Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG als Opfer sexuellen Missbrauchs durch den Vater
Keine Beweiserleichterung bei bestreitender Aussage des beschuldigten Täters
Zulässigkeit des Übergangs von einer Verpflichtungsklage auf behördliche Feststellung zu einer Leistungsklage im sozialgerichtlichen
Verfahren
Tatbestand
Die Klägerin begehrt, zum Teil im Zugunstenverfahren, die behördliche Feststellung, in den Jahren 1965 bis 1967 einerseits
und 1978 bzw. 1979 andererseits Opfer sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater geworden zu sein, und daran anschließend die
Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem
Opferentschädigungsgesetz (
OEG).
Die Klägerin ist im Jahre 1962 geboren. Sie ist deutsche Staatsangehörige und im Inland wohnhaft. Ihre Mutter brachte eine
ältere Halbschwester (geb. 1960) in die Ehe mit dem Vater der Klägerin ein. Nach ihr wurden zwei weitere Schwestern 1964 und
1965 geboren. Sie besuchte eine Mädchenschule. Dort legte sie das Abitur ab. Noch vor der Abiturprüfung, mit 19 Jahren, zog
sie mit einem aus Sizilien stammenden Mann zusammen, den sie mit 24 Jahren heiratete. Nach den späteren Angaben der Klägerin
war der Ehemann gewalttätig und verübte sexuellen Missbrauch. Nach dem Abitur begann sie ein wirtschaftswissenschaftliches
Studium, dass sie nach zwei Jahren zunächst abbrach. Danach absolvierte sie eine Ausbildung zur Groß- und Einzelhandelskauffrau.
Sie war dann als Justizangestellte und als Bankangestellte bzw. als Buchhalterin berufstätig. Etwa ein Jahr lang betrieb sie
zusammen mit dem Ehemann ein Restaurant. Diese Selbstständigkeit scheiterte jedoch und es verblieben höhere Schulden. Ab 1989
war die Klägerin bei einem Versicherungsunternehmen angestellt. Etwa zwischen 1990 und 1994 absolvierte sie erfolgreich ein
Abendstudium der Betriebswirtschaftslehre. Während dieses Zeitraums, im Jahre 1993 oder 1994, ließ sie sich von ihrem Ehemann
scheiden. Die Ehe war kinderlos geblieben. Nach dem Studienabschluss trat sie eine Stelle als Referentin bei einem Versicherungsunternehmen
an.
Vom 9. Oktober 1995 bis zum 30. Mai 1996 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung in den Furtbach-Kliniken in Stuttgart.
Nach ihrer dortigen Einweisung gab sie gegenüber den behandelnden Ärzte an, ihr Vater sei häufig alkoholisiert nach Hause
gekommen, sie habe sich ständig vor "Übergriffen" in Acht nehmen müssen. Die Mutter sei wenig wärmespendend, aber fordernd
gewesen. Seit ihrem 16. Lebensjahr habe sie an Ess-Brech-Anfällen gelitten. Diese hätten nach ihrer Heirat abgenommen, nunmehr
seit etwa zwei Jahren aber wieder zugenommen. Aktuell seien Schwindel und Synkopen aufgetreten. Sie habe in den letzten eineinhalb
Jahren verschiedene Antidepressiva und Neuroleptika bekommen (der Behandler war Dr. Sch.). Seit etwa vier Monaten habe sie
einmal wöchentlich eine Beratungsstelle aufgesucht. Ihre neue Berufstätigkeit als Referentin habe sie zunächst gut bewältigen
können, jetzt stehe jedoch eine Umstrukturierung an, die zu mehr Zusammenarbeit mit Kollegen führen werde; davor habe sie
Angst. Sie sei zunehmend antriebslos und suizidal geworden (vgl. Entlassungsbericht der Klinik vom 23. Juli 1996). Die Klinik
diagnostizierte eine schizoidnarzisstische Persönlichkeitsstörung mit Ess-Störung auf Borderline-Niveau und führte eine medikamentöse
sowie therapeutische Behandlung durch. Während der Therapie ergab sich, dass der geschiedene Ehemann der Klägerin mit einer
anderen Frau ein Kind bekommen hatte; hierauf reagierte die Klägerin mit einer schweren Regression und einer wochenlangen
suizidalen Krise, bei der auch ein eigenes, nicht gehabtes Kind eine Rolle spielte. Zwischenzeitlich gab es auch psychotische
Phasen. Zum Ende der Behandlung trat aber eine "deutliche Stabilisierung" ein, die Klägerin kümmerte sich um eine ambulante
Nachbehandlung und plante nach der Entlassung einen Arbeitsversuch.
Ab Mai 1996 begann die Klägerin ambulante Behandlungen bei der Ärztin für Psychotherapie und Psychoanalyse Dr. v. R. und der
Psychiaterin Dr. H.. Dr. v. R. berichtete in einem nicht datierten, aber im August 1997 verfassten Bericht von der Behandlung.
Hiernach hatte die Klägerin zu Beginn angegeben, sie habe sich kurz nach ihrer eigenen Scheidung erstmals an Verhaltensweisen
ihres Vaters, vor allem anzügliche Blicke erinnert; angefasst habe ihr Vater sie nie. Diese Erinnerungen habe sie Ende 1994
ihrem behandelnden Nervenarzt Dr. Sch. mitgeteilt, dieser habe sie jedoch nicht ernst genommen. Sie - die Therapeutin Dr.
v. R. - habe schon auf Grund dieser anfänglichen Angaben der Klägerin den Eindruck gehabt, dass "da vielleicht doch mehr"
gewesen sei, woran sich die Klägerin nicht erinnern könne oder wolle, jedoch habe sie diesen Eindruck für sich behalten, um
ihr nichts zu suggerieren. Sie habe dann in der Therapie soweit stabilisiert werden können, dass sie ab Mai 1997 ihre Berufstätigkeit
wieder habe aufnehmen können, ab August 1997 sogar ganztags. In dieser Zeit sei ihre jüngere Schwester schwanger geworden,
dies habe sie - die Klägerin - an eine eigene Abtreibung erinnert. Ferner habe sie sich mit sexuellen Nötigungen durch ihren
Ehemann auseinandersetzen müssen. Im September 1997 habe sie einen anderen Mann kennengelernt, der eine unbestimmte Angst
bei ihr ausgelöst habe. Am 18. September 1997 habe sie während eines Gesprächs in der Kantine ihres Arbeitgebers zu einer
Fernsehsendung über sexuelle Praktiken erstmals einen "Flashback" gehabt, und zwar Erinnerungsfetzen an oralen Verkehr. Sie
habe sofort erbrechen müssen. In der Folgezeit seien tägliche Gesprächstermine notwendig gewesen. Die Klägerin habe Alpträume
geschildert, in denen sie mit einem Metallstab anal penetriert worden sei oder habe zusehen müssen, wie ihr Vater oralen Verkehr
mit ihrer jüngeren Schwester gehabt habe. Die Klägerin habe ihre eigene Mutter angerufen. Diese habe angegeben, sie wisse
von nichts, und Vorfälle wie die geschilderten hätten nicht - unbemerkt - zwischen 1962 und 1965 stattgefunden haben können,
da die Wohnverhältnisse damals sehr beengt gewesen seien, sondern allenfalls später. Auf Grund der sich häufenden Folterträume
sei die Klägerin am 10. Oktober 1997 erneut zusammengebrochen. Nach einer kurzfristigen Stabilisierung habe sie erfahren,
dass ihr geschiedener Ehemann mit seiner neuen Ehefrau das zweite Kind erwarte, woraufhin es abermals zu einem Zusammenbruch
mit Verfolgungsängsten gekommen sei. Bei der weiteren Therapie seien dann erneut Träume zu Tage gekommen, in denen das Missbrauchsthema
kaum noch verfremdet dargestellt worden sei. Es sei der Entschluss gereift, den Vater nicht ungestraft davonkommen zu lassen.
Wegen dieser bevorstehenden Auseinandersetzung müsse die therapeutische Arbeit längerfristig fortgesetzt werden. Zusammenfassend,
so Dr. v. R., habe sich die Klägerin schrittweise an den Missbrauch erinnert, zunächst an den "verdeckten Inzest". Auf zweiter
Stufe seien Erinnerungsfetzen und Träume von manifestem Inzest in der frühen Kindheit "hervorgebracht" worden. Auch wenn sich
daraus nichts eindeutig beweisen lasse, so ließen die körperlichen und psychischen Schäden bei der Klägerin und die Symptomentwicklung
nur den Schluss auf manifesten Inzest zu.
Während dieser Zeit hatte die Klägerin einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente gestellt. Die damals zuständige Bundesversicherungsanstalt
für Angestellte (BfA) ließ sie bei Dr. M. untersuchen. Dort machte die Klägerin keine Angaben zu einem Missbrauch. Dr. M.
kam in ihrem Gutachten vom 3. Februar 1997 zu dem Ergebnis, die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei zurzeit aufgehoben, könne
durch eine weitere Therapie aber wiederhergestellt werden. Nachdem sich auf Grund der Behandlung bei Dr. v. R. die bereits
beschriebene Verbesserung eingestellt hatte, war es zu der beruflichen Wiedereingliederung ab Mai 1997 gekommen.
Auf einen erneuten Rentenantrag der Klägerin nach dem erneuten Zusammenbruch im Herbst 1997 holte die BfA das Gutachten des
Nervenarztes Dr. P. vom 10. März 1998 ein. Diesem gegenüber gab die Klägerin Missbrauchserfahrungen an. Er führte aus, im
Wesentlichen habe sich der Zustand (seit der Begutachtung bei Dr. M.) sogar gebessert, und zu der erneuten Arbeitsunfähigkeit
hätten paradoxerweise die psychotherapeutischen Bemühungen geführt, denn während der Therapie habe sie sich an den Missbrauch
erinnern können. Zur Zeit sei halbschichtiges Leistungsvermögen gegeben.
Am 3. Februar 1998 erstattete die Klägerin über ihre damalige Rechtsanwältin Strafanzeige gegen ihren Vater. Sie trug vor,
sie sei im Alter von drei bis fünf Jahren Opfer sexueller Missbrauchshandlungen geworden, an deren Einzelheiten sie sich nicht
erinnern könne. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart stellte das Ermittlungsverfahren mit Verfügung vom 9. Februar 1998 wegen
Eintritts der Verfolgungsverjährung ein.
In der Folgezeit war die Klägerin, nach Aktenlage halbtags, als Bankangestellte weiterhin berufstätig. Sie bezog - zunächst
- eine Berufsunfähigkeitsrente (alten Rechts). Die Gesprächstherapie bei Dr. v. R. wurde fortgeführt.
