Vollständige Minderung des Anspruches auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II
Wiederholte Pflichtverletzungen
Gründe
I. Streitig ist die vollständige Minderung des Anspruches auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld
II -Alg II-) gemäß dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.03.2018 bis 31.05.2018.
Der Antragsteller (ASt) bezieht Alg II (zuletzt Bescheid vom 26.10.2017 für die Zeit vom 01.12.2017 bis 31.05.2018), jedoch
erfolgten wegen wiederholter Pflichtverletzungen bereits vollständige Minderungen (zuletzt Bescheid vom 24.11.2017 und 08.01.2018).
Auf den Vermittlungsvorschlag vom 29.01.2018 hin bewarb sich der ASt anonym beim angegebenen Arbeitgeber, habe aber nicht
dessen Bitte vom 02.02.2018 um eine aussagekräftige Bewerbung (so Auskunft des potenziellen Arbeitgebers) entsprochen.
Mit Bescheid vom 20.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2018 lehnte der Antragsgegner (Ag) den Anspruch
auf Alg II vollständig für die Zeit vom 01.03.2018 bis 31.05.2018 ab und hob die Bewilligung entsprechend auf. Der ASt habe
sich zunächst nur anonym beworben und sei der Bitte des potenziellen Arbeitgebers um eine aussagekräftige Bewerbung nicht
nachgekommen. Damit habe er die Anbahnung eines Beschäftigungsverhältnisses verhindert, ohne hierfür einen wichtigen Grund
zu haben. Dagegen hat der ASt nach Auskunft des Ag Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben (S 10 AS 182/18), über die noch nicht entschieden worden sei.
Bereits am 07.03.2018 hat der ASt einstweiligen Rechtsschutz beim SG dahingehend begehrt, Alg II ungekürzt ab 01.03.2018 zu erhalten. Der potenzielle Arbeitgeber habe ihm mit E-Mail vom 19.02.2018
den Bewerbungseingang bestätigt und gebeten, die weitere Prüfung abzuwarten. Das SG hat den Antrag des ASt als Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ausgelegt und abgelehnt (Punkt I. und II. des Beschlusses
vom 03.04.2018). Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit des Minderungsbescheides sei nicht gegeben. Trotz schriftlicher Rechtsfolgenbelehrung
habe der ASt die Anbahnung eines möglichen Arbeitsverhältnisses verhindert. Der vom ASt vorgelegte E-Mail-Verkehr sei nicht
von außen prüfbar.
Der ASt hat dagegen Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) erhoben. Er habe sich bereits Anfang Januar 2018
bei dem potenziellen Arbeitgeber beworben und sich daher auf den einen Monat später erfolgten Vermittlungsvorschlag hin nur
noch in Kurzform gemeldet, wobei er alle Unterlagen per Post direkt an die Arbeitsstelle in Gemünden gesandt habe. Zur Ergänzung
des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§
172 Abs.
1,
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-), aber nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des ASt gegen den Bescheid vom 20.02.2018 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2018 im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
Streitgegenstand ist vorliegend allein die Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.03.2018 bis 31.05.2018 infolge
der Feststellung einer wiederholten Pflichtverletzung. Im Falle einer erfolgreichen Anfechtungsklage im Rahmen der Hauptsache
würde der Minderungsbescheid samt Aufhebungsbescheid aufgehoben werden und der ASt könnte wieder die bereits bewilligten und
nicht anderweitig aufgehobenen Leistungen beanspruchen.
Die Klage gegen den Bescheid vom 20.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2018 hat nicht bereits selbst
aufschiebende Wirkung nach §
86a Abs.
1 Satz 1
SGG. Diese tritt vorliegend nicht ein, da sich Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt richten, der Leistungen
der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt bzw. die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruches feststellt
(§
86a Abs.
2 Nr.
4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II). In den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, kann das Gericht der Hauptsache
auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (§
86b Abs.
1 Nr.
2 SGG). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage ist nur möglich, wenn das besondere Interesse des ASt an der Anordnung
der aufschiebenden Wirkung das vom Gesetz vorausgesetzte Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes
überwiegt, wobei bei der Prüfung der Interessen zuerst auf die Erfolgsaussicht in der Hauptsache abzustellen ist.
Unter Berücksichtigung des § 39 Nr. 1 SGB II ist von einem Regelausnahmeverhältnis zu Gunsten des Suspensiveffektes auszugehen, da der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung
zunächst angeordnet hat. Davon abzuweichen, besteht nur ab Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt
Belasteten feststellbar ist (vgl. bereits Beschluss des Senates vom 18.11.2008 - L 11 B 948/08 AS ER). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (Keller
in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Auflage, §
86b RdNr. 12c). Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und ist der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt,
wird ausgesetzt, weil dann ein überwiegendes öffentliches Interesse oder Interesse eines Dritten an der Vollziehung nicht
erkennbar ist. Ist die Klage aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten nicht
in dieser Weise abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens
und die Entscheidung des Gesetzgebers in § 39 Nr. 1 SGB II mitberücksichtigt werden (vgl. zum Ganzen: aaO RdNr. 12f; Beschluss des Senates aaO).
