Verwertbarkeit im Verwaltungsverfahren erlangter Sozialdaten im sozialgerichtlichen Verfahren; Beweisverwertungsverbot; Präklusion
der Verfahrensrüge
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin wegen des Arbeitsunfalls vom 25.06.2004 Verletztenrente über den 27.07.2005
hinaus zusteht.
Mit Bescheid der Unfallkasse B.-W. vom 18.07.2007 ist bei der Klägerin der Unfall vom 12.12.2000 als Arbeitsunfall anerkannt.
Als Unfallfolgen sind ein Zustand nach Außenbandriss und operative Rekonstruktion am rechten oberen Sprunggelenk mit anschließender
Bandinstabilität, endgradige Bewegungseinschränkung im rechten oberen Sprunggelenk, geringe Umfangvermehrung und reizlose
Narbe am rechten oberen Sprunggelenk bei einliegender Schraube im Sprungbein festgestellt, die keine messbare Minderung der
Erwerbsfähigkeit (MdE) begründen.
Die 1983 geborene Klägerin war 2004 als Rettungssanitäterin beim D. R. K. tätig. Am 25.06.2004 wurde die Klägerin in der Halle
der Rettungswache von einem Kollegen mit dem Krankenwagen angefahren und zwischen Auto und einen Putztisch eingeklemmt (Unfallanzeige
des Arbeitgebers vom 12.07.2004). Prof. Dr. H. diagnostizierte am Unfalltag eine Quetschverletzung des Beckens links, bei
freier Wirbelsäulenbeweglichkeit und im Übrigen einen neurologisch orientiert unauffälligen Befund (Durchgangsarztbericht
von Prof. Dr. H. vom 25.06.2004). Unter der Diagnose einer Prellung im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) und des Beckens
war die Klägerin im Katharinenhospital S. stationär vom 25.06. bis 28.06.2004 in Behandlung (Entlassungsbericht von Prof.
Dr. H. von 01.07.2004). Anschließend wurde die Klägerin vom 29.06. bis 03.07.2004 im Städtischen Klinikum P. stationär behandelt.
Eine Magnetresonanztomographie der LWS habe keinen Hinweis für ein posttraumatisches Geschehen, aber eine auffällige Bandscheibe
im Wirbelkörpersegment L5/S1 mit paramedianem rechtsseitigen Prolaps mit deutlicher Einengung der Neuroforamina ergeben. Neurologisch
sei ein Befund der Beckenprellung links mit Affektion des Nervus cutaneus femoralis lateralis links erhoben worden. Nach konsequenter
Schmerztherapie und krankengymnastischer Übung seien im weiteren Verlauf die Beschwerden zurückgegangen und die Klägerin im
beschwerdefreien Zustand in die ambulante Therapie entlassen worden (Entlassungsbericht des Städtischen Klinikums P. vom 19.07.2004,
Bericht des Städtisches Klinikums P. - Neurologische Klinik - vom 16.07.2004). Am 30.08.2004 wurde die Klägerin aus der ambulanten
Behandlung entlassen und Arbeitsfähigkeit ab 31.08.2004 bescheinigt (Mitteilung des D-/H-Arztes Prof. Dr. A., Städtisches
Klinikum P., vom 30.08.2004).
Unter der Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode und Verdacht auf zu Grunde liegender Persönlichkeitsstörung und
posttraumatischer Belastungsstörung, eines chronischen Schmerzsyndroms nach Quetschtrauma im LWS-Bereich im Juni 2004 und
anteilige Somatisierungsstörung wurde die Klägerin vom 17.11.2004 bis 24.11.2004 in der Klinik Ö. behandelt (Entlassungsbericht
der Klinik Ö. vom 29.11.2004). Wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom Dezember 2000 befand sie sich vom 21.02. bis 03.03.2005
in stationärer Behandlung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik (BG-Klinik) T., wo nebenbefundlich Restbeschwerden
nach Becken-/LWS-Prellung und Analgetica-Abusus diagnostiziert wurden (Entlassungsbericht der BG-Klinik vom 11.03.2005).
