Anspruch auf Hilfe zur Pflege im Rahmen der Sozialhilfe im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren;
Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund
Gründe:
Die unter Beachtung der Vorschriften der §§
172,
173 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) eingelegte Beschwerde der Antragsstellerin ist zulässig, jedoch lediglich aus dem im Beschlusstenor ersichtlichen Umfang
auch begründet.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 1
SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 aaO. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf
den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung
eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur
Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 aaO.). Die §§
920,
921,
923,
926,
928 bis
932,
938,
939 und
945 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) gelten entsprechend (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG).
Vorliegend kommt, wie vom Sozialgericht Heilbronn (SG) zutreffend erkannt, nur eine Regelungsanordnung nach §
86b Abs.
2 Satz 1 2. Alt.
SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt zunächst die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Rechtsbehelfs
voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen ab, nämlich dem Anordnungsanspruch
und dem Anordnungsgrund (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Eine einstweilige Anordnung darf mithin
grundsätzlich nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage
der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Denn
die Regelungsanordnung dient zur "Abwendung" wesentlicher Nachteile mit dem Ziel, dem Betroffenen die Mittel zur Verfügung
zu stellen, die zur Behebung aktueller - noch bestehender - Notlagen notwendig sind (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa
Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B -, 28. März 2007 - L 7 AS 121/07 ER-B - und 2. September 2010 - L 7 SO 1357/10 ER-B- [alle juris]). Es ist nicht Aufgabe des einstweiligen Rechtsschutzes,
Angelegenheiten, die nicht dringlich sind, einer Regelung, die ohnehin nur vorläufig sein kann, zuzuführen; in derartigen
Fällen ist dem Antragsteller vielmehr ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache zumutbar (vgl. Senatsbeschlusse
vom 25. August 2009 - L 7 AS 2040/09 ER-B - und 25. Juni 2010 - L 7 SO 2034/10 ER-B -; ferner Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 30.
Januar 2008 - L 9 B 600/07 KR ER - und 4. Juni 2009 - L 34 AS 815/09 B ER - [beide juris]). Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die
Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 der
Zivilprozessordnung [ZPO]); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen
Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (ständige Senatsrechtsprechung;
vgl. schon Beschluss vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B - [juris] unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
[BVerfG]; z.B. BVerfG NVwZ 1997, 479; NVwZ 2005, 927; NZS 2008, 365). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art.
1 Abs.
1 des
Grundgesetzes (
GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf
effektiven Rechtsschutz (vgl. Art.
19 Abs.
4 GG) u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und
Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Folgenabwägung unter Berücksichtigung
der grundrechtlichen Belange der Antragsteller vorzunehmen. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind
regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Senatsbeschlüsse
vom 1. August 2005 aaO. und vom 17. August 2005 aaO.).
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist statthaft und zulässig. Dabei erachtet der Senat die mit Schriftsätzen
vom 2., 4. Mai und 15. Juni 2012 erfolgte Antragserweiterung entsprechend §
99 Abs.
3 Nr.
2 SGG als zulässig. Ohnehin hat sich der Antragsgegner auf den geänderten Antrag im Wesentlichen eingelassen. Die im Erörterungstermin
vom 2. Februar 2012 von beiden Beteiligten angestrebte vergleichsweise Erledigung konnte nicht erreicht werden; eine Regelung
über die Übernahme der an den Einrichtungsträger - A. L. B.-W. e.V. (i.F.: ASB) - zu zahlenden Kosten durch den Antragsgegner
nach einem noch zu bewerkstelligenden Umzug der Antragstellerin in das Betreute Wohnen im A. Seniorenzentrum C.-P. Bad M.
