Feststellung des Nachteilsausgleichs "aG" - außergewöhnliche Gehbehinderung im Schwerbehindertenrecht; Wirksamkeit der Übergangsregelung
des § 159 Abs. 7 SGB IX
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs
"aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) streitig.
Bei dem 1951 geborenen Kläger waren zuletzt mit Bescheid des Landratsamtes B.
- Versorgungsamt - (LRA) vom 16.09.2008 aufgrund folgender Funktionsbeeinträchtigungen ein Grad der Behinderung (GdB) von
70 seit dem 23.07.2008 sowie das Merkzeichen "G" festgestellt worden:
- Hüftgelenksendoprothese links, Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke bei degenerativen Gelenkveränderungen, arterielle
Verschlusskrankheit beider Beine und Polyneuropathie (Teil-GdB 40),
- Diabetes mellitus (mit Diät und oralen Antidiabetika und Insulin einstellbar) (Teil-GdB 30),
- Schulter-Arm-Syndrom, Funktionsbehinderung beider Schultergelenke und chronisches Schmerzsyndrom (Teil-GdB 30) und
- degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und operierter Bandscheibenschaden (Teil-GdB 20) (Bl. 81 bis 84 der Verwaltungsakte).
Der Kläger beantragte beim LRA am 08.12.2010 die Erhöhung des GdB sowie die Feststellung des Merkzeichens "aG". Zur Begründung
verwies er auf ein künstliches Hüftgelenk, fünf Bandscheibenoperationen, eine Polyneuropathie sowie eine Stentimplantation
im Bein. Er fügte seinem Antrag einen Arztbrief des Facharztes für Neurochirurgie und Spezielle Schmerztherapie Dr. W. vom
06.05.2010 bei (Diagnosen: chronisch neuropathische Schmerzen, chronische Schmerzen, Diabetes mellitus insulinpflichtig, diabetische
Polyneuropathie, arterielle Verschlusserkrankung Grad II, diabetische Angiopathie, Radikulopathie L5/S1, Claudicatio intermittens,
Ischämieschmerz, chronische Schmerzen Stadium III nach Gerbershagen, S1-Syndrom links und laterale Bandscheibenprotrusion
L5/S1 links) (Bl. 88 bis 92 der Verwaltungsakte).
Das LRA zog einen Entlassungsbericht der zu Lasten der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 04.06.2010 bis 25.06.2010 in
der Rehaklinik H. in B. durchgeführten stationären Rehabilitationsmaßnahme, einen Befundschein des Facharztes für Allgemeinmedizin
Dr. S. vom 21.12.2010, einen Arztbrief des Neurologen und Psychiaters Herr Wi. vom 25.05.2010 sowie einen Arztbrief des Abteilungschefarztes
der Abteilung Angiologie des Herzzentrums Bad K. Prof. Dr. Z. vom 03.05.2010 bei (Bl. 95/105 und 108/111 der Verwaltungsakte).
Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21.01.2011 bei Prof. Dr. Wa. , welcher den Gesamt-GdB mit 80
bewertete und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "aG" verneinte, stellte
das LRA mit Bescheid vom 26.01.2011 einen GdB von 80 seit dem 08.12.2010 fest. Das Merkzeichen "G" blieb festgestellt. Die
Feststellung des Merkzeichens "aG" lehnte das LRA ab (Bl. 112/113 und 114/115 der Verwaltungsakte).
Dagegen legte der Kläger am 31.01.2011 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er vortrug, ihm stehe das Merkzeichen "aG" aufgrund
ständiger Schmerzen im linken Fuß zu, welche zunähmen, wenn er weitere Strecken laufen müsse. Ferner verwies er auf sein künstliches
Hüftgelenk links.
Nach Beiziehung eines Befundscheins des Neurochirurgen und Speziellen Schmerztherapeuten Dr. W. vom 23.05.2011, in dem Dr.
W. von einer Zunahme der Schmerzen unter Belastung, insbesondere beim Gehen (Gehstrecke circa 50 Meter) berichtete und die
"Kennung aG" für eine Erleichterung im Alltag als sinnvoll erachtete und Einholung einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme
vom 05.07.2011 bei der Obermedizinalrätin Dr. V. wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch
des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2011 als unbegründet zurück (Bl. 127/129 und 131/132 der Verwaltungsakte).