Im Mai 2000 absolvierte die Klägerin eine stationäre Behandlung im Rheuma-Zentrum Baden-Baden. Hier gab sie an, nach dem Absetzen
der antidepressiv wirkenden Medikamente habe sich eine generalisierte Schmerzproblematik entwickelt. Die Klinik ging ausweislich
ihres Behandlungsberichts vom 5. Juli 2000 u.a. von einem Fibromyalgie-Syndrom nach kindlichen Misshandlungen aus.
Ab Mitte 2001 bezog die Klägerin eine - zunächst befristete - Erwerbsunfähigkeitsrente alten Rechts (Bescheid der BfA vom
16. August 2001). Im Rahmen eines Verlängerungsantrags erstellte Dr. P. für die BfA das Gutachten vom 23. November 2002. Er
führte aus, die psychosexuelle Entwicklung der Klägerin weise Traumatisierungen durch den Vater und auch später durch den
Ehemann auf. Das Leistungsvermögen sei aufgehoben. Als Diagnose sei eine chronifizierte paranoidpsychotische Entwicklung zu
nennen. Die BfA bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 11. Dezember 2002 eine unbefristete volle Rente wegen Erwerbsminderung.
Im September 2004 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB). Dr. v. R.
teilte mit, die Behandlung dauere fort; zwischenzeitlich sei eine andauernde Persönlichkeitsveränderung vom Borderline-Typ
zu diagnostizieren (F60.31 nach der ICD-10 GM, der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter
Gesundheitsprobleme, 10. Revision, Deutsche Fassung). Der Beklagte stellte daraufhin mit Bescheid vom 14. Februar 2005 einen
GdB von 40 fest.
Erstmals am 21. August 2006 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten auch eine Beschädigtenversorgung nach dem
Opferentschädigungsgesetz (
OEG). Sie machte sexuellen Missbrauch durch ihren Vater geltend, als Tatzeit nannte sie die Jahre 1962 bis 1967. Der Beklagte
lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 23. August 2006 ab. Zum einen bestehe für die Klägerin objektive Beweislosigkeit hinsichtlich
der Taten, da die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren eingestellt habe. Zum anderen werde für Gewalttaten vor dem
In-Kraft-Treten des
OEG 1976 Entschädigung nur gewährt, wenn der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) wenigstens 50 betrage. Dies sei bei der Klägerin,
bei der nur ein GdB von 40 vorliege, nicht der Fall. Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein.
Parallel beantragte sie die Heraufsetzung des GdB. In jenem Verfahren teilte Dr. v. R. mit, zurzeit beständen eine bipolare
affektive Störung und eine schwere depressive Episode (F31.4 nach der ICD-10 GM), insgesamt sei von einer andauernden Persönlichkeitsveränderung
nach Extrembelastung (F62.0) auszugehen. Die Klägerin werde medikamentös und niederfrequent therapeutisch behandelt. Nach
einer Auswertung dieser Unterlagen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 10. April 2007 - allein wegen psychisch bedingter
Behinderungen - einen GdB von 60 fest.
In dem Widerspruchsverfahren wegen der Beschädigtenversorgung wertete der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten die zusätzlichen
medizinischen Unterlagen aus. Er kam zu dem Ergebnis, die Angaben der Klägerin seien mit Zurückhaltung zu bewerten. Sie sei
zu der geltend gemachten Zeit ein bis sechs Jahre alt gewesen. Bei zweifellos vorhandenen desolaten Familienverhältnissen
könne es (in der Erinnerung) nach über 30 Jahren zu Akzentverschiebungen gekommen sein. Offensichtlich liege auch eine gravierende
familiäre Belastung mit Neurosen und "Gemütserkrankungen" vor. Es sei auch bemerkenswert, dass die Ess-Störung erst nach der
Pubertät mit dem 16. Lebensjahr begonnen habe und eine seelische Dekompensation erst mit 32 Jahren, nach der Trennung vom
Ehemann, aufgetreten sei. Durch die langjährige Therapie, u.a. bei Dr. v. R., habe sich der Zustand gebessert. Erst 2007 seien
(wieder) körperliche Beschwerden dazugekommen und Dr. v. R. diagnostiziere (nunmehr) eine schwergradige Depression bei bipolarer
Erkrankung. Ferner führte der versorgungsärztliche Dienst aus, nachdem die Klägerin erst 30 Jahre nach dem angegebenen Inzest
Erinnerungen hervorgebracht habe, zunächst verdeckte, seien Brückensymptome nicht wahrscheinlich zu machen, insbesondere habe
die achtmonatige Fachbehandlung in der psychiatrischen Fachklinik (Furtbach-Krankenhaus) keine Hinweise in diese Richtung
erbracht. Die dort - in Übereinstimmung mit Dr. v. R. - diagnostizierte frühkindliche Entwicklungsstörung bei negativen Bindungserfahrungen
sei für einen eventuellen Missbrauch nicht spezifisch. Es bestehe (weiterhin) die Problematik des Erinnerungsvermögens in
der frühen Kindheit. Falls bei der Klägerin eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) zu diagnostizieren sei, sei der
auf die Schädigungen zurückführende GdS nicht mit mindestens 50 einzuschätzen, sondern allenfalls der gesamte Leidenszustand.
Der Beklagte erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 31. August 2007. Er führte, gestützt auf die versorgungsärztlichen
Stellungnahmen, aus, auch die nunmehr eingeholten Befundunterlagen ergäben keinen gesicherten Nachweis eines sexuellen Missbrauchs
durch den Vater in den Jahren 1962 bis 1967. Weiter fehlten Brückensymptome, die für eine eventuell ausreichende Glaubhaftmachung
notwendig seien.
Gegen den Bescheid erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG), die sie nicht begründete und später zurücknahm (S 8 VG 6731/07).
Am 22. März 2010 beantragte die Klägerin erneut eine Versorgung nach dem
OEG. Sie teilte mit, sie gehe nunmehr davon aus, dass die Taten ihres Vaters nicht verjährt seien bzw. bei Stellung der Strafanzeige
1997 nicht verjährt gewesen seien. Erstmals in diesem Antrag bezichtigte sie auch ihre Mutter der Beihilfe zum sexuellen Missbrauch.
Die Klägerin legte ärztliche Unterlagen aus den Jahren ab 2007 vor, darunter die Bescheinigungen von Dr. v. R. vom 28. Januar
2010 sowie von der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. K. vom 23. November 2009, wonach sie weiterhin wegen einer
chronifizierten Traumafolgestörung (F62.8 nach der ICD-10 GM), einer Fibromyalgie (F62.80) und einer rezidivierenden depressiven
Episode mit Angstzuständen (F32.9) in Behandlung sei und diese Störungen auf Traumatisierungen in der Kindheit sowie Re-Traumatisierungen
in der Ehe und im Berufsleben zurückzuführen seien.
Der Beklagte lehnte diesen Antrag, den er als Antrag auf Zurücknahme des Bescheids vom 23. August 2006 auffasste, mit Bescheid
vom 12. April 2010 ab. Die Klägerin habe keine Gesichtspunkte oder Tatsachen vorgetragen, die nicht schon in dem ersten Verfahren
bekannt gewesen seien.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Sie legte den Bericht der Dipl.-Psychologen D. und M. vom 3. Mai 2010 vor, wonach
eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung bestehe, die glaubhaft geschilderten Beschwerden und Symptome eindeutig die
Diagnosen einer PTBS (F43.1) und einer mittelgradigen depressiven Episode (F32.1) bestätigten, das A-Kriterium für die Entstehung
der PTBS in sadistisch erniedrigenden Handlungen und sexualisierter Gewalt bzw. Inzest durch den Vater zu sehen sei und wonach
"aus klinischer Sicht" keine Zweifel daran beständen, dass das A-Kriterium realiter stattgefunden habe. Beigefügt war ferner
eine lebenslaufähnliche "Biografiearbeit" der Klägerin. Darin gab sie an, ihr Vater sei 1983 arbeitslos gewesen und dann in
ihre und ihres Ehemannes gemeinsame Wohnung gezogen und habe sie auch dort "mit komischen Blicken" angesehen. Nach der Scheidung,
im März 1994, habe sie auf dem Stuttgarter Marktplatz "beim Breuninger" plötzlich begriffen, warum sie ihr Vater immer so
komisch ansehe. Sie habe damals mit ihrer Mutter gesprochen, die das auch so gesehen habe. Bei einem längeren Gespräch mit
ihrem Vater in einem Café im Frühjahr 1995 habe sie gemerkt, dass ihre Erinnerungen sie nicht trögen. Im November 1995 habe
ihr ihre jüngste Schwester mitgeteilt, dass auch sie missbraucht worden sei und ihr erster Ehemann mit der gemeinsamen Tochter
geschlafen habe. Spätestens im November 1995 habe sie auch konkrete Erinnerungen gehabt: der Vater habe auf sie uriniert,
sie mit einem Metallstab anal penetriert, sie oral vergewaltigt, die Mutter habe sie angeleitet bzw. festgehalten. Ferner
teilte sie darin mit, sie habe ihren Vater Anfang 1998 auf Schmerzensgeld in Anspruch genommen, dieses sei auch verjährt gewesen.
Der Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 21. Mai 2010 zurück, weil nach wie vor keine neuen Tatsachen
oder Erkenntnisse vorlägen. Ergänzend verwies er darauf, dass die Voraussetzungen der Härteklausel des §
10a Abs.
1 Nr.
1 OEG nicht vorlägen.
Hiergegen hat die Klägerin Klage beim SG erhoben (S 8 VG 3589/10). Sie hat unter anderem bestritten, dass in ihrer Familie gehäuft Nerven- und Gemütserkrankungen aufgetreten seien. Sie hat
darauf verwiesen, dass schon die - vom Beklagten angenommene - extreme Vernachlässigung in der Kindheit eine Straftat und
damit einen rechtswidrigen Angriff habe darstellen können. Dies gelte umso mehr, als alle vier Schwestern psychische Auffälligkeiten
zeigten.
Parallel hierzu hat die Klägerin auch die Zuerkennung eines höheren GdB beantragt. Nachdem dieser Antrag erfolglos geblieben
ist (Bescheid vom 12. November 2009, Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2010), hat sie auch insoweit Klage zum SG erhoben (S 20 SB 611/10). In jenem Verfahren hat sie das SG von Dr. med. Dipl.-Psych. F. vom Klinikum Stuttgart begutachten lassen. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 24.
September 2010 unter anderem ausgeführt, bei der Klägerin beständen eine "PTBS mit andauernder Persönlichkeitsveränderung
nach wahrscheinlichem Missbrauch durch den leiblichen Vater in der Kindheit", eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig
leichte Episode, und eine Ess-Störung nach Bulimie im Jugendalter. Der GdB betrage weiterhin 60. Die Klägerin war zwar den
Ausführungen von Dr. F. entgegengetreten, nahm aber die Klage später gleichwohl zurück.
