheinungen
oder Funktionsbeeinträchtigungen durch die Krebserkrankung verblieben.
Im Weiteren kam zur Vorlage der Entlassungsbericht über die stationäre Rehabilitationsmaßnahme im Reha-Zentrum bei der Therme
B. W. vom 20. September bis zum 11. Oktober 2017, der als Diagnosen eine DCIS rechts ED 03/2016, pTis G1 R0, BET, RT, ET,
rezidivierende Narbenschmerzen rechts, eine psychovegetative Erschöpfung, Polyathralgien bei Polyarthrosen, Z. n. Sigmakarzinom
1994 (Teilresektion, adj. CHT), eine chronische Thrombophlebitis bds. bei chronisch venöser Insuffizienz, eine arterielle
Hypertonie und eine alimentäre Adipositas nannte. Die Klägerin habe von rezidivierendem Stechen im Bereich der rechten Brust,
einer allgemeinen körperlichen und psychischen Belastbarkeitsminderung, schneller Ermüdbarkeit, Schlafstörungen, persistierenden
Polyarthralgien, Muskel- und Knochenschmerzen, rezidivierenden Schmerzen und Verspannungen im Halswirbelsäulen(HWS)-Bereich
und belastungsabhängigen Schmerzen im Brustwirbelsäulen(BWS)-/Lendenwirbelsäulen(LWS)-Bereich berichtet. Der Aufnahmebefund
habe einen altersentsprechenden Allgemeinzustand und adipösen Ernährungszustand (Größe 162 cm, Gewicht 104 kg, BMI 49) ergeben.
Am Abdomen hätten sich reizlose Narbenverhältnisse nach stattgehabten Operationen gezeigt, palpatorisch habe keine pathologische
Resistenz bestanden und die Darmgeräusche seien regelgerecht. Bei der Prüfung des Bewegungsapparates habe ein flüssiges Gangbild
vorgelegen, bei der Inspektion im Stand eine S-förmige Thorakolumbalskoliose, ein Beckenschiefstand, ein Schultertiefstand
rechts, ein Muskelhartspann im Schulter-/Nackenbereich beidseits, kein isolierter Druck- oder Klopfschmerz über der gesamten
WS und die Extremitäten hätten eine altersentsprechende Beweglichkeit der Gelenke gezeigt. Der allgemeine psychische Befund
habe auffallende Werte bei Erschöpfung und bei Schmerzen ergeben, habe aber durch ausführliches Nachfragen relativiert werden
können, so dass eine weitere psychodiagnostische Abklärung nicht erforderlich gewesen sei. Bei der abschließenden Untersuchung
habe die Klägerin über eine allgemeine Besserung der Beschwerden berichtet, sie habe sich kräftiger und beweglicher gefühlt.
Es hätten noch rezidivierende wechselhafte WS- und Gelenkbeschwerden bestanden. Nach dem abschließenden Untersuchungsbefund
seien die Schulter-/Nacken- und paravertebrale Muskulatur besser detonisiert gewesen, es habe kein isolierter Druck- oder
Klopfschmerz über der gesamten WS bestanden, die Extremitäten und Gelenke seien altersentsprechend beweglich gewesen.
Aus dem Bericht des Arztes für Orthopädie/Chirotherapie/Sportmedizin/Akupunktur Dr. S. von November 2017 ergaben sich die
Diagnosen einer bekannten fortgeschrittenen Coxarthrose bds. sowie der Ausschluss von Osteoporose und Osteopenie. Die Hüftbeugung
rechts habe 110° und die Innen-/Außenrotation rechts 20-0-40° betragen.
Der Ambulanzbrief des Kreisklinikum C.-N. von Januar 2018 nannte als Diagnosen myeloproliferatives Syndrom i. S. einer primären
Myelofibrose (PMF) im präfibrotischen Stadium, Kolonarkarzinom 1994 und nicht invasives gut differenziertes gekapseltes papilläres
Karzinom rechts low grade DCIS (lateral winzige Anteile des Tumors), Milchgangspapilom rechts 04/2016. Klinisch hätten sich
keine neuen Aspekte gezeigt. Im Labor habe sich keine wesentliche Dynamik ergeben und krankheitsassozierte Symptome bezüglich
der PMF hätten nach wie vor nicht bestanden.
Dr. Z. bewertete versorgungsärztlich den Gesamt-GdB mit 40 und ging aus von einem Einzel-GdB von 30 (Teilverlust des Dickdarms,
Teilverlust des Dünndarms, Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperation), von 20 (Funktionsbehinderung der WS, degenerative
Veränderungen der WS, Schulter-Arm-Syndrom), von 20 (Bluthochdruck), von 10 (depressive Verstimmung, psychovegetatives Erschöpfungssyndrom)
und von 10 (Myelofibrose). Keinen Einzel-GdB von 10 bedingten Z. n. Darm-Ca, Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke und Funktionsbehinderung
beider Kniegelenke. Ein Tumorrezidiv des Carcinoma in situ der rechten Brust werde nicht beschrieben, so dass Heilungsbewährung
eingetreten sei. Weiterhin bestehe keine Behandlungsbedürftigkeit der Myelofibrose. Eine Bewegungseinschränkung der Knie-
und Hüftgelenke liege nicht vor.
Das LRA hörte die Klägerin zur Herabsetzung des GdB von 70 auf 40 an. Sie war mit der Aberkennung der Schwerbehinderteneigenschaft
nicht einverstanden. Nach zweimaliger Operation der rechten Brust und anschließender Bestrahlungstherapie bestünden immer
noch Narbenschmerzen. Die Rentenversicherung habe die dritte Rehabilitationsmaßnahme nach der Operation im Jahr 2016 im Dezember
2018 genehmigt. Es gehe ihr gesundheitlich wirklich nicht gut, sie sei nicht mehr belastbar, schnell ermüdbar und benötige
Hilfe und Unterstützung im Alltag in Haus und Garten. Die Klägerin legte vor den Ambulanzbrief des Kreisklinikum C.-N. von
August 2018, der die bereits aus dem Ambulanzbrief von Januar 2018 ersichtlichen Diagnosen nannte. Anamnestisch habe die Klägerin
bei der Vorstellung zur Verlaufskontrolle rezidivierende Knochenschmerzen wechselnd in allen Skelettabschnitten beklagt. Klinisch
hätten sich keine neuen Aspekte ergeben. Im Labor habe sich keine wesentliche Dynamik gezeigt. Krankheitsassozierte Symptome
bezüglich der PMF bestünden nach wie vor nicht. Eine Koloskopie sei bis auf eine Divertikulose unauffällig gewesen.
Versorgungsärztlich bewertete Dr. F.-M. zusätzlich den Teilverlust der rechten Brust mit einem Einzel-GdB von 10. Das Ausmaß
der Schwerbehinderung werde nicht erreicht.
Durch Bescheid von 21. November 2018 hob das LRA den Bescheid vom 8. Juli 2016 teilweise auf und stellte ab dem 24. November
2018 einen GdB von 40 fest. Zur Begründung führte es aus, es sei eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen
eingetreten, da Heilungsbewährung vorliege.
Deswegen erhob die Klägerin Widerspruch. Die Herabsetzung des GdB von 70 auf 40 sei nicht gerechtfertigt. Außer der Mamma-Ca-Erkrankung
von 2016 leide sie noch an einer weiteren schwerwiegenden Erkrankung. Im Jahr 2013 sei eine myeloproliferative Neoplasie in
Form einer Myelofibrose mit JAK 2 Mutation diagnostiziert worden. Sie befinde sich deshalb in engmaschiger ärztlicher Überwachung.
Ergänzend legte sie vor den Bericht der AnthroMed Ö. von Januar 2019, dem sich unter anderem die Diagnosen myeloproliferative
Neoplasie (D47.1 G) und Myelofibrose ED 1/2013 mit JAK 2 Mutation entnehmen ließen.
Der Entlassungsbericht der MediClin St. Klinik über die stationäre Rehabilitationsmaßnahme vom 11. Dezember 2018 bis zum 8.