(i.F.: Seniorenzentrum) ist letztendlich an Unstimmigkeiten der Beteiligten über die genaue Höhe und den Zeitraum der alsdann
vom Antragsgegner zu übernehmenden Aufwendungen der Antragstellerin sowie ferner daran gescheitert, dass diese schließlich
mit Schriftsatz vom 30. April 2012 mit Blick auf das neuerliche Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung
Baden-Württemberg (MDK) vom 6. März 2012 eine nunmehr jedenfalls ab Februar 2012 bestehende "Heimbetreuungsbedürftigkeit"
geltend gemacht hat. Es ist sonach - mangels Erledigungserklärung durch die Beteiligten - über die Beschwerde zu entscheiden,
ohne dass dem Rechtsmittel der Antragstellerin ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis entgegengehalten werden könnte.
Im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vermag der Senat in Anbetracht der Komplexität der Sach- und Rechtslage
und der von der Antragstellerin geltend gemachten Dringlichkeit der Sache indessen nicht abschließend zu klären, ob die Voraussetzungen
für die Übernahme der Aufwendungen der Antragstellerin für deren Aufenthalt im vollstationären Pflegebereich des Seniorenzentrums,
die sie im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes lediglich für die Zeit ab Antragstellung beim SG (2. September 2011) erstrebt, gegeben sind, zumal eine im Eilverfahren getroffene Regelung ohnehin nur vorläufig sein kann.
Der Senat geht indessen bei der gegenwärtigen Erkenntnislage davon aus, dass ein Erfolg des im Klageverfahren S 14 SO 4614/09
anhängigen Hauptsacherechtsbehelfs jedenfalls für die Zeit ab Februar 2012 auf der Grundlage der neuerlichen Begutachtung
durch den MDK im März 2012 möglich, zumindest nicht offensichtlich aussichtslos erscheint. Obgleich mit diesem Maßstab der
nach §
86b Abs.
2 SGG grundsätzlich zu fordernde Wahrscheinlichlichkeitsgrad (vgl. hierzu Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 3. Auflage,
Rdnr. 347 [m.w.N.]) nicht erreicht wird, kann allein damit die von der Antragstellerin erstrebte einstweilige Anordnung für
die vorgenannte Zeit nicht abgelehnt werden. Denn insoweit darf nicht außer Acht gelassen werden, dass erhebliche grundrechtsrelevante
Belange der Antragstellerin, nämlich Fragen ihrer menschenwürdigen Existenz und somit schwere Grundrechtsbeeinträchtigungen,
drohen. Mit Blick auf die oben aufgezeigten verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG ist deshalb bei derartigen Fallgestaltungen
eine Herabsetzung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs sowohl bei der Erfolgsaussichtenprüfung als auch bei der Frage der Eilbedürftigkeit
angezeigt (vgl. auch Krodel, aaO., Rdnrn. 348, 362, 370) und stattdessen eine folgenorientierte Betrachtung unter Gewichtung
sämtlicher abwägungsrelevanter Umstände vorzunehmen. Diese Abwägung fällt hier jedoch erst für die Zeit ab 1. Mai 2012 zugunsten
der Antragstellerin aus, im Übrigen jedoch kann ihrem einstweiligen Rechtsschutzbegehren auch im Beschwerdeverfahren nicht
zum Erfolg verholfen werden. Das wird nachstehend noch auszuführen sein.
