Arbeitslosengeld I
Nichterfüllung der Anwartschaftszeit
Bezug von schweizerischem Krankentagegeld
Mangelnde Vergleichbarkeit mit dem Krankentagegeld nach dem deutschen Sozialversicherungsrecht
Tatbestand
Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Er begehrt von der Beklagten die Zahlung von Arbeitslosengeld I (Alg).
Der 1955 geborene Kläger war vom 1.02.2006 bis zum 31.01.2015 als Logistikmitarbeiter in der Schweiz (S.) beschäftigt. Er
hatte währenddessen seinen Wohnsitz in Deutschland. Der Kläger wurde arbeitsunfähig krank (letzter geleisteter Arbeitstag:
17.09.2014) und erhielt von seinem Arbeitgeber Lohnzahlung bis einschließlich 31.01.2015. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis
am 28.11.2014 zum 31.01.2015. Ab 01.2.2015 bis 18.05.2016 bezog der Kläger aus durch den Kläger weitergeführter Versicherung
Krankentaggeld von der S. Gesundheitsorganisation nach dem VVG (Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag Schweiz). Der Anspruch auf Krankentaggeld endete mit Ablauf des 18.05.2016. Seit
01.06.2016 bezieht der Kläger vom Jobcenter L. Leistungen nach dem SGB II.
Am 03.05.2016 meldete der Kläger sich bei der Beklagten persönlich arbeitslos und beantragte Alg mit Wirkung zum 19.05.2016.
Er gab - u.a. - an, unmittelbar vor Beginn der Arbeitslosigkeit in der Kranken- und Pflegeversicherung nicht gesetzlich versichert
gewesen zu sein.
Mit (bestandkräftig gewordenem) Bescheid vom 07.06.2016 lehnte die Beklagte den Antrag vom 19.05.2016 ab. Der Kläger sei innerhalb
der Rahmenfrist vom 19.05.2014 bis 18.05.2016 weniger als 12 Monate versicherungspflichtig beschäftigt gewesen und erfülle
die Anwartschaftszeit nicht. Zeiten, die von einem Mietgliedstaat der Europäischen Union bescheinigt seien, seien berücksichtigt
worden.
Unter dem 17.10.2016 stellte der Kläger am 19.10.2016 schriftlich einen weiteren Antrag auf Alg. Dieser Antrag wurde mit (bestandkräftig
gewordenem) Bescheid vom 20.10.2016 mangels persönlicher Arbeitslosmeldung abgelehnt.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 21.06.2017 beantragte der Kläger die Überprüfung der Bescheide vom 07.06.2016
und 20.10.2016 gemäß § 44 SGB X. Er machte geltend, er habe bis 18.05.2016 schweizerisches Krankentaggeld der S. erhalten. Gemäß Art. 61 VO (EG) 883/2004
gelte der schweizerische Krankentaggeldbezug in selber Weise, wie wenn er deutsches Krankengeld aus deutscher gesetzlicher
Krankenversicherung erhalten hätte. Verzögerungsfreies Alg hätte gewährt werden müssen. Im Zuge der sozialrechtlichen Herstellung
und Restitution sei dem Antrag rückwirkend voll zu entsprechen.
Mit Bescheid vom 27.06.2017 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag hinsichtlich der Bescheid vom 07.06.2016 und 20.10.2016
ab.
Hiergegen legte der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 07.07.2017 unter Verweis auf sein Antragsvorbringen
Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.07.2017 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte die
Beklagte aus, die Bescheide seien rechtmäßig. Der Antrag des Klägers vom 19.05.2016 sei mit Bescheid vom 07.06.2016 abzulehnen
gewesen sei, da der Kläger die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe. In der Rahmenfrist vom 19.05.2014 bis 18.05.2016 nur
253 Kalendertage zu berücksichtigen gewesen, in denen der Kläger versicherungspflichtig gewesen sei. Die Zeiten des Krankentaggeldbezugs
seien nicht berücksichtigungsfähig. Art. 61 VO 883/2004 komme nicht zur Anwendung, da während des Krankentaggeldbezugs keine
Zeiten der Versicherungspflicht in der Schweiz vorgelegen hätten, womit bereits der Anwendungsbereich der Vorschrift nicht
eröffnet sei. Darüber hinaus weise die Struktur der Ausgestaltung des Schweizer Krankentaggelds erhebliche Unterschiede zum
Krankengeld nach dem deutschen Sozialversicherungsrecht auf. Auch der Antrag des Klägers vom 19.10.2016 sei mit Bescheid vom
20.10.2016 abzulehnen gewesen, da der Kläger sich nur schriftlich, jedoch nicht persönlich arbeitslos gemeldet habe. Im Übrigen
würde ein Anspruch des Klägers auch bei wirksamer persönlicher Arbeitslosmeldung aus den zuvor genannten Gründen scheitern.
