Anspruch auf Asylbewerberleistungen; Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG bei Folgeanträgen
Gründe
Die am 10. Januar 2014 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) eingegangene Beschwerde des Antragsgegners gegen den ihm am 10. Dezember 2013 zugestellten Beschluss des SG vom 28. November 2013 ist gem. §
173 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) zulässig und auch statthaft gem. §
172 Abs.
3 Nr.
1 i.V.m. §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG.
Die vom SG im angefochtenen Beschluss vorgenommene Verpflichtung des Antragsgegners, "dem Antragsteller vorläufig ab September 2013
bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz in ungekürzter Höhe auszubezahlen", bedarf allerdings der Auslegung. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen darauf gestützt,
dass die "bisherige Leistungsbewilligung weiterhin die Rechtsgrundlage für die Bewilligung von Leistungen nach dem
AsylbLG" bilde. Die "Aufhebungsentscheidung" vom 26. August 2013 sei mangels vorheriger Anhörung rechtswidrig, so dass "für den Einbehalt
keine entsprechende Rechtsgrundlage" bestehe. Konkretisiert wird die zugrundegelegte "bisherige Bewilligung" nicht. Nach dem
Akteninhalt kommt lediglich der "vorläufige Bescheid" vom 4. Januar 2013 in Betracht, auf den der Antragsteller auch in seiner
Antragsschrift hingewiesen hatte. Mit diesem wurden dem Antragsteller jedoch Grundleistungen nach §
3 des
Asylbewerberleistungsgesetzes (
AsylbLG) ab Januar 2013 (lediglich) i.H.v. € 322.- gewährt. Der Antragsteller hat jedoch bereits erstinstanzlich ausdrücklich beantragt,
Leistungen nach §
3 AsylbLG "ohne jegliche Kürzungen zu zahlen und zwar entsprechend den Sätzen des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom
18.07.2012 in Höhe von monatlich EUR 354,00, hilfsweise von monatlich € 322,00". Auch wenn die Begründung des Beschlusses,
die nur auf die bisherige Leistungsbewilligung abgestellt, lediglich einen Ausspruch i.H.v. € 322.- monatlich tragen würde,
ist eine solche Beschränkung dem Tenor und den weiteren Ausführungen im Beschluss nicht zu entnehmen. Eine Ablehnung "im Übrigen",
also bezüglich des höheren Hauptantrages ist nicht tenoriert. Eine Kostenquotelung ist nicht erfolgt, was gegen ein teilweises
Unterliegen des Antragstellers spricht. Ein solches wird in den Gründen des Beschlusses auch nicht angesprochen. Nach alldem
ist davon auszugehen, dass das SG Grundleistungen nach §
3 AsylbLG i.H.v. € 354.- monatlich zugesprochen hat, ohne eine zeitliche Beschränkung durch ein festes Enddatum aufzunehmen. Da der
Antragsteller eine Mindestdauer von sechs Monaten beantragt hatte, ist mangels Abweisung im Übrigen von einem mindestens sechsmonatigen
Zeitraum auszugehen. Der Antragsgegner hatte die Leistungen an den Antragsteller ab 1. September 2013 gem. §
1a Nr.
2 AsylbLG auf € 200.- monatlich gekürzt. Der Beschwerdewert nach §§
172 Abs.
3 Nr.
1,
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG i.H.v. € 750.- ist damit überschritten.
Die somit zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat jedoch lediglich i.S.e. einer Befristung der Verpflichtung Erfolg. Im
Übrigen ist sie unbegründet.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung i.S.d. §
86b Abs.
2 SGG statthaft. Ein vorrangiger Rechtsschutz nach den Regeln über die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Klage nach §
86b Abs.
1 SGG ist nicht gegeben. Der Bescheid vom 4. Januar 2013 regelt die Leistungshöhe ab 1. Januar 2013 (wegen noch fehlender endgültiger
Arbeitsanweisungen zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts <BVerfG> vom 18. Juli 2012) ausdrücklich nur vorläufig.
