Verpflichtung eines Familienangehörigen zur Erteilung von Auskunft über Einkommens- und Vermögensverhältnisse im Rahmen von
SGB-XII-Leistungen
Kein tatsächlicher Unterhaltsanspruch erforderlich
Anspruchsausschluss bei Negativevidenz
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger zur Erteilung von Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse
verpflichtet ist.
Der am 14. April 1961 geborene Kläger ist Sohn der am 28. Juni 1938 geborenen G. V. (Hilfeempfängerin), die seit 16. Dezember
2014 Leistungen der Hilfe zur Pflege sowie Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch
(SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII) durch den Beklagten erhält.
Das Amtsgericht Wolfenbüttel übertrug durch Beschluss vom 24. Oktober 1974 (9 X 347/73) das "Recht zur Ausübung der elterlichen Gewalt" auf S. M., den Vater des Klägers und geschiedenen Ehemann der Hilfeempfängerin.
Das Landgericht Braunschweig wies die Beschwerde der Hilfeempfängerin gegen diese Entscheidung durch Beschluss vom 9. Mai
1975 (8 T 236/75) zurück.
Mit Schreiben vom 22. Januar 2015 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die Hilfeempfängerin seit Dezember 2014 Hilfen
nach dem Vierten und Siebten Kapitel des SGB XII erhalte, er zu den in §§
1601 ff.
Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) bezeichneten Personen, die vorbehaltlich ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet seien, Unterhalt zu gewähren, gehöre und
gemäß § 94 SGB XII dieser bürgerlich-rechtliche Unterhaltsanspruch bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen kraft Gesetzes auf den Beklagten
als Träger der Sozialhilfe übergehe. Durch Bescheid vom 22. Januar 2015 forderte der Beklagte den Kläger unter Übersendung
eines Fragebogens zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nach § 117 SGB XII auf, Auskunft über sein Einkommen und Vermögen zu erteilen. Dagegen legte der Kläger am 4. Februar 2015 Widerspruch ein und
machte geltend, dass er mit der Hilfeempfängerin mehr als vier Jahrzehnte keinerlei Umgang mehr habe. Ursache seien hierfür
gravierende Verfehlungen hinsichtlich der elterlichen Fürsorge. Infolge dieser Verfehlungen, u.a. in Form schwerer körperlicher
und seelischer Gewalt gegen ihn über Jahre hinweg, sei er im Alter von zwölf Jahren aus dem Haushalt der Hilfeempfängerin
geflohen. Im Zuge des sich anschließenden Prozesses sei der Hilfeempfängerin durch das Amtsgericht Wolfenbüttel das Sorgerecht
entzogen worden. Diese Entscheidung sei vom Landgericht Braunschweig nach Einholung eines Gutachtens bestätigt worden. Die
Hilfeempfängerin habe sich an den für ihn seit seinem 12. Lebensjahr anfallenden Kosten für Unterhalt und Ausbildung nicht
beteiligt. Auf Grund dieser Sachlage halte er - der Kläger - es für nicht zumutbar, wenn eine Unterhaltspflicht für die Hilfeempfängerin
geltend gemacht werde.
Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 2. März 2015 zurück. Bei Vorliegen der in §
1611 Abs.
1 BGB genannten Tatbestände brauche ein zum Unterhalt Verpflichteter nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, der
der Billigkeit entspreche. Die Verpflichtung falle nur dann ganz weg, wenn die Inanspruchnahme grob unbillig wäre. In die
Billigkeitsabwägungen seien neben der Schwere der Verfehlung u.a. auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unterhaltspflichtigen
einzubeziehen. Nur wenn im Einzelfall nach dieser erfolgten Prüfung auch der danach ermittelte Betrag aus besonderen Gründen
grob unbillig wäre, könne dieser gänzlich wegfallen. Von grober Unbilligkeit sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
(BGH) nur dann auszugehen, wenn die Gewährung von Unterhalt dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widersprechen
würde. Neben der Schwere der Verfehlung sei auch maßgeblich, ob die unterhaltspflichtige Person in Verhältnissen lebe, bei
denen sie durch Unterhaltsleistungen in spürbarer Weise in ihrer eigenen Lebensführung beeinträchtigt werden würde. Die nach
§ 117 SGB XII geforderte Auskunftserteilung sei somit notwendig, um über einen möglichen Wegfall der Verpflichtung zur Unterhaltsleistung
entscheiden zu können.
