Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz
Anforderungen an einen Leistungsausschluss wegen Unbilligkeit aus Wertungsgesichtspunkten – hier im Fall des Opfers eines
vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffs durch einen Terroranschlag in der Türkei nach Nichtbeachtung von Reise- und Sicherheitshinweisen
des Auswärtigen Amtes
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung von Opfern von Gewalttaten (
OEG) nach einem Terroranschlag in der Türkei, bei dem sie sich unter anderem multiple Schnittverletzungen zuzog.
Sie ist 1984 in der Türkei geboren, deutsche Staatsangehörige, geschieden und hat ein Kind. Zuletzt war sie bei der Verkehrsüberwachung
beschäftigt.
Während eines Erholungsurlaubes mit ihrer Cousine und einer Freundin in Istanbul verbrachte sie den Silvesterabend 2016/2017
im Club R., einem der bekanntesten Nachtclubs, auf der europäischen Seite von Istanbul, in dem es in der Nacht um etwa 1:15
Uhr Ortszeit vom Islamitischen Staat (IS) zu einem terroristischen Anschlag kam, bei dem von einem bewaffneten Täter aus Usbekistan,
der illegal in die Türkei eingereist war, 37 Menschen getötet wurden (https://de.wikipedia.org/wiki/Terroranschlag_in_istanbul_am_1_Januar_2017;
abgerufen am 18. Februar 2021).
Am 27. November 2017 beantragte sie beim Landratsamt A.-D.-Kreis (LRA) die Gewährung von Versorgung nach dem
OEG. Vorgelegt wurden die ärztlichen Atteste des Orthopäden Dr. H. vom 22. Februar 2017, der multiple Schnitt- und Fremdkörperverletzungen
an den Kniegelenken und beiden Unterschenkeln beschrieb, sowie des Allgemeinmediziners Dr. S., der auf eine Posttraumatische
Belastungsstörung und eine depressive Entwicklung infolge des Anschlags verwies.
Das LRA zog Unterlagen des Bundesamts für Justiz bei, welches der Klägerin mit Bescheid vom 21. März 2017 aus den Mitteln,
die der Deutsche Bundestag im Rahmen des Bundeshaushaltes 2017 für Opfer terroristischer Straftaten bereitgestellt hatte,
eine pauschale Härteleistung in Höhe von 5.000 € gewährt hatte. Mit der Gewährung dieser Härteleistung wollte die Bundesrepublik
Deutschland ein Zeichen für die Ächtung des Terrorismus setzen und zugleich Solidarität mit den Opfern bekunden.
Im dortigen Antrag beschrieb die Klägerin, dass sie zu dem Anschlagszeitpunkt weiter hinten gewesen seien. Nach den Schüssen
hätten sie sich sofort auf den Boden gelegt, als sich die Menge Richtung Terrasse bewegt habe, sei sie mit den Menschen durch
eine Terrassentür herausgekrochen, von der Terrasse sei sie später von Sicherheitskräften gerettet worden. Vor der Tür hätten
Scherben und Gläser gelegen, an denen sie sich verletzt habe. Im Krankenhaus seien die Schnittwunden an beiden Knien geklammert
sowie Scherben und Splitter aus den Händen entfernt worden, sie stünde nach ihrer Rückkehr noch weiter in ärztlicher Behandlung.
Auf Anfrage des LRA übersandte das Auswärtige Amt die Reise- und Sicherheitshinweise für die Türkei mit Stand 28. Dezember
2016 und teilte ergänzend mit, dass diese bis zur Aktualisierung am 1. Januar 2017 um 3:22 Uhr gültig gewesen seien. Dieses
hatte unter "Aktuelle Hinweise" unter anderem folgenden Text veröffentlicht:
"In der Türkei ist es, insbesondere seit Mitte 2015, wiederholt zu terroristischen Anschlägen gekommen. Es ist nicht auszuschließen,
dass terroristische Gruppen auch weiterhin versuchen werden, Anschläge, insbesondere in den großen Metropolen, durchzuführen.