Vorliegend sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens derzeitig nicht eindeutig abschätzbar. Es ist offen, ob der
ASt, wie er angibt, aussagekräftige Bewerbungsunterlagen direkt nach Gemünden an die potenzielle Arbeitsstelle geschickt hat.
Zudem ist offen, welche Bedeutung die Antwort des potenziellen Arbeitgebers an den ASt in der E-Mail vom 01.02.2018 sowie
die E-Mail des potenziellen Arbeitgebers vom 19.02.2018 hat. Dies ist im Rahmen des noch anhängigen Hauptsacheverfahrens zu
klären.
Nach § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II entfällt nach jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 SGB II das Alg II vollständig. Eine wiederholte Pflichtverletzung liegt nur vor, wenn bereits zuvor eine Minderung festgestellt
wurde und nicht der Beginn des vorangegangenen Minderungszeitraumes länger als ein Jahr zurückliegt (§ 31a Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB II). Bereits mit Bescheid vom 24.11.2017 wurde eine vollständige Minderung beim ASt festgestellt.
Eine solche weitere wiederholte Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres im Hinblick auf das Verhalten des ASt gegenüber dem
potenziellen Arbeitgeber bei der Bewerbung kann jedoch derzeit noch nicht sicher festgestellt werden, denn es kann nach den
vorliegenden Unterlagen durchaus in Betracht kommen, dass der potenzielle Arbeitgeber auf die anonyme Bewerbung hin den ASt
zunächst mit E-Mail vom 01.02.2018 um ein Abwarten gebeten, danach aber mit E-Mail vom 02.02.2018 weitere Unterlagen gefordert
und dann mit E-Mail vom 19.02.2018 den ASt wiederum um ein Abwarten der Entscheidung über die Bewerbung gebeten hat. Dies
alles wird im Hauptsacheverfahren noch aufzuklären sein.
Im Hinblick auf die wegen der offenen Erfolgsaussicht vorzunehmende allgemeine Interessenabwägung muss zwischen den Leistungen
für den Regelbedarf und denen für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung differenziert werden. Soweit es um den Regelbedarf
geht, ist ein überwiegendes Interesse des ASt nicht erkennbar. Der Sanktionszeitraum betrifft die Zeit vom 01.03.2018 bis
31.05.2018 und ist nahezu abgelaufen. Der ASt erhielt durch den Ag Gutscheine zur Sicherung des existenziellen Bedarfes. Dass
hier noch eine Beeinträchtigung gravierend fortwirkt, ist weder ersichtlich noch vorgetragen. Damit ist der gesetzlichen Wertung
des § 39 Nr. 1 SGB II der Vorzug zu geben. Eine aufschiebende Wirkung ist daher nicht anzuordnen.
In Bezug auf die Leistungen für Bedarfe der Unterkunft und Heizung kann unter Umständen anders gelten. Durch die Nichtgewährung
der entsprechenden Leistungen infolge einer vollständigen Leistungsminderung kann der Fall eintreten, dass es dem Leistungsberechtigten
nicht möglich ist, die Mietzinsforderungen des Vermieters zu bedienen und es kann zu Mietrückständen kommen. In Konsequenz
könnte dann sogar der Verlust der Wohnung durch eine Kündigung des Vermieters drohen (§
543 Bürgerliches Gesetzbuch). Auch ist bei Gewährung einstweiligen Rechtschutzes nicht erst abzuwarten, bis tatsächlich eine Räumungsklage vom Vermieter
anhängig gemacht wird (vgl. dazu auch Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 01.08.2017 - 1 BvR 1910/12-). Vorliegend ist jedoch der ASt mit dem Ag bereits in Verhandlungen wegen einer Mieterschuldenübernahme für den Zeitraum
vom 15.01.2018 bis 30.04.2018 auf Darlehensbasis (§ 22 Abs. 8 SGB II), wobei der Ag nach einem Aktenvermerk vom 25.04.2018 einer solchen Darlehensgewährung positiv gegenübersteht. Damit aber
überwiegen auch in Bezug auf die von der Minderung betroffenen Leistungen für Bedarfe der Unterkunft und Heizung im Zeitraum
von März bis Mai 2018 nicht die Interessen des ASt an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage und es ist der
gesetzlichen Wertung des § 39 Nr. 1 SGB II der Vorzug zu geben. Eine aufschiebende Wirkung ist diesbezüglich nicht anzuordnen. Damit war die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).