In dem weiter anhängigen Klageverfahren wegen der Beschädigtenversorgung hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 26. November
2010 - nach Aktenlage erstmals - vorgetragen, es sei auch nach dem In-Kraft-Treten des
OEG am 15. Mai 1976 zu sexuellem Missbrauch gekommen. Sie sei erst mit 18 aus der elterlichen Wohnung ausgezogen. Hierzu hat
sie eine schriftliche Aussage über einen "Vorfall" beigefügt. Hiernach war ihr Vater, als sie 16 oder 17 Jahre alt gewesen
sei, an einem Nachmittag zwischen 15 und 16 Uhr mit Anzughose und freiem Oberkörper auf sie zugekommen, für das Folgende habe
sie einen "Black-out". An diesen Vorfall habe sie sich erst auf Grund eines Vorfalls mit einem Hund am 5. Oktober 2010 um
13.30 Uhr erinnert. Später teilte sie hierzu noch mit, diese Erinnerung sei anlässlich der Traumatherapie bei Dipl.-Psych.
M. gekommen, zuvor habe sie diesen Vorfall dem Kindesalter zugeordnet.
Hierzu hat die Klägerin ergänzend auf das Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 4. Februar
2010 verwiesen, wonach eine Vollversorgung zu gewähren sei, wenn Teile einer länger andauernden Schädigung im (dort: örtlichen)
Anwendungsbereich des
OEG verübt worden seien und andere nicht.
Auf Ersuchen des SG hat die Klägerin ihre Angaben zu dem Angriff im Jahre 1978 bzw. 1979 mit Schriftsatz vom 24. Dezember 2012 konkretisiert
und eine Skizze der damaligen Wohnung zur Akte gereicht. Sie erinnere sich daran, vor ihrem stehenden Vater gekniet zu haben,
sein nicht erigiertes Geschlechtsteil im Mund (Bl. 24 SG-Akte).
Nachdem der Beklagte darauf hingewiesen hat, dass Vorfälle aus diesen Jahren bislang nicht überprüft worden seien, hat das
SG auf übereinstimmenden Antrag der Parteien mit Beschluss vom 6. Februar 2013 das Ruhen des Verfahrens angeordnet.
Der Beklagte hat die Schilderung jenes Vorfalls durch die Klägerin vom 12. Januar 2011 als Antrag aufgefasst und ein Verwaltungsverfahren
eingeleitet. Er hat nunmehr die Mutter und die drei Schwestern der Klägerin schriftlich um Zeugenaussagen gebeten. Alle vier
haben - telefonisch oder schriftlich - mitgeteilt, sie könnten zu den angegebenen Tatsachen nichts aussagen bzw. wüssten darüber
nichts. Daraufhin hat der Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 22. August 2013 abgewiesen. Gewalttaten in den
Jahren 1978 bzw. 1979 seien nicht nachgewiesen. Den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin hat der Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 19. Dezember 2013 zurückgewiesen.
Auch hiergegen hat die Klägerin am 21. Januar 2014 Klage beim SG erhoben (S 8 VG 435/14). Sie hat mitgeteilt, sie habe im Juli 2013 auch wegen des Vorfalls 1978/1979 Strafanzeige gegen ihren Vater gestellt. Sie
hat ferner behauptet, sie könne sich nunmehr an einen weiteren Vorfall erinnern; ihr Vater habe sie im Sommer 1977 auf der
Rückfahrt von einer ADAC-Urlaubsreise nach Rumänien in Loretto in Österreich angegriffen. Sie hat angegeben, sie habe auch
große Sorgen um die Kinder ihrer Schwestern (ihre Nichten und Neffen), weil ihre zweitjüngste Schwester in erster Ehe mit
einem Inzesttäter verheiratet gewesen sei und weil ihr neuer Partner in den Sommerferien 2011 gegenüber der 2000 geborenen
Tochter (Nichte) übergriffig geworden sei. Sie - die Klägerin - habe sich deswegen an die Jugendämter in Stuttgart, Ludwigsburg
und Filderstadt gewandt und ihre Schwester - wegen eines Darlehens - auch vor dem Landgericht verklagt. Ferner hat die Klägerin
den Bewilligungsbescheid des Fonds Sexueller Missbrauch beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom
11. Februar 2014 vorgelegt, wonach ihr Kostenübernahmen bis zu einer Gesamthöhe von € 10.000,00 für Zuzahlungen zu Medikamenten,
für ein Fitness-Studio und für ein Fernstudium mit einer Studienassistenz bewilligt worden waren.
Die Strafanzeigen der Klägerin gegen ihren Vater wegen eines Missbrauchs 1978 oder 1979 sowie gegen ihre Mutter wegen Beihilfe
zu Missbrauchstaten in den 1960er Jahren sind mit Verfügungen vom 17. Juli 2013 (Az: 20 Js 61460/13) und 28. August 2014 (Az: 20 Js 80100/14) eingestellt worden, weil jedenfalls Verfolgungsverjährung eingetreten sei.
Mit Beschluss vom 17. September 2014 hat das SG das ruhende Verfahren wieder aufgegriffen und beide Verfahren unter dem Aktenzeichen S 26 VG 435/14 verbunden.
Das SG hat sodann die Klägerin persönlich angehört und die Eltern der Klägerin und die drei Schwestern als Zeugen vernommen.
Nachdem die jüngste Schwester unter Vorlage eines ärztlichen Attests mitgeteilt hat, sie sei in Gegenwart ihrer Familienangehörigen
nicht vernehmungsfähig, hat sie das SG schriftlich gehört. Sie hat am 20. November 2014 unter anderem bekundet, in den 1960er Jahren sei ihr Vater abends (betrunken)
heimgekommen und habe die Schwestern in deren (beiden) Schlafzimmern besucht und Gute Nacht gesagt. Zu ihr sei er körperlich
nicht zudringlich geworden. Sie habe keine Erinnerungen, die zur Aufklärung beitragen könnten. Sie sei niemals Zeugin eines
Missbrauchs der Klägerin durch den Vater geworden. Sie selbst sei auch niemals missbraucht worden. Die Klägerin habe in der
Familie erstmals Anfang der 1990-er Jahre von Missbräuchen erzählt. Sie habe zur Klägerin und zum Vater keinen Kontakt, wohl
aber zur Mutter. Sie könne nicht ausschließen, dass der Vater die Klägerin missbraucht habe. Nach der Konfrontation mit diesem
Thema habe der Vater den Kontakt zu allen anderen Angehörigen abgebrochen. Dass die Mutter etwas mitbekommen habe, sei zu
bezweifeln, da - auch - sie ihrem Ehemann aus dem Weg gegangen sei, wenn dieser getrunken habe.
In der Verhandlung am 17. Februar 2015 hat das SG sodann die Klägerin angehört und die übrigen Zeugen mündlich vernommen.
Die Klägerin hat geschildert, dass Erinnerungen erstmals im Jahre 1994 gekommen seien, als sei über den Stuttgarter Marktplatz
gelaufen sei. Nachdem es ihr immer schlechter gegangen sei, sei sie Ende 1995 in die Furtbach-Klinik eingewiesen worden. Die
Ärzte dort hätten gesagt, der Vater sei es gewesen, aber sie habe dies bestritten. Ihre jüngste Schwester habe sie damals
in der Klinik angerufen und gesagt, auch sie sei vom Vater missbraucht worden. Der Mann, den sie im Herbst 1997 in einem Hotel
gesehen habe, habe sie belästigt und so ausgesehen wie der erste Mann der jüngsten Schwester, der seine eigene Tochter missbraucht
habe. Dies und die Fernsehsendung, über die in der Kantine gesprochen worden sei, hätten die Erinnerungen weiter konkretisiert.
Sie habe dann ihren beiden jüngeren Schwestern ein Bild mitgeteilt, dass in der Familie verwendet worden sei ("weißes Eis
essen"), und beide hätten gleich gewusst, worum es gehe. Die Erinnerung an das Urinieren sei beim Anblick von Apfelsaft in
einem Café hochgekommen. Ihr Vater habe sie - als sie zwischen drei und fünf Jahre alt gewesen sei - anal mit Metallstäben
penetriert. Das seien Blitzableiter gewesen, mit denen er gehandelt habe. Die Klägerin hat auch Angaben zu den Arbeitszeiten,
den Einkünften des Vaters und einer außerehelichen Affäre in jener Zeit gemacht. Ferner sei der Vater in den 1960-er Jahren
einmal verhaftet worden. Weiter hat die Klägerin den Vorfall in Loretto im Burgenland auf der Rückfahrt von dem Sommerurlaub
1977 geschildert. Letztlich hat sie angegeben, der Vorfall 1978 habe nach einem Umzug in eine größere Wohnung stattgefunden.
Sie habe ihren Vater oral befriedigen müssen. Auf Nachfrage des SG hat die Klägerin unter anderem mitgeteilt, ihre Mutter habe ihr gesagt, sie habe geschwiegen, weil sie selbst Angst vor dem
Vater gehabt habe bzw. weil sie geglaubt habe, der Missbrauch gefalle den Schwestern. Abschließend hat die Klägerin behauptet,
sie habe sei etwa einem halben Jahr die Erinnerung, dass die Schwestern im Kreis ständen und immer, wenn eine "nein" zum Vater
sage, die nächste an die Reihe komme, weil die Mutter nicht wolle.
Der Vater hat als Zeuge bekundet, die Vorwürfe der Klägerin seien absolut falsch. Es sei ihm unerklärlich, dass diese Vorwürfe,
vor allem jene betreffend 1978 und 1979, die noch nicht Gegenstand des Strafverfahrens im Jahre 1997 gewesen seien, erst jetzt
vorgebracht würden. Er habe in den 1960er Jahren als Sachverständiger für Blitzschutzanlagen gearbeitet und in der Wohnung
auch Erdwiderstände gemessen. Ferner hat er Angaben zu seinen Arbeitszeiten und seinem Einkommen in jener Zeit gemacht. Er
habe niemals Alkoholprobleme gehabt. 1997 habe er bei einem Überfall einen Schädelbasisbruch erlitten und sei lange krank
gewesen. Von den Vorwürfen habe er erstmals durch das Strafverfahren 1998 erfahren. Sein Anwalt damals habe die Töchter angeschrieben
und um Stellungnahme gebeten, aber keine von ihnen habe sich gemeldet. Die Ehe sei anfangs gut gewesen, später hätten sie
sich auseinandergelebt und Anfang der 1980er Jahre sei die Scheidung erfolgt. Er habe während jener Ehe eine Affäre mit einer
anderen Frau gehabt, von der er den Töchtern nichts erzählt habe.
