Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Einstellung einer Verletztengeldzahlung im Wege des einstweiligen
Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren; Keine Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes
Gründe
I.
Die Antragstellerin bezieht von der Antragsgegnerin eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um
20 v.H. wegen eines vorliegend nicht streitgegenständlichen Arbeitsunfalls am 23.08.2008. Als Folgen dieses Unfalls sind eine
Bewegungseinschränkung im rechten Schulter- und Ellbogengelenk sowie eine Einschränkung der Unterarmdrehung rechts festgestellt.
Die Antragstellerin erlitt erneut am 12.09.2013 einen von der Antragsgegnerin anerkannten Arbeitsunfall, als sie während ihrer
Schicht als Taxifahrerin auf nassem Untergrund stürzte und sich eine Humeruskopfluxationfraktur links und eine Tibiakopfimpressionsfraktur
am rechten Kniegelenk zuzog. Die Antragstellerin erhielt wegen dieses Unfalls im Auftrag der Antragsgegnerin von der Krankenkasse
ausgezahltes Verletztengeld.
In dem von der Antragsgegnerin veranlassten Gutachten vom 02.02.2015 (Blatt 338ff der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin)
beschrieb der Sachverständige Prof. Dr. V. als Folgen dieses Unfalls eine massive Bewegungseinschränkung im Bereich der linken
Schulter und eine lateral betonte Pangonarthrose rechts mit Bewegungseinschränkung - MdE von 30 v.H. für die linke Schulter,
MdE 20 v.H. für das rechte Knie, insgesamt MdE 40 v.H. -. Unfallunabhängig bestünde eine rheumatoide Arthritis, Pangonarthrose
beidseits, Bewegungseinschränkung der rechten Schulter nach Plattenosteosynthese des rechten Humeruskopfes 2008, Osteoporose,
Hypothyreose und Adipositas. Die Arbeitsunfähigkeit bestehe fort. Die Antragstellerin habe bei der Untersuchung über Schmerzen
im ganzen Körper und an fast allen Gelenken im Rahmen ihrer rheumatoiden Arthritis geklagt. Aufgrund der Bewegungseinschränkungen
an der linken und der rechten Schulter seien ihr Arbeiten über Brustniveau nicht möglich.
Mit Schreiben vom 11.02.2015 hörte die Antragsgegnerin die Antragstellerin zu ihrer Absicht, die Zahlung von Verletztengeld
einzustellen, an (Blatt 348 der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin). Die Antragstellerin äußerte sich mit Schreiben vom 17.02.2015
und 25.02.2015 (Blatt 353 und 358f der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin). Mit Bescheid vom 25.02.2015 stellte die Antragsgegnerin
die Zahlung des Verletztengeldes mit Ablauf des 11.03.2015 ein.
Der Berufshelfer der Antragsgegnerin besuchte die Antragstellerin am 04.03.2015 im S. J. Krankenhaus in F. und erläuterte
ihr die Einzelheiten des Verfahrens. Der im Anschluss an das Gespräch aufgesuchte behandelnde Arzt Dr. B. vom S. J. Krankenhaus
erklärte dem Berufshelfer, er stütze die Prognose der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit als Taxifahrerin, aufgrund der Gesamtsituation
sei die Antragstellerin überhaupt nicht arbeitsfähig für irgendeine Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Ein entsprechender Zwischenbericht
werde der Antragsgegnerin noch zugeleitet (Bericht des Berufshelfers vom 04.03.2015 - Blatt 360ff der Verwaltungsakte der
Antragsgegnerin)
Am 05.03.2015 legte die Antragstellerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.02.2015 ein (Schreiben vom 04.03.2015, Blatt
285 der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin), über den bislang noch nicht entschieden worden ist.
Am 09.03.2015 beantragte die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Freiburg (SG). In Erwiderung auf den vorläufigen Rechtsschutzantrag führte die Antragsgegnerin u.a. aus, gegen den Bescheid sei bisher
kein Rechtsbehelf eingelegt worden. Ein Fall des §
86b Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) liege nicht vor. Unter Bezugnahme auf den Beschluss des LSG Essen vom 08.12.2013 - L 17 U 556/14 B ER - komme zur Regelung des vorläufigen Zustandes nur eine einstweilige Anordnung in Betracht. Die Voraussetzungen eines
Anordnungsanspruchs wie auch eines Anordnungsgrundes lägen jedoch nicht vor.