Dagegen erhob der Kläger am 01.09.2011 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG). Zur Begründung verwies er darauf, dass er aufgrund seiner erheblichen orthopädischen Beschwerden, der arteriellen Verschlusskrankheit
beider Beine, einer Polyneuropathie, einem erheblichen Schmerzsyndrom sowie einer kardiologischen Erkrankung sich nur noch
unter größten Anstrengungen fortbewegen könne. Weiterhin habe er dauerhafte Schmerzen unter der linken Fußsohle. Schließlich
sei ihm zur Schmerztherapie nach dem Bandscheibenvorfall mit Nervenverletzung ein "Stromkasten" implantiert worden.
Das SG befragte die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen. Wegen des Inhalts und Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf Bl. 20/22, 23/31 sowie 32/48 der SG-Akte Bezug genommen.
Der Kardiologe Dr. Su. teilte mit am 07.02.2012 beim SG eingegangenen Schreiben mit, der Kläger leide u.a. unter einer koronaren Herzkrankheit und einem Diabetes mellitus. Er könne
außerhalb seines Fahrzeuges noch eine Gehstrecke von circa 500 Metern zurücklegen. Das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung
könne Dr. Su. nicht beurteilen. Dem Schreiben war sein Arztbrief vom 21.10.2011 beigefügt, aus dem sich eine Belastbarkeit
des Klägers beim Belastungs-EKG bis 100 Watt ergibt.
Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. S. schrieb dem SG am 06.03.2012, die Gehfähigkeit des Klägers sei durch angiopathische, neuropathische und orthopädische Beschwerden trotz
epiduraler Neurostimulation eingeschränkt. Der Kläger gebe an, ohne Schmerzfreiheit lediglich eine Gehstrecke von 50 Metern
bewältigen zu können. Der Kläger sei jedoch in der Lage, ohne Gehhilfen mit flüssigem Gangbild die Arztpraxis von Dr. S. aufzusuchen.
Eine außergewöhnliche Gehbehinderung sei nicht feststellbar. Mangels ausreichender Untersuchung bei ihm - Dr. S. - werde eine
fachneurologische Untersuchung beim behandelnden Neurologen Dr. W. zur Frage der Mobilität angeregt.
Der Facharzt für Neurochirurgie und Spezielle Schmerztherapie Dr. W. berichtete unter dem 25.04.2012, beim Kläger liege eine
umschriebene narbige Irritation der Wurzeln L5 und S1 links mit neuropathischen Schmerzen, eine progrediente diabetische Polyneuropathie
sowie eine arterielle Verschlusskrankheit Grad III mit claudicatio intermittens vor. Als Folge der neuropathischen Schmerzen
bestehe eine konstante Einschränkung der Wegstrecke auf maximal 200 Meter. Die Erkrankungen des Klägers schränkten die Gehfähigkeit
seine in hohem Maße ein. Aufgrund der Multimorbidität bestehe eine außergewöhnliche Gehbehinderung, da es bei den Grunderkrankungen
zu einer hochgradigen Belastungsinsuffizienz komme. Es sei von einer maximalen Gehstrecke von circa 100 bis 150 Metern auszugehen.
Dabei handele es sich um die Gesamtstrecke, die einfache Strecke liege zwischen circa 60 und 80 Metern.
Mit Gerichtsbescheid vom 06.12.2012 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "aG" lägen nicht vor.
Zwar sei das Gehvermögen des Klägers im Wesentlichen durch ein chronifiziertes Schmerzsyndrom, welches insbesondere mit Schmerzen
an der linken Fußsohle einhergehe, eingeschränkt. Jedoch sei bei den von verschiedenen Ärzten angegebenen Gehstrecken davon
auszugehen, dass die Gehfähigkeit des Klägers zwar erheblich, aber darüber hinaus nicht auch in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt
sei und er sich nicht praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an nur unter ebenso großen Anstrengungen
wie die in der VwV-StVO ausdrücklich genannten Gruppen von Schwerbehinderten fortbewegen könne.
Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am 11.12.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 04.01.2013 Berufung
zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt, zu deren Begründung er seinen bisherigen Vortrag wiederholt und
darüber hinausgehend vorträgt, die von ihm zu bewältigende Gehstrecke habe sich während des Verfahrens auf 50 Meter verringert.