Die Mutter der Klägerin hat angegeben, sie wisse nichts von Übergriffen ihres früheren Mannes gegenüber den Töchtern. Sie
habe von 1962 bis 1967 nicht außer Haus gearbeitet. Sie sei mit den Kindern ständig allein zu Haus gewesen. Der Ehemann sei
immer außer Haus gewesen und gegen ein Uhr nachts alkoholisiert zurückgekommen. Er habe bis in den späten Mittag geschlafen
und sei dann weggegangen, um irgendwo Geld zu holen. Anfangs (1962/1963) sei er auch oft in einem Tennis-Club gewesen. Erst
1969 habe er eine "richtige Arbeit" aufgenommen. Er sei Alkoholiker gewesen. Er habe außereheliche Beziehungen gehabt. Er
habe weder sie - die Mutter - noch die Töchter jemals geschlagen. Die Klägerin habe ihr später erzählt, der Vater habe sie
"angefasst". Dies könne damals, als die Klägerin ein Jahr alt gewesen sei, nicht stattgefunden haben. Sie - die Mutter - sei
immer zu Hause gewesen und habe auch kein Geld und keinen Kinderwagen gehabt, um wegzugehen. Sie habe niemals einen sexuellen
Missbrauch der Töchter bemerkt.
Die älteste Schwester (Halbschwester) der Klägerin hat bekundet, sie könne zu den Vorwürfen nichts sagen. Die Kinder seien
zur Schule gegangen und hätten nachmittags Hausaufgaben gemacht. Der Vater sei unter der Woche kaum da gewesen, er habe gearbeitet
und sei spät nach Hause gekommen. Er habe dann Unterhaltung gebraucht und alle geweckt, mehr aber auch nicht. Der Vater habe
sie niemals sexuell belästigt. Sie sei auch niemals Zeugin eines Missbrauchs einer der anderen Schwestern geworden. Als die
Klägerin diese Vorwürfe erhoben habe, sei sie aus allen Wolken gefallen. Diese habe erzählt, dass die Psychologin auf diese
Vorwürfe gekommen sei. Auf Nachfrage hat die Zeugin bekundet, der Vater habe "gerne einmal" ein Feierabend-Bier getrunken
und dies vielleicht auch ausgiebig, als Alkoholiker würde sie ihn aber nicht bezeichnen.
Letztlich hat die zweitjüngste Schwester bekundet, sie sei niemals Opfer sexuellen Missbrauchs durch den Vater geworden und
habe einen solchen auch nicht mitbekommen. Das Familienleben sei normal gewesen. Der Vater habe ein Alkoholproblem gehabt.
Auf die erhobenen Vorwürfe habe sie mit Unglauben reagiert. Sie könne sich nicht erinnern, dass ein Anwalt des Vaters eine
Stellungnahme dazu erbeten habe.
Die Klägerin hat nach Abschluss der Beweisaufnahme ihre Klageanträge beschränkt. Sie hat zuletzt beantragt, den Beklagten
zu verurteilen, anzuerkennen, dass sie in den beiden streitigen Zeiträumen Opfer rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden
sei. Schriftsätzlich hatte sie zuvor zusätzlich Verurteilungen zur Beschädigtenversorgung beantragt.
Mit Urteil vom selben Tage hat das SG die Klagen wegen der Bescheide vom 12. April 2010 und 22. August 2013 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rücknahme
des Bescheids vom 23. August 2006 wegen der Vorwürfe betreffend 1962 bis 1967 und behördliche Feststellung dieser Vorwürfe.
Ebenso bestehe kein Feststellungsanspruch wegen der Vorwürfe für 1978 bzw. 1979. Das SG sei nicht davon überzeugt, dass die Vorwürfe der Klägerin beide Zeiträume betreffend zuträfen. Den Nachweis dafür, der ihr
insbesondere in dem Zugunsten-Verfahren wegen der älteren Vorwürfe obliege, habe die Klägerin nicht geführt. Keiner der Zeugen
habe ihren Vortrag bestätigt. Insbesondere habe die Mutter angegeben, sie sei in den 1960er Jahren immer zu Hause gewesen
und habe nichts von Missbräuchen bemerkt, obwohl sie solche hätte bemerken müssen. Vor allem ihre Aussage sei glaubhaft, da
sie sehr unter ihrem ersten Ehemann gelitten habe, vor allem unter den Alkoholproblemen und der unsicheren finanziellen Lage.
Nach ihrer Aussage habe daraufhin sie es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Kinder bis zum Abitur großzuziehen und sich danach
scheiden zu lassen. Es gebe keinen Grund, an diesen Aussagen zu zweifeln. Dagegen sei insbesondere die Angabe der Klägerin,
die Mutter habe als Täterin mitgewirkt und sei deshalb als Zeugin nicht glaubwürdig, nicht glaubhaft. Diese Aussage habe die
Klägerin nicht durchgängig gemacht. Vielmehr habe sie ihre Angaben im Laufe der Zeit immer weiter gefasst. Zunächst habe sie
selbst einen Missbrauch durch den Vater negiert. Erst nachdem die Therapeuten in der Klinik ihr suggeriert hätten, der Vater
sei "es" gewesen, habe der Missbrauchsvorwurf immer weitere Kreise gezogen, gleichwohl seien die Angaben der Klägerin zu einzelnen
Missbrauchsereignissen immer vage geblieben und erst später zum Teil detaillierter und ausgeschmückter geworden. Das SG zweifle daran, dass die Klägerin überhaupt Erinnerungen an so frühe Jahre haben könne. Es sei auch auszuschließen, fachtherapeutisch
von einer Diagnose auf die Ursache der diagnostizierten Krankheit zu schließen. Die behandelnden Ärzte hätten jedoch genau
dies getan. Auch wenn, so das SG abschließend, der geringere Beweismaßstab der Glaubhaftmachung zu Grunde gelegt würde, könne den Angaben der Klägerin nicht
gefolgt werden. Dies sei schon nur möglich, wenn alle Zeugen die Aussage verweigerten, was hier nicht der Fall gewesen sei.
Dass die Klägerin bei den Taten allein mit dem Vater gewesen sei, führe ebenfalls nicht zur Anwendung dieses Maßstabs. Die
Klägerin widerspreche sich. Sie habe einerseits angegeben, sie sei mit dem Vater allein gewesen. Andererseits behaupte sie
die Anwesenheit bzw. Mittäterschaft der Mutter und hinsichtlich der Vorfälle 1978 bzw. 1979 jüngst auch die Anwesenheit aller
Schwestern. In der Sache müsste in diesem Falle eine gute Möglichkeit bestehen, dass die Angaben zuträfen. Dies sei nicht
der Fall. Es gebe viele verschiedene denkbare Ursachen für die Gesundheitsstörungen der Klägerin. Dr. v. R. habe auf das Gefühl
der Abgelehntheit durch die Eltern hingewiesen. Die Klägerin habe auch sehr unter ihrer Ehe und der Scheidung von ihrem Ehemann
gelitten, ferner seit dem 16. Lebensjahr an Bulimie.
Gegen dieses Urteil, ihr zugestellt am 20. April 2015, hat die Klägerin am 7. Mai 2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg
erhoben.
Sie hat zunächst die "erstinstanzlich zuletzt gestellten" Anträge wiederholt. Auf den Hinweis des Senats, die Anträge seien
womöglich nicht zulässig, hat sie mit Schriftsatz vom 18. Juli 2015 statt der "Anerkennung" von Schädigungen die Gewährung
von Beschädigtenversorgungen beantragt.
In der Sache trägt sie unter anderem vor, der Vorfall mit allen Schwestern im Kreis, den sie vor dem SG geschildert habe, sei nicht der Vorfall von 1978/1979 gewesen, sondern in ihre Kindheit gefallen. Ihre Angaben seien glaubhaft,
denn bei einer Trauma-Arbeit kämen typischerweise Details nach und nach zu Tage, die zuvor verdrängt worden seien. Ihre Therapeuten
hätten auch keinen Einfluss auf ihre Erinnerungen genommen. Sie meint, ihre seit dem 16. Lebensjahr bestehende Bulimie sei
eine typische Folgeerkrankung sexuellen Missbrauchs. Sie verweist darauf, dass der Fonds Sexueller Missbrauch beim BMAS ihre
Angaben nicht in Zweifel gezogen habe. Sie meint auch, ihre Eltern seien nicht vorhandenen Zeugen gleichzustellen, da sie
gegen beide Strafanzeige gestellt habe und sich daher bei einer Aussage selbst belasten würden. Ähnlich verhalte es sich bei
den Geschwistern, die nicht an unangenehme Umstände ihrer Familie erinnert werden wollten. Letztlich seien auch die Angaben
ihrer Therapeuten zu den Ursachen der Erkrankung heranzuziehen und überzeugend. So habe z.B. auch das Rheuma-Zentrum Baden-Baden
frühkindlichen Missbrauch diagnostiziert.
Nachdem der Senat mitgeteilt hat, kein Glaubwürdigkeitsgutachten von Amts wegen einzuholen, hat die Klägerin angekündigt,
ein entsprechendes Wahlgutachten beantragen zu wollen, jedoch keinen geeigneten Gutachter benennen können.
Der Berichterstatter des Senats hat daraufhin die Sach- und Rechtslage mit den Parteien erörtert und die Klägerin persönlich
angehört. Wegen ihrer Angaben wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 10. März 2016 verwiesen. Der Klägerin
ist eine Frist zur Stellung eines formgerechten Antrags auf Erhebung eines Wahlgutachtens bis zum 14. Mai 2016 gesetzt worden.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin nochmals darauf hingewiesen, die Missbrauchstaten seien bewiesen,
weil die behandelnden Ärzte und auch der Sachverständige Dr. F., der sie in dem schwerbehindertenrechtlichen Verfahren begutachtet
habe, auf Grund der bestehenden Gesundheitsschäden von der Wahrheit dieser Vorwürfe überzeugt gewesen seien. Auf Nachfrage
des Senats hat die Klägerin die Tatzeiten der älteren angeschuldigten Taten auf die Jahre 1965 (statt 1962) bis 1967 begrenzt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. Februar 2015 und den Bescheid vom 12. April 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 21. Mai 2010 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 23. August 2006 zurückzunehmen und zu verurteilen,
ihr Beschädigtenversorgung wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs in den Jahren 1965 bis 1967 zu gewähren, den Bescheid vom
22. August 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Dezember 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr
Beschädigtenversorgung wegen eines sexuellen Missbrauchs im Jahre 1978 bzw. 1979 zu gewähren.
hilfsweise, Dr. J. F. als sachverständigen Zeugen ergänzend dazu zu hören, ob der sexuelle Missbrauch der Klägerin glaubhaft
sei, ob sie daran ein Erinnerungsvermögen haben könne und zur Frage der Kausalität, d. h. wie wahrscheinlich die im Schwerbehindertenverfahren
anerkannte posttraumatische Belastungsstörung mit einem GdB von 50 auf die angeschuldigten Taten zurückgeführt werden könne.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er meint, die Klägerin habe keinen Nachweis geführt und die angeschuldigten Taten auch nicht ausreichend glaubhaft gemacht.
