Feststellung eines Rotatorenmanschettenabrisses sowie eines Einrisses der Sehne des Musculus Subscapularis als weitere Unfallfolgen
eines anerkannten Arbeitsunfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer vollständigen Ruptur der Supraspinatussehne (Rotatorenmanschettenabriss)
an der rechten Schulter sowie ein Einriss der Sehne des Musculus Subscapularis als weitere Unfallfolgen des anerkannten Arbeitsunfalls
vom 04.08.2008 streitig.
Der am 18.04.1961 geborene Kläger griechischer Staatsangehörigkeit ist als Arbeiter bei der Beklagten versicherungspflichtig.
Er hatte bereits zahlreiche Behandlungen wegen Schulterbeschwerden und sich bereits vor dem Unfall eine Kontusion der rechten
Schulter zugezogen (MRT-Bericht vom 21.11.2008). Am 04.08.2008 rutschte er gegen 15:00 Uhr beim Schieben eines über 100 kg
schweren Metallbehälters aus und erlitt beim Nachgreifen ein Stauchungstrauma am rechten Schultergelenk. Er arbeitete weiter
und ging bei persistierenden Schmerzen am 10.11.2008 zu seinem Hausarzt Allgemeinmediziner K ... Dieser diagnostizierte eine
Läsion der Rotatorenmanschette, stellte ab dem Behandlungstag Arbeitsunfähigkeit (AU) zunächst bis 26.11.2008 fest und überwies
den Kläger an den Orthopäden Dr. L., der bei Verdacht auf eine Rotatorenmanschettenruptur rechts ein MRT in der Radiologischen
Gemeinschaftspraxis H./H./R. veranlasste. Im MRT vom 20.11.2008 zeigten sich ansatznah eine nahezu vollständige Ruptur der
Supraspinatussehne mit geringer Retraktion der Sehne sowie ein Einriss der Sehne des Musculus subscapularis ansatznah mit
Flüssigkeitseinlagerung in die Sehne, ferner degenerative Veränderungen des AC-Gelenks und geringe Einengung des subacrominalen
Bogens. Dr. R. beurteilte dies dahingehend, dass sowohl Ruptur wie Einriss posttraumatisch bedingt seien (Bl. 75 VA). Am 28.11.2008
begab sich der Kläger zu Durchgangsarzt Prof. Dr. P., Chefarzt der Unfallchirurgischen Klinik S., und gab an, nach dem Unfall
weiter gearbeitet zu haben. Prof. Dr. P. beschrieb eine schmerzhaft endgradige Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk
bei Abduktion bis 80° und den klinischen Verdacht auf eine Supraspinatussehnenruptur. Vom 04. bis 09.12.2008 wurde der Kläger
stationär in der Klinik arthroskopisch behandelt und eine offene Supraspinatusreinsertion und Labrum-Refixation durchgeführt
(Zwischenbericht vom 16.12.2008, Bl. 71 VA).
Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Arbeitgeberin des Klägers zunächst mit, dieser habe am zunächst berichteten Unfalltag
vom 01.08.2008 Urlaub gehabt (Bl. 14 VA). Der Unfall habe sich am 04.08.2008 gegen 16:15 Uhr in der Abteilung für Saftproduktion
ereignet (Unfallanzeige vom 23.01.2009, Bl. 18 VA). Der Kläger sei beim Einschieben eines Materialbunkers in die Produktionslinie
mit der rechten Hand abgerutscht, habe sich diese dabei verdreht und sei mit der rechten Schulter auf den Container gestürzt.
Beratungsarzt Dr. S. führte aus, die komplette Ruptur mit Retraktion des Sehnenstumpfes ohne darüber hinausgehende Muskelretraktion
lasse sich zusammen mit der deutlichen Ergussbildung grundsätzlich mit einer traumatischen Schädigung vereinbaren, allerdings
müsse ein degenerativer Vorschaden abgeklärt werden (Bl. 100 VA).