Dagegen hat der Kläger am 2. April 2015 Klage zum Sozialgericht Braunschweig erhoben (S 32 SO 46/15), das sich durch Beschluss
vom 27. April 2015 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Stuttgart (SG) verwiesen hat. Dort ist der Rechtsstreit unter dem Aktenzeichen S 20 SO 2502/15 fortgeführt worden.
Der Kläger hat zur Begründung seiner Klage ausgeführt, ein gemäß §
1601 BGB bestehender Anspruch der Hilfeempfängerin auf Gewährung von Familienunterhalt gegen ihn - den Kläger - sei jedenfalls gemäß
§
1611 Abs.
1 Satz 2
BGB vollständig entfallen. Danach brauche der Verpflichtete nur einen Betrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit
entspreche, wenn der Unterhaltsberechtigte durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden sei, er seiner eigenen Unterhaltspflicht
gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen
oder einen nahen Angehörigen schuldig gemacht habe. Die Unterhaltsverpflichtung falle gemäß §
1611 Abs.
1 Satz 2
BGB ganz weg, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre. Vorliegend habe die Hilfeempfängerin grobes Fehlverhalten
an den Tag gelegt. Seit 1974 bestehe kein Kontakt mehr. Ihr sei durch Beschluss des Amtsgerichts Wolfenbüttel vom 24. Oktober
1974 das Sorgerecht entzogen und seinem Vater übertragen worden. Grund für den Entzug des Sorgerechts seien u.a. die Konfrontationen
des Klägers durch die Hilfeempfängerin mit deren sexuellen Problemen und Unternehmungen gewesen, die ihn - den Kläger - dazu
gezwungen hätten, vor dieser zu flüchten. Besonders gravierend seien körperliche Misshandlungen, die darin gegipfelt hätten,
dass die Hilfeempfängerin ihn mit einem Brotmesser traktiert und versucht habe, ihn vom Balkon zu stoßen. Eine Tötungsabsicht
sei offensichtlich gewesen. Der Kläger hat den Beschluss des Amtsgerichts Wolfenbüttel vom 24. Oktober 1974 (Blatt 36/39 der
SG-Akten), das Protokoll des Amtsgerichts Schorndorf vom 14. Juni 1974 über die Vernehmung des Klägers (Blatt 40/42 der SG-Akten), das Protokoll des Amtsgerichts Schorndorf vom 14. Juni 1974 über die Vernehmung des Vaters des Klägers (Blatt 43/44
der SG-Akten) sowie ein Schreiben der Hilfeempfängerin vom 29. März 1964 (Bl. 70/72 der SG-Akten) vorgelegt.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Ein Fall der sogenannten Negativevidenz liege nicht vor. Zwar würden die vom
Kläger vorgetragenen Umstände und Vorkommnisse betreffend das Verhältnis zu seiner Mutter in Richtung des Vorliegens eines
Verwirkungstatbestandes hindeuten, jedoch sei mit Blick auf den Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 9. Mai 1975 zu
beachten, dass die früher im Rahmen einer Zeugenaussage durch den Kläger geäußerten Vorwürfe über Handlungen im Bereich einer
Körperverletzung bis hin zu versuchten Tötungen dort nicht weiter betrachtet worden seien. Zudem sei die Frage nach einem
Verschulden der Hilfeempfängerin bewusst offengelassen worden. Durch das vorgelegte Material werde eine offenkundige und vollständige
Unbilligkeit eines Unterhaltsanspruchs nicht begründet. Darüber hinaus dürften auch im Rahmen der noch durchzuführenden Prüfung,
ob und inwieweit Unterhaltsansprüche verwirkt seien, die wirtschaftlichen Verhältnisse des dem Grunde nach Unterhaltspflichtigen
von Bedeutung sein.