Nach dem vorstehend beschriebenen herabgestuften Maßstab geht der Senat davon aus, dass sich nunmehr für die Zeit ab 1. Februar
2012 auf der Grundlage des MDK-Gutachtens vom 6. März 2012 ein Anspruch der Antragstellerin auf Übernahme der Pflegeheimkosten
(vgl. hierzu Bundessozialgericht [BSG] Urteile vom 2. Februar 2012 - B 8 SO 5/10 R - und vom 22. März 2012 - B 8 SO 1/11 R
- [beide juris]) rechtfertigen lassen könnte. Etwas anderes hat indessen für die bis dahin verstrichene Zeit zu gelten. Aus
dem vorerwähnten, mit Schriftsatz der Antragstellerbevollmächtigten vom 30. April 2012 eingereichten, im Auftrag der Pflegekassen
erstellten Gutachten der Pflegefachkraft G. ergibt sich, dass die Antragstellerin bei einem täglichen Grundpflegebedarf von
23 Minuten und einem Zeitaufwand für die hauswirtschaftliche Versorgung von tagesdurchschnittlich 60 Minuten zwar weiterhin
nicht die für die soziale Pflegeversicherung maßgebliche Pflegestufe I erreicht, jedoch selbst nach Auffassung des Antragsgegners
(vgl. etwa Schriftsatz vom 9. Mai 2012) seit Februar 2012 der Pflegeklasse 0/G zugeordnet werden kann, welche mit den Einrichtungsträgern
für Pflegebedürftige bei einem Grundpflegebedarf von 20 bis unter 45 Minuten vereinbart wird, während die Pflegeklasse 0/K
sich auf Personen mit keinem oder nur einem sehr geringen Grundpflegebedarf (unter 20 Minuten) bezieht (vgl. Schriftsatz des
Antragsgegners vom 11. Mai 2010 im Verfahren S 14 SO 4614/09). Allerdings liegen für das Seniorenzentrum lediglich für den
der Pflegeklasse 0/G zuzuordnenden Personenkreis mit den Vereinbarungen vom 24. März/26. April 2004 und vom 11. Oktober 2011
Regelungen auf öffentlich-rechtlicher Vertragsgrundlage (vgl. § 75 Abs. 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch [SGB XII]) vor. Demgegenüber bestehen, so die Mitteilung des Antragsgegners (vgl. Schriftsatz vom 22. März 2012), hinsichtlich
der Pflegeklasse 0/K, in die die Antragstellerin unter Heranziehung des MDK-Gutachtens vom 13. Januar 2009 sowie des vom SG im Klageverfahren S 14 SO 4614/09 bei dem Facharzt für Innere Medizin B. eingeholten Gutachtens vom 6. August 2011 jedenfalls
bis Januar 2012 einzuordnen sein dürfte, im Landkreis Main-Tauber-Kreis nur für eine begrenzte Zahl von vollstationären Einrichtungen
Vereinbarungen; es handelt sich hierbei nach der Darstellung des Antragsgegners u.a. um das Seniorenzentrum G. in Lauda, dem
früheren Wohnort der Antragstellerin, sowie das Hospital zum H. K. in Bad M., wobei zur letztgenannten Einrichtung die entsprechenden
Vergütungsvereinbarungen von ihm auch vorgelegt worden sind.
Allein mit der Tatsache, dass die ASB für das Seniorenzentrum mit dem Antragsgegner für die Pflegeklasse 0/k keine Vereinbarung
nach § 75 Abs. 3 SGB XII abgeschlossen hat, lässt sich ein Ausschluss von Leistungen für die Zeit bis 31. Januar 2012 freilich noch nicht begründen,
weil insoweit die Bestimmung des § 75 Abs. 4 SGB XII zu prüfen wäre (vgl. Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB II, 18. Auflage, § 9 Rdnr. 31; Spellbrink in jurisPK-SGB XII, § 9 SGB XII Rdnr.20). Dazu, dass die dort geregelten Voraussetzungen hier gegeben sein könnten (vgl. dazu Jaritz/Eicher in jurisPK-SGB XII, § 75 Rdnrn. 59 ff; Jaritz, Sozialrecht aktuell 2012, 105 ff.), hat die Antragstellerin indessen nichts dargetan und solches erst
recht nicht glaubhaft gemacht. Ohnehin kann der Leistungsberechtigte bei stationärer Pflege gegenüber dem Sozialhilfeträger
überhaupt nur die Übernahme solcher Kosten erstreben, die er dem Einrichtungsträger selbst schuldet (vgl. BSGE 102, 1 ff. = SozR 4-1500 § 1500 § 75 Nr. 9; BSG, Urteil vom 2. Februar 2010 - B 8 SO 20/08R - [juris]). Das erscheint zumindest hinsichtlich der Höhe der für die Zeit ab
15. Oktober 2011 (Inkrafttreten der Vereinbarung vom 11. Oktober 2011) geltend gemachten Beträge fraglich, weil in dem am
26. November 2008 geschlossenen Heimvertrag in § 9 zwar Regelungen zu dem von der Antragstellerin an den ASB zu zahlenden
Entgelt bei der Pflegestufe 0 getroffen worden sind, jedoch unter Ziff. 1 aaO. eine Verweisungsklausel auf die mit den Leistungsträgern
geschlossenen Vereinbarungen vorliegt, welche aber für die Pflegeklasse 0/K im Seniorenzentrum gerade nicht existieren. Der
Senat sieht unter diesen Umständen beim gegenwärtigen Erkenntnisstand einen Erfolg des Hauptsacherechtsbehelfs für die Zeit
bis 31. Januar 2012 als aussichtslos an.