Januar 2019 nannte als Diagnosen Mammacarcinom rechts, DCIS, pTis, G1, R0, M0, ED 3/16, Z. n. Biopsie 3/16, BET rechts am
11. April 2016 mit Nachresektion am 28. April 2016, Z. n. Radiatio der rechten Brust 5-6/16, Z. n. antihormoneller Therapie
mit Anastrozol 6/16 bis 1/18, Abbruch wegen massiver Nebenwirkungen, primäre Myelofibrose ED 2013, bis dato keine zytoreduktive
Therapie, nur ASS, Z. n. Coloncarcinom mit Operation und adjuvanter Chemotherapie 1994, arterielle Hypertonie, Hypothyreose,
Arthrose in beiden Hüften und Z. n. Bandscheibenvorfall HWS vor 18 Jahren. Die Klägerin habe angegeben, die Operation und
die Bestrahlung gut überstanden zu haben; ab und zu bestünden im Narbenbereich noch Schmerzen, eine Bewegungseinschränkung
bestehe nicht. Sie fühle sich vermehrt müde, wenig belastbar und müsse sich öfters ausruhen. Es träten Hitzewallungen, Schweißausbrüche
und Schlafstörungen auf. Auch sei sie ängstlich. Sie leide unter Schmerzen in der rechten Hüfte, beide Kniegelenke seien schmerzhaft
und es lägen Probleme im LWS-Bereich vor. Wegen der Osteofibrose sei sie in regelmäßiger onkologischer Kontrolle. Das letzte
Blutbild sei unauffällig gewesen, es habe sich nur eine leichte Thrombozytose gezeigt, deswegen nehme sie Aspirin ein. Ihre
Belastbarkeit im Alltag sei eingeschränkt, bei der Verrichtung des alltäglichen Lebens sei sie in vielen Bereichen selbständig.
Sie brauche jedoch Hilfe im Garten, ein Gärtner komme vorbei, und im Haushalt Unterstützung durch eine Putzfrau. In ihrer
Mobilität sei sie nicht eingeschränkt, sie müsse sich jedoch wegen ihrer noch eingeschränkten Belastbarkeit häufiger ausruhen.
Die Teilnahme am sozialen und gesellschaftlichen Leben sei nicht wesentlich eingeschränkt. Der Aufnahmebefund habe einen altersentsprechenden
Allgemeinzustand und einen adipösen Ernährungszustand (Größe 164 cm, Gewicht 100 kg) gezeigt. Der allgemeine psychische Befund
sei in allen Qualitäten orientiert, ohne Anhalt für formale oder inhaltliche Denkstörungen, in Stimmung und Affekt unauffällig
gewesen. Eine Langzeitblutdruckmessung habe eine Hypertonie Grad I (Gesamt-Mittelwert 144/81 mmHg) ergeben. Hinsichtlich des
Mamma-Ca hätten aktuell keine Beschwerden bestanden. In orthopädischer Hinsicht sei als Befund erhoben worden, dass keine
Nutzung von Gehstützen bei sicherem und unauffälligen Gang, ebenso der Zehen- und Fersengang, erforderlich sei. Bei der Befundung
der WS hätten sich eine linkskonvexe Krümmung im BWS-/LWS-Bereich mit paravertrebralem muskulären Hartspann ohne Klopf- oder
Druckschmerz sowie eine Hyperlordose gezeigt. Die Beweglichkeit von HWS (Rotation re./li. 60-0-60°, Seitneigung 20-0-10°,
Kinn-Jugulum-Abstand 2 cm, Reklination 15°), und BWS/LWS sei altersadäquat. Die oberen Extremitäten seien unauffällig gewesen,
sensomotorische Defizite hätten nicht vorgelegen, die Muskelkraft habe 5/5 nach Janda betragen. Im Bereich der unteren Extremitäten
habe die Beweglichkeit der rechten Hüfte Ex./Flex. 0-0-90°, Außenrotation 30°, Innenrotation 10° und der linken Hüfte Ex./Flex.
0-0-90°, Außenrotation 20°, Innenrotation 10° betragen. Die Knie- und Sprunggelenke seien unauffällig gewesen. Nach dem Abschlussbefund
habe sich die Klägerin erholt, gekräftigt und körperlich besser belastbar gefühlt. Die Beschwerden an der WS hätten sich gebessert,
von psychischer Seite habe sie sich stabiler und ausgeglichener gefühlt und die Blutdruckwerte hätten sich nach erweiterter
medikamentöser Therapie gebessert.
Der Ambulanzbrief des Kreisklinikum C.-N. von Februar 2019 nannte die bereits zuvor mitgeteilten Diagnosen. Klinisch hätten
sich keine neuen Aspekte gezeigt, der Verlauf sei weiterhin stabil.
Versorgungsärztlich bewertete Dr. S. die Funktionsbehinderungen wie zuvor Dr. F.-M.. Eine Heilungsbewährung hinsichtlich des
Carcinoma in situ der rechten Mamma sei eingetreten, Hinweise auf ein Rezidiv oder eine Metastasierung bestünden nicht. Die
Myelofibrose sei aktuell ohne Symptome, eine Therapieindiaktion bestehe nicht.
Das LRA hörte die Klägerin zur beabsichtigten Zurückweisung des Widerspruchs an. Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch.
Sie habe dem LRA die Adressen ihrer behandelnden Ärzte genannt, diese könnten Auskunft über ihren Gesundheitszustand geben.
Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 2. August 2019 zurück. Über den GdB sei letztmals mit Bescheid
vom 8. Juli 2016 entschieden worden, seinerzeit sei ein GdB von 70 festgestellt worden. Dabei sei zu berücksichtigen gewesen,
dass bei der GdB-Bewertung von Geschwulstkrankheiten nach Beseitigung der Geschwulst nicht nur der verbliebene Organschaden,
sondern auch der Umstand zu beachten sei, dass eine Heilungsbewährung abgewartet werden müsse. In den Verhältnissen, die dem
letzten maßgebenden Bescheid zu Grunde gelegen hätten, sei eine wesentliche Änderung insoweit eingetreten, als die Heilungsbewährung
für die Erkrankung der rechten Brust von fünf Jahren abgelaufen sei. Nachdem dieser Zeitraum rückfalllos abgelaufen sei, müsse
der GdB nunmehr allein unter Berücksichtigung der tatsächlichen Funktionseinschränkungen bzw. des verbliebenen Organschadens
neu festgestellt werden. Nachdem kein Rezidiv der malignen Grunderkrankung aufgetreten sei, bedinge der Teilverlust der rechten
Brust einen Einzel GdB von 10. Unter Berücksichtigung der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen ergebe sich ein Gesamt-GdB
von 40. Die geltend gemachte Myleofibrose sei aktuell ohne Symptome; eine Therapieindikation bestehe nicht.
Mit der am 16. August 2019 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin die Aufhebung des Bescheides vom 21. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 2. August 2018 insoweit verfolgt, als der Beklagte ab dem 24. November 2018 einen GdB von weniger als 50 festgestellt
hat. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Heilungsbewährung von fünf Jahren sei noch nicht abgelaufen. Die Erstdiagnose
der Krebserkrankung sei im März 2016 gewesen, Heilungsbewährung würde demnach erst im März 2021 eintreten. Auch leide sie
unter einer Vielzahl weiterer Beeinträchtigungen, wie einem Bandscheibenvorfall der HWS und an Arthrosen in beiden Knie- und
Hüftgelenken. Sie sei in ihrer Leistungsfähigkeit massiv eingeschränkt und müsse sich bereits nach kurzer körperlicher Belastung
für längere Zeit ausruhen.