Hiergegen erhob der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 19.07.2017 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG), mit dem Begehren, den Bescheid der Beklagten vom 27.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.07.2017 aufzuheben
und die Beklagte zu verurteilen, die Bescheide vom 07.06.2016 und 20.10.2016 zurückzunehmen und ihm Alg in gesetzlicher Höhe
zu gewähren. Hilfsweise begehrte er, das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen. Er führte zur Begründung aus,
die Beklagte übersehe, dass Sinn und Zweck der VO (EG) Nr. 883/2004 darin zu sehen sei, unter eben gerade zu beachtenden länderspezifischen
Unterschieden der Versorgungssysteme den im Verordnung ratifizieren den Staat tätigen nicht schlechter zu stellen, als er
gestanden hätte, wenn er im Wohnsitzstaat gearbeitet hätte. Dann hätte er normales Krankengeld auf deutscher Seite als gesetzliche
Versicherungsleistung erhalten. Gemäß Art. 3 der genannten Verordnung gelte diese zwingend für alle Rechtsvorschriften, die
die dort genannten geleisteten Zweige der sozialen Sicherheit beträfen, auch für Leistungen bei Krankheit. Die Regelung der
schweizerischen Krankentaggeldabsicherung sei eine länderspezifische Besonderheit. Insbesondere könne der dortige Arbeitnehmer
nicht ausscheren und sich nicht in ein öffentlich-rechtliches Sozialversicherungsverhältnis begeben, um aus solchem dann Krankengeld
zu erhalten. Gemäß Art. 61 der genannten Verordnung sei daher zwingend die dortige Auszahlung gleichzusetzen, wie wenn innert
selbigen Zeitraumes gesetzliches Krankengeld auf deutscher Seite dem Arbeitnehmer, derart dort dann nämlich pflichtversichert
gewesen wäre, gewährt worden wäre. Werde der schweizerische Sachverhalt auf die deutsche Seite projiziert und festgestellt,
dass es Normzweck der Verordnung nicht sei, Zeiten anwartschaftsbegründend werden zu lassen, die diese nach dem Recht des
Beschäftigungsstaates nicht seien, werde übersehen, dass auf deutscher Seite der Arbeitnehmer gesetzlich zwingend Pflichtmitglied
in der gesetzlichen Krankenversicherung sei und öffentlich-rechtliches Krankengeld erhalte. Ein mit der Schweiz vergleichbarer
Sachverhalt trete nur ein, bei Arbeitnehmern, die die Beitragsbemessungsgrenze überschritten und sich kraft freier Willensentscheidung
privatrechtlich gegen Krankheit versicherten. Gemäß Art. 61 VO (EG) Nr. 883/2004 sei daher zwingend die dortige Auszahlung
der Entgeltersatzleistung gleichermaßen zu beachten und zu behandeln, als wäre deren Pedant auf deutscher Seite ausgezahlt
worden, mithin öffentlich-rechtliches Krankengeld.
Mit Gerichtsbescheid vom 16.10.2017 wies das SG die Klage ab. Die Beklagte habe den Antrag des Klägers auf Alg vom 19.05.2016 mit Bescheid vom 07.06.2016 zu Recht mangels
Erfüllung der Anwartschaftszeit abgelehnt. Das von einem privaten Versicherungsunternehmen in der Schweiz an einen in Deutschland
wohnhaften Arbeitslosen gezahlte Taggeld zähle nicht zur Begründung der Anwartschaftszeit. Das Verfahren sei auch nicht dem
Gerichtshof der Europäischen Union vorzulegen. Ebenso rechtsfehlerfrei habe die Beklagte den Antrag des Klägers auf Arbeitslosengeld
vom 19.10.2016 mangels persönlicher Arbeitslosmeldung abgelehnt.