Ab 01.11.2004 war die Klägerin nicht mehr beim D. R. K. beschäftigt und war seither als arbeitslos gemeldet. Die Bundesagentur
für Arbeit - Agentur P. - bat die Beklagte unter Vorlage der Entbindungserklärung der Klägerin vom 26.08.2005, ihr die von
der Beklagten veranlassten Gutachten zu überlassen (Schreiben der Bundesagentur für Arbeit vom 29.08.2005). Auf Schreiben
des damaligen Klägerbevollmächtigten von 13.07.2005 teilte die Beklagte über den Klägerbevollmächtigten der Klägerin mit (Schreiben
der Beklagten vom 20.07.2005), zu welchen Fragen die BG-Klinik T. das Gutachten, zu dessen Untersuchung Prof. Dr. W./Dr. S.
die Klägerin geladen hatten, zu erstatten habe.
Gestützt auf das radiologische Zusatzgutachten von Prof. Dr. C. vom 07.06.2006 beurteilte Prof. Dr. W. in seinem Gutachten
vom 08.06.2006 mit Ergänzung vom 29.06.2006 einen vertikalen Anulus-Einriss des Wirbelkörpersegments L5/S1 als Unfallfolge.
Die akut nach dem Unfall angegebenen Beschwerden seien durch eine Affektion des Nervus ischiadicus aufgrund der Beckenquetschung
zu erklären. Ob die jetzt noch beschriebenen Beschwerden durch Beteiligung des Nervus ischiadicus erklärbar seien, sei äußerst
fraglich. Eine Bandscheibenprotrusion bei L 5/S1 sei nach der Bildgebung angesichts der völlig fehlenden Reaktion im 2-Jahresverlauf
als unfallvorbestehend einzustufen. Durch den Unfall am 25.06.2004 sei es zu einer vorübergehenden Verschlimmerung der degenerativen
Bandscheibenveränderung gekommen. Unfallbedingt habe Arbeitsunfähigkeit bis 30.08.2004 vorgelegen. Die unfallbedingte MdE
habe 20 v.H. bis zum Zeitpunkt der Fertigung der Magnetresonanztomographie am 27.07.2005 betragen, danach bis zum 29.03.2006
(bei Untersuchung der Klägerin am 30.03.2006) 10 v.H. Danach könne davon ausgegangen werden, dass die beschriebenen Beschwerden
durch den Spontanverlauf der degenerativen Erkrankungen zu erklären seien und keine unfallbedingte MdE mehr bestehe. Im neurologisch-psychiatrischen
Gutachten von Prof. Dr. S. vom 17.08.2006 wurde ein lokales Schmerzsyndrom im linken Hüftstreckermuskel nach traumatischer
Weichteilschädigung mit schmerzhaft verminderter Kraftentfaltung als Unfallfolge beschrieben. Unfallunabhängig sei ein Wurzelreizsyndrom
bei L5 rechts. Klinische Folgen dieses Bandscheibenvorfalls bestünden nicht. Im übrigen sei der klinisch-neurologische Befund
regelrecht. Die Schmerzen im linken Bein seien nicht durch eine Schädigung des Nervus ischiadicus, wofür es weder klinisch
noch elektrophysiologisch Hinweise gebe, zu erklären. Auffällig sei eine unfallunabhängige Antriebsminderung und depressive
Verstimmung. In Auswertung des Gutachtens von Prof. Dr. S. blieb Prof. Dr. W. bei seiner gutachtlichen Bewertung (Schreiben
vom 12.09.2006).
Mit Bescheid vom 22.01.2007 gewährte die Beklagte der Klägerin wegen der Folgen des Unfalls vom 25.06.2004 Verletztenrente
nach einer MdE um 20 v.H. für die Zeit vom 31.08.2004 bis 27.07.2005. Rente für den darüber hinausgehenden Zeitraum wurde
abgelehnt.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch (Schreiben vom 20.02.2007), denn ihr sei entgegen der Vorschrift des §
200 Abs.
2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) das Recht auf Auswahl unter mehreren Gutachtern nicht eingeräumt worden und der nach § 76 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erforderliche Hinweis, für was das Gutachten diene, nicht erteilt worden. Außerdem sei sie vor dem Unfall gesund gewesen.