Rechtsgrundlage des Begehrens der Antragstellerin für die sonach im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
im Rahmen der Folgenabwägung allein noch zu prüfende Zeit ab Februar 2012 ist die Bestimmung des § 19 Abs. 3 des i.V.m. § 61 SGB XII. Danach ist Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen
und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs
Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen, Hilfe zur Pflege zu leisten (§ 61 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Hilfe zur Pflege ist gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 Halbs.1 SGB XII auch Kranken und behinderten Menschen zu leisten, die voraussichtlich für weniger als sechs Monate der Pflege bedürfen oder
einen geringeren Bedarf als nach Satz 1 haben oder die der Pflege für andere Verrichtungen als nach Abs. 5 bedürfen. Für Leistungen
für eine stationäre oder teilstationäre Einrichtung gilt dies nur, wenn es nach der Besonderheit des Einzelfalles erforderlich
ist, insbesondere ambulante oder teilstationäre Leistungen nicht zumutbar sind oder nicht ausreichen (§ 61 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 SGB XII). Mit Blick auf diesen Erforderlichkeitsvorbehalt erfährt das Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten (§ 9 Abs. 2 SGB XII) Einschränkungen (vgl. H. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, aaO., § 61 Rdnr. 45; Meßling in jurisPK-SGB XII, § 61 Rdnr. 93; Lachwitz in Fichtner/Wenzel, 4. Auflage, § 61 Rdnr. 44); so dürfte für das Wunsch- und Wahlrecht kein Raum bleiben, wenn Personen, die nur dem erweiterten Pflegebedürftigkeitsbegriff
des § 61 Abs. 1 Satz 2 SGB XII unterfallen, Hilfe zur Pflege in einer vollstationären Einrichtung wünschen, obwohl ambulante oder teilstationäre Leistungen
zumutbar sind und ausreichen und auch sonst nach den Besonderheiten des Einzelfalls die Hilfe zur Pflege in einer vollstationären
Einrichtung nicht erforderlich ist.
Bei der Antragstellerin - dies stellt sie selbst nicht in Abrede - liegt eine Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 61 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zweifellos nicht vor. Sie unterfällt jedoch dem Pflegebedürftigkeitsbegriff der Öffnungsklausel des § 61 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 SGB XII, und zwar der dortigen Alternative 2 ("geringerer Bedarf als nach Satz 1"). Für die so bezeichnete "Pflegestufe 0" genügt
jeder messbare Pflegebedarf, insbesondere im Bereich der Grundpflege, wobei aber selbst ein Hilfebedarf allein im Bereich
der hauswirtschaftlichen Versorgung ausreichend ist (vgl. BSG SozR 4-3500 § 21 Nr. 1; SozR aaO. § 18 Nr. 1; Thür. Oberverwaltungsgericht [OVG], Urteil vom 23. Dezember 2011 - 3 KO 251/08 - [juris]). Im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kann nicht abschließend beurteilt werden, ob
bei der hochbetagten Antragstellerin (geb. 24. Juli 1920) jedenfalls zum Zeitpunkt ihrer Aufnahme in das Seniorenzentrum und
auch zu einem späteren Zeitpunkt ambulante Leistungen - wie vom Antragsgegner geltend gemacht - zur Bedarfsdeckung ausgereicht
hätten. Stationäre Pflege im Sinne des § 61 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 SGB XII ist erforderlich, wenn nach den Besonderheiten des Einzelfalls die individuellen Betreuungs- und Pflegemöglichkeiten im eigenen
Wohnbereich des Hilfebedürftigen nicht ausreichen oder nicht sichergestellt werden können oder von den Familienangehörigen
nicht bereit gestellt werden (vgl. Thür. OVG, Urteil vom 23. Dezember 2011 aaO.; Lachwiz in Fichtner/Wenzel, aaO., Rdnr. 45).