Gegen dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 18.10.2017 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die vom Kläger durch
seinen Prozessbevollmächtigten am 27.10.2017 eingelegte Berufung. Der Kläger hat zur Begründung sein bisheriges Vorbringen
wiederholt und vertieft. Ergänzend hat er ausgeführt, in konsequent richtiger Anwendung der Art. 3 und Art. 61 der VO (EG)
883/2004 sei es den Vertragsstaaten untersagt, aus der Verschiedenheit der Entgelt-Ersetzungssysteme gegenüber dem Betroffenen
Nachteile unter Verweis auf die Verschiedenheit der Versorgungssysteme zu bereiten. Exakt solche zu verhindern sei Sinn und
Zweck des gesamten Verordnungswerkes. Die demgegenüber anderslautenden ergangenen Urteile des LSG Baden-Württemberg seien
vor diesem Hintergrund zwingend zu überdenken.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 16.10.2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids
vom 27.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.07.2017 zu verurteilen, die Bescheide vom 07.06.2016 und 20.10.2016
zurückzunehmen und ihm Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren, hilfsweise, das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof
vorzulegen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist zur Begründung auf ihren bisherigen Vertrag und die ihrer Ansicht nach zutreffenden Entscheidungsgründe
des erstinstanzlichen Gerichtsbescheids und die darin gemachten Ausführungen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten
erster und zweiter Instanz sowie auf einen Band Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §
151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§
143,
144 SGG zulässig, jedoch nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
13.07.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat den Antrag auf Überprüfung der
bestandskräftigen Bescheide vom 07.06.2016 und 20.10.2016 zu Recht abgelehnt wie das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend entschieden hat. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG vom 16.10.2017 ist nicht zu beanstanden.
Die mit der kombinierten Anfechtungs-/Leistungsklage begehrte Gewährung von Arbeitslosengeld nach den §§
136 ff.
SGB III ist eine Geldleistung, für die eine Verurteilung der Beklagten dem Grunde nach, d.h. ohne Bestimmung der genauen Höhe der
Geldleistung, gem. §
130 SGG zulässig ist.
Das klägerische Begehren hat weder mit dem Hauptantrag [1 a) und b)] noch mit dem Hilfsantrag [2.] keinen Erfolg.
1.
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind Verwaltungsakte, auch nachdem sie unanfechtbar geworden sind, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit
sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass der Verwaltungsakte das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen
worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu
Unrecht erhoben worden sind. Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der Bescheide vom 07.06.2016 und 20.10.2016 nicht vor.
Die Beklagte hat im maßgeblichen Zeitpunkt, nämlich bei Erlass der Ablehnungsbescheide vom 07.06.2016 und 20.10.2016 weder
das Recht unrichtig angewandt, noch ist sie von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen.
a) Hinsichtlich des Bescheides vom 07.06.2016 gilt:
Die Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Gewährung von Arbeitslosengeld vom 19.05.2016 mit Bescheid vom 07.06.2016 zu Recht
mangels Erfüllung der Anwartschaftszeit i.S.d. §§
137 Abs.
1 Nr.
3,
142 Abs.
1, 143 l
SGB III abgelehnt. Die Anwartschaftszeit gem. §
142 Abs.
1 SGB III hat erfüllt, wer in der zweijährigen Rahmenfrist des §
143 Abs.
1 SGB III mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beginnt gemäß §
143 l
SGB III mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg. Der Kläger erfüllte die sonstigen
Anspruchsvoraussetzungen am 19.05.2016, die Rahmenfrist umfasst im vorliegenden Fall daher den Zeitraum vom 19.05.2014 bis
18.05.2016. In diesem Zeitraum war der Kläger nur 253 Kalendertage versicherungspflichtig i.S.d. §§
24,
26 und
28 a SGB III beschäftigt, nämlich vom 19.05.2014 bis 31.01.2015 (Ende des Arbeitsverhältnisses), wie die Beklagte zutreffend festgestellt
hat. Hiergegen hat der Kläger im Übrigen auch keine Einwendungen erhoben.
Die Beklagte hat zu Recht die Zeiten des Krankentaggeldbezugs vom 01.02.2015 bis zum 18.05.2016 nicht als anwartschaftsbegründende
Versicherungszeiten berücksichtigt.