Mit Schreiben vom 01.03.2007 verwies die Beklagte auf ihr Schreiben vom 20.07.2005 an den früheren Bevollmächtigten der Klägerin,
in dem Inhalt der Untersuchung und der Klärungsbedarf erläutert worden sei. Der Klägerin wurden gleichwohl 3 Ärzte für eine
nochmalige Begutachtung zur Auswahl vorgeschlagen. Der von der Klägerin zuletzt als Gutachter benannte Prof. Dr. W. kam in
seinem Gutachten vom 05.11.2007 zu dem Ergebnis, der Unfall vom 25.06.2004 sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich
für die heute noch nachweisbaren Sensibilitätsminderung im Bereich des Unterschenkels links. Die Schmerzsymptomatik lasse
sich jedoch nicht auf den Unfall zurückführen. Objektivierbare Gründe für die Schmerzsymptomatik fänden sich nur in dem veränderten
Bandscheibensegment L 5/S1. Bereits zum Unfallzeitpunkt sei ein degenerativ verändernder Bandscheibenraum nachgewiesen, für
den das Unfallereignis keine wesentliche Teilursache darstelle. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2007 wies die Beklagte
den Widerspruch der Klägerin zurück.
Die Klägerin erhob am 11.01.2008 Klage vor dem Sozialgericht Karlsruhe, das schriftlich den Internisten Dr. F. (Aussage vom
13.05.2008) und den Chirurgen Dr. S. (Aussage vom 03.06.2008) als sachverständige Zeugen hörte. Mit Urteil vom 18.05.2010
wies das Sozialgericht die Klage ab.
Am 16.06.2010 hat die Klägerin Berufung beim Landessozialgericht eingelegt und macht zur Begründung geltend, sie sei vor dem
Unfall beschwerdefrei gewesen. Dr. F. halte eine Verschlimmerung und Verschlechterung der Schmerzsituation durch das Unfallereignis
für nachvollziehbar. Die individuelle Konstitution einer verletzten Person stelle im Haftpflichtrecht keine den Schädiger
entlastende Reserveursache dar. Das durch den schädigenden Vorgang aktivierte Leiden, gegebenenfalls einer bestehenden Schadensanlage,
ändere an der haftungsrechtlichen Zurechnung des Schadens nichts. Der Kausalzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit
und dem schädigenden Ereignis und dem Leiden bzw. seiner Verschlimmerung müsse nur wahrscheinlich sein.
Die Klägerin beantragt - sachgerecht gefasst -,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18.05.2010 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 22.01.2007 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 12.12.2007 abzuändern sowie die Beklagte zu verurteilen, über den 27.07.2005 hinaus Verletztenrente
nach einer MdE um mindestens 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil.
Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen und die vor
dem Senat angefallene Berufungsakte wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat gemäß §
124 Abs.
2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung hat entscheiden können, ist statthaft. Berufungsausschlussgründe
gemäß §§
143,
144 SGG liegen nicht vor. Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist auch im Übrigen zulässig (§
151 SGG).
Die Berufung ist nicht begründet. Die Beklagte hat mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 22.01.2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 12.12.2007 rechtsfehlerfrei Verletztenrente über den 27.07.2005 hinaus abgelehnt. Die Klägerin hat
keinen Anspruch auf Verletztenrente auf unbestimmte Zeit über diesen Zeitpunkt hinaus. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden..
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus
um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle
gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall,
Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens
10 vom Hundert mindern (§
56 Abs.
1 SGB VII). Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger die Rente als vorläufige Entschädigung
festsetzen, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann (§
62 Abs.
1 Satz 1
SGB VII). Spätestens mit Ablauf von 3 Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte
Zeit geleistet (§
62 Abs.
2 SGB VII).
Die Bemessung der MdE nach §
56 Abs.
2 Satz 1
SGB VII ist eine Tatsachenfeststellung, die das Gericht gemäß §
128 Abs.
1 Satz 1
SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Dies gilt für die Feststellung der
Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger
Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung
der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG SozR 4-2700 § 56 Nr. 2; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S 36 mwN). Ärztliche Meinungsäußerungen
darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche
Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen
und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr 22, 23; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 5). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter
körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet
des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden
(BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8).