Im Rahmen der insoweit erforderlichen umfassenden Prüfung der individuellen Besonderheiten dürfte nicht nur auf vorhandene
gesundheitliche Einschränkungen abzustellen sein, welche im Übrigen von der Antragstellerin sowie dem Antragsgegner unterschiedlich
gewertet werden, sondern auch darauf, ob der Hilfebedürftige mangels eines ausreichenden sozialen Netzwerks nicht mehr im
häuslichen Bereich versorgt werden kann (vgl. nochmals Thür. OVG aaO.; so wohl auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom
18. Juli 2008 - 12 A 604/06 - [juris]). Darauf könnte mit Blick auf die Darlegungen der - mittlerweile 74 Jahre alten und sich damit ebenfalls im fortgeschrittenen
Alter befindlichen - Tochter der Antragstellerin in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 2. November 2011 manches hindeuten;
dem wäre allerdings im Klageverfahren, ggf. durch Vernehmung der Tochter als Zeugin, weiter nachzugehen.
Die nach § 61 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 SGBXII gebotene umfassende Prüfung der Besonderheiten des Einzelfalls lässt darüber hinaus
nach dem Inhalt der Regelung ausdrücklich auch Gesichtspunkte der Zumutbarkeit zu; hierbei sind - wie ein Vergleich mit der
Bestimmung des § 13 Abs. 1 Sätze 4 und 5 SGB XII zeigt - die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände angemessen zu berücksichtigen. Vorliegend ist in den Blick zu
nehmen, dass die Antragstellerin seit 26. November 2008 - und damit seit weit mehr als drei Jahren - vollstationär im Seniorenzentrum
aufgenommen ist; unter diesen Umständen dürfte sich schon in Anbetracht des hohen Alters der Antragstellerin und der ausweislich
des Gutachtens des Sachverständigen B. vorhandenen Gesundheitsstörungen (Schwindel und Gleichgewichtsstörungen bei ataktischer
Gangstörung, Bluthochdruck, Schwerhörigkeit, Sehschwäche, chronische Lumbalgien, beiderseitiges Schulter-Arm-Syndrom, Reizblase,
leichte Harninkontinenz, rezidivierende Harnwegsinfekte) ernsthaft die Frage stellen, ob ihr nunmehr ein Wechsel aus der Einrichtung
überhaupt noch zumutbar ist. Denn ein Wechsel der Einrichtung kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
(BVerwG; vgl. BVerwGE 97, 53), der sich der Senat angeschlossen hat (vgl. Senatsbeschluss vom 2. September 2010 aaO.; ferner Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm,
aaO., § 9 Rdnr. 32), unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit, und zwar unabhängig von einem etwaigen sozialwidrigen Verhalten
des Leistungsberechtigten im Sinne des § 103 SGB XII (vgl. hierzu BVerwGE 75, 343), dann nicht (mehr) in Betracht, wenn dem gewichtige persönliche Gründe, z.B. der gesundheitliche Zustand des Hilfesuchenden,
sein fortgeschrittenes Alter, die lange Dauer des Aufenthalts im Heim, die Intensität und das Ausmaß der Integration in die
Einrichtung sowie die Gefahr einer ernsthaften Verschlechterung seiner psychischen Verfassung als Folge des Wechsels der Einrichtung
und eines Wechsels des persönlichen Umfelds, entgegenstehen. All dem wird im Klageverfahren noch genauer nachzugehen sein.