Diese können sich auch gezielt gegen Ausländer richten. Reisende sollten besonders aufmerksam sein und Menschenansammlungen
und Orte, an denen sich regelmäßig viele Ausländer aufhalten, möglichst meiden. Die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen
und Feierlichkeiten an Silvester und Neujahr sollte verantwortungsvoll geprüft werden...
Reisenden wird zu besonderer Wachsamkeit und Vorsicht geraten und empfohlen, sich über Medien und diese Reise- und Sicherheitshinweise
zur weiteren Lageentwicklung informiert zu halten sowie engen Kontakt mit ihrem Reiseveranstalter oder ihrer Fluglinie zu
halten..."
Unter "Landesspezifische Sicherheitshinweise, Terrorismus" hieß es in den Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen
Amtes zur Türkei (Stand 28. Dezember 2016):
"Seit Ende 2015 waren unter anderem der internationale Flughafen Istanbul Atatürk sowie wiederholt die Innenstädte von Istanbul
und Ankara Ziele von Anschlägen mit hohen Opferzahlen...
Die Sicherheitsvorkehrungen befinden sich landesweit auf hohem Niveau. Angesichts von Anschlägen terroristischer Gruppierungen
auch gegen nicht-militärische Ziele muss aber in allen Teilen der Türkei grundsätzlich von einer terroristischen Gefährdung
ausgegangen werden.
Deshalb wird Deutschen, die sich in der Türkei aufhalten oder dorthin reisen möchten, generell empfohlen, sich zur Sicherheitslage
laufend, mittels dieser Reise- und Sicherheitshinweise sowie der Medienberichterstattung, informiert zu halten. Menschenansammlungen,
auch auf öffentlichen Plätzen und vor touristischen Attraktionen sowie der Aufenthalt nahe Regierungs- und Militäreinrichtungen
sollten gemieden werden... Zudem sollte die Nutzung von Verkehrsmitteln des öffentlichen Personennah- und Fernverkehrs auf das erforderliche Maß eingeschränkt
werden. Vorsicht ist auch geboten bei Zufallsbekanntschaften in Bars oder Restaurants..."
Weiter gelangten vom Auswärtige Amt eingeholte Auskünfte zur Rechtslage in der Türkei zur Akte, aus denen sich ergab, dass
das Türkische Recht Regelungen zur Entschädigung von Opfern eines Terrorangriffs enthält, die nicht an die Staatsangehörigkeit
anknüpfen.
Mit Bescheid vom 9. Juli 2018 lehnte das LRA daraufhin die Gewährung von Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab, die
Prüfung des Antrages habe zwar ergeben, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen Angriffs geworden und
hierdurch eine gesundheitliche Schädigung eingetreten sei. Jedoch liege ein Versagungsgrund nach §
2 Abs.
1 OEG vor, denn die Geschädigte habe durch ihr Verhalten eine annähernd gleichwertige Bedingung für den Eintritt der Schädigung
gesetzt, was sich nach dem versorgungsrechtlichen Ursachenbegriff der wesentlichen Bedingung richte. Ein Verhalten des Geschädigten
sei danach dann als gleichwertige Ursache zu beurteilen, wenn es von der Rechtsordnung in ähnlicher Weise wie das des Angreifers
missbilligt werde. Die Ermittlungen zum schädigenden Sachverhalt hätten ergeben, dass dies bei der Klägerin der Fall gewesen
sei. Die am 28. Dezember 2016 von Seiten des Auswärtigen Amtes für die Türkei ausgegebenen Reise- und Sicherheitshinweise,
die bis zum Tatzeitpunkt gültig gewesen seien, hätten nämlich ausdrücklich darüber informiert, dass in den großen Metropolen
der Türkei bei den Festlichkeiten an Silvester und Neujahr mit einer erhöhten Gefährdung insbesondere von Ausländern zu rechnen
sei, so dass die Teilnahme an diesen verantwortungsvoll geprüft werden solle. Bei dem Tatort, dem Nachtclub "R.", in der der
Anschlag verübt worden sei, habe es sich um einen solchen Ort gehandelt, der nach den genannten Hinweisen, insbesondere zum
Jahreswechsel 2016/2017, gemieden werden solle. Es handele sich hierbei um die angesagteste Adresse in Istanbuls Nachtleben,
der Treffpunkt des türkischen Jetsets, von Prominenten sowie von zahlungskräftigen ausländischen Touristen sei. Der Club habe
für alles gestanden, was Islamisten am Westen hassten. Es sei daher nicht ratsam gewesen, diese Örtlichkeit an Silvester 2016/2017
aufzusuchen. Bei umsichtiger Betrachtung und verantwortungsvoller Beurteilung der Gesamtsituation sei dies möglich und zumutbar
gewesen. Im Ergebnis sei davon auszugehen, dass sich die Klägerin über die entsprechenden Reise- und Sicherheitshinweise des
Auswärtigen Amtes hinweggesetzt und sich damit selbst in Gefahr gebracht habe. Dieses Verhalten wiege so schwer, dass es als