Neben diesen auf tatsächlichem Gebiet liegenden Umständen für die Bemessung der MdE sind aus der gesetzlichen Definition der
MdE sowie den Grundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung fließende rechtliche Vorgaben zu beachten (BSG, Urt. v. 05.09.2006
- B 2 U 25/05 R = SozR 4-2700 § 56 Nr. 2). Bestanden bei dem Versicherten vor dem Versicherungsfall bereits gesundheitliche, auch altersbedingte
Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit (sog Vorschäden), werden diese nach der ständigen Rechtsprechung des BSG und der einhelligen
Auffassung in der Literatur für die Bemessung der MdE berücksichtigt, wenn die Folgen des Versicherungsfalles durch die Vorschäden
beeinflusst werden. Denn Versicherte unterliegen mit ihrem individuellen Gesundheitszustand vor Eintritt des Versicherungsfalls
dem Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung (BSG, Urt. v. 05.09.2006, aaO. m.H.a.: BSGE 63, 207, 211, 212 = SozR 2200 § 581 Nr 28). Dies verlangt §
56 Abs.
2 Satz 1 iVm Abs.
1 Satz 1
SGB VII, wonach die "infolge" des Versicherungsfalls eingetretene Beeinträchtigung des Leistungsvermögens und die dadurch verminderten
Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens maßgeblich sind.
Nach diesen Grundsätzen liegen nach dem 27.07.2005 bei der Klägerin keine Unfallfolgen mehr vor, die eine MdE um 20 v.H. rechtfertigen.
Ein Stützrententatbestand, der ausnahmsweise eine Verletztenrente nach einer MdE um 10 v.H. begründet, liegt nicht vor. Aus
dem nicht streitgegenständlichen Arbeitsunfall vom Dezember 2000 resultieren keine eine MdE um mindestens 10 v.H. begründenden
Unfallfolgen.
Aus den auch für den Senat überzeugenden Gutachten von Prof. Dr. W. und Prof. Dr. C. ergibt sich, dass das fragliche Wirbelkörpersegment
L5/S1 bereits auf dem am 25.06.2004 gefertigten Computertomogramm (CT) und der am 29.06.2004 gefertigten Magnetresonanztomographie
(MRT) osteophytäre dorsale Anbaureaktionen der Bodenplatte des Wirbelkörpers L 5 zeigte bei einer deutlichen Verschmälerung
des Bandscheibenfaches L5/S1 im Gegensatz zu den darüber liegenden unauffälligen Wirbelkörpersegmenten. Diese reaktiven knöchernen
Anbauten des von Protrusion und Bandscheibenprolaps befallenen Wirbelkörpersegments hatten sich demzufolge bereits vor dem
Unfall entwickelt, weshalb entgegen der Auffassung der Klägerin von einem degenerativen Vorschaden auszugehen ist. Nach Prof.
Dr. W. zeigte das unfallnah erstellte MRT einen Bandscheibenprolaps bei Dehydration der Bandscheibe L 5/S1 mit reduziertem
Wassergehalt. Er fand ebenso keine Hinweise auf frische Verletzungen, weshalb er die beschriebenen Bandscheibenveränderungen
für den Senat überzeugend nicht dem Unfallgeschehen anlastete, sondern als vorbestehende degenerative Veränderung beurteilte.
Ebenso wie Prof. Dr. W. sind für Prof. Dr. W. die von der Klägerin geklagten Schmerzen im Bereich des linken Beckens und am
linken Bein nicht durch den rechts bestehenden Prolaps der Bandscheibe L 5/S1 zu erklären. Der als unfallbedingt zu wertende
Anulus-Einriss sowie die Beeinträchtigung des Nervus ischiadicus aufgrund der Beckenquetschung, die durch die im MRT vom 22.07.2004
beschriebenen subkutanen Ödeme bzw. diffusen Einblutungsareale in dem abgegrenzten Muskelbereich erklärt werden können, war
nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. W. aber zum Zeitpunkt seiner Untersuchung am 30.03.2006 soweit abgeklungen,
dass keine messbare MdE hierdurch verursacht wurde. Die elektrophysiologischen Untersuchung der Nervenleitgeschwindigkeit
des Nervus tibialis und Nervus peronäus am 15.07.2004 im Städtischen Klinikum P. ergab unauffällige Befunde ohne Hinweis für
eine Plexusschädigung. Die im weiteren Verlauf sich nach dem 31.08.2004 entwickelnde Schmerzsymptomatik ist nicht auf nachweisbare
objektivierbare Unfallfolgen zurückzuführen, sondern beruhen auf dem unfallunabhängigen Bandscheibenprolaps. Auch Prof. Dr.