Er könne nicht akzeptieren, dass ihm trotz seines eingeschränkten Gehvermögens nicht die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines
Schwerbehindertenparkplatzes zuerkannt werde. Er gehöre zwar nicht zum Kreis der in der VwV-StVO ausdrücklich aufgeführten Gruppe von behinderten Menschen, jedoch solle er diesem Personenkreis gleichgestellt werden, da
Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten geschaffen werden solle, denen es unzumutbar sei, längere Wege zu Fuß zurückzulegen.
Dies solle auch bei einem Gehvermögen von 50 Metern der Fall sein.
Nachdem der Kläger während des Berufungsverfahrens nach Ö. (S. ) verzogen war, hat der Senat mit Beschluss vom 04.03.2014
auf Antrag des bisherigen Beklagten das Land Baden-Württemberg aus dem Rechtsstreit entlassen und festgestellt, dass das Land
Schleswig-Holstein neuer Beklagter ist (Bl. 37/38 der Senatsakte).
Der Senat hat Beweis erhoben durch die Befragung des behandelnden Neurochirurgen Dr. L. als sachverständigen Zeugen. Wegen
des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 50/58 der Senatsakte Bezug genommen. Dr. L. hat am 20.12.2014
mitgeteilt, er habe den Kläger bisher einmalig ambulant schmerzneurochirurgisch behandelt. Der Kläger leide unter einem chronischen
Schmerzsyndrom Stadium III nach Gerbershagen, einem chronischen neuropathischen Fußschmerzsyndrom links, einer diabetischen
Polyneuropathie, einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus, einem Postdiscektomiesyndrom, einer neuropathischen Lumboischialgie
links, einer Coxarthrose links und einem Zustand nach TEP in den Achtzigern, einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit
links iliacal und einer arteriellen Hypertonie. Dr. L. hat ein hochgradig verlangsamtes und linksseitig nachziehendes Gangbild
befundet. Der Kläger ist vornübergebeugt und erkennbar schmerzgeplagt gewesen. Der Zehen- und Fersenstand sind ausführbar
gewesen. Es haben sich keine Paresen gefunden.
Weiter hat der Senat den Entlassungsbericht des Universitätsklinikums S. - Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin
- vom 17.06.2014 über die stationäre Behandlung des Klägers vom 04.06.2014 bis 17.06.2014 beigezogen (Bl. 62/64 der Senatsakte).
Mit Schriftsatz vom 08.05.2015 hat die Klägervertreterin mitgeteilt, der Kläger befinde sich derzeit stationär im Universitätsklinikum
in K. , weil zwei neue Implantate an der Wirbelsäule eingesetzt werden sollen. Ferner hat sie vorgetragen, der behandelnde
Arzt Prof. Dr. B. habe sich kritisch gegenüber der versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Ha. vom 20.03.2015 geäußert.
Schließlich sei ein aktueller Befundbericht des Universitätsklinikums beizuziehen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 06.12.2012 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids
des Landratsamtes B. - Versorgungsamt vom 26.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart
- Landesversorgungsamt - vom 10.08.2011 zu verurteilen, bei ihm das Merkzeichen "aG" ab dem 08.12.2010 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Freiburg vom 06.12.2012 und vertritt unter
Vorlage zweier versorgungsärztlicher Stellungnahmen von Dr. Ha. vom 14.01.2015 und 20.03.2015 die Auffassung, der Kläger erfülle
die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "aG" nicht.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt (Bl. 71 und 74 der Senatsakte).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten
sowie auf die Prozessakten des SG und des Senats verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung (§
153 Abs.
1 i.V.m. §
124 Abs.
2 SGG) über die Berufung des Klägers entscheiden, nachdem die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben und eine mündliche
Verhandlung nicht erforderlich ist.
Die gemäß §
151 form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§
143,
144 SGG zulässig, aber unbegründet.
Das SG hat mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 06.12.2012 die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Landratsamts B.
- Versorgungsamt - vom 26.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart - Landesversorgungsamt
- vom 10.08.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung
des Merkzeichens "aG".
Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" ist §
69 Abs.
4 SGB IX i.V.m. §§ 1 Abs. 4 und 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung vom 25.07.1991, zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 7. Juni 2012 (BGBl. I S. 1275). Danach ist das Merkzeichen "aG" festzustellen, wenn der behinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des §
6 Abs.
1 Nr.
14 StVG oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist.
Eine derartige straßenverkehrsrechtliche Vorschrift ist die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 26.01.2001 (BAnz S. 1419, berichtigt S. 5206), zuletztin der ab dem 18.11.2014 gültigen Fassung vom 17.11.2014. Nach
Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere
ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können.
Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig
Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können,
oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher
Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem zuvor genannten Personenkreis gleichzustellen sind.
Der Kläger gehört - unstreitig - nicht zu dem ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten.
Der Kläger kann dem genannten Personenkreis auch nicht gleichgestellt werden, da seine Gehfähigkeit nicht in ungewöhnlich
hohem Maße eingeschränkt ist oder er sich nicht nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der VwV genannten Personen
oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Dies steht für den Senat auf Grund der zu den Akten gelangten ärztlichen
Unterlagen und der vom SG durchgeführten Beweisaufnahme fest.
Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach
dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2
SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Die AHP besaßen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur
auf Verwaltungsvorschriften beruhten. Sie waren vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der
Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirkten, und deshalb normähnliche Auswirkungen hatten. Auch waren
sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72,
285, 286; BSG SozR 3-3870 a.a.O.).
Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung
des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis 30.06.2011 bzw.§ 30 Abs. 16 BVG in der ab 01.07.2011 gültigen Fassung zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für
die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach §
69 Abs.
1 Satz 5
SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB.
Bislang konnte sich der Beklagte hinsichtlich der Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "aG" nach ständiger
Rechtsprechung des Senats nicht auf die VG (Teil D Ziff. 3) berufen. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber,
die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können,
enthielten nach Auffassung des Senats weder § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis 30.06.2011 bzw. § 30 Abs. 16 BVG in der ab 01.07.2011 gültigen Fassung, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im
SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche war bislang auch nicht in den einschlägigen Vorschriften
des
SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich aG (und G) waren damit nach ständiger Rechtsprechung des Senats mangels
entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 und vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08 -, beide veröff. in [...] und www.sozialgerichtsbarkeit.de; so auch der ebenfalls für Schwerbehindertenrecht zuständige 6.
Senat des LSG Baden-Württemberg, vgl. stellvertretend Urteil vom 04.11.2010 - L 6 SB 2556/09 -, unveröffentlicht; offen lassend der 3. Senat, vgl. Urteil vom 17.07.2012 - L 3 SB 523/12 - unveröffentlicht). Rechtsgrundlage waren daher bislang allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu nach
ständiger Rechtsprechung zulässig anzuwendenden Verwaltungsvorschriften.
Ein Betroffener ist danach gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich
nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23). Hierbei ist zu beachten, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht darauf abstellen, über
welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf,
unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung.
Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfüllt, qualifiziert sich
für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt
(vgl. BSG SozR 3 3250 § 69 Nr. 1 und Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R -, [...]).
Zwischenzeitlich hat jedoch der Gesetzgeber mit Wirkung zum 15.01.2015 in §
70 Abs.
2 SGB IX eine Verordnungsermächtigung eingeführt und in §
159 Abs.
7 SGB IX eine Übergangsregelung getroffen (eingefügt durch Art. 1a des am 15.01.2015 in Kraft getretenen Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel
für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015; BGBl. II S. 15).
§
70 Abs.
2 SGB IX in der Fassung vom 07.01.2015 lautet nunmehr: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung
mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung
und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis
einzutragen sind. Von der Verordnungsermächtigung ist bislang kein Gebrauch gemacht worden.
Nach der ebenfalls am 15.01.2015 in Kraft getretenen Übergangsregelung des §
159 Abs.
7 SGB IX in der Fassung vom 07.01.2015 gelten, soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des Bundesversorgungsgesetzes erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend.