Mitverursachung im Sinne des §
2 Abs.
1 Satz 1
OEG zu werten sei.
Gegen den Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch und machte geltend, dass das LRA nicht aufweise, wo sie denn Silvester hätte
feiern sollen, wenn nicht in einer feierlichen Lokalität oder dergleichen. Das Land Türkei sei nicht als ein gefährliches
Land im Sinne einer erhöhten Terrorgefahr zu sehen. Insbesondere dessen Westen, namentlich die Weltmetropole Istanbul, sei
nicht mehr Terroranschlägen ausgesetzt als andere Weltmetropolen. Auch in Europa bestehe nicht grundlegend eine erhöhte Terrorgefahr
mit der Folge, dass die Menschen in Deutschland nicht mehr an Festlichkeiten teilnehmen sollten. Dies gelte selbstverständlich
analog für die Türkei. Das Auswärtige Amt habe keine allgemeine Reisewarnung für die Türkei ausgesprochen. Silvester sei ein
Ereignis, wo Menschen sich zusammenfänden und gemeinsam in das neue Jahr hineinfeierten. Es sei ein absurder, im Ergebnis
irrationaler und rechtlich unhaltbarer Gedanke, dass sich Menschen an Silvester zu Hause einschlössen und keine Festlichkeiten
aufsuchten. Andere Opfer des Terroranschlages hätten in anderen Bundesländern Entschädigungen erhalten, die auch der Billigkeit
entsprächen.
Den Widerspruch wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - mit Widerspruchsbescheid vom 9. November 2018
mit der Begründung zurück, dass aufgrund der für die Türkei zum Tatzeitpunkt geltenden Reise- und Sicherheitshinweisen des
Auswärtigen Amtes die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen und Feierlichkeiten an Silvester und Neujahr 2016/2017 verantwortungsvoll
geprüft werden sollte. Terroranschläge könnten sich gezielt gegen Ausländer richten, weshalb Reisende besonders aufmerksam
sein und Menschenansammlungen und Orte, an denen sich regelmäßig besonders viele Ausländer aufhielten, gemieden werden sollten.
Insbesondere bei dem Club "R." habe es sich für den angesprochenen Zeitraum um eine Örtlichkeit gehandelt, für die von einem
erhöhten Risiko auszugehen gewesen sei. Die allgemein gehaltenen Ausführungen im Widerspruchsschreiben zur weltweiten Terrorgefahr
zum Land Türkei als Ziel von Touristen sowie zum Besuch von Festlichkeiten an Silvester seien nicht geeignet, eine andere
Entscheidung zu rechtfertigen. Dies gelte insbesondere auch für die vergleichend angeführten Hinweise auf das Zusammentreffen
einer großen Anzahl von Menschen zu Festen und Feierlichkeiten in Deutschland. Im Übrigen könne aus der Entscheidung nicht
geschlossen werden, dass aufgrund von Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes jeglicher Besuch von Feierlichkeiten/Veranstaltungen
gemieden werden sollte. Entscheidungen betreffend anderer Antragsteller seien nicht bekannt.
Am 10. Dezember 2018 hat die Klägerin dagegen Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben und auf ihre Begründung im Widerspruch verwiesen.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. Juli 2020 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass ein Versagungsgrund nach
§
2 Abs.
1 Satz 1
OEG wegen Unbilligkeit und damit aus Wertungsgesichtspunkten vorliege. Ein Leistungsausschluss sei dann begründet, wenn sich
das Opfer einer konkret erkannten Gefahr leichtfertig nicht entzogen habe, obwohl es ihm zumutbar und möglich gewesen sei.