W. sah lediglich noch Sensibilitätsminderungen im Bereich des Unterschenkels linksseitig, die keine relevante MdE verursachen,
als unfallbedingt an. Dem Umstand, dass die Klägerin durch die - nach ihren Angaben bis zum Unfallzeitpunkt stumme (nach Dr.
F. wurde sie aber 2003 wegen Rückenbeschwerden behandelt) - Vorschädigung beschwerdeanfälliger für Einwirkungen auf das Wirbelkörpersegment
L 5/S1 war, ist durch die Berücksichtigung des protrahierten Beschwerdeverlaufs mit Bemessung der unfallbedingten MdE bis
29.03.2006 hinreichend Rechnung getragen. Länger sind die Unfallfolgen auch nicht durch den Vorschaden beeinflusst worden.
Der Senat sah sich an der Verwertung der Gutachten von Prof. Dr. W., Prof. Dr. C. und Prof. Dr. W. nicht gehindert. Soweit
die Klägerin im Widerspruchsverfahren erstmals gerügt hatte, dass die Beklagte ihrer Verpflichtung nach §
200 Abs.
2 SGB VII, mehrere Gutachter zur Auswahl zu benennen und über den Zweck des Gutachtens zu informieren, nicht nachgekommen ist, war
ihr Rügerecht wegen des Zeitablaufs verwirkt. Das Auswahlrecht bezweckt ausschließlich, im jeweiligen Verwaltungsverfahren
einen inhaltlich richtigen und für den Versicherten akzeptablen verfahrensabschließenden Verwaltungsakt vorzubereiten. Der
mitwirkungsverpflichtete Versicherte ist der einzige, der eine Verletzung seines Auswahlrechts rechtzeitig durch Rüge abwenden
und damit dem Gesetzeszweck, Vermeidung eines aus diesen Gründen nicht akzeptablen Verwaltungsakts, zum Durchbruch verhelfen
kann. Die Verletzung des Auswahlrechts kann deshalb einerseits nur bis zum Abschluss des jeweiligen Verwaltungsverfahrens
vom Unfallversicherungsträger geheilt werden, weshalb der ungerügte Verstoß grundsätzlich in einem anderen Verfahrensabschnitt,
wie es das Widerspruchsverfahren in Abgrenzung zum Ausgangsverfahren darstellt, nicht mehr gerügt werden kann (BSG Urteil
vom 20.07.2010 - B 2 U 17/09 R -, veröffentlicht in juris). Die im Widerspruchsverfahren erhobene Rüge der Klägerin betreffend die im Ausgangsverfahren
eingeholten Gutachten von Prof. Dr. W. und Prof. Dr. C. ist daher verspätet. Dass die Klägerin gehindert war, ihre Rüge im
betreffenden Ausgangsverfahren zu erheben, ist nicht ersichtlich. Die zu diesem Zeitpunkt anwaltlich vertretene Klägerin hatte
mit Fax vom 13.07.2005 um Aufklärung gebeten, zu welchem Zweck die in Auftrag gegebenen Gutachten in der BG-Klinik T. und
der Neurologischen Klinik T. erteilt wurden. Auch wurde auf die Schwierigkeiten hingewiesen, von P. nach T. anzureisen und
2 Untersuchungstermine an verschiedenen Tagen wahrzunehmen. In diesem Zusammenhang wäre es ihr auch möglich gewesen, die Benennung
eines anderen Gutachters zu verlangen, was sie jedoch unter dem ausdrücklichen Hinweis, sie sei jederzeit bereit, die ihr
obliegende Mitwirkungspflicht zu erfüllen, nicht getan hat.