Das SG hat die Beteiligten mit Verfügung vom 17. Dezember 2019 darauf hingewiesen, dass es nach vorläufiger Einschätzung des Sach-
und Streitstandes die Klage für zulässig und begründet halte. Weder mithilfe der aktenkundigen medizinischen Unterlagen noch
mit sonstigen Erkenntnismitteln des Gerichts dürfte nachzuweisen sein, dass eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) dergestalt eingetreten sei, dass der Gesamt-GdB nicht mehr mit 70, sondern nur noch mit 40 zu bemessen sei. Die Beweislast
für das Vorliegen einer wesentlichen Änderung trage vorliegend der Beklagte. Erforderlich sei der Vollbeweis; vernünftige
Zweifel, dass die Gesundheitsstörungen höher zu bewerten seien, dürften nicht bestehen. Es bestünden vorliegend aber schon
deswegen vernünftige Zweifel, weil die versorgungsärztlichen Stellungnahmen in punkto Aktualität, Vollständigkeit, Nachvollziehbarkeit
und Schlüssigkeit zu wünschen übrigließen. Sie stützten sich fast ausschließlich auf ältere Berichte, die von den behandelnden
Ärzten der Klägerin zu therapeutischen Zwecken erstellt worden seien. Die für eine sozialmedizinische Beurteilung erforderliche
umfassende Dokumentation aller Funktionsstörungen sei ebenso wenig ersichtlich wie eine gebotene Validierung anamnestischer
Angaben. Im vorliegenden Einzelfall hätten zur Bewertung der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen zumindest grob orientierende
ambulante Untersuchungen und Begutachtungen in zeitlicher Nähe zum vermeintlichen Zeitpunkt der wesentlichen Änderung veranlasst
werden müssen. Diese fehlenden Untersuchungen und Begutachtungen könnten nun nicht mehr durch das Gericht nachgeholt werden.
Gerichtlich beauftragte Sachverständige könnten unmöglich den Gesundheitszustand zum vorliegend maßgeblichen Zeitpunkt des
Erlasses des angefochtenen Widerspruchsbescheides beurteilen. Die Kammer beabsichtige daher, die angefochtene Herabsetzungsentscheidung
ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter durch Gerichtsbescheid aufzuheben. Die Sache weise
nach vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf
und der Sachverhalt sei geklärt.
Der Beklagte ist einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid entgegengetreten. Die Sache weise besondere Schwierigkeiten tatsächlicher
und rechtlicher Art auf. Die Kammer verkenne völlig, dass sich der Eintritt der Heilungsbewährung nach Ablauf der maßgeblichen
zweijährigen Frist aus der Akte ergebe. Nach den vorliegenden ärztlichen Berichten liege Rezidivfreiheit vor. Der Vorwurf,
die versorgungsärztlichen Stellungnahmen ließen zu wünschen übrig und stützten sich auf lediglich ältere Berichte, sei nicht
begründet. Auch habe der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung, denn er werfe die allgemeine, bislang höchstrichterlich nicht
geklärte Rechtsfrage auf, inwieweit das Sozialgericht der Verwaltung eine bestimmte Art und Weise der Sachverhaltsermittlung
vorschreiben können. Die aktenkundigen ärztlichen Berichte seien vollkommen ausreichend gewesen, um den Gesamt-GdB zu beurteilen.
Das SG hat durch Gerichtsbescheid vom 30. Januar 2020 den Bescheid vom 21. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 2. August 2019 aufgehoben. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf die Gesichtspunkte gestützt, auf die es die
Beteiligten mit der Verfügung vom 17. Dezember 2019 hingewiesen hatte.
Am 7. Februar 2020 hat der Beklagte gegen den ihm am 3. Februar 2020 zugestellten Gerichtsbescheid des SG Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt.
Zur Berufungsbegründung führt der Beklagte aus, der Gerichtsbescheid des SG sei bereits insoweit rechtswidrig, als die Herabsetzungsentscheidung vom SG komplett aufgehoben worden sei. Die Klägerin habe die Herabsetzung erstinstanzlich nur insoweit angefochten, als der GdB
auf weniger als 50 herabgesetzt worden sei. Abgesehen hiervon sei die Entscheidung aber auch insoweit unzutreffend, als für
eine Beweislastentscheidung kein Raum gewesen sei. Durch die im Verwaltungsverfahren beigezogenen medizinischen Unterlagen
habe die Höhe des GdB zuverlässig und sachgerecht eingeschätzt werden können. Die maßgebliche Änderung der Sach- und Rechtslage
habe bereits im Ablauf der Heilungsbewährung von zwei Jahren gelegen. Unter Berücksichtigung der nach Ablauf der Heilungsbewährung
vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen sei der GdB zutreffend von 70 auf 40 herabgesetzt worden. Das SG habe sich mit den vorliegenden ärztlichen Befunden nicht auseinandergesetzt. Seine pauschale Kritik, dass die den versorgungsärztlichen
Stellungnahmen zugrunde liegenden Befunde veraltet seien, sei unzutreffend. Es hätten aktuelle medizinische Unterlagen vorgelegen.
Im Weiteren sei auch den behandelnden Ärzten der Klägerin an der Objektivierung der von der Klägerin vorgetragenen Beschwerden
gelegen. Darüber hinaus habe das SG die Anforderung an den Vollbeweis überspannt. Eine absolute Gewissheit sei nicht erforderlich. Das SG fordere im Ergebnis eine Sachverhaltsaufklärung ins Blaue hinein, die nicht geboten sei. Aber selbst auf der Grundlage seiner
Sachverhaltswürdigung habe das SG keine Beweislastentscheidung treffen dürfen. Es hätten den Sachverhalt von Amts wegen selbst weiter aufklären müssen. Denn
die Regelungen zur Beweislast kämen in dem vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten sozialgerichtlichen Verfahren erst dann
zur Anwendung, wenn alle verfügbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft seien. Auch wenn maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung
der Sach- und Rechtslage der Erlass des Widerspruchsbescheides gewesen sei, habe das SG nicht von einer Beweisaufnahme völlig absehen dürfen, sondern habe den Gesundheitszustand der Klägerin zu diesem Zeitpunkt
ermitteln müssen. Es habe nahegelegen, die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen anzuhören und ggf. ein
Sachverständigengutachten einzuholen. Durch die Annahme, eine solche Beweiserhebung würde nicht zur Aufklärung des Sachverhalts
beitragen, habe das SG letztlich das Ergebnis der Beweisaufnahme vorweggenommen. Soweit der erkennende Senat den Rechtsstreit nicht für entscheidungsreif
halte, sei das Verfahren an das SG zurückzuverweisen. Aufgrund des Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz leide das Verfahren vor dem SG an einem wesentlichen Mangel.
Ergänzend hat der Beklagte die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. W. vorgelegt, wonach im Hinblick auf das Mammakarzinom
rechts eindeutig Heilungsbewährung eingetreten sei. Hinsichtlich des myeloproliferativen Syndroms bestehe ein stabiler Verlauf
ohne krankheitsassoziierte Symptome, ein höherer Einzel-GdB als 10 werde nicht erreicht. Von Seiten der WS bestünden nur geringe
Bewegungseinschränkungen, sodass der festgesetzte Einzel-GdB von 20 nicht zu gering bemessen sei. Ein höherer Einzel-GdB als
30 für den Teilverlust des Dickdarms und des Dünndarms mit Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperation komme nur bei einer
erheblichen Minderung des Kräfte- und Ernährungszustandes in Betracht. Eine solche liege sicherlich nicht vor. Das Körpergewicht
der Klägerin betrage 96,5 kg bei einer Köpergröße von 163 cm. Der Blutdruck liege bei 145/80 mmHg und sei damit systolisch
etwas erhöht. Der bisher anerkannte Einzel-GdB von 20 sei somit sicherlich nicht zu knapp bemessen, wenn nicht sogar weitreichend.
Im Hinblick auf den psychischen Befund, wonach die Stimmung und der Affekt unauffällig gewesen seien, ergäben sich keine Gesichtspunkte
für die Erhöhung des bislang berücksichtigten Einzel-GdB von 10.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30. Januar 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Karlsruhe zurückzuverweisen.
Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt und sich zur Sache nicht eingelassen.