Mit Beschluss vom 17.03.2015 lehnte das SG den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab.
Gegen den der Antragstellerin mit Zustellungsurkunde am 20.03.2015 zugestellten Beschluss hat sie am 13.04.2015 vor dem SG zur Niederschrift Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, sie habe einen Antrag auf Verletztenrente bei der Antragsgegnerin
gestellt und auch auf volle Erwerbsunfähigkeitsrente bei der Deutschen Rentenversicherung Bund. Über beide Anträge sei noch
nicht entschieden. Seit der Einstellung der Zahlung des Verletztengeldes verfüge sie über keine Einkünfte, weshalb sie dringend
auf die Weiterzahlung angewiesen sei. Die Krankenkasse habe mitgeteilt, kein Krankengeld zu bewilligen. Das Verletztengeld
solle ihr als "Übergangsgeld" gewährt werden, bis von der Rentenversicherung über ihren Rentenantrag entschieden worden sei,
eventuell könne die bewilligte Erwerbsunfähigkeitsrente mit den geleisteten Zahlungen des Verletztengeldes verrechnet werden.
Die Antragsgegnerin hat die Verwaltungsakten vorgelegt, keinen Antrag gestellt und zur Sache nicht weiter vorgetragen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet.
Der angefochtene Beschluss des SG war aufzuheben und dem Antrag der Antragstellerin/Beschwerdeführerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes war stattzugeben.
Nach §
86a Abs.
1 Satz 1
SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt jedoch für Anfechtungsklagen
in Angelegenheiten der Sozialversicherung bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen (§
86a Abs.
2 Nr.
3 SGG).
Nach §
86b Abs.
1 Nr.
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende
Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Anwendung dieser Vorschrift kommt auch in Betracht,
wenn die Verwaltung die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs nach §
86 Abs.
1 Satz 1
SGG nicht beachtet (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl., §
86b Rn. 5; Wehrhahn in Breitkreuz/Fichte,
SGG, 2. Aufl., §
86b Rn.25). In diesen Fällen hat das Gericht auf Antrag durch deklaratorischen Beschluss auszusprechen, dass das betreffende
Rechtsmittel aufschiebende Wirkung hat (herrschende Meinung; vgl. Keller a.a.O. Rn. 15 m.w.N.). Gegebenenfalls ist der Antrag
auf vorläufigen Rechtsschutz entsprechend umzudeuten (vgl. Keller a.a.O.). Für das Antragsverfahren nach §
86b Abs.
1 SGG ist es nicht erforderlich, dass der Rechtsschutzsuchende sich zunächst um eine Entscheidung nach §
86 Abs.
3 SGG durch die Verwaltung bemüht hat (vgl. Keller a.a.O. Rn. 7a).
Nach diesen Grundsätzen war der vorläufige Rechtsschutzantrag der Antragstellerin als Antrag auf Feststellung der aufschiebenden
Wirkung ihres Widerspruchs vom 05.03.2015 auszulegen.
Die Krankenkasse zahlte im Rahmen der Verwaltungsvereinbarung mit den Unfallversicherungsträgern "Generalauftrag Verletztengeld"
im Auftrag der Antragsgegnerin das von ihr zu gewährende Verletztengeld an die Antragstellerin aus. Die Auszahlung des Verletztengeldes
unter Einschaltung der Krankenkasse ist ein Realakt der Antragsgegnerin. Ein Bewilligungsbescheid ist gegenüber der Antragstellerin
nicht ergangen. Dagegen ist das Ende des Verletztengeldanspruches durch Verwaltungsakt festzustellen (vgl. BSG, Urt. vom 13.09.2005 - B 2 U 4/04 R -, [...]). Einwendungen gegen den Verwaltungsakt sind durch Anfechtungswiderspruch und Anfechtungsklage geltend zu machen.