Am 06.05.2009 wurde wegen persistierenden Schmerzen eine weitere MRT-Untersuchung durchgeführt, die eine Reruptur der Supraspinatussehne,
die lediglich noch in den anterioren Anteilen fixiert erscheine, bei geringem Erguss in der Bursa subdeltoidea ergab (Befundbericht
vom 07.05.2009, Bl. 87 VA). Die Folgebehandlung wurde in der Berufsgenossenschaftlichen (BG) Unfallklinik T. durchgeführt,
wo eine eingeschränkte aktive Schultergelenksbeweglichkeit rechts festgestellt wurde und erweiterte ambulante Physiotherapie
und Schmerztherapie rezeptiert wurden (Zwischenberichte vom 25.05.2009, Bl. 97 VA; 18.06.2006, Bl. 104 VA; 22.07.2009, Bl.
136 VA; 24.07.2009, Bl. 141 VA).
Prof. Dr. W., Ärztlicher Direktor der BG Unfallklinik T., erstattete auf Veranlassung der Beklagten ein unfallchirurgisches
Zusammenhangsgutachten. In seinem Gutachten vom 08.09.2009 führte er aus, es bestehe der Verdacht auf einen erneuten Einriss
der refixierten Rotatorenmanschette im Bereich des rechten Schultergelenkes. Laut dem Vorerkrankungsregister sei der Kläger
wegen einer Schulterdistorsion rechts vom 24. bis 29.05.1999 sowie einer Läsion der Rotatorenmanschette vom 02. bis 06.05.2005
arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Über die Primärvorstellung nach dem angeschuldigten Ereignis lägen keinerlei Unterlagen vor.
Der vom Unfallverletzten nach expliziter Befragung (mit Dolmetscherin) geschilderte Mechanismus beschreibe, dass die auf die
Schulter ausgeübte Druckbewegung durch das Anschieben der schweren Maschine schlagartig weggenommen worden sei und die Schulter
in Neutralstellung diskret an den Tank angeprallt wäre. Durch den Unfall sei es somit nicht zu einer Sehnenbelastung einer
vorgespannten Sehne gekommen, vielmehr liege ein Anpralltrauma ohne Belastung der Rotatorenmanschette oder des ventralen Labrums
vor. Deswegen stelle das Ereignis vom 04.08.2008 eine unwesentliche Teilursache dar und begründe demzufolge auch keine Minderung
der Erwerbsfähigkeit (MdE; Bl. 172 ff. VA).
Auf Betreiben des klägerischen Bevollmächtigten erklärte sich die Beklagte bereit, den Kläger erneut unfallchirurgisch begutachten
zu lassen. Der Unfallchirurg Dr. E., der die Untersuchung im Beisein des auch dolmetschenden Rechtsanwalts durchführte, gelangte
in seinem Gutachten vom 21.07.2010 erneut zu dem Ergebnis, dass eine traumatische Rotatorenmanschettenruptur nicht vorliege,
vielmehr degenerative Veränderungen am rechten Schultergelenk bestünden, welches auch durch das Vorerkrankungsverzeichnis
gestützt werde. Umformende Veränderungen am rechten Schultergelenk müssten daher bereits vor dem angeschuldigten Ereignis
vom 04.08.2008 vorgelegen haben. Dabei legte er den vom Kläger zuletzt geschilderten Unfallhergang zugrunde. Der Kläger habe
mit beiden Armen einen 100 kg schweren Behälter geschoben, beide Arme seien nach seitlich und vorne um etwa 45° abgehalten
worden, die Ellenbogen jeweils um 90° gebeugt. Er sei wegen der Nässe mit dem rechten Bein weggerutscht, wodurch sich die
Beugung der Ellenbogen auf etwa 150° vermehrt habe, wohingegen die Oberarme an den Körper herangeführt worden seien. Dabei
habe er sich die rechte Schulter an der Maschine angeschlagen, zunächst Schmerzen gehabt, dann jedoch weiter gearbeitet. Diese
Unfallschilderung stehe in Übereinstimmung mit der in der BG-Klinik geschilderten. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis,
dass gegen eine traumatische Läsion der Rotatorenmanschette die direkte Kontusion der rechten Schulter ebenso wie das Verhalten
des Verletzten nach dem Unfall spreche, da er erst vier Monate nach dem Ereignis den Hausarzt aufgesucht und am 28.11.2008
die Erstellung eines D-Arztberichts erfolgt sei.