Das SG hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 1. April 2016 abgewiesen. Ein Fall der sogenannten Negativevidenz liege nicht vor.
Vorliegend sei keineswegs gänzlich ausgeschlossen, dass der Kläger als Sohn der Hilfeempfängerin und damit als Verwandter
in grader Linie nach §
1601 BGB zur Gewährung von Unterhalt verpflichtet sei. Soweit der Kläger sinngemäß vortrage, die Hilfeempfängerin habe ihren Unterhaltsanspruch
ihm gegenüber jedenfalls verwirkt, weil sie ihn jedenfalls ab dem 12. Lebensjahr finanziell nicht mehr unterhalten habe und
sich zuvor schweren Verfehlungen im Verhältnis zum Kläger schuldig gemacht habe, erscheine ein Unterhaltsanspruch allein aus
diesem Grund jedenfalls nicht als offensichtlich ausgeschlossen. Die Prüfung eines solchen Anspruchs - einschließlich einer
etwa notwendigen Beweiserhebung zu tatsächlichen Umständen - obliege allein den Zivilgerichten.
Gegen den seinem Bevollmächtigten am 11. April 2016 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner am 9.
Mai 2016 zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung, mit der er - unter Wiederholung und Vertiefung
seines bisherigen Vorbringens - sein Begehren weiterverfolgt. Bezüglich der Anforderungen an die Negativevidenz sei den Ausführungen
des LSG Nordrhein-Westfalen im Urteil vom 1. September 2010 (L 12 SO 61/09) zu folgen. Auch wenn das Bundessozialgericht (BSG) diesen Ausführungen nicht gefolgt sei, so seien diese doch zutreffend. Denn auch in anderen Rechtsbereichen würden die Spruchkörper
der Sozialgerichte inzident Überprüfungen von Rechtsfragen vornehmen, für deren abschließende Entscheidung Spruchkörper anderer
Gerichtsbarkeiten zuständig seien. Beispielsweise erfolge eine Überprüfung arbeitsrechtlicher Fragen im Bereich des Sperrzeitrechts
des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch - Arbeitsförderung - (
SGB III) oder eine strafrechtliche Prüfung im Bereich des
Opferentschädigungsgesetzes. Die Anforderungen an die Negativevidenz dürften daher nicht überspannt werden. Der Kläger hat u.a. den Beschluss des Landgerichts
Braunschweig vom 9. Mai 1975 zu den Akten gereicht (Bl. 39/47 der Senatsakten).
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 1. April 2016 sowie den Bescheid des Beklagten vom 22. Januar 2015 in
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. März 2015 aufzuheben, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten. Nach der maßgeblichen sozialhilferechtlichen Rechtsprechung sei es nicht Aufgabe
der Sozialgerichte, unterhaltsrechtlichen Fragen näher nachzugehen. Die Prüfung unterhaltsrechtlicher Fragen obliege vielmehr
den zuständigen Zivilgerichten. Nur wenn ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch nach objektivem, materiellem Recht offensichtlich
ausgeschlossen sei, sei eine gleichwohl erlassene, erkennbar sinnlose Überleitungsanzeige aufzuheben. Eine Negativevidenz
könne im Rahmen des § 117 Abs. 1 SGB XII nur dann vorliegen, wenn von vornherein, d.h. ohne nähere Prüfung, ohne Beweiserhebung und ohne eingehende rechtliche Überlegung
ersichtlich sei, dass der Unterhaltsanspruch nicht bestehe. Vorliegend könne eine Unterhaltsverpflichtung des Klägers keineswegs
von vornherein gänzlich ausgeschlossen werden. Dieser sei als Sohn in gerader Linie mit der Hilfeempfängerin verwandt und