Der Senat hat im Hinblick auf die eingeschränkte beiderseitige Hüftgelenksbeweglichkeit angeregt, vergleichsweise den Gesamt-GdB
ab dem 24. November 2018 mit 50 festzustellen. Die Klägerin war mit diesem Vergleichsvorschlag einverstanden. Der Beklagte
hat dem Vergleichsvorschlag nicht zugestimmt. Er hat darauf hingewiesen, dass vorliegend die Frist für die Heilungsbewährung
von zwei Jahren abgelaufen sei. Bei der im Widerspruchsbescheid genannten Frist von fünf Jahren handele es sich um einen Schreibfehler,
der rechtlich gesehen keine Folgen nach sich ziehe. Für die Bewegungseinschränkungen der Hüftgelenke werde höchstens ein Einzel-GdB
von 10 erreicht, der sich nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirke. Selbst bei Annahme eines Einzel-GdB von 20 werde in
der Gesamtbetrachtung die Schwerbehinderteneigenschaft nicht erreicht, da die Einzel-GdB-Werte für das Wirbelsäulenleiden
und den Bluthochdruck mit jeweils 20 sehr weitreichend beziehungsweise "nicht voll ausgefüllt" seien.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht (§
151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet
(§
124 Abs.
2 SGG), ist statthaft (§§
143,
144 SGG), auch im Übrigen zulässig, aber nur teilweise begründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 30. Januar 2020, mit dem das SG auf die isolierte Anfechtungsklage (§
54 Abs.
1 SGG) der Klägerin den Bescheid vom 21. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2019 (§
95 SGG) aufgehoben hat. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart die letzte Verwaltungsentscheidung
(vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum
SGG, 13. Aufl. 2020, §
54 Rz. 33).
Die teilweise Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Begründetheit der Klage, mit der die Klägerin den Bescheid vom 21.
November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2019 nur insoweit angegriffen hat, als der Beklagte
den GdB von 70 auf weniger als 50 herabgesetzt hat. Der Herabsetzungsbescheid ist insoweit rechtwidrig und verletzt die Klägerin
in ihren Rechten (§
54 Abs.
1 Satz 2
SGG). Die Berufung ist hingegen insofern begründet als das SG durch den Gerichtsbescheid vom 30. Januar 2020 den Bescheid über die Herabsetzung des GdB von 70 auf 40 insgesamt und damit
über die Herabsetzung des GdB auf 50 hinaus aufgehoben hat.
Soweit das SG den Bescheid vom 21. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2019 insgesamt aufgehoben hat,
ist die Berufung begründet, weil damit das SG über das Begehren der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren hinausgegangen ist. Die Klägerin hat die Herabsetzung des GdB
von 70 auf 40 nur insoweit angefochten als der Beklagte den GdB auf weniger als 50 herabgesetzt hat. Nach §
123 SGG entscheidet das Gericht aber nur über die klägerisch erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.
Das Gericht darf damit nicht mehr zusprechen als gewollt ist ("ne ultra petita") (vgl. Keller, a. a. O., § 123 Rz. 4). Mit
der vollständigen Aufhebung des Bescheides vom 21. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2019
ist das SG demnach über das Klagebegehren der Klägerin hinausgegangen.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung
vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Dabei liegt
eine wesentliche Änderung vor, soweit der Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen
nicht mehr so erlassen werden dürfte, wie er ergangen war. Die Änderung muss sich nach dem zugrunde liegenden materiellen
Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken. Das ist bei einer tatsächlichen Änderung nur dann der Fall,
wenn diese so erheblich ist, dass sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führt. Von einer wesentlichen Änderung ist auszugehen,
wenn aus dieser eine Veränderung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 11. November
2004 - B 9 SB 1/03 R -, juris, Rz. 12). Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt - teilweise - aufzuheben und durch die zutreffende
Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1986 - 9a RVs 55/85 -, juris, Rz. 11 m. w. N.). Die Feststellung einer wesentlichen Änderung setzt
einen Vergleich der Sach- und Rechtslage bei Erlass des - teilweise - aufzuhebenden Verwaltungsaktes und zum Zeitpunkt der
Überprüfung voraus (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 - B 9 V 2/10 R -, juris, Rz. 38 m. w. N.).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Beklagte hat in dem maßgeblichen Vergleichsbescheid vom 8. Juli 2016 einen
GdB von 70 ab dem 8. Juni 2016 festgestellt. In der dieser Feststellung zugrunde liegenden Sach- und Rechtslage ist eine wesentliche
Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten. Maßgeblich für den festgestellten GdB von 70 war unter anderem eine Krebserkrankung der Brust in Heilungsbewährung
gewesen. Nach Ablauf der Heilungsbewährung von zwei Jahren ist eine wesentliche Änderung eingetreten, wegen der zur Überzeugung
des Senats der GdB ab dem 24. November 2018 nicht mehr als 50 beträgt; die Klägerin ist damit weiterhin schwerbehindert.
Der Anspruch der Klägerin auf Feststellung des GdB richtet sich nach §
152 Abs.
1 und
3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (
SGB IX) in der aktuellen, seit dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung durch Art. 1 und 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe
und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl I S. 3234). Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§
152 Abs.
1 Satz 1
SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat (§
152 Abs.
1 Satz 2
SGB IX). Menschen mit Behinderungen sind nach §
2 Abs.
1 SGB IX Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs-
und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als
sechs Monate hindern können (Satz 1). Eine Beeinträchtigung nach §
2 Abs.
1 Satz 1
SGB IX liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht (Satz 2). Menschen
sind nach §
2 Abs.
2 SGB IX im Sinne des Teils 3 des
SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt
oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des §
156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich des
SGB IX haben. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft
festgestellt (§
152 Abs.
1 Satz 5
SGB IX). Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates
die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis
einzutragen sind (§
153 Abs.
2 SGB IX). Nachdem noch keine Verordnung nach §
153 Abs.
2 SGB IX erlassen ist, gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen, somit die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1
und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), entsprechend (§ 241 Abs. 5
SGB IX). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung
der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG)
zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für
die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (vgl. BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R -, juris, Rz. 14). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand
entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß
für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens.
Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere
bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht
zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die
sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische
Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung
des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (etwa "Altersdiabetes"
oder "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2, c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und
nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben.
Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im
Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2, e). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach §
152 Abs.
3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen
festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB
durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden
sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen
in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander (VG, Teil A, Nr. 3, a). Bei der Beurteilung
des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann
im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung
größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10, 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind,
um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (VG, Teil A, Nr. 3, c). Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander
können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein
und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf
eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe
betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung
einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen,
die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn
mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem
GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (VG,
Teil A, Nr. 3, d).
Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung
von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 - B 9 SB 1/03 R -, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur
vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage
ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Einzel- und Gesamt-GdB sind
über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen
(vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - B 9 SB 35/10 B -, juris, Rz. 5).
Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach §
152 Abs.
1 Satz 1
SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrunde
liegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der
Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (vgl. BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 - B 9 SB 17/97 R -, juris, Rz. 13). Der Einzel-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz
des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des
Beklagten oder der Vorinstanz Einzel-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB
hierdurch nicht beeinflusst wird.
In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze sowie unter Beachtung der höchstrichterlichen
Rechtsprechung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen der Klägerin
ab dem 24. November 2018 nicht mehr einen GdB von 70 - wie ihn der Beklagte durch den Bescheid vom 8. Juli 2016 ab dem 8.
Juni 2016 festgestellt hat -, sondern nur noch einen solchen von 50 rechtfertigen.
Entgegen den Ausführungen des SG ist vorliegend für eine Beweislastentscheidung zulasten des Beklagten kein Raum. Die vom Beklagten vorgenommene medizinische
Sachverhaltsermittlung war ausreichend, um die Frage des Eintritts einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage im
Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X beurteilen zu können. So hat der Beklagte einen Befundschein bei der Fachärztin für Frauenheilkunde Dr. B. angefordert. Im
Weiteren sind zur Vorlage gekommen die Entlassungsberichte über die stationären Rehabilitationsmaßnahmen im RehaZentrum bei
der Therme B.-W. und in der MediClin S. Klinik, der Bericht des Arztes für Orthopädie/Chirotherapie/Akupunktur Dr. S. sowie
mehrere Ambulanzbriefe des Kreisklinikums C-N.. Diese medizinischen Unterlagen sind auch für den Senat ausreichend, um das
für die Höhe des GdB maßgebliche Ausmaß der bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen beurteilen zu können.