Mit Bescheid vom 27.07.2010 anerkannte die Beklagte daraufhin einen Arbeitsunfall vom 04.08.2008. Die Arbeitsunfähigkeit und
Behandlungsbedürftigkeit ab dem 10.11.2008 seien nach übereinstimmender fachärztlicher Feststellung nicht auf das Unfallereignis
zurückzuführen. Der Unfallhergang sei nicht geeignet, eine derartige Verletzung an der Rotatorenmanschette rechtlich wesentlich
zu verursachen. Bei dem Kläger bestünden vielmehr degenerative Veränderungen an der rechten Schulter. Außerdem seien die Unfallfolgen
folgenlos ausgeheilt, eine rentenberechtigende MdE liege nicht vor.
Der dagegen mit der Begründung eingelegte Widerspruch, dem Kläger könne nicht entgegengehalten werden, dass er zunächst keinen
Arzt aufgesucht habe, denn er habe seit dem Unfallereignis an Beschwerden an der rechten Schulter gelitten, sei aber fälschlicherweise
nur von einer Zerrung oder gleichartigen Beeinträchtigung ausgegangen, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28.10.2010).
Hiergegen hat der Kläger am 22.11.2010 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben, zu deren Begründung er darauf verwiesen hat, dass die Gesundheitsstörung an der rechten Schulter erst mit dem Unfallereignis
aufgetreten sei und keinerlei Vorschäden oder degenerative Veränderungen bestünden, wie dies die Beklagte behaupte. Sein Unfallschaden
sei auch nach Einschätzung von Dr. S. mit einer traumatischen Schädigung vereinbar.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes ist der Kläger bei Dr. B., Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, auf eigenes
Kostenrisiko nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) begutachtet worden. Dieser hat eine gewisse degenerative Vorschädigung auch aufgrund des Alters angenommen, welche durch
das Vorliegen der zwei AU-Bescheinigungen vor dem Unfall belegt werde. Die damals gestellten Diagnosen einer Schulterverrenkung
und einer Läsion der Rotatorenmanschette seien indessen nicht nachvollziehbar, da solche Erkrankungen nicht binnen weniger
Tage ausheilten. Der Unfallmechanismus sei leider nicht mehr zweifelsfrei zu rekonstruieren. Der Kläger habe nunmehr geschildert,
mit dem linken Bein und der linken Hand ausgerutscht und sich dann bei dem Abstürzen an der rechten Schulter gestoßen zu haben,
wobei er ein Geräusch vernommen habe. Seines Erachtens seien die danach aufgetretenen Gesundheitsstörungen im Wesentlichen
auf den Unfall zurückzuführen. Dafür sprächen insbesondere der sofortige posttraumatische Schmerzbeginn mit Funktionseinschränkung
des Armes, die Kombinationsverletzung mit Labrumläsion als Zeichen einer stattgehaben Dislokation des Gelenkes, der im MRT
präoperativ und intraoperativ bestätigte Gelenkerguss, die allenfalls mäßige Retraktion der Sehnenenden, welche narbig und
nicht glattrandig verändert erschienen, sowie der Umstand, dass keine fettige Degeneration der Muskulatur vorliege.
Die Beklagte hat hierzu eine fachärztliche Stellungnahme von Dr. H. vorgelegt, wonach eine Sehne biomechanisch nur dann geschädigt
werden könne, wenn sie über die individuelle Reißfestigkeit hinaus belastet werde. Überdies sei zu beachten, dass die Rotatorenmanschette
den Oberarmkopf in der Schulterpfanne zentriere, so dass immer eine Grundspannung des Sehnen-Muskelkomplexes bestehe. Dementsprechend
sei ein Anprall der Schulter nicht geeignet, eine Rotatorenmanschettenschädigung oder eine Schulterverrenkung herbeizuführen,
sodass das Gutachten von Dr. B. insoweit nicht schlüssig sei. Außerdem widerspreche sich der gerichtliche Sachverständige
insoweit, als er die vorangegangenen Erkrankungen ohne Hinweis für eine schwerwiegende Schädigung ansehe, andererseits aber
nach dem jetzigen Ereignis eine solche Erkrankung für möglich erachte, obwohl der Kläger überhaupt nicht ärztlich behandelt
worden und auch nicht durchgehend arbeitsunfähig gewesen sei. Als Fazit lasse sich daher nur festhalten, dass das Ereignis
sicherlich eine Prellung des Schultergelenkes, möglicherweise auch eine Stauchung verursacht haben könne.