Mangels Anfechtung ist dieser Bescheid auch hinsichtlich der Vorläufigkeit bindend geworden. Mit dem Bescheid vom 26. August
2013, der keinen Hinweis auf eine Vorläufigkeit mehr enthält, hat der Antragsgegner die Leistungen nach §
3 AsylbLG endgültig - und zwar von Anfang an in geminderter Höhe - gewährt. Der vorläufige Bewilligungsbescheid ist damit nach § 39 Abs. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch "auf andere Art" erledigt. Eine isolierte Anfechtung des endgültigen Bescheides mit dem Ziel der Aufrechterhaltung der höheren
- aber nur vorläufigen - Regelung ist nicht möglich. Statthaft ist in der Hauptsache die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage
auf höhere - endgültige - Leistungen.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 1
SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit - wie hier - nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug
auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung
eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur
Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG in Betracht.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache
sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch)
und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i. V. m. §
920 Abs.
2 der
Zivilprozessordnung <ZPO>). Beides sind gleichberechtigte Voraussetzungen, die ein bewegliches System darstellen: Je nach Wahrscheinlichkeit
des Erfolges in der Hauptsache können die Anforderungen an den Anordnungsgrund geringer sein und umgekehrt. Völlig entfallen
darf hingegen keine der beiden. Dementsprechend sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer
die mit der Versagung vorläufigen Rechtschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Grundrechtsrelevanz
- wiegen (BVerfG NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind dann in Ansehung des sich aus Art.
1 Abs.
1 des
Grundgesetzes ergebenden Gebotes der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruches auf
effektiven Rechtsschutz unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige
Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und
Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung,
vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - beide <[...]> unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen
sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse
vom 4. April 2008 - L 7 AS 5626/07 ER-B - und vom 11. Juni 2008 - L 7 AS 2309/08 ER-B - beide <[...]>).
Zwischen den Beteiligten streitig ist lediglich die Berechtigung des Antragsgegners, die Grundleistungen des Antragstellers
nach §
3 AsylbLG wegen dessen fehlender Mitwirkung bei der Passbeschaffung gem. §
1a Nr. 2
AsylbLG zu kürzen. Anhaltspunkte für andere Umstände, die einem Leistungsanspruch des Antragstellers in ungeminderter Höhe entgegenstehen
könnten, sind weder aus dem Akteninhalt ersichtlich noch vom Antragsgegner vorgetragen. Dem Antragsteller stehen nach summarischer
Prüfung die ungeminderten Leistungen i.H.v. € 354.- monatlich zu.
Der Antragsteller unterfällt bereits nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des §
1a AsylbLG. Danach beschränkt sich die dortige Anspruchseinschränkung auf Leistungsberechtigte nach §
1 Abs. 1 Nr.
4 und
5 sowie ihre Familienangehörigen nach §
1 Abs.
1 Nr.
6 AsylbLG. Nach dem eindeutigen Wortlaut nicht erfasst sind somit Leistungsberechtigte nach §
1 Abs.
1 Nr.
7 AsylbLG, also Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die einen Folgeantrag nach §
71 des
Asylverfahrensgesetzes (
AsylVfG) oder einen Zweitantrag nach §
71a AsylVfG stellen. Mit dieser zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Vorschrift hat der Gesetzgeber zum einen auf den Umstand reagiert,
dass Asylfolgeantragsteller erst nach der Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) über die Durchführung
eines weiteren Asylverfahrens in den Besitz einer Aufenthaltsgestattung gelangen und damit nach §