Nach Auffassung des Senats hat der Gesetzgeber mit der Übergangsregelung des §
159 Abs.
7 SGB IX ab dem 15.01.2015 wirksam und mit hinreichend bestimmtem Gesetzeswortlaut eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Feststellung
des Merkzeichens "aG" geschaffen (insoweit offen lassend der 3. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, Urteil vom
13.05.2015 - L 3 SB 1100/14 -). Soweit eine entsprechende Anwendung der Maßstäbe der VersMV durch das Gesetz angeordnet ist, lässt sich dem Wortlaut
hinreichend deutlich die Regelung für Merkzeichen entnehmen, dass die Bewertungsmaßstäbe der VG Teil D unmittelbar anzuwenden
sind. Der Regelung der mit Wirkung zum 01.01.2009 erlassenen VersMV ist bis zum Erlass einer neuen Verordnung nach §
70 Abs.
2 SGB IX damit praktisch Gesetzescharakter verliehen worden (so auch der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, Urteil
vom 21.04.2015 - L 6 SB 3121/14 - zum Merkzeichen "G" unter Verweis auf BT-Drs. 18/3190, S. 5). Die so geschaffene Rechtsgrundlage für die Feststellung des
Merkzeichens "aG" entfaltet jedoch keine Rückwirkung, sondern ist erst ab dem Datum des Inkrafttretens am 15.01.2015 wirksam.
Eine Rückwirkung ist in der Übergangsbestimmung gesetzlich nicht geregelt worden, weshalb die gesetzliche Neuregelung erst
am Tag des Inkrafttretens Gültigkeit erlangt. Dies ergibt sich auch aus der Begründung zu der Neufassung von §
70 Abs.
2 und §
159 Abs.
7 SGB IX, mit der der Gesetzgeber die Zweifel, ob § 30 Abs. 16 BVG eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung (zusätzlich gemeint wohl:
für die Feststellung von Merkzeichen) darstellt, ausräumen will, so dass die Versorgungsmedizinverordnung "künftig auf beide
Ermächtigungsnormen" gestützt werden kann (BT-Drs. 18/3190, S. 5 zu Nummer 2), also eine Regelung für die Zukunft beabsichtigt.
Zudem geht der Gesetzgeber mit der Schaffung der Übergangsregelung davon aus, dass "in der Übergangszeit das derzeitige Recht
weiter Anwendung findet" (BT-Drs. 18/3190, S. 5 zu Nummer 3). Folglich stellt der Senat für die Zeit bis zum 14.01.2015 auf
die von der Rechtsprechung für die Feststellung des Merkzeichens "aG" entwickelten Kriterien und für die Zeit ab dem 15.01.2015
auf die in den VG geregelten Kriterien ab. Vorliegend führt ein Abstellen auf die VG indes zu keinem anderen Ergebnis für
den Kläger, weil die dort geregelten Kriterien jenen des Straßenverkehrsrechts entsprechen und sich eine Erweiterung bzw.
Konkretisierung der gleichgestellten behinderten Menschen dort nur in Bezug auf innere Erkrankungen wie Herzschäden mit schweren
Dekompensationserscheinungen oder wie Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades findet,
was beim Kläger jedoch nicht der Fall ist bzw. keine entscheidende Rolle spielt.
Der Senat konnte aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht feststellen, dass die Gehfähigkeit des Klägers in
ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt 2
Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VWV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Der Senat schließt sich nach eigener
Prüfung der Beweiswürdigung des SG an.
Der Kläger leidet im Wesentlichen unter einem chronischen Schmerzsyndrom Stadium III nach Gerbershagen, einem chronischen
neuropathischen Fußschmerzsyndrom links, einer diabetischen Polyneuropathie, einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus, einem
Postdiscektonomiesyndrom, einer neuropathischen Lumboischialgie links, einer Coxarthrose links bei Zustand nach TEP in den
Achtzigern, einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit und einer arteriellen Hypertonie. Aus diesen Erkrankungen resultiert
jedoch zur Überzeugung des Senats keine außergewöhnliche Gehbehinderung des Klägers. Das Gehvermögen des Klägers ist im Wesentlichen
durch das chronische Schmerzsyndrom mit vorherrschendem Fußschmerz links nach sechsmaliger lumbaler und dreimaliger SCS-Operation
