SGB-II-Leistungen
Einstweiliger Rechtsschutz
Existenzsichernde Leistungen
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Anordnungsgrundes
Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung als Ausnahme
Gründe
I.
Streitig ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens, ob der Antragsteller Anspruch auf Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) gemäß dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab 25.04.2017 in Höhe des Regelbedarfes hat.
Am 20.01.2017 beantragte der Antragsteller Alg II beim Antragsgegner. Dabei gab er an, in der A-Straße in A-Stadt zu wohnen.
Er sei von 1992 bis 2016 als Makler und in der Verwaltung tätig gewesen. In A-Stadt habe er unter der genannten Adresse einen
Antrag auf Erteilung eines Reisepasses gestellt. Kosten der Unterkunft und Heizung habe er keine. Das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft
verneinte er ebenso wie bei einer Vorsprache das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft. In der Anlage zur vorläufigen oder abschließenden
Erklärung zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit im Bewilligungszeitraum teilte er mit, im Bewilligungszeitraum von Januar
bis Juni 2016 voraussichtlich Betriebseinnahmen in Höhe von 600,00 EUR zu erzielen (100,00 EUR im April, 200,00 EUR im Mai
und 300 EUR im Juni). An Ausgaben fielen dabei ebenfalls voraussichtlich 600,00 EUR an. Sein Vermögen betrage unter 100,00
EUR. Zudem zeigte er den Abholschein für den beantragten Reisepass vor. Nach einer Auskunft des Einwohnermeldeamts war er
unter der von ihm angegebenen Adresse gemeldet. Er habe Alg II beantragt, da seine aktuellen finanziellen Verhältnisse nicht
ausreichten, um den Lebensunterhalt zu decken. Seine wirtschaftliche Lage verbessere sich erst nach aufwendiger Führung eines
Zivilprozesses. Neue Aufträge erwarte er ab Frühjahr 2017. Zurzeit sei er mit Aufräumarbeiten beschäftigt, die erforderlich
seien, bevor neue Aufträge kommen würden. Er benötige Leistungen ergänzend zu seiner selbstständigen Tätigkeit. Diese habe
er hauptsächlich in Tschechien ausgeübt. Er halte sich voraussichtlich für mehrere Monate in Deutschland auf, um diverse Dinge
zu erledigen. Daher habe er kein Einkommen.
Auf Nachfragen des Antragsgegners (u.a.Gewinn- und Verlustrechnung der letzten sechs Monate, Einkommensteuerbescheid, Stellungnahme,
weshalb keine Wohnkosten anfielen, wo er sich im Ausland aufgehalten habe und wie der Lebensunterhalt im Ausland gesichert
gewesen sei bzw. wie dort der Zahlungsverkehr abgewickelt worden sei) gab der Antragsteller an, dass er seit 1992 selbstständig
als Immobilien- und Versicherungsmakler tätig gewesen sei und in den letzten Jahren überwiegend Auftraggeber aus dem EU-Umland
bzw. Ausland, vor allem aus der Tschechischen Republik, bedient habe. Aufgrund eines aktuellen Zivilprozesses investiere er
sehr viel Zeit als "Beihelfer" eines Anwalts und hoffe auf Entschädigungszahlungen. Zudem organisiere er seine Tätigkeit um,
um nur noch "sichere" Auftraggeber zu haben. Er sei schon länger im Geschäft und man kenne ihn. Er sei gut vernetzt. Aktuell
arbeite er ca. 40 Stunden pro Woche an der Selbstständigkeit. In den letzten sechs Monaten habe er lediglich 450,00 EUR an
Einnahmen bei 30,00 EUR Ausgaben gehabt. Diese resultierten aus einer Aufwandsentschädigung, die er im Jahr 2016 einmalig
erhalten habe. Die Auszahlung sei in den Monaten September und November 2016 erfolgt. Der Zahlungsverkehr im Ausland sei fast
nur in bar abgewickelt worden. Aufgrund sparsamer Lebensführung habe er nur wenig Geld ausgegeben. Wohnkosten habe er keine,
da er nur vorübergehend in A-Stadt wohne ohne eine dauerhafte Wohnung zu haben. Einkommensteuerbescheide könne er mangels
steuerpflichtigen Einkünften in Deutschland für die letzten Jahre nicht vorlegen. Mit Email vom 24.03.2017 teilte er dem Antragsgegner
mit, er befinde sich in den nächsten Tagen, wie bereits angekündigt, vermutlich mehrere Wochen aus beruflichen Gründen in
Norddeutschland. Er möchte dort sein Unternehmen mehreren Firmen in der Absicht vorstellen, feste, wenn auch geringfügige
selbstständige Einkünfte dauerhaft zu erzielen. Seine vorübergehende Abwesenheit könne sich über Wochen hinziehen, insbesondere
wenn dauerhaftere Einkünfte in konkreter Aussicht stünden. Er sei daher derzeit nur per Email erreichbar.