Gem. §
26 Abs.
2 Nr.
1 SGB III ist der Bezug von Krankengeld versicherungspflichtig, wenn dieser von einem Leistungsträger i.S.d. §
26 Abs.
2 Nr.
1 SGB III erfolgt ist. Leistungsträger sind die Krankenkassen gem. §
4 Abs.
1 SGB V, somit rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Bei der S. Krankenversicherung AG handelt
es sich - vom Kläger bestätigt - um eine private Krankenversicherung und somit nicht um einen Leistungsträger i.S.d. §
26 Abs.
2 Nr.1
SGB III.
Der Kläger kann sich wegen des Bezugs des Krankentaggeldes aus der privaten Krankenversicherung ab 01.02.2015 nicht (direkt)
auf §
26 Abs.
2 Nr.
2 SGB III berufen. Nach §
26 Abs.
2 Nr.
2 SGB III ist zwar auch der Bezug von Krankengeld von einem privaten Krankenversicherungsunternehmen von der Versicherungspflicht erfasst.
Der Bezug eines Taggeldes von einer privaten Krankenversicherung in der Schweiz begründet jedoch kein bei der Anwartschaftszeit
von der Beklagten zu berücksichtigendes Versicherungspflichtverhältnis i.S.d. §
142 SGB III, da der Kläger er innerhalb der Rahmenfrist nicht im Geltungsbereich des
SGB III beschäftigt und auch keinen Anspruch auf eine laufende Entgeltersatzleistung nach dem
SGB III hatte, wie dies die Anwendbarkeit des §
26 Absatz
2 Nr.
2 SGB III voraussetzt (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.10.2014 - L 12 AL 3721/13 - juris Rn. 50).
Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf das in Art. 61 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 normierte Gebot, Versicherungszeiten
zusammenzurechnen, berufen, worauf er zur Begründung seines Begehrens - alleine - abstellt.
Der Anwendung des Art. 61 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 883/2004 steht allerdings nicht entgegen, dass es sich bei der Schweiz nicht
um einen Mitgliedstaat der Europäischen Union handelt. Über das Abkommen zwischen der Schweizer Eidgenossenschaft einerseits
und der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit vom 21.06.1999 (in Kraft seit
01.06.2002) - Freizügigkeitsabkommen Schweiz - werden vielmehr auch Sachverhalte mit Bezug zur Schweiz erfasst. Dabei ist
Art. 61 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 883/2004 in Bezug auf die Schweiz mit Wirkung zum 01.04.2012 in Kraft getreten (vgl. Landessozialgericht
Baden-Württemberg, Urteil vom 24.10.2014 - L 12 AS 3721/13, juris Rn. 43).
Gemäß Art. 61 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 hat der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der
Erwerb, die Aufrechterhaltung, das Wiederaufleben oder die Dauer des Leistungsanspruchs von der Zurücklegung von Versicherungszeiten,
Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit abhängig ist, die Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten
oder Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats
zurückgelegt wurden, als ob sie nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären. Sinn und Zweck des
Art. 61 VO (EG) Nr. 883/2004 ist es zu verhindern, dass Versicherte, welche Anwartschaftszeiten in der Arbeitslosenversicherung
anderer Mitgliedstaaten erworben haben, bei Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in dem zuständigen Staat
Nachteile erleiden. Die in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Anwartschaften auf Leistung sollen also nicht verloren gehen,
sondern für einen (späteren) Leistungsfall erhalten bleiben. Nach der Rechtsprechung des EuGH (zur inhaltsgleichen Vorschrift
des Art. 67 Abs. 1 VO Nr. 1408/71) hat Art. 61 VO (EG) Nr. 883/2004 nur die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen
nationalen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruches sowie
für die Berechnung der Leistungen zum Gegenstand. Nicht in Art. 61 VO (EG) Nr. 883/2004 ist dagegen die Voraussetzungen für
die Entstehung dieser Zeiten geregelt. Normzweck des Art. 61 VO (EG) Nr. 883/2004 ist es damit nicht, Zeiten anwartschaftsbegründend
werden zu lassen, die dies nach dem Recht des Beschäftigungsstaates nicht sind (vgl. EuGH, Urteil vom 12.05.1989 - 388/87
-, juris Nr.10; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 24.10.2014 - L 12 AS 3721/1, juris Rn.50; Landessozialgericht
Baden-Württemberg, Urteil vom 9.12.2008, - L 13 AL 4851/05, juris). Mit der Zusammenrechnung der betreffenden Zeiten soll bewirkt werden, dass die Suche und Aufnahme einer Erwerbstätigkeit
in einem anderen Mitgliedstaat nicht deshalb unterbleibt, weil der im Ursprungsstaat bereits erworbene Schutz gegen Arbeitslosigkeit
aufgrund des Staatenwechsels verloren ginge. Die Zusammenrechnung der Zeiten erlaubt so die Inanspruchnahme des Freizügigkeitsrechts
ohne Nachteile im Hinblick auf die Absicherung des Risikos der Arbeitslosigkeit. Ob eine anzurechnende Versicherungszeit vorliegt,
bemisst sich folglich allein nach dem Recht des Mitgliedstaates, in dem die Versicherungszeit zurückgelegt wurde (S. Weber
in: Schlachter/Heinig, Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, S.1040, Rn.26). Die vom Kläger dargelegte Rechtsansicht, nach
Art. 61 VO (EG) Nr. 883/2004 sei zwingend die dortige Auszahlung der Entgeltersatzleistung gleichermaßen zu beachten und zu
behandeln, als wäre deren Pedant auf deutscher Seite ausgezahlt worden, kann - auch nach der genannten Rechtsprechung des
EuGH - nicht gefolgt werden.