beeinträchtigt. Im Rehaentlassbericht der T. Klinik Bad K. vom 24.06.2008 über die dort durchgeführte stationäre Rehabilitationsmaßnahme
vom 23.05.2008 bis 19.06.2008 sind bei Aufnahme ein links hinkendes Gangbild sowie Sensibilitätsstörungen im Bereich der linken
Fußsohle dokumentiert. Nach Ende der Rehabilitationsmaßnahme ging der Kläger an zwei Unterarmgehstöcken mit normaler Nutzung
des linken Beines. Die anfängliche Vermeidungshaltung hatte sich weitgehend gelegt. Ohne zwei Unterarmgehstöcke fand sich
jedoch noch ein sehr vorsichtiges Aufsetzen des linken Beines. Aufgrund der Komplexität des Schmerzsyndroms konnte während
des Rehabilitationsverfahrens keine wesentliche Besserung erreicht werden. Es wurde eine ambulante Behandlung beim Schmerztherapeuten
empfohlen. Aufgrund persistierender Schmerzen erfolgte vom 04.06.2010 bis 25.06.2010 eine weitere stationäre medizinische
Rehabilitationsmaßnahme nach Dekompression einer Rezessusstenose L5/S1 in der Klinik H. in B. . Im Entlassungsbericht vom
29.06.2010 (Bl. 95 der Verwaltungsakte) ist als Aufnahmebefund eine unter Angabe von fußsohlenseitigen Schmerzen kräftemäßig
uneingeschränkte Demonstration sämtlicher Gang- und Standvarianten mit Schonhinken links dokumentiert. Der Einbeinstand war
kräftemäßig beidseits möglich. Bei der Abschlussuntersuchung am 22.06.2010 fand sich im freien Gang ein deutliches Schonhinken
links mit leicht flektiertem Fuß. Bei der neurologischen Untersuchung durch Herrn Wi. fand sich bis auf eine leichte Schwäche
der Zehenspreizung beidseits neurologisch kein wesentlicher Ausfall (Arztbrief von Herrn Wi. vom 25.05.2010; Bl. 111 der Verwaltungsakte).
Im Arztbrief des Neurochirurgen und Speziellen Schmerztherapeuten Dr. W. vom 23.05.2011 werden Schmerzen bei Belastung, insbesondere
beim Gehen und eine Gehstrecke von circa 50 Meter geschildert. Weiter beschreibt Dr. W. eine schwere Gangunsicherheit mit
zunehmender Sturzgefahr (Bl. 127 der Verwaltungsakte). Der Allgemeinmediziner Dr. S. gab in seiner Aussage als sachverständiger
Zeuge gegenüber dem SG unter dem 06.03.2012 an, die Gehfähigkeit des Klägers sei eingeschränkt. Der Kläger selbst habe angegeben, ohne Schmerzfreiheit
eine Gehstrecke von 50 Metern bewältigen zu können. Jedoch sei der Kläger in der Lage gewesen, ohne Gehhilfen mit flüssigem
Gangbild die Arztpraxis von Dr. S. aufzusuchen. Dr. S. konnte keine außergewöhnliche Gehbehinderung feststellen (Bl. 23/24
der SG-Akte). Der Neurochirurg und Spezielle Schmerztherapeut Dr. W. teilte dem SG in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 25.04.2012 mit, die maximale Gehstrecke betrage etwa 100 bis 150 Meter (Bl.
33/34 der SG-Akte). Im Arztbrief des S. Krankenhauses F. vom 27.05.2010 ist ausgeführt, dass sich keine motorischen Störungen fanden (Bl.
45/46 der SG-Akte). Bei der Untersuchung durch den vom Senat als sachverständigen Zeugen gehörten Neurochirurgen Dr. L. am 23.01.2014
fand sich ein hochgradig verlangsamtes und linksseitig nachziehendes Gangbild. Der Kläger war vornübergebeugt und erkennbar
schmerzgeplagt. Jedoch waren der Zehen- und Fersenstand ausführbar und es fanden sich keine Paresen. Aus dem vom Senat beigezogenen
Entlassungsbericht des Universitätsklinikums S. - Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin - vom 17.06.2045
über die stationäre Behandlung des Klägers vom 04.06.2014 bis 17.06.2014 ergeben sich keine Befunde, welche eine außergewöhnliche
Gehbehinderung rechtfertigen könnten. Zwar fand sich dort ein unsicheres Gangbild, jedoch waren alle peripheren Gelenke in
nahezu vollem Umfang schmerzfrei beweglich. Es fand sich ein Finger-Boden-Abstand von zehn Zentimetern. Die Funktionsüberprüfung
des SCS-Gerätes ergab eine einwandfreie Funktion. Der Kläger war auch mit der Einstellung zufrieden (Bl. 63/64 der Senatsakte).