falle in den Kreis der in §
1601 BGB genannten und dem Grunde nach Unterhaltspflichtigen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten
des Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft (§
144 Abs.
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG)). Einer Zulassung bedarf die Berufung in dem Urteil bzw. Gerichtsbescheid des Sozialgerichts nach §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG (i.V.m. §
105 Abs.
2 Satz 1
SGG) nur, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf
gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Vorliegend ist nicht eine Geld- Dienst- oder Sachleistung
streitig, sondern eine Auskunftsverpflichtung. Diese ist nicht bezifferbar, sodass die Regelung des §
144 Abs.
1 Satz 1
SGG über den Berufungsausschluss nicht greift. Die Berufung wurde auch gem. §
151 Abs.
1 SGG form- und fristgerecht eingelegt.
2. Gegenstand des vorliegenden Rechtstreits ist der Bescheid vom 22. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
2. März 2015, mit dem der Beklagte den Kläger zur Erteilung einer Auskunft verpflichtet hat. Dagegen wendet sich der Kläger
statthaft im Wege der isolierten Anfechtungsklage nach §
54 Abs.
1 SGG.
3. Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
a. Rechtsgrundlage für den Auskunftsanspruch des Beklagten als sachlich und örtlich für die Erbringung der Grundsicherungsleistungen
und Leistungen der Hilfe zur Pflege an die Hilfeempfängerin zuständiger Sozialhilfeträger (§§ 3 Abs. 1, 97 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 98 Abs. 2 SGB XII i.V.m. §§ 1 Abs. 1 und 2, 6 Abs. 1 und 4 SGB XII-Ausführungsgesetz Niedersachsen) ist § 117 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XII. Nach der Regelung des § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, die Ausdruck des Grundsatzes des Nachranges der Sozialhilfe ist (§ 2 SGB XII), haben die Unterhaltspflichtigen, ihre nicht getrenntlebenden Ehegatten oder Lebenspartner und die Kostenersatzpflichtigen
dem Träger der Sozialhilfe über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die Durchführung dieses
Buches es erfordert. Dabei haben sie die Verpflichtung, auf Verlangen des Trägers der Sozialhilfe Beweisurkunden vorzulegen
oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Die Vorschrift ermächtigt den Träger der Sozialhilfe, die Auskunftsverpflichtung durch Verwaltungsakt
gegenüber dem Pflichtigen geltend zu machen und bei Auskunftsverweigerung im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchzusetzen
(Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 21. Januar 1993 - 5 C 22/90 - BVerwGE 91, 375) zu der im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorgängerregelung des § 116 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG)). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII liegen vor, wenn der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch der Hilfeempfängerin gegen den Kläger weder offensichtlich im Wege
der Negativevidenz noch nach § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ausgeschlossen ist (vgl. BSG, Urteil vom 20. Dezember 2012 - B 8 SO 75/12 B - juris Rdnr. 7 ff.; Senatsurteile vom 6. November 2014 - L 7 SO 5083/12 -
(n.v.); vom 12. Dezember 2013 - L 7 SO 4209/09 - juris Rdnr. 34 und vom 28. Februar 2013 - L 7 SO 4014/11 -(n.v.); vgl. ferner
LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. Januar 2015 - L 20 SO 12/14 - juris Rdnrn. 40 ff.; Urteil vom 16. Mai 2013 - L 9 SO
212/12 - juris Rdnr. 40 f.; Bayerisches LSG, Urteil vom 23. Oktober 2014 - L 8 SO 212/12 - juris Rdnrn. 39 ff.; Urteil vom
28. Januar 2014 - L 8 SO 21/12 - juris Rdnrn. 43 ff.; vgl. ferner BVerwG, Urteil vom 6. November 1975 - V C 28.75 - BVerwGE 49, 311 - juris Rdnr. 15). Die Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens setzt nicht voraus, dass dem Hilfeempfänger der Unterhaltsanspruch
tatsächlich und nachweisbar zusteht. Nach ständiger Rechtsprechung ist es ist nicht Aufgabe der Sozialgerichte, unterhaltsrechtlichen
Fragen (näher) nachzugehen. Diese Prüfung obliegt in dem gegliederten Rechtsschutzsystem der Bundesrepublik Deutschland den
insoweit rechtswegmäßig zuständigen Zivilgerichten. Nur wenn ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch nach objektivem, materiellen
Recht offensichtlich ausgeschlossen ist - und insofern ist mit Blick auf die gegliederte Aufgabenzuweisung strikte Zurückhaltung
geboten -, ist ein gleichwohl erlassenes, erkennbar sinnloses Auskunftsersuchen aufzuheben.