Das SG hat verkannt, dass im Regelfall davon ausgegangen werden kann, dass in ärztlichen Befunden das zu entscheidende Krankheitsbild
objektiv und unabhängig von ärztlichen Eigeninteressen und unbeeinflusst vom Arzt-Patienten-Verhältnis wiedergegeben wird
(vgl. Senatsurteil vom 23. Januar 2020 - L 6 SB 3637/19 -, juris, Rz. 36). Insbesondere trifft dies auf die Entlassungsberichte über die durchgeführten Rehabilitationsmaßnahmen
zu, da bei diesen aufgrund der zeitlich begrenzten Dauer derselben das Arzt-Patienten-Verhältnis keinen Ausprägungsgrad wie
etwa bei einer langjährigen hausärztlichen Betreuung erreicht.
Ausschlaggebend für die Herabbemessung des GdB durch den Beklagten war die eingetretene Heilungsbewährung des Brustkrebses,
die in Auswertung der diesbezüglichen ärztlichen Befunde auch zur Überzeugung des Senats vorliegt, allerdings nicht in dem
festgestellten Ausmaß. Im dafür maßgebenden Funktionssystem "Geschlechtsapparat" beträgt der Einzel-GdB zur Überzeugung des
Senats nach Ablauf der Heilungsbewährung von zwei Jahren nicht mehr 50, sondern nur noch 20.
Der Beklagte hatte bei Erlass des maßgeblichen Vergleichsbescheids vom 8. Juli 2016 eine Krebserkrankung der rechten Brust
in Heilungsbewährung mit einem Einzel-GdB von 50 berücksichtigt. Die Klägerin hatte an einem Carcinoma in situ der Milchgänge
D05.1 rechts mit 0,1 cm Abstand nach lateral gelitten. Der Senat entnimmt dies dem Entlassungsbericht des Kreisklinikum C-N.
vom 1. Mai 2016, den er im Wege des Urkundsbeweises (§
118 Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
415 ff.
Zivilprozessordnung [ZPO]) verwertet.
Nach den VG, Teil B, Nr. 1, c) ist nach der Behandlung bestimmter Krankheiten, die zu Rezidiven neigen, insbesondere bei bösartigen
Geschwulsterkrankungen, eine Heilungsbewährung abzuwarten. Der Zeitraum beträgt in der Regel fünf Jahre; kürzere Zeiträume
werden in der GdB-Tabelle vermerkt. Die Heilungsbewährung beginnt ab dem Zeitpunkt, an dem die Geschwulst durch Operation
oder andere Primärtherapie als beseitigt angesehen werden kann; eine zusätzliche adjuvante Therapie hat keinen Einfluss auf
den Beginn der Heilungsbewährung. Der aufgeführte GdB bezieht den regelhaft verbleibenden Organ- oder Gliedmaßenschaden ein.
Außergewöhnliche Folgen oder Begleiterscheinungen der Behandlung - z. B. lang dauernde schwere Auswirkungen einer wiederholten
Chemotherapie - sind zu berücksichtigen. Bei den im Folgenden nicht genannten malignen Geschwulstkrankheiten ist von folgenden
Grundsätzen auszugehen: Bis zum Ablauf der Heilungsbewährung - in der Regel bis zum Ablauf des fünften Jahres nach der Geschwulstbeseitigung
- ist in den Fällen, in denen der verbliebene Organ- oder Gliedmaßenschaden für sich allein keinen GdB von wenigstens 50 bedingt,
im allgemeinen nach Geschwulstbeseitigung im Frühstadium ein GdB von 50 und nach Geschwulstbeseitigung in höheren Stadien
ein GdB von 80 angemessen. Bedingen der verbliebene Körperschaden oder die Therapiefolgen einen GdB von 50 oder mehr, ist
der bis zum Ablauf der Heilungsbewährung anzusetzende GdB entsprechend höher zu bewerten. Ein Carcinoma in situ (Cis) rechtfertigt
nach den VG, Teil B, Nr. 1, d) grundsätzlich kein Abwarten einer Heilungsbewährung. Ausgenommen hiervon sind das Carcinoma
in situ der Harnblase und das Carcinoma in situ der Brustdrüse (intraduktales und lobuläres Carcinoma in situ), bei denen
wegen klinischer Besonderheiten bei Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen das Abwarten einer Heilungsbewährung begründet
ist. Beruht daher die Höhe des GdB auf einer Erkrankung, für welche die einschlägigen Normen einen erhöhten GdB-Wert während
des Zeitraums der Heilungsbewährung ansetzen, ändert das Verstreichen dieses Zeitraums die wesentlichen, d. h. rechtserheblichen
tatsächlichen Verhältnisse, die der Feststellung des GdB zu Grunde gelegen haben (vgl. BSG, Urteil vom 11. August 2015 - B 9 SB 2/15 R -, juris, Rz. 15 und Urteil vom 12. Februar 1997 - 9 RVs 12/95 -, juris, Rz. 14). Somit begründet schon der rein rezidivfreie Zeitablauf den Eintritt der Heilungsbewährung und die wesentliche
Änderung. Eine Beschwerdefreiheit oder eine folgenlose Ausheilung der Erkrankung wird nicht vorausgesetzt. Ebenso kommt es
nicht darauf an, ob eine leitliniengerechte Therapie einen längeren Zeitraum für Kontrolluntersuchungen vorsieht oder mit
Rezidiven jederzeit zu rechnen ist.
Gemessen hieran war die maßgebliche Heilungsbewährung von zwei Jahren (VG, Teil B, Nr. 14.1) - und nicht wie vom SG und vom Beklagten im Widerspruchsbescheid angenommenen von fünf Jahren - am 24. November 2018, dem Zeitpunkt der Herabsetzung
des GdB von 70 auf 40, abgelaufen. Die Papillom-Exstirpation Mamma rechts war am 11. April 2016 und die Nachresektion am 28.
April 2016 erfolgt. Dies ergibt sich aus dem Entlassungsbericht des Kreisklinikum C-N. vom 1. Mai 2016 und aus dem ebenso
im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Operationsbericht des Kreisklinikum C-N. vom 3. Mai 2016. Nach Ablauf der zweijährigen
Heilungsbewährung liegt, wie der Senat dem Befundschein der Dr. B., den Entlassungsberichten des Reha-Zentrum bei der Therme
B.- W. und der MediClin S. Klinik, die im Wege des Urkundsbeweises verwertet werden, entnimmt, Rezidivfreiheit vor.
Im Funktionssystem "Geschlechtsapparat" verbleiben somit, wie sich für den Senat aus dem Entlassungsbericht der MediClin S.
Klinik ergibt, ein Z. n. Radatio der rechten Brust 5-6/16 mit rezidivierenden stechenden lokalen Narbenschmerzen, was in Anbetracht
der zweimaligen Operation der rechten Brust mit anschließender Bestrahlungstherapie schlüssige Restbeschwerden sind. Weiterhin
lässt sich dem Bericht entnehmen, dass die antihormonelle Therapie mit Anastrozol vorzeitig wegen massiver Nebenwirkungen
hat abgebrochen werden müssen, was deutlich dagegen spricht, dass sich der Heilungsverlauf unkompliziert und effektiv gestaltet
hat. Darüber hinaus leidet die Klägerin, wie der Senat dem vorgenannten Entlassungsbericht der MediClin S. Klinik im Weiteren
entnimmt, immer noch an Hitzewallungen, Schweißausbrüchen und Schlafstörungen, also an typischen und damit nachvollziehbaren
Folgen dieser Krebserkrankung. Zur Überzeugung des Senats sind demnach nach den VG, Teil B, Nr. 14.1 die Folgen der Brustkrebserkrankung
nicht, wie vom Beklagten zugrunde gelegt, lediglich mit einem Einzel-GdB von 10, sondern mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten.
Ein Einzel-GdB von 10 berücksichtigte nur den Teilverlust der rechten Brust und nicht die weiteren zum maßgeblichen Zeitpunkt
der Herabsetzung des GdB bestehenden geschilderten Folgen der Krebserkrankung, die nach wie vor die Teilhabe der Klägerin
einschränken. Nach den VG, Teil B, Nr. 1, c) sind neben dem nach der Heilungsbewährung regelhaft verbleibenden Organ- oder
Gliedmaßenschaden außergewöhnliche Folgen oder Begleiterscheinungen der Behandlung - z. B. lang dauernde schwere Auswirkungen
einer wiederholten Chemotherapie - zusätzlich zu berücksichtigen. Die nach dem Ablauf der Heilungsbewährung bei der Klägerin
infolge der Krebserkrankung weiterhin bestehenden Funktionsstörungen erachtet der Senat mit einem Einzel-GdB von 10 deshalb
für nur unzureichend abgebildet. Das Ausmaß der Funktionsstörungen rechtfertigt daher einen Einzel-GdB von 20.