Eine leichtfertigte Selbstgefährdung setze einen erhöhten Grad an Fahrlässigkeit voraus, der etwa der groben Fahrlässigkeit
im Sinne des Bürgerlichen Rechts entspreche. Zu prüfen sei, ob sich das Opfer auch anders habe verhalten können oder müssen,
und ob es sich der erkannten oder grob fahrlässig nicht erkannten Gefahr nicht entzogen habe, obwohl ihm dies zumutbar gewesen
sei. Dafür sei die gesamte tatnahe Situation, wie sie sich nach natürlicher Betrachtungsweise darstelle, zu würdigen. In der
Begründung zum Änderungsgesetz vom 25. Juni 2009, mit dem §
3a OEG eingeführt worden sei, sei ausdrücklich dargelegt worden, dass ein Versagungsgrund nach §
2 Abs.
1 Satz 1
OEG insbesondere dann vorliegen könne, wenn sich Geschädigte über bestehende Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes
hinweggesetzt hätten. Allerdings müsse dieses Verhalten nicht grundsätzlich zu einer Leistungsversagung führen, sondern dies
sei nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen. Auf seiner Homepage teile das Auswärtige Amt hierzu mit,
dass die veröffentlichten Sicherheitshinweise auf besondere Risiken für Reisende und im Ausland lebende Deutsche aufmerksam
machten, die regelmäßig überprüft und aktualisiert würden. Sie könnten die Empfehlung enthalten, auf Reisen zu verzichten
oder sie einzuschränken. Reise- und Sicherheitshinweise sowie Reisewarnungen beruhten auf den zum angegebenen Zeitpunkt dem
Auswärtigen Amt verfügbaren und als vertrauenswürdig eingeschätzten Informationen. Das Auswärtige Amt rate dringend, die in
den Reise- und Sicherheitshinweisen bzw. Reisewarnungen enthaltenen Empfehlungen zu beachten. Vorliegend sei maßgebend, dass
das Auswärtige Amt in den Reise- und Sicherheitshinweisen vom 28. Dezember 2016 konkret darauf hingewiesen habe, dass die
Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen und Feierlichkeiten an Silvester verantwortungsvoll geprüft werden solle, somit
hinreichend ausdrücklich vor der Teilnahme an Feierlichkeiten zum Jahreswechsel 2016/2017 in Großstädten wie Istanbul, insbesondere
an Orten wie dem Club R., gewarnt habe. Dies gelte auch vor dem Hintergrund, dass es in der Türkei allein im Jahr 2016 zahlreiche
Anschläge gegeben habe, die als terroristisch eingestuft worden seien und die teilweise eine große Anzahl von zivilen und
auch touristischen Opfern zu beklagten gehabt hätten. Betrachte man den Ausgangspukt des Opferentschädigungsrechts (Opferentschädigungsrecht
als Kehrseite des staatlichen Gewaltmonopols) und die beschränkten (im Wesentlichen konsularischen) Möglichkeiten des bundesdeutschen
Staates, seine Bürger vor einer vorsätzlichen Gewalttat im Ausland zu schützen, habe für die Klägerin kein triftiger Grund
bestanden, sich über die Hinweise des Auswärtigen Amtes hinwegzusetzen. Dies gelte umso mehr, als die Klägerin ausweislich
ihrer Widerspruchs- und Klagebegründung lediglich ein privates Feierbedürfnis unter einer Vielzahl von Menschen geltend gemacht
habe.
Am 31. August 2020 hat die Klägerin Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt und vorgetragen, das
SG habe sich mit ihrer Widerspruchs- und Klagebegründung weder vollständig auseinandergesetzt noch diese inhaltlich rechtlich
zutreffend gewürdigt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 28. Juli 2020 sowie den Bescheid vom 9. Juli 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 9. November 2018 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr aufgrund des Terroranschlags an Silvester 2016/2017
in Istanbul Leistungen nach dem
Opferentschädigungsgesetz zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Er verweist auf die seines Erachtens zutreffende angefochtene erstinstanzliche Entscheidung.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht (§
151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§
124 Abs.
2 SGG), ist statthaft (§§
143,
144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 28. Juli 2020, mit dem die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
1 und 4
SGG) auf Gewährung von Leistungen nach dem
OEG unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Juli 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2018 abgewiesen
worden ist. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart in Ermangelung einer
mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
Kommentar zum
SGG, 13. Aufl. 2020, §
54 Rz. 34).
Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 9. Juli 2018 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 9. November 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§
54 Abs.
1 Satz 2
SGG). Die Klägerin kann die Gewährung von Leistungen nach dem
OEG nicht beanspruchen, das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist §
3a Abs.