Ferner wären die geltend gemachten Schädigungen nicht allein Ursache des bei ihr bestehenden GdB bzw. GdS, weil weitere Belastungen
dazugekommen seien. Sie würden nur einen Anteil daran bedingen, der - dies sei für die Ansprüche der Klägerin wegen der Zeiten
vor 1976 relevant - unter 50 liege.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten
sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin in beiden - verbundenen - Verfahren ist nach §
143 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft. Insbesondere ist sie nicht nach §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG zulassungsbedürftig, da die Klägerin unter anderem Sozialleistungen für mehr als ein Jahr begehrt (§
144 Abs.
1 Satz 2
SGG).
Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Der Senat kann ferner über die neuen
Anträge aus dem Schriftsatz vom 18. Juli 2015 entscheiden. Bei ihnen handelt es sich nicht um Klageänderungen, sondern um
eine Erweiterung des ursprünglichen Antrags im Sinne von §
99 Abs.
3 Nr.
2 SGG. Zu dieser Fallgruppe gehört auch der Übergang von einer Verpflichtungsklage (auf behördliche Feststellung) zu einer Leistungsklage
(vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Komm. zum
SGG, 11. Aufl. 2014, §
99 Rz. 4), wenn sich hierdurch nicht der Klagegrund, also der zu Grunde liegende Sachverhalt, ändert (Leitherer, a.a.O., Rz.
3). Diese Voraussetzungen liegen hier vor, denn die Feststellung einer Schädigung, die die Klägerin ursprünglich (allerdings
unzulässigerweise, vgl. Aufgabe der Senatsrspr. in Urteil vom 21. April 2015 - L 6 VG 2096/13 -, [...], Rz. 34; wie Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, [...], Rz. 12 ff.) begehrt hatte, ist ein Element, eine Vorfrage des nunmehr geltend gemachten Versorgungsanspruchs.
Die Berufung hat jedoch in beiden Tatkomplexen keinen Erfolg.
Zwar ist die Klage der Klägerin auch mit den beiden erst in der Berufungsinstanz erhobenen Anträgen zulässig (zur Notwendigkeit
der Zulässigkeitsvoraussetzungen auch für geänderte Anträge vgl. Leitherer, a.a.O., Rz. 13a). Insbesondere hatte der Beklagte
in beiden Verwaltungsverfahren über die damals beantragte Beschädigtenversorgung und nicht nur isoliert über die Anerkennung
einer Schädigung entschieden. Soweit er in den Bescheiden eine solche Versorgung abgelehnt hat, ist diese Entscheidung noch
nicht nach §
77 SGG bindend, auch wenn die Klägerin zwischenzeitlich - in der ersten Instanz - keine Beschädigtenversorgung mehr begehrt hatte.
Solange ein Bescheid angefochten ist, wird er nicht bindend. Die Anfechtungsklage gegen die angegriffenen Bescheide hatte
die Klägerin durchgängig, auch in erster Instanz, aufrechterhalten.
Der Senat kann sodann über die Anträge der Klägerin in der Sache entscheiden. Eine weitere Beweisaufnahme ist nicht notwendig.
Zum einen war der Senat nicht gehalten, die Zeuginnen und den Zeugen, die das SG vernommen hat, erneut zu vernehmen. Generell gilt, dass eine erstinstanzliche Beweisaufnahme auch in der Berufungsinstanz
nur ausnahmsweise wiederholt werden muss. Sofern es um Zeugenvernehmungen geht, muss das Berufungsgericht nur solche Zeugen
erneut vernehmen, deren protokollierten Aussagen es einen anderen Inhalt beimisst oder deren Glaubwürdigkeit (bzw. die Glaubhaftigkeit
ihrer Aussagen) es anders beurteilen will als das Vordergericht (BSG, Beschluss vom 15. September 2014 - B 14 AS 98/14 -, [...], Rz. 4; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 157 Rz. 2c m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall. Insbesondere
waren die Angaben der Zeuginnen und Zeugen, wie im Folgenden noch ausgeführt werden wird, für das Begehren der Klägerin bereits
unergiebig, sodass es auf die Glaubhaftigkeit der Aussagen und die Glaubwürdigkeit der Zeugen selbst nicht ankommt.
Zum anderen war kein aussagepsychologisches Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin selbst einzuholen,
auch wenn der Senat diese Aussagen - ebenso wie schon das SG - zur Grundlage seiner Entscheidung macht. Zwar ermittelt das Gericht nach §
103 Satz 1 Halbsatz 1
SGG den Sachverhalt von Amts wegen. Hierzu kann in Ausnahmefällen auch die Erhebung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens gehören.
Grundsätzlich jedoch gehört die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen
und anderer Auskunftspersonen zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut.
Eine Glaubhaftigkeitsgutachten kommt nur dann in Betracht, wenn dem Gericht ausnahmsweise die Sachkunde für die Beurteilung
der Glaubhaftigkeit fehlt (Bundesgerichtshof [BGH], BGHSt 45, 182; dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 584/11 -, [...], Rz. 41; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4/12 B -, [...], Rz. 23). Dies kann der Fall sein, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die
eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (BGH, Beschlüsse vom 25. April 2006 - 1 StR 579/05 - und vom 22. Juni 2000 - 5 StR 209/00 -; zuletzt Saarländisches OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 32/08 -, jeweils zit. nach [...]). Das ist hier nicht der Fall. An der Aussagetüchtigkeit der Klägerin ist nicht zu zweifeln, was
sich aus dem persönlichen Eindruck von ihr in dem Erörterungstermin am 10. März 2016 und der mündlichen Verhandlung am 22.
September 2016 ergeben hat. Die Klägerin als Aussageperson und der Sachverhalt weisen auch keine Besonderheiten auf, die es
ausschlössen, dass der Senat selbst über die Glaubhaftigkeit der Angaben und die Glaubwürdigkeit der Klägerin befinden könnte.
Die Fallgestaltung ist für das
OEG vielmehr typisch (vgl. zu allem Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 - L 6 VG 1832/12 -, [...], Rz. 43). Im sozialgerichtlichen Verfahren besteht auch keine Veranlassung zur Einholung eines solchen Gutachtens,
um dem Antragsteller überhaupt erst zu ermöglichen, anspruchsbegründende Tatsachen zu behaupten und sodann gegebenenfalls
unter Beweis zu stellen (Bayrisches LSG, Urteil vom 26. Januar 2010 - L 15 VG 30/09 -, [...], Rz. 75).
Letztlich war auch der Hilfsbeweisantrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 22. September 2016, Dr. J. F. als sachverständigen
Zeugen zu hören, abzulehnen. Beweisanträge sind auch im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend den Regelungen bei §
244 Abs.
3 Satz 2 Var. 3
Strafprozessordnung (
StPO) unter anderem abzulehnen, wenn das benannte Beweismittel völlig ungeeignet und untauglich ist, die unter Beweis gestellte
Tatsache zu beweisen (Leitherer, a.a.O., § 103 Rz. 8 m.w.N.). Dies ist hier der Fall. Die Klägerin hat Dr. J. F. als sachverständigen
Zeugen benannt. Ein solcher bekundet nach §
118 Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
414 ZPO allein Tatsachen, und zwar solche, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde erforderlich ist. Die Klägerin hat als Beweistatsachen
jedoch die "Glaubhaftigkeit" ihrer eigenen Angaben, ihre "Fähigkeit" zu Erinnerungen an die frühe Kindheit und die "Wahrscheinlichkeit",
sexuellen Missbrauch erlitten zu haben und deshalb an einer PTBS erkrankt zu sein, angegeben. Hierbei handelt es sich nicht
um Tatsachen, sondern um Wertungen. Genau genommen zielt der Antrag auf die Beweiswürdigung durch das Gericht. Als Zeuge könnte
Dr. J. F. nur bekunden, dass die Klägerin bei der Exploration durch ihn sexuellen Missbrauch bekundet hat. Dies ist aber unstreitig.
Ob diese Angaben nicht nur subjektiv, sondern auch objektiv wahr sind, könnte der Arzt nicht bestätigen, da er bei den angeschuldigten
Straftaten nicht zugegen war.
Die Klagen sind nicht begründet. Die nunmehr geltend gemachten Versorgungsansprüche - und damit im ersten Komplex auch der
Anspruch auf Zurücknahme des Bescheids vom 23. August 2006 - bestehen nicht, weil die behaupteten Schädigungen nicht nachgewiesen
sind bzw. - soweit eine bloße Glaubhaftmachung ausreicht - nicht glaubhaft gemacht worden sind. Dies hat das SG unter Zugrundelegung der maßgebenden rechtlichen Grundlagen und in Auswertung des Ergebnisses seiner Beweisaufnahme zutreffend
dargelegt.
Materiell-rechtliche Grundlage der beiden Versorgungsansprüche der Klägerin ist §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG. Nach dieser Vorschrift erhält, wer im Geltungsbereich des
OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige
Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung
in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
In verfahrensrechtlicher Hinsicht kommt für den ersten Klageantrag wegen der Vorfälle aus den 1960er Jahren hinzu, dass der
Beklagte diesbezüglich Versorgungsansprüche bereits abgelehnt hat und der entsprechende Bescheid vom 23. August 2006 nach
der damaligen Klagerücknahme bindend (§
77 SGG) geworden ist. Die Klägerin kann daher insoweit nur Erfolg haben, wenn - auch - die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) vorliegen. Hiernach besteht ein bindender Anspruch auf Rücknahme eines für den Betroffenen belastenden Verwaltungsakts,
soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt worden ist oder von einem Sachverhalt
ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit dadurch Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden
sind. In solchen Fällen ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wobei die Wirkung dieser
Rücknahme zeitlich nicht beschränkt ist, jedoch Sozialleistungen, die - im Nachgang - begehrt werden, nach § 44 Abs. 4 SGB X nur für höchstens vier Jahre vor dem Jahr des Rücknahmeantrags gewährt werden.
