Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren; Kein Anordnungsanspruch bei unterlassener Mitwirkung
1. Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das
Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren
stützt - voraus.
2. Die Angaben hierzu hat der Antragsteller glaubhaft zu machen.
3. Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung.
4. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach-
und Rechtslage das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist.
5. Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Gründe
I.
Streitig ist unter anderem die vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld
II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), die Übernahme von Kosten für Mehrbedarf sowie Schmerzensgeld vom Antragsgegner (Ag). Die Antragstellerin (Ast) ist im Januar
2015 in den Zuständigkeitsbereich des Ag gezogen und beantragte Alg II. Bis 28.02.2015 hatte sie noch darlehensweise Alg II
von dem bis dahin zuständigen Jobcenter Berchtesgadener Land erhalten (Bescheid vom 22.01.2015). Die Aufforderung des Ag,
einen persönlichen Gesprächstermin zu vereinbaren (Schreiben vom 03.03.2015) und u.a. Girokontoauszüge der letzten drei Monate
vorzulegen (Schreiben vom 11.03.2015) blieb ohne Erfolg. Mit Bescheid vom 23.03.2015 versagte der Ag daher Leistungen mangels
Mitwirkung ab 01.02.2015. Dagegen legte die Ast Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 01.04.2015 zurückgewiesen
wurde. Am 25.03.2015 nahm sie eine bis 30.06.2015 befristete Tätigkeit bei der Firma K. GmbH & Co. KG bei 866,00 EUR Bruttomonatsgehalt,
auszuzahlen am dritten Werktag des Folgemonats, auf. Am 04. und 05.03.2015 beantragte die Ast beim Ag die Erstattung der Kosten
für Arzneimittel und die Übernahme der Kosten für Kleidung, Friseur und Urlaub. Mit Bescheid vom 31.03.2015 bewilligte der
Ag vorläufig Alg II für die Zeit vom 01.03.2015 bis 31.08.2015, wobei er ab Mai 2015 den Zufluss von Einkommen aus dem Arbeitsverhältnis
bei der Firma K. GmbH & Co. KG berücksichtigte. Am 13.04.2015 teilte die Ast dem Ag mit, ihr Arbeitsverhältnis bei der Firma
K. GmbH & Co. KG sei vom Arbeitgeber zum 16.04.2015 gekündigt worden, ihre Wohnung sei wegen verspäteter Mietzahlungen gekündigt
worden und sie habe am 08.04.2015 ein Gewerbe angemeldet. Der Ag hat daraufhin in einer Aktennotiz festgehalten, dass nach
Vorlage der Gehaltsabrechnung für April 2015 - Auszahlung wohl im Mai 2015 - die Bewilligung für Mai 2015 endgültig vorgenommen
werden könne und ab Juni 2015 kein Einkommen mehr angerechnet werden werde. Bereits am 14.03.2015 hat die Ast einstweiligen
Rechtsschutz beim Sozialgericht Würzburg (SG) dahingehend begehrt, ihr die volle Miete, angefallene Rezeptgebühren, ärztliche Behandlungskosten, Friseurkosten, Kleider
und Urlaub zu finanzieren und den Leiter des Ag zur Zahlung von Schmerzensgeld zu verpflichten. Sie habe seit 14 Jahren weder
Urlaub gehabt, noch sich Kleider kaufen können. Sie sei alleinerziehende Mutter, das Sorgerecht sei ihr aber entzogen. Sie
leide unter Gürtelrose. Der Ag hat mitgeteilt, die Ast habe erforderliche Mitwirkungshandlungen unterlassen. Mit Beschluss
vom 31.03.2015 hat das SG den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Für den Anspruch auf Schmerzensgeld sei der beschrittene Rechtsweg unzulässig.
Eine Teilverweisung des Rechtsstreits komme aber nicht in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung hinsichtlich
laufender Leistungen scheitere daran, dass die Ast die erforderlichen Mitwirkungshandlungen nicht vorgenommen habe und der
daher erlassene Versagungsbescheid vom 23.03.2015 als rechtmäßig erscheine. Es bestehe die Pflicht zur Vorlage der vom Ag
geforderten Unterlagen. Damit aber fehle es an einem Anordnungsgrund. Krankenversichert sei die Ast zumindest über die Auffangvorschrift