Ihre gute Eingewöhnung im ASB-Heim hat die Antragstellerin ausweislich des im Klageverfahren vorgelegten Berichts des Facharztes
für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. vom 22. Dezember 2010 bereits anlässlich ihrer Vorstellung bei dem Arzt vom selben Tage
betont; inwieweit ihre dem Arzt gegenüber erklärte Drohung, sie werde sich "aus dem Fenster werfen", wenn sie dort "raus müsse",
ernst gemeint war, bedarf ebenfalls weiterer Aufklärung. Ob darüber hinaus bei der Antragstellerin sonstige Besonderheiten
des Einzelfalls vorgelegen haben, müsste gleichfalls noch näher überprüft werden. Soweit der Antragsgegner der Antragstellerin
vorhält, sie "vor vollendete Tatsachen" gestellt zu haben, indem erst nach ihrem Einzug in das Seniorenzentrum am 1. Dezember
2008 ein Antrag auf Übernahme der ungedeckten Heimkosten gestellt worden ist, dürfte dies im Fall der Unzumutbarkeit ambulanter
oder teilstationärer Leistungen nicht den Ausschlag geben können. Ohnehin erscheint fraglich, ob der Antragsgegner seiner
Pflicht zur Beratung (§
14 des
Ersten Buches Sozialgesetzbuch; vgl. hierzu BVerwG Buchholz 436.0 § 2 BSHG Nr. 11; Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, aaO., § 9 Rdnr. 45) ausreichend und rechtzeitig nachgekommen ist und der Antragstellerin rechtszeitig geeignete Alternativen nachgewiesen
hat.
Sollte sich im Klageverfahren S 14 SO 4614/09 herausstellen, dass - was jedenfalls für die Zeit ab 1. Februar 2012 durchaus
möglich erscheint -, nach den individuellen Besonderheiten bei der Antragstellerin Leistungen für eine vollstationäre Einrichtung
erforderlich sind, dürfte der Antragsgegner ihr wegen der Vereinbarungsbindung für die Pflegeklasse 0/G den Mehrkostenvorbehalt
des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII nicht entgegenhalten können (vgl. Jaritz/Eicher, aaO., § 75 Rdnr. 47; H. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, aaO., § 61 Rdnr. 45; a.A. BVerwGE 94, 202; Möller, SGb 2006, 20 ff. [der den Sozialhilfeträger aber jedenfalls zur Tragung der niedrigeren Kosten aufgrund seines individuellen Vorschlags
für verpflichtet hält]). Im Hauptsacheverfahren dürfte darüber hinaus eine Beiladung des Einrichtungsträgers ins Auge zu fassen
und auf einen konkreten, höhenmäßig bestimmten Klageantrag hinzuwirken sein (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2012, aaO.).