Mit Bescheid vom 28.03.2017 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Alg II ab. Der Antragsteller habe keinen Anspruch, weil
er seinen gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb der Stadt A-Stadt und somit außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Antragsgegners
habe. Er habe schriftlich mitgeteilt, dass er in A-Stadt nur vorübergehend lebe und keine feste Wohnung habe. Zudem habe er
von einer nicht dauerhaften Wohnung gesprochen. Ein dauerhafter Wohnsitz in A-Stadt sei somit nicht gegeben. Zusätzlich habe
er ausgeführt, sich mehrere Tage oder Wochen in Norddeutschland aufzuhalten. Ein Aufenthalt in A-Stadt sei daher aktuell nicht
gegeben.
Dagegen erhob der Antragsteller Widerspruch. Bei Antragstellung sei er in A-Stadt wohnhaft gewesen und habe in A-Stadt seinen
neuen Ausweis im Februar 2017 erhalten. A-Stadt sei im Zeitraum der Antragstellung tatsächlich sein Lebensmittelschwerpunkt
gewesen. Inwieweit er zukünftig umziehen werde sei unerheblich. Maßgeblich sei der Wohn- und Aufenthaltsort zum Zeitpunkt
der Antragstellung. Bei seinen persönlichen Vorsprachen hätten niemals Zweifel bezüglich der Zuständigkeit bestanden. Im April
2017 habe er als Zeuge zu einem Gerichtstermin zwangsweise nach Norddeutschland reisen müssen. Seinen Wohnsitz in A-Stadt
habe er damit keineswegs aufgegeben, unabhängig von seinen weiteren beruflichen Vorsprachen in Norddeutschland. Reisekosten
seien in seiner Aufstellung zu Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit nicht enthalten, da sie vom Gericht getragen worden
wären. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens hat der Antragsgegner mit Schreiben vom 08.05.2017 (34 SG) den Antragsteller aufgefordert, weitere Auskünfte zu seinem gewöhnlichen bzw. tatsächlichen Aufenthalt zu geben.
Bereits am 25.04.2017 hat der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Nürnberg (SG) begehrt. Er lebe seit Januar 2017 in A-Stadt und habe mit dem Antragsgegner eine Eingliederungsvereinbarung am 27.01.2017
abgeschlossen. Er sei in A-Stadt wohnhaft gemeldet und habe dort seinen Lebensmittelschwerpunkt. Die mögliche Anmietung einer
möblierten Wohnung in A-Stadt (B-Straße) sei daran gescheitert, dass ihm bislang kein Alg II gewährt worden sei. Inwieweit
er zukünftig umziehen werde, sei unerheblich.
Der Antragsgegner hat ausgeführt, der Antragsteller habe in der ersten Vorsprache angegeben, sich voraussichtlich für drei
Monate in Deutschland aufhalten zu wollen.
In der mündlichen Verhandlung vom 08.06.2017 hat der Antragsteller angegeben, er habe in der A-Straße in A-Stadt keine eigene
Wohnung. Teilweise wohne er in der B-Straße und teilweise in F-Stadt, wobei er in der B-Straße nicht wohne, sondern allenfalls
dort übernachte. Er beantragte zuletzt allein, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ab 25.04.2017
Alg II in Höhe des Regelbedarfs zu gewähren. Zudem hat er begehrt, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm ab sofort Ersatzwohnraum
in A-Stadt zur Verfügung zu stellen, da aufgrund des eigenen Verhaltens des Antragsgegners nachweislich im Mai 2017 der Abschluss
eines Mietvertrages in der B-Straße in A-Stadt vereitelt worden sei.