Durch den Bezug des schweizerischen Krankentaggelds hat der Kläger keine Versicherungszeit zurückgelegt, die nach Art. 61
VO (EG) Nr. 883/2004 als Anwartschaftszeit von der Beklagten zu berücksichtigen ist. Nach schweizerischem Recht hat ein Versicherter
gem. Art. 8 AVIG (Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung) Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung, wenn er insbesondere: die Beitragszeit erfüllt hat oder von der Erfüllung der Beitragszeit befreit
ist. Gemäß Art. 13 AVIG hat der Versicherte die Beitragszeit erfüllt, wenn er innerhalb der dafür vorgesehenen Rahmenfrist
während mindestens zwölf Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat. Angerechnet werden gem. Art. 13 Abs.
2 AVIG auch a) Zeiten, in denen der Versicherte als Arbeitnehmer tätig ist, bevor er das Alter erreicht, von dem an er AHV-Beiträge
bezahlen muss, b) schweizerischer Militär-, Zivil- und Schutzdienst, ferner obligatorische Hauswirtschaftskurse, die ganztägig
und ununterbrochen während mindestens zwei Wochen geführt werden, c) Zeiten, in denen der Versicherte zwar in einem Arbeitsverhältnis
steht, aber wegen Krankheit (Art. 3 ATSG) oder Unfalls (Art. 4 ATSG) keinen Lohn erhält und daher keine Beiträge bezahlt,
d) Arbeitsunterbrüche wegen Mutterschaft (Art. 5 ATSG), soweit sie durch Arbeitnehmerschutzbestimmungen vorgeschrieben oder
gesamtarbeitsvertraglich vereinbart sind. Gem. Art. 2 AVIG ist für die Arbeitslosenversicherung (Versicherung) beitragspflichtig:
a. der Arbeitnehmer (Art. 10 ATSG), der nach dem Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung
(AHVG) versichert und für Einkommen aus unselbstständiger Tätigkeit beitragspflichtig ist; (Quelle Gesetzestext: https://www.admin.ch/opc/de/classifled-compilation/19820159/index.html