2 OEG. Danach erhalten Geschädigte die auf Grund der Schädigungsfolgen notwendigen Maßnahmen der Heilbehandlung und der medizinischen
Rehabilitation einschließlich psychotherapeutischer Angebote. Nachdem die Leistungspflicht nur aus der allgemeinen Fürsorge
des Staates resultiert, ist der Leistungsumfang eingeschränkt (vgl. BT-Drucks. 16/12273, S. 6) und ein Anspruch auf Beschädigtengrundrente
besteht nicht. Vielmehr erhalten Geschädigte (Sätze angepasst durch Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes vom 17. Juli 2017 [BGBl. I 2017 S. 2541] mit Wirkung ab 25. Juli 2017, neue Sätze in Klammern) ab einem Grad der Schädigungsfolgen
von 10 bis zu einem GdS von 20 eine Einmalzahlung von 714 € (800 €), bei einem GdS von 30 und 40 eine Einmalzahlung von 1.428
€ (1.600 €), bei einem GdS von 50 und 60 eine Einmalzahlung von 5.256 € (5.800 €), bei einem GdS von 70 bis 90 eine Einmalzahlung
von 9.192 € (10.200 €) und bei einem GdS von 100 eine Einmalzahlung von 14.976 € (16.500 €), §
3a Abs.
2 Satz 2
OEG.
Zur Erfüllung des Anspruchs sind nach §
3a Abs.
1 in Verbindung mit §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG folgende rechtlichen Grundsätze maßgebend (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, BSGE 113, 205 <208 ff.>):
Ein Versorgungsanspruch setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG gegeben sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. April 2009 - B 9 VG 1/08 R -, juris, Rz. 27 m. w. N). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des
OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen
und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander
verbunden sind.
Nach der Rechtsprechung BSG ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffes "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" im Sinne des §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von
subjektiven Merkmalen, wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht, hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst
(vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 32 m. w. N.). Dabei sind je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und
verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben worden. Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des
OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffes hat das BSG daher aus der Sicht von objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden.
Allgemein ist es in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger
oder rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist,
wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das
Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 25 m. w. N.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des §
240 Strafgesetzbuch (
StGB) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen
ein (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, SozR 4 3800 § 1 Nr. 18, Rz. 36 m. w. N.). Ein solcher Angriff setzt eine unmittelbar auf den Körper einer anderen Person
zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus; die bloße Drohung mit einer wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung
reicht hierfür demgegenüber nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, juris, Rz. 23 ff.).
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennen das soziale Entschädigungsrecht und damit auch das
OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen)
des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß §
6 Abs.
3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung, also insbesondere
auch mit dem tätlichen Angriff im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen
des Falles glaubhaft erscheinen.
Nach diesen Maßstäben ist die Klägerin in der Silvesternacht 2016/2017 bei dem Terroranschlag Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen
Angriffs geworden, bei dem sie sich zumindest Schnittverletzungen zugezogen und damit einen Gesundheitsschaden erlitten hat.
Hiervon ist auch der Beklagte im angefochtenen Bescheid zu Recht ausgegangen.
Dass der Terroranschlag in Istanbul, und damit im Ausland, stattgefunden hat, steht dem Anspruch grundsätzlich nicht entgegen.
Nach §
3a Abs.