Da nach allem im vorliegenden Verfahren eine ausreichende Aufklärung im Sinne einer Beweisfestigkeit im Rahmen der zur Verfügung
stehenden Zeit nicht möglich ist, ist eine Folgenabwägung vorzunehmen. Abzuwägen sind insoweit die Folgen, die eintreten würden,
wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Hauptsacherechtsbehelf aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die
entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Hauptsacherechtsbehelf dagegen erfolglos bliebe (ständige
Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Beschluss vom 2. September 2010 aaO.). Insoweit ist zu beachten, dass elementare Grundbedürfnisse
der Antragstellerin berührt sind und nicht nur Rechtsbeeinträchtigungen in Randbereichen drohen. Aufgrund der Aufenthaltnahme
der Antragstellerin im Seniorenheim sind im Übrigen bereits erhebliche Schulden entstanden. Andererseits kann auch nicht unbeachtet
bleiben, dass ihr pflegerischer Bedarf dort bislang trotz der aufgelaufenen Schulden voll gedeckt worden ist und der ASB trotz
der verstrichenen Zeit bisher von konkreten Maßnahmen zur Beendigung des privatrechtlichen Vertragsverhältnisses mit der Antragstellerin,
wohl auch mit Blick auf die Umstände der vollstationären Aufnahme (vgl. hierzu auch die Angaben der Antragstellerin gegenüber
dem Sachverständigen B., wiedergegeben im Gutachten vom 9. August 2011, dort S. 3), abgesehen hat. Deshalb sowie mit Blick
darauf, dass die Antragstellerin erstmals mit Schriftsatz vom 30. April 2012 unter Bezugnahme auf das MDK-Gutachten vom 6.
März 2012 einen höheren pflegerischen Bedarf geltend gemacht hat, erachtet der Senat es im Rahmen der Folgenabwägung für ausreichend,
aber - auch mit Blick darauf, dass die Antragstellerin ein weiteres "Stillhalten" des Einrichtungsträgers nicht erwarten kann
- für geboten, die Verpflichtung des Antragsgegners zu vorläufigen Leistungen ab 1. Mai 2012 auszusprechen. In Abwägung auch
der Nachteile, die dem Antragsgegner entstehen und die im Wesentlichen darin zu sehen sind, dass ihn das Risiko der Uneinbringlichkeit
der Rückforderung trifft, erscheint es dem Senat indes angemessen, die Verpflichtung des Antragsgegners im Rahmen der vorliegenden
einstweiligen Anordnung auf die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2012, längstens jedoch bis zum Abschluss des beim SG anhängigen Klageverfahrens S 14 SO 4614/09 zu begrenzen. Was das Befristungsende (31. Oktober 2012) anbelangt, geht der Senat
davon aus, dass bis dahin genügend Zeit zur Aufklärung der oben angesprochenen Fragen, namentlich zum Erforderlichkeitsvorbehalt
in § 61 Abs. 1 Satz 2 SGB XII verbleibt, wobei von beiden Seiten die gebotene Mitwirkung erwartet werden darf; möglicherweise ergeben sich doch noch Annäherungen
der gegenseitigen Standpunkte, die den Weg für eine vergleichsweise Bereinigung der Angelegenheit ebnen könnten. Hinsichtlich
der Höhe der vorläufig geregelten Leistung (die Höhe des Tagessatzes von 74,94 Euro bei der Pflegeklasse 0/G hat der Antragsgegner
nicht bestritten) hat der Senat berücksichtigt, dass die Antragstellerin ihr Begehren im Schriftsatz vom 15. Juni 2012 dahingehend
eingegrenzt hat, dass ihr Einkommen, bestehend aus dem Wohngeld und der Altersrente - entgegen der Bestimmung des § 85 SGB XII - einstweilen voll angerechnet werden soll. Die Höhe des Barbetrages ergibt sich aus § 27b Abs. 2 Satz 2 SGB XII. Da die Antragstellerin jedoch, im Übrigen trotz der Aufforderung in der Senatsverfügung vom 12. März 2012, eine aktuelle
Rentenanpassungsmitteilung bislang nicht eingereicht hat und auch sonst deren derzeitige Einkommens- und Vermögensverhältnisse
nicht belegt sind, macht der Senat von dem ihm nach §
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
938 Abs.
1 ZPO zustehenden Ermessen dahingehend Gebrauch, dass der Antragsgegner die Vollziehung der einstweiligen Anordnung davon abhängig
machen darf, dass ihm bis 22. August 2012 Nachweise über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Antragstellerin eingereicht
werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG (vgl. BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 6), wobei der Senat das gegenseitige Obsiegen und Unterliegen angemessen berücksichtigt hat.
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).