"Der Bundesrat, das Portal der Schweizer Regierung"). Eine dem §
26 Abs.
2 Nr.
2 SGB III vergleichbare Regelung findet sich im AVIG nicht. Der Bezug eines Krankentaggelds auf Basis einer privaten Krankentaggeldversicherung
in der Schweiz führt somit keiner einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung rechtfertigenden Beitrags- /Versicherungszeit
(vgl. auch Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 09.12.2008 - L 13 AL 4851/05 -, juris Rn. 17). Eine Anrechnung gemäß § 13 Abs. 2 lit. c AVIG hat in vorliegendem Fall ebenfalls nicht zu erfolgen, da
der Kläger ab 01.02.2015 wegen Krankheit zwar keinen Lohn erhielt, mit Ablauf des 31.01.2015 aber nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis
stand, so dass Art. 13 Abs. 2c AVIG nicht anwendbar ist. Bei dem Zeitraum, in dem von einer privaten Krankenversicherung Krankentaggeld
bezogen wird, handelt es sich somit nicht um Zeiten, die der Beitragszeit nach schweizerischem Recht gem. Art. 13 AVIG zuzurechnen
sind. Im EU-Formblatt PDU1 hat die öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau damit übereinstimmend neben der versicherten
Beschäftigungszeit vom 01.02.2006 bis 31.01.2015 die nachfolgenden Zeiten des Bezugs privaten Krankentagegelds nicht als sonstige
Versicherungszeit oder gleichgestellte Zeit ausgewiesen. Auch eine Befreiung des Klägers von der Erfüllung der Beitragszeit
nach Art. 14 Abs. 1 lit. b AVIG kommt nicht in Betracht, da der Kläger seinen Wohnsitz während des Bezugs des Taggelds nicht
in der Schweiz hatte. Infolgedessen hat der Kläger im Zeitraum des Krankentaggeldbezugs keine Versicherungszeit zurückgelegt,
die gemäß Art. 61 VO (EG) 883/2004 von der Beklagten hätte berücksichtigt werden können.
Unabhängig davon weisen die die Struktur der Ausgestaltung des Schweizer Krankentaggeldes erhebliche Unterschiede zum Krankentaggeld
nach dem deutschen Sozialversicherungsrecht auf, die einer Berücksichtigung als Versicherungszeit entgegenstehen. Hierzu hat
das Landessozialgericht Baden-Württemberg im Urteil vom 24.10.2014 (juris L 12 AS 3721/13 Rn. 51) ausgeführt: "Denn nach deutschem Recht gehört auch die Absicherung des krankheitsbedingten Lohnausfalles zur gesetzlichen
Sozialversicherung und zu den verpflichtenden Leistungen, die von den Trägern zu erbringen sind. Dabei ist nicht nur die Leistungsseite
eine obligatorische, sondern auch die Verpflichtung zur Tragung der entsprechenden Beiträge auf Seiten der Arbeitgeber und
der Arbeitnehmer. In der Schweiz ist die Absicherung des krankheitsbedingten Lohnausfalles weder eine öffentliche Leistung
noch sind Arbeitgeber oder Arbeitnehmer gezwungen, entsprechende Vorsorge zu treffen. Das Risiko der Lohnfortzahlung bei Krankheit
bleibt nach Ablauf der Lohnfortzahlungspflicht der privaten Vorsorge vorbehalten. Es hängt somit von den individuellen Bedürfnissen
ab, ob ein Arbeitnehmer für sich allein (wenn ihm die Möglichkeit einer Absicherung über einen Kollektivvertrag seines Arbeitgebers
nicht offensteht) eine solche Absicherung wünscht oder ob der Arbeitgeber ihn in eine solche Absicherung auch zur Absicherung
des eigenen Risikos mit aufnimmt. Nimmt der Arbeitnehmer die sich ihm bietenden Möglichkeiten nicht wahr, stehen ihm für die
Zeit nach Ende der Lohnfortzahlung auch keine Leistungen zu. Auch der nach den Regelungen des Artikel 68 des Bundesgesetzes
über die Krankenversicherung (KVG) bestehende Kontrahierungszwang auf Seiten der Versicherer führt nicht dazu, dass man deshalb
von einer aus öffentlichen Mitteln finanzierten Leistung sprechen könnte. Denn dadurch wird allein die staatlich verbriefte
Möglichkeit eröffnet, sich grundsätzlich gegen dieses Risiko absichern zu können. Schon der in Artikel 69 KVG enthaltene Versicherungsvorbehalt
für die Dauer von fünf Jahren für Krankheiten, die bei Aufnahme bestehen oder die zu Rückfällen neigen, belegt zudem eine
eher privatrechtlichen Bedürfnissen angepasste Ausgestaltung und Verteilung des Risikos und widerspricht insoweit dem in der
deutschen Krankenversicherung geltenden Solidarprinzip. Ist aber schon die nach dem KVG eröffnete Möglichkeit der Absicherung
nicht vergleichbar mit den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Regelungen, dann gilt dies umso mehr für die nach schweizerischem
Recht mögliche Absicherung aufgrund des Versicherungsvertragsgesetzes. Entscheidend bleibt mithin, dass es sich nach dem Schweizer Recht um keine Leistungen aus öffentlichen Mitteln handelt,
also um Leistungen aus Mitteln, die für öffentliche Ausgaben vorgesehen sind (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.11.2008
- L 3 AL 1106/05 -, juris)."