Maßgeblicher Anknüpfungspunkt der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der eine Prognose enthaltenden Entscheidung gemäß §
46 Abs.
3 Satz 2
SGB VII ist bei der Anfechtungsklage grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier
der Erlass des Widerspruchsbescheides (BSG Urteil vom 13.09.2005 a.a.O.).
Der mit form- und fristgerechtem Widerspruch vom 05.03.2015 (Blatt 285 der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin) angefochtene
Bescheid der Antragsgegnerin vom 25.02.2015 entzog der Antragstellerin eine laufende (Geld-)Leistung im Sinne von §
86a Abs.
2 Nr.
3 SGG, indem die Zahlung von Verletztengeld gegenüber der Antragstellerin, somit auch nach außen und nicht nur verwaltungsintern,
mit regelnder Wirkung eines Verwaltungsaktes eingestellt worden ist. Der Sofortvollzug der mit Bescheid vom 25.02.2015 verfügten
Einstellung der Auszahlung von Verletztengeld ist nicht angeordnet worden. Insoweit hat der Widerspruch der Antragstellerin
gegen den Bescheid vom 25.02.2015 aufschiebende Wirkung bis zur Rechtshängigkeit einer etwaigen Anfechtungsklage gegen den
Widerspruchsbescheid (vgl. Keller a.a.O. § 86a Rn. 11); erst der etwaigen Anfechtungsklage gegen einen möglichen zurückweisenden
Widerspruchsbescheid kommt keine aufschiebende Wirkung mehr zu.
Nach Aktenlage und unwidersprochenem Vorbringen der Antragstellerin ist die Zahlung von Verletztengeld durch die Antragsgegnerin
auch tatsächlich eingestellt und bislang kein Widerspruchsbescheid erlassen worden. Aus dem Vorbringen der Antragsgegnerin
im Verfahren vor dem SG ergibt sich, dass sie entweder unrichtig annimmt, ein Widerspruch sei nicht eingelegt worden, oder sich für berechtigt erachtet,
trotz des erhobenen Widerspruchs der Antragstellerin keine Zahlungen leisten zu müssen. Damit besteht das berechtigte Interesse
der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gerichtlich vorläufig feststellen zu lassen.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist die Antragstellerin nicht darauf zu verweisen, im Rahmen einer beantragten
einstweiligen Anordnung nach §
86b Abs.
2 SGG einen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen. Die Anwendung von §
86b Abs.
1 SGG setzt nicht voraus, dass die laufende Leistung durch Bescheid bewilligt wurde. Der von der Antragsgegnerin und dem SG zitierten Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 08.12.2013 (L 17 U 556/14 B ER - [...]) schließt sich der Senat nicht an. Die Differenzierung, ob die laufende Leistung aufgrund eines gesetzesvollziehenden
Verwaltungsaktes oder in direkter tatsächlicher Erfüllung eines gesetzlich gegebenen Anspruchs durch Realakt gewährt wurde,
ist vorliegend rechtlich nicht geboten.
Vorliegend hat der form- und fristgerechte Widerspruch der Antragstellerin vom 05.03.2015 gegen die Einstellung des Verletztengeldes
aufschiebende Wirkung i.S.d. §
86a Abs.
1 SGG. Die aufschiebende Wirkung lässt die inhaltliche Wirksamkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes nicht entfallen, sondern
setzt zeitweise den Vollzug der belastenden Maßnahme außer Kraft. Die Verwaltung darf keine Maßnahmen treffen, die den angefochtenen
Verwaltungsakt umsetzen und auch sonst keine Folgerungen rechtlicher oder tatsächlicher Art aus dem Verwaltungsakt ziehen
(vgl. Keller a.a.O. § 86a Rn. 5; Wehrhahn a.a.O. § 86a Rn. 14). Damit durfte die Antragsgegnerin wegen der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 05.03.2015 die Einstellung der Verletztengeldzahlungen nicht umsetzen. Da
die aufschiebende Wirkung von Gesetzes wegen mit Erhebung des Widerspruchs (rückwirkend) bezogen auf den Zeitpunkt des Erlasses
des belastenden Verwaltungsaktes eintritt (h.M., BSG SozR 3-1500 § 97 Nr. 3; BVerwG Buchholz 402.2.0 § 12 AuslG 1990 Nr. 10, Keller a.a.O. Rn. 9; Wehrhahn a.a.O. Rn.10), sind bei Einlegung des Widerspruchs, wie auch bei der deklaratorischen
Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs grundsätzlich auch bereits getroffene Vollzugsmaßnahmen rückgängig
zu machen. Nach der Systematik des §
86b Abs.