1 OEG erhalten Deutsche oder Ausländer, die infolge einer Gewalttat nach §
1 Abs. 1 oder 2 eine gesundheitliche Schädigung im Sinne von § 1 Abs. 1 erleiden, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen
Folgen auf Antrag einen Ausgleich nach Abs. 2, wenn sie ihren gewöhnlichen und rechtmäßigen Aufenthalt im Geltungsbereich
dieses Gesetzes haben (Nr. 1) und sich zum Tatzeitpunkt für einen vorübergehenden Zeitraum von längstens sechs Monaten außerhalb
des Geltungsbereiches dieses Gesetzes aufgehalten haben (Nr. 2). Nachdem die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der
Bundesrepublik Deutschland hat und sich nur zum Erholungsurlaub in Istanbul aufhielt, sind auch die Voraussetzungen des §
3a Abs.
1 OEG erfüllt.
Der Leistungsanspruch ist jedoch nach §
3a Abs.
5 Satz 2
OEG ausgeschlossen, da ein Versagensgrund im Sinne der zweiten Alternative der dritten Fallgruppe des §
2 Abs.
1 Satz 1
OEG besteht, wie dies schon der Beklagte und ihm folgend das SG gesehen haben. Vorliegend ist der Leistungsausschluss im Sinne der zweiten Alternative des §
2 Abs.
1 Satz 1
OEG wegen Unbilligkeit und damit aus Wertungsgesichtspunkten gerechtfertigt.
Zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unbilligkeit im Sinne der zweiten Alternative des §
2 Abs.
1 Satz 1
OEG hat das BSG Fallgruppen gebildet, zu denen das bewusste und leichtfertige Eingehen einer Gefahr gehört, der sich das Opfer ohne weiteres
hätte entziehen können, es sei denn, für dieses Verhalten läge ein rechtfertigender Grund vor (vgl. BSG, Urteil vom 29. März 2007 - B 9a VG 2/05 R -, juris, Rz. 16). Eine Entschädigung ist danach ausgeschlossen, wenn das Opfer
sich, ohne sozial nützlich oder gar von der Rechtsordnung erwünscht zu handeln, der Gefahr einer Gewalttat bewusst oder leichtfertig
aussetzt oder sich einer von ihm erkannten oder leichtfertigt verkannten Gefahr nicht entzieht, obwohl ihm dies zumutbar möglich
wäre (vgl. BSG, Beschluss vom 25. Juli 2019 - B 9 V 3/19 B -, juris, Rz. 9). Eine leichtfertige Selbstgefährdung setzt dabei einen erhöhten Grad an Fahrlässigkeit voraus, der etwa
der groben Fahrlässigkeit nach Bürgerlichen Recht entspricht, sich aber nach den persönlichen Fähigkeiten des Opfers richtet.
Zu prüfen ist, ob sich das Opfer auch anders hätte verhalten können oder müssen, und ob es sich der erkannten oder grob fahrlässig
nicht erkannten Gefahr nicht entzogen hat, obwohl ihm dies zumutbar gewesen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 18. April 2001 - B 9 VG 3/00 R -, juris, Rz.18).
Im Rahmen des §
3a OEG muss zusätzlich berücksichtigt werden, dass der Aufopferungstatbestand, wie er der Leistungsverpflichtung des Staates bei
Inlandstaten zu Grunde liegt, nicht gegeben ist. Eine Leistungsverpflichtung kann sich deshalb nur aus einer allgemeinen Fürsorge
des Staates für seine Bürger und für diejenigen Personen ergeben, die sich dauerhaft rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland
aufhalten. Dieser Unterschied muss sich daher auch in einem unterschiedlichen Leistungsumfang und -spektrum niederschlagen
sowie in der Nachrangigkeit dieser Leistungsansprüche gegenüber anderen öffentlichen oder privaten Sicherungs- und Versorgungssystemen
(vgl. BT-Drucks. 16/12273, S. 6). Dementsprechend kommt als Versagungsgrund nach §
2 Abs.
1 Satz 1
OEG insbesondere in Betracht, dass sich Geschädigte über bestehende Reise- oder Sicherheitshinweise oder Reisewarnungen des Auswärtigen
Amtes hinweggesetzt haben, auch wenn dieses Verhalten nicht zwingend zu einem Leistungsausschluss führen muss (vgl. BT-Drucks.
16/12273, S. 7).