1 Abs.
1 Nr.
1 AsylbLG leistungsberechtigt werden. Darüber hinaus soll mit der Regelung der mehrfachen, häufig missbräuchlichen Folgeantragstellung
begegnet werden. Asylfolgeantragsteller sollen damit den Asylerstantragstellern gleichgestellt werden (Hohm,
AsylbLG, §
1 Rdnr. 95 unter Verweis auf BT-Drucks. 15/420 S. 120 f.). Diese Gleichstellung spiegelt sich auch im Wortlaut des §
1a AsylbLG wider, indem weder Asylerst- noch Asylfolgeantragsteller in dessen persönlichen Anwendungsbereich aufgenommen sind. Bestätigt
wird dies durch die Gesetzesentwicklung. Im Rahmen der Neuregelung des leistungsberechtigten Personenkreises des
AsylbLG zum 1. Januar 2005 war zunächst vorgesehen, die nun in §
1 Abs.
1 Nr.
7 AsylbLG enthaltene Bestimmung in dessen Nr.
4 zu regeln. Daher sollte durch Art. 8 Nr. 2 des Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration
von Unionsbürgern und Ausländern die in §
1a Halbsatz 1
AsylbLG enthaltene Angabe "Nr. 4" gestrichen werden (vgl. Hohm, a.a.O., § 1a Rdnr. 9). Diese Änderung unterblieb, da die Asylfolge-
und -zweitantragsteller nunmehr in §
1 Abs.
1 Nr.
7 AsylbLG erfasst sind. Damit wird der gesetzgeberische Wille deutlich, Ausländer ab dem Zeitpunkt der Stellung eines Asylfolgeantrags
nicht mehr in den Anwendungsbereich des §
1a AsylbLG einzubeziehen (Deibel, ZAR 2004, 321, 323; Decker, ZFSH/SGB 2003, 195, 200; Hohm, a.a.O., Rdnr. 35,; ders. in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl., §
1a AsylbLG Rdnr. 4; Oppenheimer in jurisPK-
AsylbLG, § 1a Rdnr. 15; Birk in LPK-SGB XII, 9. Aufl., §
1a AsylbLG, Rdnr. 2). Dies gilt selbst dann, wenn einem Asylfolgeantragsteller von der Ausländerbehörde während des beim BAMF anhängigen
Asylfolgeverfahrens Duldungen erteilt bzw. fortlaufend verlängert werden (SG Hildesheim, Beschluss vom 27. Dezember 2012 -
S 42 AY 9/12 ER - <[...]> m.w.N.). Leistungsrechtlich spielt es daher keine Rolle, ob der Antragsteller ausländerrechtlich
trotz des Asylfolgeantrag zu weiteren Mitwirkungshandlungen verpflichtet bleibt.
Der Antragsteller hat vorgetragen, am 5. August 2013 einen Asylfolgeantrag gestellt zu haben, was vom Antragsgegner nicht
in Abrede gestellt wird. Dass über diesen bereits entschieden worden wäre, ist nach Aktenlage nicht ersichtlich und wird auch
vom Antragsgegner nicht geltend gemacht. Dieser verweist vielmehr lediglich darauf, dass der Asylfolgeantrag die ausländerrechtlichen
Mitwirkungspflichten nicht suspendiere. Aus o.g. Gründen ist dies leistungsrechtlich jedoch nicht von Bedeutung.
Zur Vermeidung der weitergehenden Vorwegnahme der Hauptsache und um dem Antragsgegner die Möglichkeit zu geben, jeweils zeitnah
auf Entscheidungen des BAMF bezüglich des Asylfolgeantrags reagieren zu können, war die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners
zur Leistungsgewährung jedoch auf den 30. April 2014 zu begrenzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG. Dabei ist berücksichtigt, dass der Antragsteller trotz der vorgenommenen Befristung mit seinem Begehren im Wesentlich Erfolg
hatte.
Da die wirtschaftlichen und persönlichen Voraussetzungen vorliegen, war dem Antragsteller gem. §
73a SGG i.V.m. §§
114 ff., 119
ZPO Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Rechtsanwalts ohne Ratenzahlung zu gewähren.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).