Mit Urteil vom 29.03.2012, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 13.04.2012, hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, das allein abweichende Gutachten von Dr. B. vermöge im Ergebnis nicht zu überzeugen.
Dabei müsse zunächst berücksichtigt werden, dass nach allgemeiner Meinung in der medizinischen Wissenschaft die Rotatorenmanschette
im Bereich der Schulter im hohen Maße der Degeneration unterliege, die bereits ab dem dritten Lebensjahrzehnt beginne. Den
isolierten, ausschließlich traumatischen Supraspinatussehnenriss gebe es deshalb nicht. Infrage komme allein ein Verletzungsmechanismus
im Sinne einer wesentlichen Teilursache bei bestehender Degeneration, die nämlich zu einer herabgesetzten mechanischen Belastbarkeit
führe. Als geeignete Verletzungsmechanismen für einen traumatischen Supraspinatussehnenriss würden unter anderem eine starke
Zugbelastung bei gewaltsamer Rotation des Armes, z. B. die Verdrehung des Armes, wenn dieser in eine laufende Maschine gezogen
werde oder ein ungeplantes Auffangen eines schweren fallenden Gegenstandes angesehen. Diese Unfallhergänge seien geeignet,
aber nicht beweisend. Vorliegend habe der Kläger den Unfallhergang mehrfach, teilweise leicht abweichend geschildert, wobei
insoweit zu berücksichtigen sei, dass der Unfallbetroffene ein für ihn mit Schmerzen verbundenes Ereignis nicht objektiv wahrnehmen
könne und alle Einzelheiten zu schildern vermöge. Insgesamt bestehe jedoch insoweit Übereinstimmung, als die vom Kläger geschilderte
direkte Krafteinwirkung auf die Schulter (Sturz, Prellung, Schlag) nicht geeignet sei, eine Zugbeanspruchung mit unnatürlicher
Längendehnung der Sehne des Supraspinatus zu bewirken, da die Rotatorenmanschette durch den knöchernen Schutz der Schulterhöhe
(Acromion) und den Deltamuskel gut geschützt sei. Gegen eine traumatische Rotatorenmanschettenverletzung sprächen auch die
festgestellten degenerativen Veränderungen in Form einer subacromialen Enge und einer aktivierten AC-Gelenksarthrose, worauf
Dr. Engelmann ausdrücklich hingewiesen habe. Dies werde auch durch das Vorerkrankungsverzeichnis belegt. Gegen die These des
Sachverständigen, der Kläger habe sofortige posttraumatische Schmerzen verspürt, spreche, dass der Kläger erstmals etwa 3
1/2 Monate nach dem Anpralltrauma seinen Hausarzt wegen Schulterbeschwerden aufgesucht und nach dem Unfall weitergearbeitet
habe. Bei fehlenden knöchernen Begleitverletzungen könne die von Dr. B. als Pro-Kriterium angeführte Labrumläsion als Zeichen
einer stattgehabten Dislokation des Gelenkes, der intraoperativ festgestellte, sich wenig entleerende Erguss sowie das Fehlen
einer fettigen Degeneration der Muskulatur ein Überwiegen bedeutsamer Anknüpfungstatsachen für eine traumatische Rotatorenmanschettenruptur
nicht begründen. Vielmehr sprächen mit Prof. Dr. W. und Dr. E. mehr Kriterien gegen als für eine traumatische Rotatorenmanschettenverletzung.