Selbst wenn mit dem Fax vom 13.07.2005 konkludent auch geltend gemacht worden sein sollte, ihr eine andere Gutachterstelle
zu benennen, wäre eine diesbezügliche - unterstellte - rechtzeitige Rüge gegenstandslos geworden. Der Zweck der Begutachtung
ist ihr durch die Beklagte mitgeteilt worden. Die Klägerin wurde mit Schreiben der Beklagten vom 20.07.2005 nicht nur über
den Zweck der Begutachtung informiert, ihr wurde auch die Höhe der Reisekostenerstattung mitgeteilt und die Notwendigkeit
mehrerer Untersuchungstermine bei komplexer und umfangreicher gutachterlicher Untersuchung erläutert sowie der geforderte
Reisekostenvorschuss ausbezahlt. Die rügelose Teilnahme an der Untersuchung wäre deshalb als Einverständnis mit den zu Gutachtern
bestellten Ärzten zu werten gewesen.
Darüber hinaus ist im Widerspruchsverfahren dem Verlangen der Klägerin, nochmals durch Prof. Dr. W. untersucht zu werden,
Rechnung getragen worden. Ein Verfahrensfehler durch Nichtbeachten des Auswahlrechts des Versicherten liegt in diesem Verfahrensabschnitt
nicht vor. Die Verwertung der Gutachten von Prof. Dr. W. und Prof. Dr. C. im Gutachten von Prof. Dr. W. ist ebenso wenig zu
beanstanden, weil mangels eines Verstoßes gegen das Auswahlrecht nach §
200 Abs.
2 SGB VII ein Verwertungsverbot (vgl. zum Streitstand eines Verwertungsverbot als Folge der Auswahlverletzung: Bereiter-Hahn/Mertens,
Gesetzliche Unfallversicherung, § 200 Rn. 4.10) und mangels des Verstoßes des Rechts auf Information bei der Erstellung der
Gutachten im Ausgangsverfahren nicht besteht.
Dagegen ist die Klägerin im gesamten Verlauf des Verwaltungsverfahrens von der Beklagten nicht auf ihr Widerspruchsrecht zur
Verwertung der Sozialdaten nach §
200 Abs.
2 Halbsatz 2
SGB VII i.V.m. § 76 Abs. 2 SGB X hingewiesen worden. Nach dieser Vorschrift ist bei Einleitung des Feststellungsverfahrens durch den Unfallversicherungsträger
der Versicherte allgemein auf sein Widerspruchsrecht zur Verwertung erlangter Sozialdaten nach § 76 Abs. 2 SGB X und nach der speziellen Regelung in §
200 Abs.
2 Halbs. 2
SGB VII nochmals gesondert vor Erteilung eines Gutachtensauftrages auf das Widerspruchsrecht hinzuweisen. Der unterlassene Hinweis
oder die Nichtbeachtung des Widerspruchs begründet ein grundsätzlich nicht heilbares Beweisverwertungsverbot hinsichtlich
der Beweismittel, die unter Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts des Versicherten erlangt wurden. Dies
gilt selbst für die Beweismittel, insbesondere Gutachten, die verfahrensfehlerfrei erhoben wurden, sich aber auf die unter
Verstoß gegen § 76 Abs. 2 SGB X erlangten Beweismittel stützen (BSG, Urteil vom 05.02.2008 - B 2 U 8/07 R - = BSG 100, 25 zur Fernwirkung des Verwertungsverbots). Damit unterläge auch das Gutachten von Prof. Dr. W., der die Vorgutachten
mit verwertet hatte, einem Verwertungsverbot, selbst wenn er im Übrigen verfahrensfehlerfrei zum Gutachter bestimmt worden
wäre.
Die Klägerin hat ein Beweisverwertungsverbot im bisherigen Verfahren nicht geltend gemacht. In der mündlichen Verhandlung
vor dem Sozialgericht hat sich die Klägerin sachlich auf die im Verwaltungsverfahren erhobenen Gutachten eingelassen, ohne