Der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG ist zunächst unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§
113,
121 Strafgesetzbuch (
StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines
anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R - [...], Rz. 25 ff. und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, [...], Rz. 19 f.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des §
240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen
ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des §
113 Abs.
1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, [...], Rz. 37 f.). Dieser tätliche Angriff setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung
hinaus eine "feindselige Willensrichtung" voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht
vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten
Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5/84 -, [...], Rz. 10 f.). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne
nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat
(zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7/93 -, [...], Rz. 10). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert
durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit
durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, [...], Rz. 35 ff.). Vor diesem Hintergrund ist auch der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des
§
176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, stets
ein Angriff nach §
1 OEG (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5/84 -, [...], Rz. 10 ff.).
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des §
1 Abs.
1 OEG voll bewiesen sein (Urteil des Senats vom 21. April 2015 - L 6 VG 2096/13 -, [...], Rz. 37 ff. m.w.N.). Die (materielle) Beweislast, also der Nachteil aus der Unaufklärbarkeit der tatsächlichen Voraussetzungen,
liegt hierbei nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen bei dem Antragsteller, der eine Begünstigung erstrebt (vgl. Leitherer, in:
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 103 Rz. 19a). Dies gilt bereits in einem (ersten) Verwaltungsverfahren nach dem
OEG; es gilt erst recht, wenn ein Antrag bereits bindend abgelehnt worden ist und der Betroffene daher - zunächst - nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X die Rücknahme jenes Ablehnungsbescheids erreichen muss (vgl. Schütze, in: v. Wulffen/Schütze, Komm. zum SGB X, 8. Aufl. 2014, § 44 Rz. 12).
Nach §
6 Abs.
3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des
OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Nach § 15 Satz 1 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn
Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen
sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Glaubhaftmachung
in diesem Sinne bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so
zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, [...], Rz. 35 m.w.N.). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit
des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht aus, wenn bei mehreren
ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung
aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten
muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen
zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach §
128 Abs.
1 Satz 1
SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung.
Allerdings hat die Anwendung dieses Maßstabs weitere Voraussetzungen. Er gilt nicht generell im Versorgungsrecht.
Zunächst muss der Antragsteller selbst Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen können und
widerspruchsfrei vortragen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 17/02 -, [...], Rz. 36). Dieses Erfordernis zeigt sich schon in § 15 Satz 2 KOVVfG, wonach die Verwaltungsbehörde in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen kann,
dass er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe. Aber auch wenn eine
eidesstattliche Versicherung nicht abgegeben wurde, so würde sich ein Antragsteller, der bewusst falsche Angaben macht, des
versuchten oder vollendeten Betrugs (§§
263 Abs.
1,
22 f.
StGB) schuldig machen. Diese zusätzliche, über die Glaubhaftigkeit aus sonstigen Gründen hinausgehende Gewähr für die Richtigkeit
würde fehlen, wenn die Behörde oder das Gericht auch schon solche - inhaltlich - glaubhaften Sachverhalte der Entscheidung
zugrunde legen würde, zu denen der Antragsteller keine Angaben aus eigenem Wissen machen kann (BSG, Urteil vom 28. Juni 2000 - B 9 VG 3/99 R -, [...], Rz. 12).
Ferner greift die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG über ihren Wortlaut - der sich auf das Fehlen von Unterlagen bezieht - zwar, aber auch nur dann ein, wenn andere Beweismittel,
z.B. Zeugen, nicht vorhanden sind. Nach dem Sinn und Zweck des § 15 Satz 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können.
Die Reichweite dieses Kriteriums ist umstritten. Anerkannt ist allenfalls, dass dem Fehlen von Zeugen jene Situation gleichgestellt
ist, dass Zeugen zwar vorhanden sind, aber mit Recht keine Angaben machen, da sie die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht
Gebrauch machen. Für die Beweiserleichterung sind sie als nicht vorhanden anzusehen. Noch weitergehend hat das BSG die Beweiserleichterung für anwendbar gehalten, wenn - gerade bei einem angeschuldigten sexuellen Missbrauch von Kindern
- eine als Täter in Betracht kommende Person zwar die Aussage nicht verweigert oder nicht verweigern darf, aber eine schädigende
Handlung bestreitet. Hierzu hat das BSG ausgeführt, die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S. 1 KOVVfG beziehe, sei in diesem Fall nicht geringer als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig sei (zu allem BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, [...], Rz. 41). Diese neuere Rechtsprechung des BSG ist allerdings nicht unwidersprochen geblieben. So hat das Bayerische LSG (Urteil vom 30. April 2015 - L 15 VG 24/09 -, [...], Rz. 61) ausgeführt, die Annahme, die Beweisnot des Opfers sei in den Fällen eines leugnenden und eines unerkannt
gebliebenen Täters gleich, sei nicht unangreifbar. Selbst der leugnende Täter mache in vielen Fällen (unbewusst) Angaben,
die eine Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit zuließen oder die für den Anspruch der Kläger des sozialgerichtlichen Verfahrens
durchaus förderlich sein könnten. Auch grundsätzlich hat das Bayerische LSG ausgeführt, die Beschränkung der Rechtsprechung
des BSG auf "Tatzeugen" sei nicht nachvollziehbar, weil dieser Begriff aufgrund der Vielfältigkeit der möglichen Tatumstände nicht
klar definierbar sei.
Der Senat teilt diese Zweifel des Bayerischen LSG zumindest zum Ausschluss beschuldigter Zeugen aus dem Kreis der "Tatzeugen",
deren Vorhandensein § 15 Satz 1 KOVVfG ausschließt. Auch die Würdigung der Aussagen eines der Tat beschuldigten Zeugen ist einzelfallbezogene richterliche Aufgabe.
Dies gilt zumindest dann, wenn der als Täter beschuldigte Zeuge keine strafrechtliche Verfolgung mehr befürchten muss und
die in Betracht kommenden Schadensersatzansprüche gegen ihn verjährt sind. Wenn das Prozessrecht in diesen Fällen übereinstimmend
dem beschuldigten Zeugen kein uneingeschränktes Zeugnisverweigerungsrecht mehr gewährt (§
384 Nr.
1 und Nr.
2 Zivilprozessordnung [ZPO] i.V.m. §
118 Abs.
1 Satz 1
SGG), so zeigt die Rechtsordnung damit, dass die Aussagen solcher Zeugen nicht grundsätzlich anderes oder weniger Gewicht haben
als die Angaben unbeteiligter Zeugen, sondern allenfalls bei ihrer Würdigung die Beschuldigung gegen den Zeugen zu berücksichtigen
ist. Ferner spricht ein weiteres Argument gegen die weitreichende Rechtsprechung des BSG: Wenn generell jeder Zeuge als nicht vorhanden gewertet wird, der beschuldigt wird, so hat es der Antragsteller in der Hand,
durch weitreichende Vorwürfe alle Zeugen auszuschalten, die seine Angaben womöglich nicht bestätigen oder sogar widerlegen
könnten. Dies zeigt sich auch im konkreten Fall. Die Klägerin hatte ihre Mutter erst sehr spät der Beihilfe zum sexuellen
Missbrauch (§§
27,
276 StGB) bezichtigt, nämlich erstmals in dem Überprüfungsantrag vom 22. März 2010, aber keine konkreten Beihilfehandlungen beschrieben.
Nach der genannten Rechtsprechung des SG hätten danach weder der Beklagte im Verwaltungsverfahren noch später das SG die Mutter als Zeugin vernehmen können, obwohl sie während der gesamten Kindheit der Klägerin zu Hause war und die Familie
betreut hat und daher am allerehesten Angaben zu einem sexuellen Missbrauch durch den Vater hätte machen können. Insofern
hat das SG zu Recht nicht davon abgesehen, die Mutter - und den Vater - zu vernehmen, nachdem die Strafverfahren gegen diese endgültig
eingestellt worden waren. Letztlich hielte es der Senat auch aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art.
103 Abs.
1 Grundgesetz [GG]) für bedenklich, wenn die Sozialgerichte in Verfahren nach dem
OEG einen noch lebenden Beschuldigten nicht als Zeugen vernehmen könnten, obwohl dieser durch ein stattgebendes Urteil nicht
nur in seinem Persönlichkeitsrecht betroffen wäre, sondern womöglich auch den übergehenden Schadensersatzansprüchen des Antragstellers
(§
5 OEG i.V.m. § 81a Abs. 1 BVG, vgl. auch § 116 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]) ausgesetzt wäre, gegen die er sich in einem zivilgerichtlichen Verfahren womöglich
nicht ausreichend effektiv verteidigen könnte.
Ebenso wie das Bayerische LSG lässt es der Senat aber an dieser Stelle offen, ob § 15 Satz 1 KOVVfG auch dann anzuwenden ist, wenn als Täter beschuldigte Zeugen die Aussage nicht verweigern, sondern Angaben machen.
Jedenfalls ist aber auch im Rahmen der Rechtsprechung des BSG für eine der Taten aus den 1960er Jahren der Vollbeweis von der Klägerin zu fordern. Die Klägerin hat zu diesem Vorfall in
ihrer persönlichen Anhörung zu Beginn der Verhandlung des SG geschildert, die Schwestern hätten im Kreis gestanden und immer, wenn eine von ihnen "nein" zum Vater gesagt habe, sei "die
nächste drangekommen". Dies ist eine Schilderung sexuellen Missbrauchs, auch wenn die Angaben der Klägerin in der Sache vage
geblieben sind. Zeitlich einzuordnen ist dieser Vorfall in den ersten der beiden streitigen Zeiträume, also in die Jahre 1965
bis 1967. Dass dieser Vorfall nicht Ende der 1970er Jahre, sondern in den 1960er Jahren stattgefunden habe, hat die Klägerin
in ihrer Berufungsbegründung vom 18. Juli 2015 bekräftigt. Und nachdem sie in der mündlichen Verhandlung vom 22. September
2016 den gesamten damaligen Zeitraum von 1965 bis 1967 beschränkt hat, kann auch dieser Vorfall allenfalls in diesen drei
Jahren stattgefunden haben. Die Schwestern, die nach den Angaben der Klägerin bei dieser Tat anwesend waren, sind Zeuginnen,
die die Anforderungen des BSG an unbelastete objektive "Tatzeugen" (vgl. dazu auch Bayerisches LSG, Urteil vom 26. Januar 2016 - L 15 VG 30/09 -, [...], Rz. 58 ff.) erfüllen. Sie haben bei ihren Vernehmungen vor dem SG auch nicht von ihrem Angehörigenrecht, das Zeugnis zu verweigern, Gebrauch gemacht. Mindestens für diese eine Tat liegen
daher die Voraussetzungen für die Beweiserleichterung aus § 15 Satz 1 KOVVfG nicht vor.
Hinsichtlich dieser Tat ist der Senat nicht mit der danach nötigen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit überzeugt,
dass sie stattgefunden hat.