Diesen Gründen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an.
Die Beklagte hat nach alledem den Antrag des Klägers auf Alg vom 19.05.2016 mangels Vorliegens der Anwartschaftszeit mit Bescheid
vom 07.06.2016 rechtlich zutreffend abgelehnt. Dass der Bescheid sonst rechtswidrig ist, ist nicht festzustellen und wird
im Übrigen vom Kläger auch nicht geltend gemacht.
b) Hinsichtlich des Bescheides vom 20.10.2016 gilt:
Die Beklagte hat des Weiteren den Antrag des Klägers auf Gewährung von Arbeitslosengeld vom 19.10.2016 mit Bescheid vom 20.10.2016
zu Recht abgelehnt. Ein Anspruch auf Alg aufgrund der Antragstellung vom 19.10.2016 besteht schon mangels persönlichen Arbeitslosmeldung
gemäß §§
137 Abs.
1 Nr.
2,
141 Abs.
1 Satz 1
SGB III nicht. Dass sich der Kläger im Zusammenhang mit dem Antrag vom 19.10.2016 bei der Beklagten persönlich arbeitslos gemeldet
hat, lässt sich der vorliegenden Verwaltungsakte nicht entnehmen und wird vom Kläger auch nicht behauptet. Außerdem hat der
Kläger auch im Zeitpunkt der Antragsstellung am 19.10.2016 in der Rahmenfrist vom 19.10.2014 bis 18.10.2016 die Anwartschaftszeit
des §
142 Abs.
1 SGB III nicht erfüllt, da er im Zeitraum vom 19.05.2016 bis zum Zeitpunkt der erneuten Antragstellung am 19.10.2016 nicht in einem
Versicherungspflichtverhältnis gem. §§
24,
26 oder 28a
SGB III stand. Das Vorliegen eines Versicherungspflichtverhältnisses im genannten Zeitraum ist nicht festzustellen und wird vom Kläger
auch nicht vorgetragen. Vielmehr hat er ab 01.06.2016 Leistungen nach dem SGB II bezogen. Der Kläger stand somit auch im Zeitpunkt der Antragstellung am 19.10.2016 in keinem für die Erfüllung der Anwartschaftszeit
notwendigen Versicherungspflichtverhältnis von 12 Monaten (360 Kalendertagen).
Die Beklagte hat nach alledem auch den Antrag des Klägers auf Alg mit Bescheid vom 20.10.2016 rechtlich zutreffend abgelehnt.
Dass der Bescheid sonst rechtswidrig ist, ist nicht festzustellen.
Der Hauptantrag des Klägers war daher zurückzuweisen.
2.
Dem Hilfsantrag des Klägers entspricht der Senat nicht. Gründe für eine Vorlage des Verfahrens an den EuGH liegen nicht vor.
Das Gericht kann gemäß Art. 267 AEUV (EU-Arbeitsweisevertrag) dem EuGH eine Frage zur Gültigkeit und Auslegung des EU-Rechts vorlegen, wenn diese Frage im Prozess
aufgeworfen wird und wenn das Gericht ihre Beantwortung für seine eigene Urteilsfällung für erforderlich hält.
Der Senat hält in vorliegendem Fall eine Vorlage an den EuGH - wegen des Regelungsinhalts des Art. 61 VO (EG) 883/2004 - nicht
für erforderlich. Der Regelungsinhalt des Art. 61 VO (EG) 883/2004 (inhaltsgleiche Vorgängerregelung zu Art. 67 Abs. 1 Halbsatz
1 VO (EG) 1408/71; siehe hierzu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.10.2014 - L 12 AL 3721/13 -, juris Rn. 44) ist durch den EuGH geklärt (z.B. EuGH, Urteile vom 15.03.1978, C-126/77 und 12.05.1989 - C 388/87 -, jeweils juris). Danach ermöglicht Art. 61 Absatz 1 Satz 1 VO (EG) 883/2004, entgegen der vom Kläger vertretenen Rechtsansicht,
nicht, in einem Mitgliedstaat nicht entstandenen Versicherungszeiten in einem anderen Mitgliedstaat zu "fingieren".
3.
Die Berufung des Klägers war daher im Hauptantrag zurückzuweisen. Dem Hilfsantrag war nicht zu entsprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.