des §
5 Abs.
1 Nr.
13 a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V). Hinsichtlich der weiter begehrten Leistungen fehle es noch an einem Anordnungsgrund, da hierfür das Vorliegen von Hilfebedürftigkeit
Voraussetzung sei, die Ast aber die zu dieser Prüfung erforderlichen Mitwirkungshandlungen unterlassen habe. Es liege auch
kein Anordnungsanspruch hinsichtlich der Rezeptgebühren, Behandlungskosten, Friseurkosten, Kleidungskosten und hinsichtlich
des begehrten Urlaubs vor. Dagegen hat die Ast Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht erhoben. Es sei eine massive existenzielle
Bedrohung (Verlust des Arbeitsplatzes, Verlust der Wohnung) eingetreten. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Akten
des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Unabhängig davon, ob es sich bei der zur Niederschrift abgegebenen
"Beschwerde" der Ast um eine Beschwerde oder um einen erneuten, an das SG gerichteten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz aufgrund veränderter Umstände (Erlass des vorläufigen Bewilligungsbescheides,
Aufgabe der Beschäftigung, Kündigung der Wohnung) handelt - so eventuell die vom SG übersandte Gesprächsnotiz vom 13.04.2015 mit der Klägerin; eine richterliche Verfügung des SG hierzu fehlt - bleibt die Beschwerde in der Sache jedoch ohne Erfolg. Maßgebliche Rechtsgrundlage für den Erlass einer einstweiligen
Anordnung stellt vorliegend §
86b Abs.
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) dar. Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann
der Fall, wenn den Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen,
zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79,
69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel/ Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. Rn. 652). Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes
- das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche
Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Antragsteller glaubhaft zu machen
(§
86b Abs.
2 Satz 2 und
4 SGG i.V.m. §
920 Abs.
2, §
294 Zivilprozessordnung -
ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer,
SGG 11. Aufl., §
86 b Rn. 41). Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes
sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen
Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich
unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde
Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen.
In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu entscheiden
(vgl. BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 - 1 BvR 2971/06 -). In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend
geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das
Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend
geprüft werden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO; weniger eindeutig: BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014 - 1 BvR 1453/12). Hinsichtlich des geltend gemachten Anspruches auf Schmerzensgeld kann offen gelassen werden, ob eine Teilverweisung an
das zuständige Zivilgericht nicht möglich ist. Hier wäre gegebenenfalls an eine Trennung der erhobenen Ansprüche gemäß §
113 SGG bzw. §
202 SGG i.V.m. §
145 Zivilprozessordnung (
ZPO) und danach an eine Verweisung des abgetrennten Schmerzensgeldanspruches an das Zivilgericht zu denken. Für eine bei den
hierfür unzuständigen Sozialgerichten erhobene Klage fehlt es jedenfalls mangels zulässigem Rechtsweg sowohl an einem Anordnungsanspruch
als auch mangels von der Ast dargelegter und auch sonst nicht erkennbarer Eilbedürftigkeit an einem Anordnungsgrund. Die geltend
gemachten Mehrbedarfe (Rezeptgebühren, ärztliche Behandlungskosten, Kleidung, Friseur und Urlaub) sind der Ast nicht im Wege
der einstweiligen Anordnung zuzusprechen. Hierzu hat das SG zutreffend ausgeführt, dass kein Anordnungsanspruch bestehe. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen des SG gemäß §
142 Abs.
2 Satz 3
SGG Bezug genommen. Für den Senat sind aber auch keine Anhaltspunkte erkennbar, die für eine Eilbedürftigkeit sprechen, so dass
auch ein Anordnungsgrund nicht vorliegt. Hinsichtlich der begehrten laufenden Leistungen hat der Ag zwischenzeitlich vorläufige
Leistungen in für angemessen gehaltener Höhe der Unterkunftskosten sowie in Höhe des Regelbedarfs bewilligt (Bescheid vom
31.03.2015) und sich bereit erklärt, das zunächst tatsächlich im April 2015 erarbeitete Einkommen nach Vorlage der Gehaltsabrechnung
(Auszahlung wohl im Mai) sowie ab Juni kein Einkommen aus einer Tätigkeit bei der Firma K. GmbH & Co. KG mehr anzurechnen.
Damit aber ist - unabhängig vom Vorliegen eines Anordnungsanspruches auf höheres Alg II und unabhängig von der Frage, ob dieser
Bescheid bestandskräftig geworden ist - die Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung nicht mehr zu erkennen. Eine Eilbedürftigkeit
besteht nicht mehr, denn die Ast erhält bereits Leistungen, wobei es bei Kündigung ihrer Wohnung zum 30.04.2015 durch den
Vermieter zudem als fraglich erscheint, ob und in welcher Höhe weiterhin Unterkunftskosten anfallen.
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).