die Unverwertbarkeit der Beweismittel zu rügen. Die Klägerin ist damit gem. §
202 SGG i.V.m. §
295 Abs.
1 ZPO mit einer entsprechenden Verfahrensrüge gegenüber dem angefochtenen Urteil des Sozialgerichts präkludiert. Nach §
295 Abs.
1 ZPO kann die Verletzung einer das Verfahren betreffenden Vorschrift nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei auf die Befolgung
der Vorschrift verzichtet oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die aufgrund der betreffenden Verfahrenshandlung
stattgefunden hat oder in der darauf Bezug genommen ist, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der
Mangel bekannt war oder bekannt sein musste. Die Verfahrenshandlung der Heranziehung von Beweismitteln, hier die Beiziehung
der Verwaltungsakten der Beklagten mit den darin enthaltenen Gutachten, die zum Verfahrensgegenstand gemacht wurden, wurde
weder bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht noch vor dem Berufungsgericht gerügt, obgleich die Klägerin die
Vorschrift des § 76 Abs. 2 SGB X kannte oder jedenfalls aufgrund ihres Gesetzeszitats in ihrer Widerspruchsbegründung vom 20.02.2007 hätte kennen müssen.
Damit ist auch im vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten Sozialgerichtsverfahren die Berücksichtigung eines Verfahrensfehlers
rechtlich nicht geboten.
Vorliegend ergeben die Besonderheiten des Einzelfalls zudem, dass ein Hinweis auf das Widerspruchsrecht durch die Beklagte
jedenfalls vor den Gutachtenserstattungen entbehrlich war, weil die Klägerin zur sicheren Überzeugung des Senats auch nach
erteiltem Hinweis der Verwertung der Sozialdaten in den genannten Gutachten nicht widersprochen hätte. Da sich bereits aus
der Widerspruchsbegründung vom 20.02.2007 ergibt, dass der Klägerin die Vorschrift des § 76 SGB X bekannt war, liegt jedenfalls auch eine entsprechende Kenntnis der damals anwaltlich vertretenen Klägerin zum Zeitpunkt der
Gutachtenserstattung durch Prof. Dr. W. und Prof. Dr. C. nahe. Selbst wenn zu diesem Zeitpunkt jedoch noch Ungewissheit über
die Rechte aus dem informationellen Selbstbestimmungsrecht bestanden hätte, ist dem Verhalten der Klägerin zu entnehmen, dass
sie von dem Widerspruchsrecht keinen Gebrauch machen wollte. Die Bundesagentur für Arbeit hatte der Beklagten die Erklärung
der Klägerin über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht vorgelegt (Erklärung vom 26.08.2005), womit die von der
Beklagten veranlassten Gutachten vom Juni 2006 mit Einverständnis der Klägerin auch der Arbeitsverwaltung zur Verfügung gestellt
werden konnten. Unabhängig davon, ob seitens der Arbeitsverwaltung die Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 76 Abs. 2 SGB X erfolgt ist, was einen Verfahrensverstoß der Beklagten nicht heilt, ist daraus ersichtlich, dass die Klägerin der Weitergabe
von Sozialdaten aus den Untersuchungen der zu diesem Zeitpunkt bereits bekannten Gutachter nicht widerspricht. Die Begutachtung
durch die BG-Klinik T., in der zugleich die bisherige Behandlung durchgeführt worden war, erfolgte - jedenfalls zuletzt -
mit Einverständnis der Klägerin und stützte sich auch augenscheinlich auf die dort angefallenen Behandlungsdaten. Es bestand
daher eine generelle Bereitschaft der Klägerin, maßgebliche Arztunterlagen den jeweiligen Versicherungsträgern zur Verwertung
zu überlassen. Inwieweit eine Differenzierung zwischen Arbeitsverwaltung und gesetzlicher Unfallversicherung für die Ausübung
eines Widerspruchsrechts von der Klägerin hätte vorgenommen werden sollen, erschließt sich dem Senat nicht. Soweit auch andere
Befundunterlagen verwertet wurden, hätte die Klägerin auch dieser Verwertung zur Überzeugung des Senats nicht widersprochen,
wie der Umstand zeigt, dass sie bei der Untersuchung durch Prof. Dr. W. - spätestens jetzt in Kenntnis ihres Widerspruchsrechts
- ausdrücklich auf die bisherigen fremdradiologischen Untersuchungsbefunde verwiesen hatte, um aus strahlenhygienischen Gründen
auf eine weitere radiologische Untersuchung verzichten zu können. Einer Verwertung anderer Arztbefunde, insbesondere der Ergebnisse
der neurologisch-technischen Untersuchungen, hatte die Klägerin ebenfalls nicht widersprochen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.