Dabei folgt der Senat in ständiger Rechtsprechung nicht dem Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 1. September 2010 (L 12
SO 61/09 - juris) (z.B. Senatsurteile vom 12. Dezember 2013 - L 7 SO 4209/09 - juris Rdnr. 34 und vom 28. Februar 2013 - L
7 SO 4014/11 - (n.v.)). Dieses hatte in dem zitierten Urteil angenommen, dass ein Auskunftsanspruch des Sozialhilfeträgers
ausgeschlossen sei, wenn sich der Sachvortrag des vermeintlich Auskunftspflichtigen hinsichtlich des Wegfalls eines Unterhaltsanspruchs
als schlüssig und eine Beweisbarkeit des Vortrages als nicht unwahrscheinlich darstelle. Das BSG hat in dem Beschluss vom 20. Dezember 2012 (B 8 SO 75/12 B - juris Rdnr. 8) überzeugend darauf hingewiesen, dass das Urteil
des LSG Nordrhein-Westfalen vom 1. September 2010 im Widerspruch zu der von diesem selbst herangezogenen Rechtsprechung des
BVerwG steht und den Grundsatz der Negativevidenz konterkariert. Entscheidend ist, dass die Prüfung des Unterhaltsanspruches
nach zivilrechtlichen Maßstäben durch das nach dem zugewiesenen Rechtsweg sachlich kompetente Gericht - Zivilgericht - erfolgen
soll. Die Negativevidenz soll nur klare Fälle ausscheiden, bei denen eine Inanspruchnahme für die Auskunft von vorherein sinnlos
ist, weil der Unterhaltsanspruch unter keinen Umständen bestehen kann. Eine Negativevidenz kann damit auch im Rahmen des §
117 Abs. 1 SGB XII nur dann vorliegen, wenn von vornherein, d.h. ohne nähere Prüfung, ohne Beweiserhebung und ohne eingehende rechtliche Überlegungen
ersichtlich ist, dass der Unterhaltsanspruch nicht besteht.
b. Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Der Beklagte, der der Mutter des Klägers Leistungen der Grundsicherung
sowie der Hilfe zur Pflege nach den Bestimmungen des SGB XII seit 16. Dezember 2014 erbringt, ist als tatsächlicher und sachlich zuständiger Leistungserbringer auch für das Auskunftsersuchen
zuständig. Dahingestellt bleiben kann, ob vor Erlass eines Auskunftsersuchens eine Anhörung durchzuführen ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen,
Urteil vom 16. Mai 2013 - L 9 SO 212/12 - juris Rdnr. 33), da ein Verstoß hiergegen jedenfalls mit der Durchführung des Widerspruchsverfahrens
als geheilt anzusehen ist (§ 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X)).
c. Der angefochtene Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Der Kläger ist seiner Mutter dem Grunde nach unterhaltspflichtig.
Nach §
1601 BGB sind Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Der Hilfebedürftige muss bedürftig sein (vgl.
§
1602 BGB), woran vorliegend keine Zweifel bestehen, und der Unterhaltspflichtige muss leistungsfähig sein (§
1603 BGB), was erst nach einer Auskunftserteilung geprüft werden kann. Die Unterhaltsverpflichtung ist gem. §
1611 Abs.
1 Satz 1
BGB beschränkt auf Unterhalt in der Höhe, die der Billigkeit entspricht, wenn der Unterhaltsberechtigte durch sein sittliches
Verschulden bedürftig geworden ist, er seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt
oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen
schuldig gemacht hat. Die Verpflichtung zur Gewährung von Unterhalt fällt gem. §
1611 Abs.
1 Satz 2
BGB ganz weg, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre. Nach der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung des
BGH zum Elternunterhalt (vgl. auch zum Folgenden z.B. Urteil vom 12. Februar 2014 - XII ZB 607/12 - juris Rdnrn. 14 ff.; Urteil vom 15. September 2010 - XII ZR 148/09 - juris Rdnrn. 32 ff.; Urteil vom 19. Mai 2004 - XII ZR 304/02 - juris Rdnrn. 11 ff.) kann eine schwere Verfehlung gem. §
1611 Abs.
1 Satz 1 Alt. 3
BGB regelmäßig nur bei einer tief greifenden Beeinträchtigung schutzwürdiger wirtschaftlicher Interessen oder persönlicher Belange
des Pflichtigen angenommen werden. Dabei kann sich auch eine - durch Tun oder Unterlassen (bei Bestehen einer Rechtspflicht
zum Handeln) herbeigeführte - Verletzung elterlicher Pflichten wie etwa der Aufsichtspflicht oder der Pflicht zu Beistand
und Rücksicht i.S.v. §
1618a BGB als Verfehlung gegen das Kind darstellen. Eine schwere Verfehlung kann sich zum einen in einzelnen besonders schwerwiegenden
Verfehlungen zeigen und sich zum anderen auch aus einer Gesamtschau des Verhaltens des Unterhaltsberechtigten ergeben. Dabei
kommt es maßgeblich darauf an, ob die Verfehlungen zusammengenommen zeigen, dass sich der Unterhaltsberechtigte in besonders
vorzuwerfender Weise aus der familiären Solidarität gelöst und damit letztlich bezogen auf seine familiären Verpflichtungen
eine schwere Verfehlung begangen hat. Erforderlich ist eine umfassende Abwägung aller maßgeblichen Umstände und eine Gesamtabwägung
des Verhaltens des unterhaltsberechtigten Elternteils seit der Geburt des unterhaltsverpflichteten Kindes.
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe kann im vorliegenden Verfahren nicht ohne nähere Prüfung, ohne Beweiserhebung und ohne
eingehende rechtliche Überlegungen angenommen werden, dass der Unterhaltsanspruch der Hilfeempfängerin nicht besteht. Dabei
ist zunächst zu berücksichtigen, dass den vom Kläger vorgelegten Gerichtsentscheidungen des Amtsgerichts Wolfenbüttel vom
24. Oktober 1974 und des Landgerichts Braunschweig vom 9. Mai 1975 lediglich zu entnehmen ist, dass das "Recht zur Ausübung
der elterlichen Gewalt" von der Hilfeempfängerin auf den Vater aus nachhaltigen Gründen des Kindeswohls übertragen wurde.
Insbesondere führte das Landgericht Braunschweig in seinem Beschluss vom 9. Mai 1975 zur Begründung aus, dass von einer Rückführung
in den Haushalt der Hilfeempfängerin unbedingt abzusehen sei, weil die Gefühlskontakte des Klägers zu der Hilfeempfängerin
minimal seien und deren Wiederherstellung nicht zu erwarten sei, und ließ die Frage der Verantwortlichkeit bzw. des Verschuldens
der Hilfeempfängerin für diese Störung der Mutter-/Sohn-Beziehung ausdrücklich offen. Im Übrigen ist in diesen Entscheidungen
davon die Rede, dass die Hilfeempfängerin "offenbar keinerlei Hemmungen hatte, A. mit ihren sexuellen Problemen und Unternehmungen
zu konfrontieren, und den Jungen dies derartig schockierte, dass er sich deswegen zur Flucht entschloß", und unfähig gewesen
sei, "seine pubertären Probleme erzieherisch zu meistern", der Kläger die Hilfeempfängerin als stimmungslabil und mäßig affektbeherrscht
erlebt habe, sowie im Übrigen von einer "schwülen Atmosphäre", einem "Hang zu Gruselgeschichten und Pornoheften". Diesen Ausführungen
lassen sich keinerlei konkrete Feststellungen zu einem Verhalten der Hilfeempfängerin entnehmen, das von vornherein als schwere