Eine Einschränkung der Gehfähigkeit quasi von den ersten Schritten außerhalb eines Kraftfahrzeuges an bzw. die Notwendigkeit
fremder Hilfe wegen des chronifizierten Schmerzsyndroms insbesondere mit dem Schmerzsyndrom am linken Fuß ist aufgrund der
vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht dokumentiert.
Das Gehvermögen des Klägers ist auch nicht wegen seiner peripheren arteriellen Verschlusskrankheit beider Beine auf das Schwerste
eingeschränkt. Ausweislich des Arztbriefs des Abteilungschefarztes der Abteilung Angiologie des Herzzentrums Bad K. Prof.
Dr. Z. vom 03.05.2010, wo sich der Kläger zur Kontrolle der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit vorstellte, ist ausgeführt,
es träten nach einer Gehstrecke von circa 100 Metern Schmerzen in der rechten Wade auf. Ferner bestünden lange bekannte Dauerschmerzen
in der linken Fußsohle verbunden mit dysästhetischen Empfindungen. Die Untersuchung ergab keine Hinweise für eine wesentliche
Progression der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. Es zeigte sich ein gutes postinterventionelles Ergebnis nach Rekanalisation
und Stentangioplastie eines Verschlusses der rechten Arteria femuralis superficialis. Die aktuellen Claudicatiobeschwerden
rechts waren nicht durch eine Durchblutungsstörung erklärbar. Zur Abklärung einer vertebragenen Ursache war eine weitere orthopädische
Vorstellung geplant (Bl. 30/31 der SG-Akte).
Auch die koronare Herzkrankheit des Klägers sowie der Diabetes mellitus schränken sein Gehvermögen nicht auf das Schwerste
ein. So schätzte der behandelnde Kardiologe Dr. Su. in seiner am 07.02.2012 beim SG eingegangenen sachverständigen Zeugenaussage die Gehstrecke auf circa 500 Meter ein. Ausweislich des Befundberichts von Dr.
Su. vom 21.10.2011 zeigte der echokardiographische Befund eine normale linksventrikuläre Funktion ohne Hinweis auf eine regionale
Wandbewegungsstörung. Auch ein klinisch relevantes Vitium cordis konnte ausgeschlossen werden. Die Ergometrie ergab eine gute
Belastbarkeit des Klägers bis 100 Watt (Bl. 21/22 der SG-Akte).
Auch das Zusammenwirken dieser verschiedenen, auf kardiologischem, orthopädischem, phlebologischem und neurologischem Gebiet
zu beurteilenden Funktionsbeeinträchtigungen, worauf Dr. W. in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 25.04.2012 abstellt,
erreicht kein solches belastendes Ausmaß, das einer außergewöhnlichen Gehbehinderung im Rechtssinne gleichkommt. Weder ist
die Herzerkrankung mit einer Belastbarkeit bis 100 W noch die beidseitige Verschlusserkrankung der Beine nach erfolgreicher
Operation ein solcher gravierender zusätzlicher Belastungsfaktor. Das neurologisch und orthopädisch zu beurteilende Postnukleotomiesyndrom
in Form des chronischen Schmerzsyndroms im Stadium III nach Gerbershagen wirkt sich nach den Befundberichten (vgl. insbesondere
Aussage von Dr. W. 25.04.2012) vor allen Dingen am linken Bein des Klägers aus, wobei im Juni 2014 die von der Lendenwirbelsäule
ausstrahlenden Schmerzen in den linken Fuß ohne Beeinträchtigung der Oberflächensensibilität und der Motorik einhergingen.
Im Entlassungsbericht der Universitätsklinik K. vom 17.06.2014 sind eine Allodynie im Bereich der linken Fußsohle und eine
Pallhypäshtesie im Bereich des linken Knöchels nur anamnestisch angegebenen, die Motorik war jedoch ubiquitär bei voller Kraft
erhalten und der Reflexstatus war lebhaft auslösbar, lediglich der Achillessehnenreflex links war nicht und rechts nur schwach
auslösbar. Die Bewertung von Dr. W. in seinem Befundschein vom 23.05.2011 und seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 25.04.2012,
eine außergewöhnliche Gehbehinderung liege vor, ist für den Senat deswegen nicht nachvollziehbar. Auch die Aussage von Dr.