1 SGG ist mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach §
86b Abs.
1 Nr.
2 SGG der Ausspruch einer Verpflichtung der Behörde zur Weitergewährung von Leistungen nicht verbunden, da der Gesetzgeber die
berechtigte Erwartung hat, dass die an das Gesetz gebundene Verwaltung der vom Gericht angeordneten Vollzugshemmung des belastenden
Verwaltungsakts Rechnung trägt. Im Rahmen des gerichtlichen Ermessens kann aber der besondere Folgenbeseitigungsanspruch nach
§
86b Abs.
1 Satz 2
SGG berücksichtigt werden und das Gericht kann die Aufhebung der bereits vorgenommenen Vollzugsmaßnahmen anordnen. Eine Differenzierung
zwischen Leistungen aufgrund eines Realakts oder aufgrund eines Bewilligungsbescheides, mit der Konsequenz, dass im Falle
der Leistung aufgrund Realakt nur mit einer gerichtlichen einstweiligen Anordnung das der aufschiebenden Wirkung gleich kommende
Rechtsschutzziel verwirklicht werden kann, ist weder nach Wortlaut noch nach dem Gesetzeszweck rechtlich geboten. Mit Feststellung
der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Entscheidung zur Einstellung der Verletztengeldzahlung besteht die Verpflichtung
der Antragsgegnerin, die zur Umsetzung ihrer Entscheidung getroffenen Maßnahmen rückgängig zu machen, d.h. die Anweisung an
die Krankenkasse, die Verletztengeldzahlung einzustellen, ist vorläufig zu widerrufen. Im Rahmen seines Ermessens hat der
Senat davon abgesehen, die Antragsgegnerin hierzu ausdrücklich nach §
86b Abs.
1 Satz 2
SGG zu verpflichten. Es bestehen keine Hinweise dafür, dass die Antragsgegnerin die rechtlichen Konsequenzen der Vollzugshemmung
aus der Feststellung der aufschiebenden Wirkung missachtet.
Soweit die Antragsgegnerin unter Hinweis auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 08.12.2013
(L 17 U 556/14 B ER - [...]) annimmt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Einstellungsentscheidung führe dazu, dass noch
immer keine Leistungspflicht gegenüber der Antragstellerin bestehe, weil sie schon gar keinen leistungsbewilligenden Verwaltungsakt
erlassen, sondern Verletztengeld aufgrund eines in direkter tatsächlicher Erfüllung eines gesetzlich gegebenen Anspruchs durch
Realakt geleistet habe, und daher die aufschiebende Wirkung quasi ins Leere gehe, folgt ihr der Senat nicht. Denn das BSG hat entschieden, dass das Ende des Verletztengeldanspruchs in allen Fällen des §
46 Abs.
3 Satz 2
SGB VII durch Verwaltungsakt festzustellen sei (BSG - B 2 U 4/04 R - [...] RdNr 42). Damit besteht - auch bei einer Leistungserbringung durch direkte tatsächliche Erfüllung des gesetzlich
gegebenen Verletztengeldanspruchs - der gesetzliche Anspruch weiter, bis er nach §
46 Abs.
3 Satz 2
SGB VII durch eine Behördenentscheidung in Form eines Verwaltungsaktes gemäß § 31 Satz 1 SGB X beendet wurde. Bis zu einer solchen Entscheidung besteht daher bereits die gesetzliche Pflicht zur Zahlung von Verletztengeld
fort. Hat daher der Widerspruch der Antragstellerin gegen die Einstellungsentscheidung aufschiebende Wirkung, so hat die Antragsgegnerin
ihre gesetzlichen Verpflichtungen weiterhin, auch ohne dass es einer Verpflichtung im Rahmen einer einstweiligen Anordnung
bedürfte, zu erfüllen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).