Verfehlung i.S. des §
1611 Abs.
1 Satz 1
BGB gewertet werden könnte. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die vom Kläger vorgelegten Unterlagen unvollständig und rudimentär
sind, sodass von vornherein die erforderliche umfassende Abwägung aller maßgeblichen Umstände und eine Gesamtabwägung des
Verhaltens der Hilfeempfängerin seit der Geburt des Klägers nicht möglich ist. So wird in den genannten familiengerichtlichen
Entscheidungen auf weitere gerichtliche Entscheidungen, Sachverständigengutachten, Anhörungen, Stellungnahmen etc. Bezug genommen,
die einer eingehenden Auswertung und Bewertung unterzogen werden müssten. Bereits hieraus ist ersichtlich, dass die Voraussetzungen
einer Verwirkung keinesfalls klar zu Tage treten. Vielmehr bedarf es der genauen Feststellung der damaligen Umstände und deren
Abwägung im Einzelfall. Beides ist, wie dargelegt, der Zuständigkeit des Zivilgerichts zugewiesen. Daher ist die zwischen
den Beteiligten umstrittene Frage, ob ein Unterhaltsanspruch der Hilfeempfängerin gegen den Kläger nach §
1611 BGB ausgeschlossen ist, nicht im hiesigen sozialgerichtlichen Verfahren betreffend das Auskunftsersuchen nach § 117 SGB XII zu klären, sondern - ggf. nach einer Beweisaufnahme - im Rahmen eines ggf. vom Beklagten einzuleitenden zivilgerichtlichen
Verfahrens.
Weiterhin ist zu beachten, dass ein Interesse an der Auskunft ausnahmsweise selbst dann bestehen kann, wenn der Unterhaltsanspruch
gegen einen potentiell Unterhaltspflichtigen tatsächlich ausgeschlossen ist. Wenn ein Unterhaltsanspruch nach §
1611 Abs.
1 Satz 2
BGB vollständig entfällt, was der Kläger hier geltend macht, kann die Hilfeempfängerin wegen des nach dieser Vorschrift eintretenden
Wegfalls ihres Anspruchs gegen den Kläger nicht andere Unterhaltspflichtige in Anspruch nehmen. Der Sozialhilfeträger benötigt
daher die Auskunft, um den - hypothetischen, aber tatsächlich nicht geschuldeten - Unterhaltsanspruch berechnen zu können,
damit der auf die übrigen (gleichrangigen) Unterhaltspflichtigen entfallende Anteil (§
1606 Abs.
3 BGB) errechnet werden kann. Vorliegend hat zumindest die Tochter der Hilfeempfängerin nicht das Entfallen des Unterhaltsanspruches
gem. §
1611 Abs.
1 Satz 2
BGB geltend gemacht.
Die Vorschrift des § 94 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1 und 2 SGB XII steht der Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens ebenfalls nicht entgegen. Danach gehen Unterhaltsansprüche nicht nach §
94 Abs. 1 SGB XII auf den Sozialhilfeträger über, soweit die unterhaltspflichtige Person Leistungsberechtigte nach dem Dritten und Vierten
Kapitel des SGB XII ist oder bei Erfüllung des Anspruchs würde (Nr. 1) oder der Übergang des Anspruchs eine unbillige Härte bedeuten würde (Nr.
2). Insbesondere gehört der Kläger selbst offensichtlich nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach §§ 19 Abs. 1 und 2, 27, 41 SGB XII. Auch ist eine besondere Härte i.S. des § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Diese öffentlich-rechtliche Regelung ist von den unterhaltsrechtlichen Voraussetzungen
der Verwirkung des Unterhaltsanspruches wie in §
1611 Abs.
1 BGB abzugrenzen. Umstände, die bereits nach bürgerlichem Recht ganz oder teilweise der Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs
entgegenstehen, kommen nicht als Härtegrund i.S. des § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB XII in Betracht (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. Januar 2015, a.a.O. Rdnr. 49; Bayerisches LSG, Urteil vom 23. Oktober
2014, a.a.O. Rdnr. 55; Urteil vom 28. Januar 2014, a.a.O. Rdnr. 63; BGH, Urteil vom 15. September 2010, a.a.O. Rdnr. 44).