W. vom 25.04.2012 selbst gibt Anlass zu Zweifeln an ihrer Aussagekraft. Dort wird ohne nähere Differenzierung einmal eine
"konstante Verkürzung der Wegstrecke" auf max. 200 m und dann wieder eine "maximale Gehstrecke von etwa 100-150 m" angegeben,
wobei Letztere eine "Gesamtstrecke" sei, die Hin- und Rückweg beinhalte, weshalb die einfache Strecke 60-80 m betragen. Abgesehen
davon, dass hiernach eine konkrete, in Metern fassbare Gehstreckenbeschränkung aufgrund der Ungereimtheiten und Widersprüche
nicht ableitbar ist, ergibt sich aus der Zusammenschau der aktenkundigen ärztlichen Befundberichte zwar eine schmerzbedingte,
vornehmlich die linke Extremität betreffende Gehbeeinträchtigung, jedoch ist diese einseitige Funktionsbeeinträchtigung nicht
vergleichbar mit der Gehunfähigkeit im Rechtssinne der Vergleichsgruppe von Querschnittsgelähmten und Doppeloberschenkelamputierten.
Dafür sprechen auch die vom Kläger bei der Untersuchung im Januar 2014 bei Dr. L. geschilderten Lebensumstände (sachverständige
Zeugenaussage vom 20.12.2014, Bl. 50 der LSG-Akte): "Dalmatiner, Haus und Garten, "da fühlen wir uns sauwohl!". Doppelte Haushaltsführung:
Immer mal per Auto und Wohnmobil auch im Schwarzwald". Aus diesen ausgedehnten Freizeitaktivitäten ist zu schließen, dass
ihnen keine stark körperlich limitierenden Mobilitätshindernisse entgegenstehen. Eine schmerzhafte Gehstrecke, selbst wenn
dadurch kurze Erholungspausen notwendig sind, ist nicht mit einer außergewöhnlichen Gehbehinderung gleichzusetzen.
Der Senat konnte sich somit aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht davon überzeugen, dass die Gehfähigkeit
des Klägers außergewöhnlich, mithin vom ersten Schritt an eingeschränkt ist, so dass der Kläger wegen einer in ungewöhnlich
hohem Maße eingeschränkten Gehfähigkeit dem berechtigten Personenkreis gleichzustellen wäre.
Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Arztauskünfte und ärztlichen Unterlagen bilden eine ausreichende
Grundlage für die Entscheidung des Senats. Der Senat hält deshalb weitere Ermittlungen nicht mehr für erforderlich. Die vorliegenden
ärztlichen Unterlagen haben mit den sachverständigen Zeugenauskünften dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung
notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§
118 Abs.
1 Satz 1
SGG, §
412 Abs.
1 ZPO). Die Einholung eines weiteren Befundberichts, wie von der Klägervertreterin mit Schriftsatz vom 08.05.2015 angeregt, hält
der Senat nicht für erforderlich. Die geplante Operation des Klägers an der Wirbelsäule (Einsatz von zwei neuen Implantaten)
im Universitätsklinikum K. hat zum einen eine Verbesserung des Gesundheitszustandes des Klägers zum Ziel. Zum anderen ist
zu berücksichtigen, dass, wenn wider Erwarten durch die Operation eine Verschlechterung im Gesundheitszustand des Klägers
eintreten sollte, diese nach Teil A Ziff. 2 f) VG erst dann berücksichtigt werden kann, wenn sie nicht nur vorübergehend,
d.h. mehr als sechs Monate besteht. Soweit die Klägervertreterin weiter vorträgt, der behandelnde Arzt Prof. Dr. B. habe sich
kritisch gegenüber der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Ha. vom 20.03.2015 geäußert und klargestellt, dass die
Ausstrahlungen in die Extremitäten nicht vom Rücken herrührten, sondern die Nervenwurzeln selbst beschädigt seien, zwingt
dies auch nicht zu weiteren Ermittlungen. Allein maßgeblich sind die funktionellen Beeinträchtigungen und nicht die exakten
Diagnosen. Beim Kläger sind aber wie ausgeführt keine funktionellen Beeinträchtigungen dokumentiert, welche die Feststellung
des Merkzeichens "aG" rechtfertigen könnten.
Nach alledem war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.