Hiergegen hat der Kläger am 30.04.2012 Berufung mit der Begründung eingelegt, die von ihm vorgetragene Unfallschilderung sei
geeignet und zumindest wesentlich teilursächlich für seine Rotatorenmanschettenverletzung gewesen. Dies habe auch das Gutachten
des Dr. B. ausführlich dargelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. März 2012 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Juli 2010 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2010 abzuändern und festzustellen, dass die vollständige Ruptur der
Supraspinatussehne (Rotatorenmanschettenabriss) an der rechten Schulter sowie der Einriss der Sehne des Musculus Subscapularis
Folgen des Arbeitsunfalls vom 4. August 2008 sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass das SG zu Recht die Klage abgewiesen habe. Denn nach den von der unfallmedizinischen Literatur ermittelten Kriterien sei für eine
traumatische Zerreißung der Supraspinatussehne eine Zugbeanspruchung bzw. eine direkte Krafteinwirkung erforderlich, die aus
dem von dem Kläger geschilderten Unfallhergang gerade nicht hervorgehe. Auch liege nach der MRT-Untersuchung des rechten Schultergelenkes
keine knöcherne Begleitverletzung vor, die nach der unfallmedizinischen Literatur im Falle einer traumatischen Schädigung
der Rotatorenmanschette typischerweise zu erwarten sei. Demgegenüber seien degenerative Veränderungen in Form einer subacromialen
Enge und einer aktivierten AC-Gelenksarthrose festgestellt worden. Des Weiteren habe sich der Kläger erstmalig über drei Monate
nach dem Ereignis bei seinem Hausarzt wegen Schulterbeschwerden vorgestellt. Eine traumatische Schädigung führe aber zu einem
sofortigen Funktionsausfall des betroffenen Armes.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat der Senat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen befragt.
Der Allgemeinmediziner Dr. S. hat berichtet, dass er den Kläger im Mai 2005 wegen anhaltender Schmerzen der rechten Schulter
mit schmerzhaften Bogen und typischen Druckschmerzen an der Supraspinatussehne behandelt habe, die neurologische Untersuchung
sei unauffällig gewesen. Der Orthopäde Dr. L., bei dem der Kläger von November 2008 bis Mai 2011 in Behandlung stand, hat
einen Erstkontakt vom 10.11.2008 wegen einer Schulterkontusion rechts angegeben. Der Kläger habe damals keine Angaben zu einem
Arbeitsunfall gemacht. Die Sportklinik S. hat über eine erneute Arthroskopie im Februar 2010 mit Debridement des Labrums,
eine subacrominale Resektion der Vernarbungen und Side-to-Side-Naht der Supraspinatussehne berichtet. Nach der Operation habe
sich der Kläger einmalig im Juni 2011 mit Restbeschwerden im Bereich der rechten Schulter vorgestellt und danach nicht mehr.
Der Allgemeinmediziner Karst, bei dem der Kläger seit 1993 in Behandlung steht, hat immer wieder auftretende Schmerzzustände
in der Nacken-, Schulter- und Schultergelenksregion angegeben, wodurch überwiegend die linke Schulterregion betroffen sei.
Nach der beigefügten elektronischen Karteikarte ist der Kläger 1995 dreimal, 1996 einmal und 2004, 2005 zweimal wegen Beschwerden
an der rechten Schulter behandelt worden.
Der damalige Berichterstatter hat den Sachverhalt mit den Beteiligten am 25.02.2014 erörtert. Wegen der Einzelheiten wird
auf die Niederschrift vom selben Tag verwiesen. Die Beteiligten haben danach einer Entscheidung des Senats ohne mündliche
Verhandlung zugestimmt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte erster
und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die nach §§
143,
144 SGG statthafte und nach §
151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
entschieden hat (§
124 Abs.
2 SGG), ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen
Rechten. Er hat keinen Anspruch auf die Feststellung weiterer Unfallfolgen.
Nach §§
8 Abs.
1 Satz 2,
102 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) haben Versicherte gegen den zuständigen Unfallversicherungsträger dann einen Anspruch auf Feststellung einer Unfallfolge,
wenn ein Gesundheitsschaden durch den Versicherungsfall rechtlich wesentlich verursacht wird (BSG, Urteil vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R - NZS 2012, 909; Senatsurteil vom 27.03.2014 - L 6 U 4426/13 -).
Dabei ist auf einer ersten Prüfungsstufe zu fragen, ob der Versicherungsfall eine naturwissenschaftlich-philosophische Bedingung
für den Eintritt der Gesundheitsstörung ist, wobei insoweit jedes Ereignis Ursache eines Erfolges ist, das nach den einschlägigen
Erfahrungssätzen nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Wenn festzustellen ist, dass der Versicherungsfall
in diesem Sinne eine Bedingung für den Erfolg ist, ist auf der ersten Prüfungsstufe weiter zu fragen, ob es für den Eintritt
des Erfolgs noch andere Ursachen i. S. der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie gibt; das können Bedingungen
aus dem nicht versicherten Lebensbereich wie z. B. Vorerkrankungen, Anlagen, nicht versicherte Betätigungen oder Verhaltensweisen
sein (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Hinsichtlich des Überzeugungsmaßstabs genügt für die Feststellung des naturwissenschaftlich-philosophischen
Ursachenzusammenhangs der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit (st. Rspr, z. B. BSG, Urteile vom 02.02.1978 - 8 RU 66/77 - SozR 2200 § 548 Nr. 38 - und 30.04.1985 - 2 RU 43/84 - SozR 2200 § 555a Nr. 1).