Denn soweit ein Unterhaltsanspruch nicht besteht, kann er auch nicht auf den Träger der Sozialhilfe übergehen. Die Bedeutung
der unbilligen Härte im Sinne der Übergangsvorschrift muss deswegen darüber hinausgehen. Eine solche Härte kommt in Betracht,
wenn die Inanspruchnahme des Unterhaltsverpflichteten aus der Sicht des Sozialhilferechts soziale Belange vernachlässigen
würde, wenn also von dem Unterhaltspflichtigen in dieser Situation üblicherweise nicht (mehr) erwartet werden kann, nun (auch
noch) im Hinblick auf den Unterhaltsanspruch in die Pflicht genommen zu werden. Eine solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben.
Denn der Kläger hat sich darauf beschränkt, ausschließlich Gründe geltend zu machen, die aus seiner Sicht nach Maßgabe des
§
1611 BGB zu einer Verwirkung des Unterhaltsanspruchs der Hilfeempfängerin führen würden.
Der Kläger ist seiner Auskunftsverpflichtung nicht nachgekommen. Er hat nachdrücklich eine Auskunft über seine Einkommens-
und Vermögensverhältnisse abgelehnt. Entsprechende Angaben hat er auch in der Folgezeit nicht gemacht und Unterlagen nicht
eingereicht.
Schließlich kommt es auch auf die Frage, ob die Sozialhilfe rechtmäßig gewährt wurde, im Rahmen der Auskunft durch potentiell
Unterhaltspflichtige grundsätzlich nicht an (vgl. dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 28. Februar 2012 - L 7 SO 4014/11 - (n.v.)).
Der Wortlaut des § 117 Abs. 1 SGB XII stellt - ebenso wie zuvor § 116 Abs. 1 BSHG - lediglich auf den tatsächlichen Bezug von Sozialhilfeleistungen ab; auch andere Erwägungen zwingen nicht zu einer darüber
hinausgehenden Auslegung. Sinn und Zweck der Pflicht zur Auskunft ist die Durchsetzung des Nachranges der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII). Dadurch wird dem Träger der Sozialhilfe ein rechtliches Instrumentarium zur Verfügung gestellt, das diesen in die Lage
versetzt, durch Eintritt in die Gläubigerposition den vom Gesetz gewollten Vorrang der Verpflichtung anderer, die dem Hilfeempfänger
die erforderliche Hilfe hätten gewähren können, nachträglich zu verwirklichen. Dieses Bedürfnis besteht schon dann, wenn die
Hilfe als Sozialhilfe gewährt worden ist, unabhängig davon, ob dies zu Recht oder zu Unrecht erfolgt ist.
Durch die begehrte Auskunftserteilung wird der Kläger auch nicht unangemessen in Anspruch genommen. Insbesondere wird sein
in Art.
2 Abs.
1 Grundgesetz geschütztes Persönlichkeitsrecht, vor allem sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung, nicht in rechtswidriger Weise
verletzt, sondern durch § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII im höherrangigen Allgemeininteresse, namentlich im Interesse der Herstellung des Nachrangs der Sozialhilfe, in zulässiger
Weise eingeschränkt (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7. Mai 2012 - L 20 SO 32/12 - juris Rdnr. 53 m.w.N.). Die vom Beklagten
erbetenen Auskünfte sind erforderlich, um eine etwaige Unterhaltspflicht des Klägers feststellen zu können.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a SGG i.V.m. §
154 Abs.
1 der Verwaltungsgerichtsgerichtsordnung, da der Kläger nicht zu dem in §
183 Satz 1
SGG genannten Personenkreis gehört, für den das Verfahren vor den Sozialgerichten kostenfrei ist.
5. Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG) liegen nicht vor.