Nach diesen Maßstäben liegt eine Unbilligkeit mit der Rechtsfolge eines Leistungsausschlusses auch zur Überzeugung des Senats
schon deshalb vor, da mit den Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes der staatlichen Fürsorgepflicht Rechnung
getragen worden ist, die Klägerin diese aber nicht beachtet hat.
Das Auswärtige Amt informiert auf seiner Homepage über Sicherheitshinweise und besondere Risiken für Reisende und im Ausland
lebende Deutsche. Die Sicherheitshinweise werden regelmäßig überprüft und aktualisiert. Sie können die Empfehlung enthalten,
auf Reisen zu verzichten oder sie einzuschränken. Gegebenenfalls wird auch von nicht unbedingt erforderlichen oder allen Reisen
abgeraten. Reisewarnungen enthalten einen dringenden Appell des Auswärtigen Amts, Reisen in ein Land oder eine bestimmte Region
eines Landes zu unterlassen. Sie werden nur dann ausgesprochen, wenn aufgrund einer akuten Gefahr für Leib und Leben vor Reisen
in ein Land oder in eine bestimmte Region eines Landes gewarnt werden muss. Reise- und Sicherheitshinweise sowie Reisewarnungen
beruhen auf den zum angegebenen Zeitpunkt dem Auswärtigen Amt verfügbaren und als vertrauenswürdig eingeschätzten Informationen.
Das Auswärtige Amt rät dringend, die in den Reise- und Sicherheitshinweisen bzw. Reisewarnungen enthaltenen Empfehlungen zu
beachten (so unter www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/10.2.8Reisewarnungen, abgerufen am 18. Februar 2021).
Wie bereits vom SG im Einzelnen dargelegt, ist vom Auswärtigen Amt angesichts der damals aktuellen Terrorlage in der Türkei mit wiederholten
Anschlägen insbesondere auf Menschenansammlungen mit Ausländeranteil zu besonderer Aufmerksamkeit und zum Meiden von Menschenansammlungen
und Orten, an denen sich regelmäßig viele Ausländer aufhalten, geraten worden. Insbesondere wurde als individuelle Schutzmaßnahme
empfohlen, die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen und Festlichkeiten an Silvester und Neujahr verantwortungsvoll zu
prüfen.
Dadurch wurde kein Verbot von Silvesterfeiern oder Urlaub in der Türkei erlassen, sondern auf das Risiko hingewiesen, dass
durch Terroranschläge ein Schaden entstehen kann und ausländische Touristen in besonderem Maße gefährdet sind.
Über diese Sicherheitshinweise hat sich die Klägerin aber dadurch hinweggesetzt, dass sie in der Silvesternacht den Club R.
in Istanbul gewesen ist, also eine Lokalität, die ein Treffpunkt für Prominente und zahlungskräftige ausländische Touristen
gewesen ist, und damit um einen zu diesem Zeitpunkt besonders gefährdeten Ort, vor dessen Aufsuchen gerade in der Silvesternacht
durch das Auswärtigen Amtes ausdrücklich gewarnt worden ist.
Diese Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes basierten auf einer aktuellen und tragfähigen Grundlage unter Berücksichtigung
der aktuellen politischen Situation in der Türkei. Denn nach dessen Einschätzung war die Sicherheitslage aufgrund des gewaltsamen
Putschversuchs vom 15. Juli 2016 mit Ausrufung des Notstandes und dessen Verlängerung um drei Monate im Oktober 2016 durch
die türkische Regierung angespannt. Dementsprechend wurde zu besonderer Wachsamkeit und Vorsicht geraten sowie dazu, sich
über die Medien und die Reise- und Sicherheitshinweise über die weitere Lageentwicklung informiert zu halten, insbesondere,
weil landesweit mit politischen Spannungen sowie gewaltsamen Auseinandersetzungen und terroristischen Anschlägen zu rechnen
war. Auch hatte die "Kurdische Arbeiterpartei" im August 2016 landesweite Anschläge angekündigt. Das Auswärtige Amt verwies
konkret darauf, dass seit Ende 2015 der Internationale Flughafen Istanbul Atatürk sowie wiederholt die Innenstädte von Istanbul
und Ankara Ziele von Anschlägen mit hohen Opferzahlen waren. Deswegen wurde dazu geraten, die Nutzung von Verkehrsmitteln
des öffentlichen Personennah- und Fernverkehrs auf das erforderliche Maß einzuschränken.
Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, wenn die Klägerin pauschal behauptet, die Türkei sei ein beliebtes Urlaubsland,
was unbestritten ist, aber mit ihrem konkreten Verhalten, sich also in eine exponierte Gefährdungslage zu bringen, nichts
zu tun hat. Es bestand definitiv nach sachverständiger Einschätzung des Auswärtigen Amtes, die sich aus kürzlich stattgehabten
Terroranschlägen speiste, eine andere Gefährdungslage als in anderen Metropolen, auch in Deutschland. Ihr Vorbringen ist mit
der - damaligen - politischen Lage, wie sie sich aus den landesspezifischen Sicherheitshinweisen ergeben und an deren Validität
der Senat keinen Zweifel hat, in keiner Weise vereinbar.
Unabhängig von den Empfehlungen in den Reise- und Sicherheitshinweisen ist belegt, dass zum Anschlagszeitpunkt eine angespannte
politische Situation bestanden hat und es bereits mehrfach zu gewalttätigen Übergriffen auch in Istanbul gekommen war. Die
politische Lage und damit die Gesamtumstände haben somit ausreichend Veranlassung geboten, große Menschenansammlungen und
exponierte Orte zu meiden. Über diese sich aufdrängenden Überlegungen hat sich die Klägerin indessen hinweggesetzt, obwohl
es ein nicht abzuschätzendes Risiko dargestellt hat, mit einer Vielzahl von Menschen in einem über die örtliche Szene hinaus
bekannten Club Silvester zu feiern, bei dem aufgrund seiner Exponiertheit in besonderem Maße mit einer Gefährdungslage zu
rechnen war. Die Unbilligkeit einer Entschädigung nach dem
OEG folgt somit auch daraus, dass die Klägerin sich der Gefahrenlage verschlossen und sich nicht von derartigen Veranstaltungen
ferngehalten hat.
Es ist Ausfluss des allgemeinen Schadensrechts, dass eine Minderungspflicht des Geschädigten nach Treu und Glauben besteht.
Dieser Rechtsgedanke hat auch Eingang gefunden in das
OEG und steht damit in Übereinstimmung mit der übrigen Rechtsordnung. Danach hat der Geschädigte demgegenüber, der ihm eine Entschädigung
zu leisten hat, den Schaden so gering wie möglich zu halten. Im Falle der Klägerin bedeutet dies, dass sie das gesteigerte
Risiko, vor dem gewarnt wurde, nicht eingehen sollte, also sich nicht einer bekannten Gefahr aussetzen sollte. Wenn sie sich
über die Reisewarnung dennoch aus freier Entscheidung hinwegsetzt, muss sie die Konsequenzen hieraus im Sinne einer Eigenverantwortung
tragen. Unmittelbare Hilfe wie die Entschädigung der Bundesregierung oder ärztliche Behandlung hat sie ohnehin direkt nach
der Tat erhalten, die darüber hinaus begehrte Entschädigung nach dem
OEG geht darüber hinaus.
Nachdem somit ein Leistungsanspruch schon wegen Unbilligkeit nicht besteht, kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an,
dass die Leistungen nach dem
OEG nachrangig sind (vgl. BT-Drucks. 16/12273, S. 6) und zu den vorrangigen Ansprüchen auch Leistungsansprüche aus Sicherungs-
und Versorgungssystemen des Staates zählen, in dem sich die Gewalttat ereignet hat (vgl. auch §
3a Abs.
4 Satz 2
OEG). In diesem Zusammenhang haben die Ermittlungen des LRA unter Einschaltung des Auswärtigen Amtes ergeben, dass die Türkei
neben den Schadensersatzansprüchen gegen den Schädiger auch über ein staatliches Entschädigungssystem (Gesetz Nr. 5233) verfügt,
sodass diese Ansprüche vorrangig gegenüber Ansprüchen nach dem
OEG sein dürften. Darauf, ob in anderen Bundesländern Leistungen zuerkannt worden sein mögen, worauf die Klägerin ebenfalls verweist,
kommt es nicht an.
Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.