Federführend für die aufrecht erhaltene Begründung der Schwerbehinderteneigenschaft sind die psychischen Einschränkungen der
Klägerin folgend aus den Schmerzen wie den seelischen Begleiterkrankungen. Im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche"
beträgt der Einzel-GdB deswegen nach Ansicht des Senats 30 und nicht lediglich wie vom Beklagten berücksichtigt 10. Bei der
Klägerin liegt nämlich neben einer psychovegetativen Erschöpfung infolge der drei Krebserkrankungen nach adjuvanter Chemotherapie,
antihormoneller Therapie und insbesondere zuletzt der primär das Knochensystem befallenden primären Myelofibrose zusätzlich
eine eigenständige Schmerzerkrankung vor, wie der Senat dem Entlassungsbericht des Reha-Zentrum bei der Therme B. W. entnimmt,
der die typischen rezidivierenden Muskel- und Knochenschmerzen solcher Erkrankungen beschreibt, die therapieresistent sind.
Denn noch bei der Abschlussuntersuchung hat sie von unveränderten Gelenkbeschwerden berichtet, wie diese schlüssig und glaubhaft
mit diesen Krankheiten und deren massiv in den Stoffwechsel eingreifenden Therapien einhergehen, was dem Senat aus einer Vielzahl
von vergleichbaren Verfahren bekannt ist. Das wird durch den Ambulanzbrief des Kreisklinikum C.-N. von August 2018 bestätigt,
wonach die Klägerin über rezidivierende Knochenschmerzen wechselnd in allen Skelettabschnitten geklagt hat, die also anderen
Natur sind als die Narbenschmerzen der rechten Brust oder die seitens der WS, die sich nach Einschätzung der behandelnden
Ärzte insbesondere durch die primäre Myelofibrose, nämlich einer Knochenerkrankung, erklären lassen. Zusätzlich sind weiter
im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" die glaubhaften psychischen Auswirkungen der nunmehr dritten Krebserkrankung
zu berücksichtigen, die der Verordnungsgeber ausdrücklich zusätzlich als seelische Begleiterscheinungen einer Teilhabebeeinträchtigung
gewichtet sehen will.
Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 bedingen Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen in Form leichterer psychovegetativer
oder psychischer Störungen einen GdB von 0 bis 20, stärkere Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit
(z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert,
somatoforme Störungen) einen GdB von 30 bis 40, schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen
Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 80 bis
100. Die funktionellen Auswirkungen einer psychischen Erkrankung, insbesondere wenn es sich um eine affektive oder neurotische
Störung nach F30.- oder F40.- ICD-10 GM handelt, manifestieren sich dabei im psychisch-emotionalen, körperlich-funktionellen
und sozial-kommunikativen Bereich (vgl. Philipp, Vorschlag zur diagnoseunabhängigen Ermittlung der MdE bei unfallbedingten
psychischen bzw. psychosomatischen Störungen, MedSach 6/2015, S. 255 ff.). Diese drei Leidensebenen hat auch das BSG in seiner Rechtsprechung angesprochen (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Juli 2017 - B 9 V 12/17 B -, juris, Rz. 2). Dabei ist für die GdB-Bewertung, da diese die Einbußen in der Teilhabe am Leben in der (allgemeinen) Gesellschaft
abbilden soll, vor allem die sozial-kommunikative Ebene maßgeblich (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 2017 - L 6 VH 2746/15 -, juris, Rz. 61). Bei dieser Beurteilung ist auch der Leidensdruck zu würdigen, dem sich der behinderte Mensch ausgesetzt
sieht, denn eine "wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit" meint schon begrifflich eher Einschränkungen
in der inneren Gefühlswelt, während Störungen im Umgang mit anderen Menschen eher unter den Begriff der "sozialen Anpassungsschwierigkeiten"
fallen, der ebenfalls in den VG genannt ist. Die Stärke des empfundenen Leidensdrucks äußert sich nach ständiger Rechtsprechung
des Senats auch und maßgeblich in der Behandlung, die der Betroffene in Anspruch nimmt, um das Leiden zu heilen oder seine
Auswirkungen zu lindern. Hiernach kann bei fehlender ärztliche Behandlung in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass
ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde
Störung im Sinne der GdB-Bewertungsgrundsätze darstellt (vgl. Senatsurteil vom 22. Februar 2018 - L 6 SB 4718/16 -, juris Rz. 42; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2010 - L 8 SB 1549/10 -, juris, Rz. 31).
Orientiert an diesen Vorgaben hat der Beklagte nach Ansicht des Senats die bei der Klägerin im Funktionssystem "Gehirn einschließlich
Psyche" bestehenden Funktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 unterbewertet. Denn diese erreichen den Ausprägungsgrad
einer stärkeren Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die einen GdB-Bewertungsrahmen
von 30 bis 40 eröffnet, und nach Ansicht des Senats mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten sind. Zwar hat die Klägerin ausweislich
des Entlassungsberichts der MediClin S. Klinik berichtet, grundsätzlich in der Teilnahme am sozialen und gesellschaftlichen
Leben nicht eingeschränkt und in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens selbständig zu sein, was ihr auch ermöglicht sich
weitestgehend eigenständig zu versorgen, aber schnell zu ermüden und verstärkt Erholungspausen zu benötigen. Zugleich hat
sie eingeräumt, dass eine eingeschränkte Belastbarkeit bei Verrichtungen des alltäglichen Lebens besteht, was ihre Selbsteinschätzung
deutlich relativiert und im Weiteren eingeräumt, dass sie Hilfe im Haushalt durch eine Putzfrau benötigt und auch bei der
Versorgung ihres Gartens die Hilfe eines Gärtners in Anspruch nehmen muss. Damit einhergehend führen die Schmerzen zu vermehrter
Müdigkeit, geringer Belastbarkeit und häufigeren Ruhepausen. Dem sich aus dem Entlassungsbericht des Reha-Zentrum bei der
Therme B. W. ergebenden allgemeinen psychischen Befund lassen sich hiermit korrelierend auffällige Werte bei der Erschöpfung
und bei den Schmerzen entnehmen. Auch auf die Anhörung des LRA zur Herabsetzung des GdB von 70 auf 40 hat die Klägerin von
einer unveränderten psychischen Belastung berichtet. Sie hat angegeben, es gehe ihr gesundheitlich wirklich nicht gut, sie
sei nicht mehr belastbar, schnell ermüdbar und benötige Hilfe und Unterstützung im Alltag. Das belegt, dass die Klägerin ihre
tatsächlichen Einschränkungen eher dissimuliert, was sich schon in ihrer Erwerbsbiographie mit aufrecht erhaltener Berufstätigkeit
bis zur Regelaltersrente nach der ersten massiven Darmkrebserkrankung zeigt. Nicht zu Unrecht verweist sie darauf, dass die
Rentenversicherung ihr schon eine dritte mehrwöchige Rehabilitationsmaßnahme 2018/2019 bewilligt hat, also nach sozialmedizinischer
Prüfung die Ausschöpfung aller ambulanten Behandlungsmöglichkeiten gesehen hat, was mit der von ihr behaupteten nicht eingeschränkten
Teilnahme am sozialen und gesellschaftlichen Leben schlicht nicht vereinbar ist, sondern eher einen hohen Krankheitswert belegt.