Für die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität, welche nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre
von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen sind, ist grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings
die bloße Möglichkeit, aus-reichend, aber auch erforderlich. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang
spricht, so dass auf diesen Grad der Wahrscheinlichkeit vernünftiger Weise die Entscheidung gestützt werden kann und ernste
Zweifel ausscheiden. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über
die Möglichkeit von Ur-sachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen.
Dies schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche
oder seelische Störung hervorzurufen. Der wissenschaftliche Erkenntnisstand ist die Grundlage, auf der die geltend gemachten
Gesundheitsstörungen des konkreten Versicherten zu bewerten sind. Bei dieser einzelfallbezogenen Bewertung kann nur auf das
individuelle Ausmaß der Beeinträchtigung des Versicherten abgestellt werden, aber nicht so wie er es subjektiv bewertet, sondern
wie es objektiv ist. Die Aussage, der Versicherte sei so geschützt, wie er die Arbeit antritt, ist ebenfalls diesem Verhältnis
von individueller Bewertung auf objektiver, wissenschaftlicher Grundlage zuzuordnen. Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall
hat anhand des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen,
aber auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands.
Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen
ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche
nicht, muss aus der Auf-fassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs beziehungsweise
Gesundheitsschadens abgeleitet werden. Wenn es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen gibt, ist sozialrechtlich allein
relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht
gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch
verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere/n Ursache/n
keine überragende Bedeutung hat/haben. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen
von über-ragender Bedeutung, so ist oder sind nur diese Ursache/n "wesentlich" und damit Ursache/n im Sinne des Sozialrechts.
Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als
Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen
als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Ist die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen
einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen, so ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage
so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art
unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit
die Erscheinung ausgelöst hätte.
Bei dieser Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Dass der Begriff der Gelegenheitsursache durch
die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkung gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist, berechtigt
jedoch nicht zu dem Umkehrschluss, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen ein gegenüber einer Krankheitsanlage
rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne Weiteres zu unterstellen ist. Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen
Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache beziehungsweise dem Ereignis als solchem,
ein-schließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres
Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens - aber eine Ursache ist nicht deswegen wesentlich, weil sie die letzte war -,
ferner das Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, die Befunde und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie die gesamte
Krankengeschichte. Ergänzend kann der Schutzzweck der Norm heranzuziehen sein.
Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung gegebenenfalls in einem oder mehreren Schritten zu prüfende
Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt
werden muss. Dies wird häufig bei einem klar erkennbaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, vor allem wenn es keine feststellbare
konkurrierende Ursache gibt, kein Problem sein. Aber es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender
Alternativursache das angeschuldigte Ereignis eine Ursache ist oder die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellte
versicherte Ursache im naturwissenschaftlichen Sinn automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem
Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hält es der Senat nicht für hinreichend wahrscheinlich, dass das Unfallereignis vom
04.08.2008 die geltend gemachten dauerhaften Gesundheitsschäden hervorgerufen hat. Das hat das SG in Auswertung der im Wege des Urkundsbeweises verwertbaren Gutachten von Prof. Dr. W. und Dr. E. ausführlich begründet und
ebenso dargelegt, dass und aus welchen Gründen dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B. nicht zu folgen ist.