Keine der angeblich anwesenden und ebenfalls betroffenen Schwestern hat diese Schilderung der Klägerin bestätigt. Dies gilt
insbesondere für die älteste von ihnen, die Halbschwester der Klägerin. Insbesondere diese müsste sich von ihrem damaligen
Alter her an einen solchen Vorfall erinnern, wenn sogar die - jüngere - Klägerin selbst solche Erinnerungen haben will. Diese
Zeugin hat aber vor dem SG bekundet, sie sei niemals Zeugin irgendeines sexuellen Missbrauchs in der Familie geworden. Dass dagegen die jüngste Schwester
bei ihrer schriftlichen Vernehmung angegeben hat, sie traue ihrem Vater solche Taten zu, reicht als Nachweis für diese Taten
nicht aus, schon gar nicht für diese Tat, bei der diese Schwester ebenfalls betroffen gewesen sein muss. Zwar mag diese Schwester
zu jung gewesen sein, um heute Erinnerungen daran zu haben. Aber das bedeutet dann, dass diese Aussage - ebenso wie die Angaben
der anderen Schwestern - für die materiell beweisbelastete Klägerin - unergiebig ist. In solchen Fällen kommt es entgegen
der Ansicht der Klägerin nicht auf die Glaubhaftigkeit der Aussagen oder gar auf die Glaubwürdigkeit der Zeuginnen als Personen
an (vgl. Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, 5. Aufl. 1994, Rz. 1088, 1090 ff.), sodass der Senat - auch - kein Glaubhaftigkeitsgutachten
über die Aussagen der Schwestern einholen musste. Wenn ein Gericht einer Zeugenaussage nicht folgt, weil es sie für nicht
glaubhaft hält, ist nicht etwa das Gegenteil der Aussage bewiesen, sondern es tritt ein non liquet ein. Falls in einem solchen
Fall keine anderen Beweismittel die Angaben der beweisbelasteten Partei bestätigen, ist ihre Behauptung nicht bewiesen.
Andere unmittelbare Beweismittel sind nicht vorhanden. Außer der Klägerin hat kein Beteiligter einen solchen Vorfall, bei
dem die Schwestern im Kreis gestanden hätten, geschildert. Das gilt auch für die behandelnden Ärzte, insbesondere liegt keine
ärztliche Dokumentation zu der behaupteten Abtreibung oder zur Behandlung analer Verletzungen vor, was bei einem fortgesetzten
analen Missbrauch mit Metallstäben aber zu erwarten gewesen wäre. Zeitnah ist vielmehr ärztlich weder eine Behandlung zu verzeichnen
gewesen noch wird eine Behandlungsnotwendigkeit überhaupt von der Klägerin behauptet. Der Zeitablauf geht insoweit zu ihren
Lasten, da sie beweispflichtig ist (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. Juni 2016 - L 4 VG 2/16 -, [...], Rz. 32). Die mögliche Beweisnot ist nicht durch die behauptete Gewalttat, sondern durch Zeitablauf bedingt.
Das Gleiche ergibt sich aus den Angaben der Eltern der Klägerin. Diese Aussagen sind für die angeschuldigte konkrete Tat zu
berücksichtigen, weil insoweit - wie ausgeführt - der Vollbeweis zu verlangen ist und nicht eine bloße Glaubhaftmachung ausreicht.
Der beschuldigte Vater hat die verjährten Taten abgestritten, obwohl er nach den Einstellungsverfügungen der Staatsanwaltschaft,
welche den Eintritt der Verfolgungsverjährung anführten, keine strafrechtliche Verfolgung mehr fürchten musste und seine Kontakte
zu seinen Töchtern durch das Verfahren ohnehin schon verloren hatte.
Seine damalige Ehefrau, die Mutter der Klägerin, hat detailliert dargelegt, dass sie als nicht berufstätige Mutter für die
Kinder da war, ihr Mann schon aufgrund seiner außerhäusigen Berufstätigkeit keine Gelegenheit hatte, mit der Klägerin allein
zu sein, was ihre anderen Töchter so bestätigten. Für die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage spricht, dass sie anschaulich, also
sehr detailreich, geschildert hat, wie ihr Exmann von 1977 bis 1978 abends alkoholisiert die ganze Familie aufgeweckt, "angestupst"
oder "angesäuselt" hat, alle sich schlafend gestellt haben, weil er "unterhalten werden wollte". Damit hat sie eine wiederkehrende
Situation authentisch beschrieben, in der sie als Erziehungsberechtigte und letztlich von ihrem früheren Ehemann finanziell
Abhängige zwar an Grenzen gestoßen ist, diese aber nie hin zum sexuellen Missbrauch überschritten wurden. Diese Aussage durfte
das SG zu Recht als glaubwürdig einstufen. Es hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Mutter der Klägerin allen Grund gehabt
hätte, ihren Exmann zu belasten, zumal auch die finanzielle Situation der Familie nahegelegt hat, dass sich die Mutter ausschließlich
um die Kinder kümmert.
Unabhängig davon, dass die Klägerin ihre Mutter seit etwa 2010 der Beihilfe bezichtigt, wird deren Aussage im wesentlichen
Kern von der Halbschwester der Klägerin bestätigt. Nach der Aussage dieser Zeugin hat ihr Stiefvater alle Familienangehörigen
abends geweckt, weil er Unterhaltung brauchte, "mehr aber auch nicht".
Letztlich reichen auch die Angaben der Klägerin allein für einen Vollbeweis dieser konkreten Tat in den 1960er Jahren nicht
aus. Es ist zwar rechtlich nicht untersagt, dass sich ein Gericht seine volle Überzeugung allein aus den Angaben der Parteien
bildet (§
128 Abs.
1 Satz 1
SGG, deutlicher noch mit der Formulierung "gesamter Inhalt der Verhandlung" §
286 Abs.
1 Satz 1
ZPO). Dies gilt gleichermaßen im sozialgerichtlichen Verfahren, wobei die formlose (persönliche) Anhörung einer Partei an die
Stelle der nicht zulässigen Parteivernehmung tritt (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 103 Rz.
12, 12b). Angesichts des Ergebnisses der Beweisaufnahme kann aber der Senat eine volle richterliche Überzeugung ebenso nicht
allein aus den Angaben der Klägerin gewinnen. Es ist nicht ersichtlich, warum alle betroffenen Schwestern zu Lasten der Klägerin
die angeschuldigte Tat leugnen sollten, obwohl sie selbst unter dem Familienleben mit ihrem Vater gelitten haben. Ferner sind
die Aussagen der Klägerin zu der fraglichen Tat vor dem SG - im Rahmen einer Inhaltsanalyse betrachtet - zu vage und ungenau, um Grundlage einer vollen richterlichen Überzeugung zu
sein. Eine genaue zeitliche Einordnung war der Klägerin nicht möglich, was die Überprüfung erschwert. Die fraglichen Taten
hat sie nicht konkret geschildert, sondern sich auf die Formulierung beschränkt, jede der Schwestern sei "drangewesen". Eine
Aussage, gerade auch eine Parteiaussage, ist aber wenig überzeugend und glaubhaft, wenn das Kerngeschehen nur vage und unbestimmt
geschildert wird; fehlender Detailreichtum bei der Wiedergabe von Geschehnissen, die besonders imponiert haben, spricht sogar
gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben insgesamt (Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl. 2014, Rz.
318; Schneider, a.a.O., Rz. 1104, 1128; vgl. zur positiven Feststellung der Glaubhaftigkeit auf Grund detailreicher Angaben
auch Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, 5. Aufl. 2011, S. 15 f.). Letztlich bleibt sogar die Erinnerungsentstehung zweifelhaft.
Die Klägerin hatte hierzu angegeben, sich an den konkreten Vorfall mit den Schwestern seit etwa einem halben Jahr zu erinnern.
Einen konkreten Anlass für diese Wiedererinnerung hat sie aber nicht mitgeteilt.
Hinsichtlich der anderen angeschuldigten Gewalttaten in den 1960er Jahren sowie wegen des Vorfalls in der Wohnung im Jahre
1978 oder 1979 (der später geschilderte Vorfall auf der Rückreise von dem Rumänien-Urlaub 1977 ist vom Beklagten nicht beschieden
worden und daher nicht Gegenstand dieses Verfahrens) lässt der Senat letztlich Glaubhaftmachung im Sinne von § 15 Satz 1 KOVVfG ausreichen.
Allerdings spricht Vieles dafür, auch hier den Vollbeweis zu verlangen. Das BSG hat in seinem Urteil vom 28. Juli 2000 (a.a.O., Rz. 12) zu Recht gefordert, dass eine Absenkung des Beweismaßes auf bloße
Glaubhaftmachung nur möglich ist, wenn die Angaben des Antragstellers auf eigenem Wissen beruhen und widerspruchsfrei sind.
Ansonsten könnte ein Antragsteller, indem er bewusst unkonkret und vage schildert, zu seinen eigenen Gunsten das Beweismaß
absenken, was mit dem auch das Verfahrensrecht beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. §
138 Abs.
1 ZPO i.V.m. §
103 Satz 1 Halbsatz 2
SGG, zur Wahrheitspflicht bei Angaben einer Partei im sozialgerichtlichen Verfahren Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
a.a.O., § 103 Rz. 12) nicht vereinbar wäre. Die Angaben der Klägerin in diesem Verfahren sind zu vage, wie dies bereits das
SG zutreffend festgestellt hat. Hinzu kommt, dass zwar nicht für einzelne der anderen Taten unmittelbare "Tatzeugen" vorhanden
sind, wohl aber Zeugen zu den äußeren Umständen, nämlich zur Gestaltung des Familienlebens in den angeschuldigten Zeiträumen.
Für keinen der geschilderten Vorfälle vermag der Senat die gute Möglichkeit zu erkennen, dass er sich so wie geschildert zugetragen
hat.
Zunächst bestehen Zweifel daran, dass bei der Klägerin ein ausreichendes Erinnerungsvermögen vorliegt, soweit sie vorträgt,
sie sei in den Jahren 1965 bis 1967 durch anale Penetration mit Metallstäben, Urinieren und erzwungenem Oralverkehr missbraucht
worden. Diese Aussage - auch wenn die Klägerin subjektiv von ihr überzeugt ist - kann schon wegen ihres damaligen Alters von
drei bis fünf Jahren kaum als glaubhaft eingestuft werden. Bei der Abgrenzung verwertbarer Erinnerungen von Pseudoerinnerungen
ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit
besteht. Selbst unter optimalen Sozialisationsbedingungen kann einem Kind vor dem vierten Lebensjahr nur im Ausnahmefall Aussagetüchtigkeit
attestiert werden (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 29. Januar 2015 - L 10 VE 28/11 -, [...], Rz. 74); das autobiographische
Gedächtnis enthält daher in aller Regel keine Erinnerungen an die ersten drei Lebensjahre (sog. infantile Amnesie; LSG Sachsen-Anhalt,
Urteil vom 3. Dezember 2014 - L 7 VE 10/13 -, [...], Rz. 32). Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse
kann auch nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (Hessisches LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 30/10
- [...], Rz. 27; Urteil des Senats vom 26. Februar 2015, a.a.O., Rz. 44). Die Klägerin war in dem hier angeschuldigten Zeitraum
zwischen drei und fünf Jahre alt. Zumindest für den ersten Teil des Zeitraums dürfte daher ein ausreichendes Erinnerungsvermögen
fehlen.