Zusätzlich ist bei der Bewertung der im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" bestehenden Funktionsstörungen zu berücksichtigen,
dass die Klägerin bislang eine Darmkrebserkrankung (Z. n. Coloncarcinom mit Operation und adjuvanter Chemotherapie 1994) und
eine Brustkrebserkrankung durchlebt hat und dass sie neben diesen schwerwiegenden Erkrankungen seit dem Jahr 2013 aktuell
an einem myeloproliferativen Syndrom im Sinne einer primären Myelofibrose, also einer progredienten Erkrankung, leidet. Diese
Krankheit war zwar zum Zeitpunkt der maßgebenden Herabsetzungsentscheidung noch ohne klinischen Symptome. Eine zytoreduktive
Therapie war nicht erforderlich, sie musste wegen einer leichten Thrombozytose lediglich Aspirin einnehmen. Unter Berücksichtigung
der drohenden schwerwiegenden Auswirkungen dieser Erkrankung, weshalb sich die Klägerin einer engmaschigen ärztlichen Überwachung
unterziehen muss, führt diese aber aufgrund der damit einhergehenden seelischen Begleiterscheinungen zu einer im Funktionssystem
"Gehirn einschließlich Psyche" zu berücksichtigenden zusätzlichen psychischen Beeinträchtigung, wenngleich der Senat nicht
verkennt, dass gegenwärtig noch keine begleitende Psychotherapie, sondern nur stationäre Rehabilitationsmaßnahmen erforderlich
sind. Unter Berücksichtigung dieser vorgenannten Erwägungen wird demnach zur Überzeugung des Senats ein Einzel-GdB von 30
in diesem Funktionssystem erreicht.
Nach der Darmkrebserkrankung führen die Funktionseinschränkungen im Funktionssystem "Verdauung" - mit Teilverlust des Dick-
und Dünndarms einhergehend mit Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperation - entgegen der Ansicht des Beklagten zur Überzeugung
des Senats nicht zu einem Einzel-GdB von 30, sondern nur zu einem solchen von 10. Nach den VG, Teil B, Nr. 10.2.2 werden chronische
Darmstörungen (irritabler Darm, Divertikulose, Divertikulitis, Darmteilresektion) ohne wesentlichen Beschwerden und Auswirkungen
mit einen GdB von 0 bis 10 und mit stärkeren und häufig rezidivierenden oder anhaltenden Symptomen (z. B. Durchfälle, Spasmen)
mit einem GdB von 20 bis 30 bewertet. Weder aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere nicht aus den Entlassungsberichten
über die stationären Rehabilitationsmaßnahmen, noch aus den Ausführungen der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren ergibt
sich für den Senat, dass die Klägerin infolge des Teilverlustes des Dickdarms, des Teilverlustes des Dünndarms und der Verwachsungsbeschwerden
nach Bauchoperation an stärkeren und häufig rezidivierenden oder anhaltenden Symptomen wie etwa Durchfällen oder Spasmen leidet.
Dem Entlassungsbericht des Reha-Zentrums bei der Therme B. W. lässt sich entnehmen, dass am Abdomen reizlose Narbenverhältnisse
vorgelegen und palpatorisch keine pathologische Resistenz bestanden haben. Die Darmgeräusche waren regelgerecht. Eine im Januar
2019 durchgeführte Coloskopie war laut dem Bericht des AnthroMed Ö. unauffällig. Letztlich spricht auch der Ernährungszustand
der Klägerin gegen nennenswerte Einschränkungen in diesem Bereich.
Ebenso wird im Funktionssystem "Herz - Kreislauf" entgegen der bisherigen Bewertung durch den Beklagten ein Einzel-GdB von
mehr als 10 nicht erreicht. Bei der Klägerin liegt eine Hypertonie Grad I vor. Für den Senat ergibt sich dies aus dem Entlassungsbericht
des MediClin S. Klinik. Im Weiteren entnimmt der Senat diesem Bericht als Ergebnis einer Langzeitblutdruckmessung einen Gesamt-Mittelwert
von 144/81 mmHg und eine Besserung der Blutdruckwerte nach Erweiterung der medikamentösen Therapie. Nach den VG, Teil B, Nr.
9.3 liegt demnach eine leichte Form der Hypertonie vor (keine oder geringe Leistungsbeeinträchtigung [höchstens Augenhintergrundveränderungen]),
die mit einem GdB von 0 bis 10 zu bewerten ist. Ein GdB-Bewertungsrahmen von 20 bis 40 wird erst bei einer mittelschweren
Form der Hypertonie (mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades [Augenhintergrundveränderungen - Fundus hypertonicus
I-II - und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie], diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz
Behandlung) erreicht. Zur Überzeugung des Senats erreicht die bei der Klägerin bestehende Hypertonie jedoch nicht einen mittelschweren
Ausprägungsgrad. Hierfür ergeben sich aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen keine Anhaltspunkte.
Das im Funktionssystem "Blut einschließlich blutbildendes Gewebe und Immunsystem" bestehende myeloproliferative Syndrom im
Sinne einer primären Myelofibrose ist nach den VG, Teil B, Nr. 16.5 nicht mit einem Einzel-GdB von mehr als 10 zu bewerten.
Den vom Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Ambulanzbriefen des Kreisklinikums C.-N. und dem Entlassungsbericht
der MediClin S. Klinik lässt sich das Nichtbestehen von krankheitsassoziierten Symptome entnehmen. Eine zytoreduktive Therapie
ist nicht erforderlich. Die Klägerin muss wegen einer leichten Thrombozytose lediglich Aspirin einnehmen. Auswirkungen auf
andere Organsysteme, wie sie nach den VG, Teil B, Nr. 16.5 für die Höhe des GdB maßgeblich sind, liegen demnach zur Überzeugung
des Senats in einem Ausprägungsgrad, der einen Einzel-GdB von mehr als 10 rechtfertigt, nicht vor.
Im Funktionssystem "Rumpf" besteht bei der Klägerin, wie der Senat den Entlassungsberichten des Reha-Zentrum bei der Therme
B. W. und der MediClin S. Klinik entnimmt, ein Z. n. einem Bandscheibenvorfall der HWS. Sie leidet deswegen unter rezidivierenden
Schmerzen und Verspannungen im HWS-Bereich und belastungsabhängigen Schmerzen im BWS- und LWS-Bereich, die unabhängig und
zusätzlich von denjenigen aufgrund der Krebserkrankungen, nämlich degenerativer Natur sind. Der insofern festzusetzende Einzel-GdB
beträgt nach Ansicht des Senats nicht mehr als 20.
Nach den VG, Teil B, Nr. 18.1 wird der GdB für angeborene und erworbene Schäden an den Haltungs- und Bewegungsorganen entscheidend
bestimmt durch die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen (Bewegungsbehinderung, Minderbelastbarkeit) und die Mitbeteiligung
anderer Organsysteme. Die üblicher Weise auftretenden Beschwerden sind dabei mitberücksichtigt. Außergewöhnliche Schmerzen
sind gegebenenfalls zusätzlich zu berücksichtigen. Schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der Gelenke können schwerwiegender
als eine Versteifung sein. Bei Haltungsschäden und/oder degenerativen Veränderungen an Gliedmaßengelenken und an der WS (z.
B. Arthrose, Osteochondrose) sind auch Gelenkschwellungen, muskuläre Verspannungen, Kontrakturen oder Atrophien zu berücksichtigen.
Mit Bild gebenden Verfahren festgestellte Veränderungen (z. B. degenerativer Art) allein rechtfertigen noch nicht die Annahme
eines GdB. Ebenso kann die Tatsache, dass eine Operation an einer Gliedmaße oder an der WS (z. B. Meniskusoperation, Bandscheibenoperation,
Synovialektomie) durchgeführt wurde, für sich allein nicht die Annahme eines GdB begründen.
Der GdB bei angeborenen und erworbenen Wirbelsäulenschäden (einschließlich Bandscheibenschäden, Scheuermann-Krankheit, Spondylolisthesis,
Spinalkanalstenose und dem so genannten "Postdiskotomiesyndrom") ergibt sich nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 primär aus dem
Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte.
Der Begriff Instabilität beinhaltet die abnorme Beweglichkeit zweier Wirbel gegeneinander unter physiologischer Belastung
und die daraus resultierenden Weichteilveränderungen und Schmerzen. So genannte "Wirbelsäulensyndrome" (wie Schulter-Arm-Syndrom,
Lumbalsyndrom, Ischialgie sowie andere Nerven- und Muskelreizerscheinungen) können bei Instabilität und bei Einengungen des
Spinalkanals oder der Zwischenwirbellöcher auftreten. Für die Bewertung von chronisch-rezidivierenden Bandscheibensyndromen
sind aussagekräftige anamnestische Daten und klinische Untersuchungsbefunde über einen ausreichend langen Zeitraum von besonderer
Bedeutung. Im beschwerdefreien Intervall können die objektiven Untersuchungsbefunde nur gering ausgeprägt sein.
Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität haben einen GdB von 0 zur Folge. Gehen diese mit geringen
funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades,
seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) einher, ist ein GdB von 10 gerechtfertigt. Ein GdB von
20 ist bei mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder
anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome)
vorgesehen. Liegen schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt vor (Verformung, häufig rezidivierende
oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte
Wirbelsäulensyndrome) ist ein Einzel-GdB von 30 angemessen. Ein GdB-Rahmen von 30 bis 40 ist bei mittelgradigen bis schweren
funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorgesehen. Besonders schwere Auswirkungen (etwa Versteifung großer
Teile der WS; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst [z. B. Milwaukee-Korsett];
schwere Skoliose [ab ca. 70° nach Cobb]) eröffnen einen GdB-Rahmen von 50 bis 70. Schließlich ist bei schwerster Belastungsinsuffizienz
bis zur Geh- und Stehunfähigkeit ein GdB-Rahmen zwischen 80 und 100 vorgesehen. Anhaltende Funktionsstörungen infolge Wurzelkompression
mit motorischen Ausfallerscheinungen - oder auch die intermittierenden Störungen bei der Spinalkanalstenose - sowie Auswirkungen
auf die inneren Organe (etwa Atemfunktionsstörungen) sind zusätzlich zu berücksichtigen. Bei außergewöhnlichen Schmerzsyndromen
kann auch ohne nachweisbare neurologische Ausfallerscheinungen (z. B. Postdiskotomiesyndrom) ein GdB über 30 in Betracht kommen.
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben wird zur Überzeugung des Senats ein Einzel-GdB von mehr als 20 im Funktionssystem "Rumpf"
nicht erreicht. Es bestehen allenfalls mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt, nämlich nur
in der HWS. Im Bereich der WS liegt bei der Klägerin vor eine linkskonvexe Krümmung im BWS-/LWS-Bereich, kein Klopf- oder
Druckschmerz, eine Hyperlordose und ein paravertrebraler muskulärer Hartspann im BWS-/LWS-Bereich. Die Beweglichkeit der HWS
beträgt Rotation re./li. 60-0-60°, Seitneigung 20-0-10°, Kinn-Jugulum-Abstand 2 cm, Reklination 15° und die Beweglichkeit
der BWS/LWS ist altersadäquat frei. Der Senat stützt sich insofern auf den Entlassungsbericht der MediClin S. Klinik.
Zuletzt ist im Funktionssystem "Beine" nach Ansicht des Senats kein Einzel-GdB von mindestens 10 festzustellen. Bei der Klägerin
besteht eine Arthrose in beiden Hüftgelenken. Die Beweglichkeit der rechten Hüfte beträgt Extension/Flexion 0-0-90°, Außenrotation
30°, Innenrotation 10° und der linken Hüfte Extension/Flexion 0-0-90°, Außenrotation 20°, Innenrotation 10°. Die Knie- und
Sprunggelenke sind altersentsprechend frei beweglich. Auch dies entnimmt der Senat dem Entlassungsbericht der MediClin S.
Klinik. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 werden Bewegungseinschränkungen der Hüftgelenke geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung
bis zu 0-10-90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit) einseitig mit einem GdB von 10 bis 20 und
beidseitig mit einem GdB von 20 bis 30 bewertet. Die Hüftgelenksbeweglichkeit der Klägerin ist jedoch beidseits Streckung/Beugung
0-0-90° und erreicht demnach nicht das Ausmaß einer geringgradigen Bewegungseinschränkung im Sinn der VG, Teil B, Nr. 18.14.
Aufgrund der altersentsprechenden freien Beweglichkeit der Knie- und Sprunggelenke wird auch diesbezüglich kein Einzel-GdB
von mindestens 10 erreicht.
Aus den vorliegenden Einzel-GdB-Werten von 30 ("Gehirn einschließlich Psyche), von jeweils 20 für die Funktionssysteme "Geschlechtsapparat"
und "Rumpf" sowie von jeweils 10 in den Funktionssystemen "Verdauung", "Blut einschließlich blutbildendes Gewebe und Immunsystem"
sowie "Herz - Kreislauf" ergibt sich ein Gesamt-GdB von 50. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist nach den VG, Teil A, Nr.
3, c) in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick
auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird,
ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10, 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung
insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein: Die Auswirkungen
der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf
des täglichen Lebens betreffen (VG, Teil A, Nr. 3, d), aa). Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders
nachteilig auswirken. Dies ist vor allem der Fall, wenn Funktionsbeeinträchtigungen an paarigen Gliedmaßen oder Organen -
also z. B. an beiden Armen oder beiden Beinen oder beiden Nieren oder beiden Augen - vorliegen (VG, Teil A, Nr. 3, d), bb).
Die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden (VG, Teil A, Nr. 3, d), cc) oder die Auswirkungen
einer Funktionsbeeinträchtigung werden durch eine hinzutretende Gesundheitsstörung nicht verstärkt (VG, Teil A, Nr. 3, d),
dd). Von Ausnahmefällen (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit)
abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der
Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten
Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes
der Behinderung zu schließen (VG, Teil A, Nr. 3, d), ee). Unter Beachtung dieser Grundsätze hält der Senat die Bildung eines
Gesamt-GdB von 50 im vorliegenden Fall für notwendig, um, da keine wesentlichen Überscheidungen zwischen den zu berücksichtigenden
Funktionsstörungen bestehen, den Auswirkungen der bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen auf den Ablauf
des täglichen Lebens insgesamt gerecht zu werden.
Dem auf die Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG gerichteten Hilfsantrag war nicht zu entsprechen. Die Voraussetzungen des §
159 Abs.
1 SGG liegen nicht vor. Das SG hat die Klage nicht abgewiesen, ohne in der Sache selbst zu entscheiden (§
159 Abs.
1 Nr.
1 SGG). Auch die Voraussetzungen der Nr.
2 des §
159 Abs.
1 SGG sind nicht gegeben. Selbst wenn das Verfahren vor dem SG wegen eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsrundsatz an einem wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des §
159 Abs.
1 Nr.
2 SGG leiden sollte, ist dies für eine Zurückverweisung nicht ausreichend. Weitere Voraussetzung nach §
159 Abs.
1 Nr.
2 SGG ist, dass auf Grund dieses Verfahrensmangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Wie der Senat
jedoch bereits ausgeführt hat, war die vom Beklagten vorgenommene medizinische Sachverhaltsermittlung aber ausreichend, um
das Vorliegen einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X und die Höhe des GdB zu beurteilen, so dass eine medizinische Beweisaufnahme nicht notwendig war.
Auf die Berufung des Beklagten waren demnach der Gerichtsbescheid des SG vom 30. Januar 2020 und der Bescheid vom 21. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2019 teilweise
aufzuheben und ein GdB von 50 ab dem 24. November 2018 festzustellen. Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG und berücksichtigt, dass die Berufung im Ergebnis nur deshalb teilweise Erfolg hat, weil das SG mit der vollständigen Aufhebung des Herabsetzungsbescheides über den Antrag der Klägerin hinausgegangen ist, und der Beklagte
im Berufungsverfahren in einem Umfang von zwei Dritteln unterlegen ist, weil nur eine Herabsetzung des GdB auf 50 und nicht
auf 40 - und damit nicht der Entzug der Schwerbehinderteneigenschaft - gerechtfertigt war. Die der Klägerin infolge der fehlerhaften
Sachbehandlung durch das SG im Berufungsverfahren entstandenen weiteren außergerichtlichen Kosten hat hingegen nicht der Beklagte, sondern die Staatskasse
zu tragen (vgl. Sächsisches LSG, Urteil vom 15. Januar 2015 - L 3 AS 861/14 - juris, Rz. 21).
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.