Der Senat schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Prüfung in vollem Umfang an und sieht insofern von einer weiteren
Darstellung der Entscheidungsgründe nach §
153 Abs.
2 SGG ab.
Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass die vom Senat durchgeführten Ermittlungen umso mehr dafür sprechen, dass über die
bereits bekannten AU-Zeiten hinaus bereits eine beachtliche degenerative Vorschädigung der rechten Schulter bestand, was der
Senat sowohl den Angaben des Dr. S. als auch der Karteikarte des Allgemeinmediziners K. entnimmt. Letztere belegt, dass der
Kläger bereits vor dem stattgehabten Arbeitsunfall häufig wegen Beschwerden in der Schulterregion bei Allgemeinmediziner K.
in Behandlung war, insbesondere vom 24. bis zum 29.05.1999 wegen einer Schulterdistorsion rechts und vom 02. bis 06.05.2005
wegen einer Läsion der Rotatorenmanschette krankgeschrieben war, wie dies zuletzt auch die AOK S. ebenso wie Dr. S., dem gegenüber
der Kläger noch nicht einmal von einem Arbeitsunfall berichtet hat, bestätigt haben. Der Kläger hat auch nach dem Arbeitsunfall
weitergearbeitet und sich erstmalig am 10.11.2008 bei einem Orthopäden, nämlich Dr. L. vorgestellt, hierbei einen sich vor
ca. 8 Wochen ereigneten Unfall angegeben und wurde, da von einem Arbeitsunfall gerade nicht die Rede war, folgerichtig und
entgegen §
11 Abs.
5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V), wonach Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei einem Arbeitsunfall ausgeschlossen sind, zunächst auf Kosten
der Krankenkasse behandelt. Deswegen haben Prof. Dr. W. und Dr. E. zu Recht einen Kausalzusammenhang in ihren Gutachten verneint
haben. Soweit Dr. B. eine andere Ansicht vertreten hat, hat Dr. H. diesem Gutachten schlüssig entgegengehalten, dass das vom
Sachverständigen gefundene Ergebnis schon insoweit widersprüchlich ist, als in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem
stattgehabten Arbeitsunfall überhaupt keine Behandlungen erfolgt oder Arbeitsunfähigkeitszeiten festgestellt worden sind.
Nach der unfallmedizinischen Fachliteratur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010,
S. 418) ist aber Indiz gegen den Kausalzusammenhang, wenn nach dem Unfallereignis keine Arbeitseinstellung erfolgt und kein
Arzt am Unfalltag oder am Unfallfolgetag aufgesucht wird.
Aus den Ausführungen des Beratungsarztes, auf die sich der Kläger gestützt hat, ergibt sich insoweit nichts anderes. Denn
Dr. S. hat nur die MRT-Aufnahmen ausgewertet, deswegen ausdrücklich einen Vorbehalt hinsichtlich degenerativer Vorschaden
gestellt und den Unfallhergang nicht gewürdigt. Die isolierte Auswertung der bildgebenden Diagnostik kann nicht eine Kausalität
mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachweisen. Dies gilt auch für die Einschätzung des Radiologen Dr. R. im Arztbrief
vom 21.11.2008 über das MRT vom 20.11.2008.
Dessen ungeachtet weist der Senat darauf hin, dass sich die Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. W. und Dr. E., die
bereits einen für eine Rotatorenmanschettenruptur geeigneten Unfallhergang verneint haben, im Einklang mit der herrschenden
wissenschaftlich-medizinischen Lehrmeinung dazu befinden, welche traumatischen Ereignisse geeignet sind, wesentlich ursächlich
im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre eine Rotatorenmanschettenruptur zu verursachen. Hierzu wird in Schönberger/Mehrtens/Valentin,
a.a.O., S. 410, ausgeführt, dass ein Riss bzw. Teileinriss der Supraspinatussehne, d.h. der Riss der Rotatorenmanschette,
durchaus traumatisch bedingt sein kann. Allerdings darf, um einen geeigneten Verletzungsmechanismus annehmen zu können, der
Unfallhergang eine Zugbeanspruchung mit unnatürlicher Längendehnung der Supraspinatussehne nicht ausschließen. Eine solche
Zugbeanspruchung ist aber gerade ausgeschlossen, wenn der Unfall eine direkte Krafteinwirkung auf die Schulter in Form eines
Sturzes, einer Prellung oder eines Schlages bewirkt hat, da die Rotatorenmanschette durch den knöchernen Schutz der Schulterhöhe
(Acromion) und den Deltamuskel gut geschützt ist (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O ... S. 412 f.).
Mithin hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung weiterer Gesundheitsfolgen als Unfallfolge.
Die Berufung des Klägers ist daher zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf §
193 SGG beruht.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§
160 Abs.
2 SGG).