Auch hinsichtlich der weiteren Taten aus den 1960er Jahren und der einen angeschuldigten Tat in der Wohnung 1978 oder 1979
sind die Angaben der Klägerin vage geblieben. Detailliert werden allenfalls Symbole geschildert (weißes Eis, Saft), nicht
aber die Taten selbst, obwohl sie das Kerngeschehen waren und die nachhaltigste Erschütterung ausgelöst haben müssen. Zu der
angeblichen Beihilfe der Mutter fehlen ausreichend konkrete Angaben, ob lediglich verbale Unterstützung geleistet oder ob
Handlungen vorgenommen worden sein sollen, die in den Bereich der Mittäterschaft (durch aktives Tun) reichen.
Auch die Genese (Entstehung) der Erinnerungen der Klägerin spricht dagegen, dass es sich um echte Erinnerungen an wahre Vorkommnisse
handelt.
Generell gilt, dass eher von einer (objektiv) zutreffenden Erinnerung auszugehen ist, wenn die Schilderungen über einen längeren
Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen,
im Laufe der Jahre eher auszuufern (Rademacker, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, §
1 OEG Rz. 49 m. w. N.; generell zur Konsistenz mit früheren Aussagen auch Schneider, a.a.O., Rz. 1101). Gegen die objektive Wahrheit
einer angegebenen Erinnerung spricht im Übrigen, wenn die ernsthafte Möglichkeit suggestiver Einflüsse besteht, insbesondere
im Rahmen längerer Gespräche mit Dritten, gerade bei gesprächsorientierten Therapien bei einem möglichen sexuellen Missbrauch
als Kind (Bender/Nack/Treuer, a.a.O., Rz. 324 ff.). Hierzu hat der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass Erinnerungen,
die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, mit Vorsicht zu betrachten sind, weil nicht auszuschließen
ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (Urteile des
Senats vom 26. Februar 2015 - L 6 VG 1832/12 -, [...], Rz. 52, und vom 21. April 2015 - L 6 VG 2096/13 -, [...], Rz. 47; vgl. auch Bayrisches LSG, Urteil vom 26. Januar 2016 - L 15 VG 30/09 -, [...], Rz. 82 ff.). Bei mehreren der dabei angewandten Therapien können falsche und echte Erinnerungen nicht zuverlässig
unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle
in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung), als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke
Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion ("false memory") sind.
Beide Kriterien im Rahmen der Geneseanalyse sprechen vorliegend nicht für einen objektiven Wahrheitsgehalt der Angaben. Hinsichtlich
der Äußerungen der Klägerin liegen deutliche Anhaltspunkte für eine Fremdsuggestion oder zumindest Beihilfe zur Autosuggestion
durch die Therapeuten während der langjährigen Traumatherapie vor. Bereits in der Furtbach-Klinik sollen Behandler - jedenfalls
nach den Angaben der Klägerin selbst, der Entlassungsbericht vom 23. Juli 1996 gibt dazu nichts wieder - offen gesagt haben,
der Vater sei "es gewesen", was die Klägerin damals selbst sogar noch abstritt. Solche Aussagen von Behandlern prägen sich
im Gehirn des Patienten ein und formen Erinnerungen. Ähnlich verlief die weitere ambulante Therapie bei Dr. v. R.. Diese Therapeutin
gibt in dem ersten Bericht aus dem Herbst 1997 an, dass sie es bereits zu Beginn der Therapie, als die Klägerin selbst noch
gar keine Erinnerungen hatte ("angefasst hat mich der Vater nie"), für wahrscheinlich gehalten habe, in der Herkunftsfamilie
habe es sexuellen Missbrauch durch den Vater gegeben. Auch wenn sie danach angibt, sie habe diese Vermutung nicht verbalisiert,
um "der Klägerin nichts zu suggerieren", so entwertet diese frühe Festlegung auf eine bestimmte Ursache der psychischen Störungen
doch die weitere Therapie und vor allem die dort entstandenen Erinnerungen der Klägerin, weil nicht ausgeschlossen werden
kann, dass die Therapeutin ihre Fragen und Aussagen bewusst oder unbewusst in eine bestimmte Richtung gelenkt hat. In dieses
Bild passt ferner, dass die Angaben der Klägerin zunächst völlig vage waren - Dr. v. R. spricht von "Erinnerungsfetzen" bzw.
"versteckten Erinnerungen" - und erst in Folge der weiteren Traumatherapie konkreter geworden sind. Bei einem solchen "Hervorbringen"
von Erinnerungen kann kaum ausgeschlossen werden, dass die später erinnerten Details das Ergebnis von Selbst- oder Fremdsuggestion
sind.
Ferner kann der grundsätzlich nachzuweisende sexuelle Missbrauch in der Kindheit als Voraussetzung eines Anspruchs nach dem
OEG nicht durch Stellen psychiatrischer Diagnosen ersetzt werden (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. August 2015 - L 4 VG 5/13 -, [...], Rz. 22), auch nicht auf der Ebene bloßer Glaubhaftmachung. Allein die gute Möglichkeit, dass frühkindlicher Missbrauch
zu derartigen Krankheitsbildern führt, reicht nicht aus, den Beweis als geführt anzusehen, der angeschuldigte Angriff habe
so tatsächlich stattgefunden (LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 29. Januar 2015 - L 10 VE 28/11 -, [...], Rz. 33; Rademacker,
in Knickrehm, a. a. O. § 1 Rz. 48). Wie schon ausgeführt, fehlt aktuellen Behandlern die notwendige Wahrnehmungsmöglichkeit.
Als sachverständige Zeugen (vgl. §
118 Abs.
1 SGG i.V.m. §
414 ZPO) können sie nur Angaben über die Symptome machen, die sie ihren Diagnosen zu Grunde gelegt haben. Angaben zu weiteren Umständen,
etwa den Ursachen der gefundenen Symptome, können sie nur vom Hörensagen machen, soweit nämlich der Patient selbst oder ein
Dritter sie ihnen im Rahmen einer Anamnese mitgeteilt hat. Dies reicht, wie ausgeführt, nicht aus, insbesondere nicht, wenn
diese Umstände im Rahmen einer Traumatherapie mitgeteilt werden. Ferner sind allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf
das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person
als möglichen Täter (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 26/07 -, [...], Rz. 31). Dies gilt im Falle der Klägerin umso mehr, als nach ihren biografischen Erlebnissen mehrere weitere Ursachen
für ihre psychische Erkrankung in Frage kommen.
Vor diesem Hintergrund führt desgleichen das schwerbehindertenrechtliche Gutachten des Dr. J. F. vom 24. September 2010 nicht
dazu, dass die Angaben der Klägerin glaubhaft gemacht wären. Dies gilt insbesondere, weil Dr. J. F. nicht mit einer Begutachtung
der Ursachen der geklagten Gesundheitsschäden beauftragt war. Im Übrigen hat er in seinem Gutachten den behaupteten sexuellen
Missbrauch durch den Vater überdies nur für wahrscheinlich gehalten, außerdem hierzu keine Begründung gegeben.
Gegen die Glaubhaftigkeit spricht, wie schon zur Frage des Beweises für den konkret geschilderten Vorfall mit den Schwestern
ausgeführt, weiter, dass die Erinnerungen der Klägerin anfangs höchst vage waren und im Laufe des Verfahrens, auch unter dem
Einfluss der Traumatherapie, immer weiter ausgeufert sind. Dass die Beweisaufnahme einzelne der Angaben der Klägerin bestätigt
hat, es in der Wohnung damals z.B. tatsächlich Metallstäbe ("Blitzableiter") gab, spricht nicht dafür, dass darüber hinaus
der Rest ihrer Angaben glaubhaft ist. Dies gilt umso mehr, als gerade die Erinnerung an solche konkreten Besonderheiten von
Anfang an vorhanden gewesen sein müsste.
Die Angaben der Klägerin waren ferner nicht ausreichend widerspruchsarm, um von ihrer Glaubhaftigkeit auszugehen. Neue Angaben
zu weiteren Taten wurden zu Zeitpunkten gebracht, an denen ein besonderer Grund für die Wiedererinnerung fehlt. So wurde der
weitere Vorfall 1978 bzw. 1979 erst dann geschildert, als deutlich war, dass wegen der Härteklausel nach §
10a OEG womöglich für die angeschuldigten Gewalttaten vor 1976 keine Entschädigung zu erreichen sein würde. Ebenso ist es für den
Senat nicht erklärlich, warum der Missbrauch der Klägerin nach ihren Angaben Ende der 1960er Jahre aufgehört hatte, es dann
aber wieder zu einem solchen und dem noch später geschilderten, aber sehr vage gebliebenen Vorfall 1977 auf der Rückreise
aus Rumänien gekommen sein soll.
Auf der Ebene der Glaubhaftmachung ist schließlich zu berücksichtigen, dass die Klägerin gleichermaßen einige ihrer Schwäger
des sexuellen Missbrauchs ihrer Kinder (also der Nichten und des Neffen der Klägerin) bezichtigt und sie sich insoweit sogar
an Jugendämter gewandt hat. Dies zeigt, dass die Klägerin - auch - an anderer Stellen sexuellen Missbrauch vermutet. obwohl
für diese Vermutungen keine objektiven Anhaltspunkte vorliegen. Erhärtet haben sich diese Besichtigungen der Klägerin nicht.
Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen reichen die Angaben der Klägerin auch für eine Glaubhaftmachung nicht aus. Hierbei verkennt
der Senat nicht, dass sie subjektiv von ihren Erinnerungen überzeugt ist, also keine Falschaussagen macht. Ferner ist nicht
auszuschließen, dass die geschilderten Missbrauchstaten stattgefunden haben. Aber dies ist nicht die beste Möglichkeit unter
mehreren, insbesondere nicht im Vergleich mit einer denkbaren Fremd- oder Selbstsuggestion im Rahmen der Traumatherapie.
Schließlich folgt aus dem vorgelegten Teilbescheid des Fonds Sexueller Missbrauch vom 30. Oktober 2013 - wie aber die Klägerin
meint - nichts anderes. Die dortige Clearingstelle hat zwar anerkannt, dass die Klägerin "Betroffene sexuellen Missbrauchs
im familiären Bereich" ist, aber selbst ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dies keinen rechtlichen Nachweis darüber darstellt,
dass die Tat überhaupt begangen wurde bzw. keinen Wahrheitsbeweis beinhaltet.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) sind nicht ersichtlich.