Das SG hat mit Beschluss vom 08.06.2017 den Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Gewährung von Alg
II zu verpflichten, abgelehnt. Nach summarischer Prüfung bestehe kein Anspruch auf Alg II, denn der Antragsteller habe das
Innehaben eines gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland nicht glaubhaft gemacht. Hierzu müsse er einen
Wohnsitz und damit eine Wohnung nachweisen. Die tatsächlichen Verhältnisse seien maßgebend. Für die Beurteilung, ob ein gewöhnlicher
Aufenthalt vorliege, sei der tatsächliche Aufenthalt als solcher und die Umstände, unter denen er stattfinde (insbesondere
Verweildauer und Wille) sowie die sonstigen tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen, die den Aufenthalt bestimmen
könnten, von Bedeutung. Der Antragsteller habe jedoch mitgeteilt, dass er nur vorübergehend in A-Stadt ohne eine dauerhafte
Wohnung wohne. Im Widerspruch vom 08.04.2017 habe er mitgeteilt, dass er nur seit Antragstellung bis einschließlich März 2017
in A-Stadt gelebt habe. Ob er auch ab April 2017 weiterhin in A-Stadt wohne, bleibe offen. Einen Aufenthaltsort des Antragstellers
herauszufinden, sei in der mündlichen Verhandlung gescheitert. Er habe angegeben, teilweise in der B-Straße und teilweise
in F-Stadt zu wohnen, aber eine genaue Anschrift nicht nennen zu können. In der A-Straße habe er keine eigene Wohnung. Es
sei dort nur ein Briefkasten vorhanden. Die Wohnsituation des Klägers bleibe somit ungeklärt. Es sei zwar zur Gewährung von
Leistungen keine Wohnung erforderlich, es müsse aber ein dauerhafter tatsächlicher Aufenthalt feststehen. Einen solchen habe
er im einstweiligen Anordnungsverfahren nicht glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsanspruch liege daher nicht vor. Eine besondere
Dringlichkeit sei ebenfalls nicht ersichtlich. Offensichtlich könne er seinen Lebensunterhalt aus den bislang in Tschechien
erzielten Einkünften bestreiten. Es sei ihm zuzumuten, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Dagegen hat der Antragsteller Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, sowohl
das SG als auch das LSG hätten Verfahrensfehler begangen. Leistungen an ihn seien zur dringenden Abwendung einer Notlage erforderlich.
Er habe keine eigene Wohnung in A-Stadt, halte sich aber tatsächlich in der A-Straße in A-Stadt auf, verrichte dort seine
Verwaltungsarbeiten und erledige seine Post. Er sei dort kontinuierlich und tatsächlich anwesend. In der B-Straße in A-Stadt
habe er eine Wohnung anmieten wollen. Nach Norddeutschland sei er zu einem Gerichtstermin als Zeuge geladen gewesen, die Rückfahrt
habe sich jedoch mangels Barauszahlung des Zeugengeldes verzögert. Er beantrage Leistungen in Höhe des Regelbedarfs ab Januar
2017 samt Zahlung der Krankenversicherungsbeiträge und die Erteilung eines Bildungsgutscheines. Zudem hat er mehrere Beweisanträge
gestellt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte des Antragsgegners sowie die Gerichtsakten erster und zweiter
Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig (§§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -) und zum Teil begründet. Der Antragsteller hat ab 19.07.2017 Anspruch auf vorläufige Leistungen in Höhe des Regelbedarfes
abzüglich eines Abschlages in Höhe von 30% für die Zeit bis zur Entscheidung über den Widerspruch, längstens bis 30.09.2017.
Soweit der Antragsteller Leistungen in Höhe des Regelbedarfes ab 25.04.2017 begehrt, ist die Beschwerde unbegründet.
Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens macht der Antragsteller neben dem Anspruch auf Leistungen in Höhe des Regelbedarfs ab Januar
2017 Leistungen für eine Krankenversicherung sowie die Erteilung eines Bildungsgutscheines geltend. Weder der Anspruch auf
Leistungen ab Januar 2017 noch auf Leistungen zur Krankenversicherung noch der Anspruch auf Erteilung eines Bildungsgutscheines
sind jedoch Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen. Im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Kläger
in der mündlichen Verhandlung abschließend weder einen Beweisantrag gestellt noch vorläufige Ansprüche hinsichtlich der Krankenversicherung
und der Erteilung eines Bildungsgutscheines begehrt. Vielmehr hat er dort ausdrücklich beantragt, ab 25.04.2017 Alg II in
Höhe des Regelbedarfs zu gewähren. Den im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens zusätzlich gestellten Antrag auf Zurverfügungstellung
von Ersatzwohnraum hat er im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nicht wiederholt. Streitgegenstand ist somit allein der geltend
gemachte Anspruch auf Alg II in Höhe des Regelbedarfs ab 25.04.2017.
Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes in Bezug auf das geltend gemachte Begehren zur Regelung eines
vorläufigen Zustandes stellt für den vorliegenden Rechtsstreit §
86b Abs
2 Satz 2
SGG dar, denn streitig ist die Bewilligung von Leistungen.
Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der
Fall, wenn der Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen,
zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG, Beschluss vom 25.10.1998 -
2 BvR 745/88 - BVerfGE 79, 69 (74); Beschluss vom 19.10.1977 - 2 BvR 42/76 - BVerfGE 46, 166 (179); Beschluss vom 22.11.2002 - 2 BvR 745/88 - NJW 2003, 1236). Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das
Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren
stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§
86b Abs
2 Satz 2 und
4 SGG i.V.m. §
920 Abs
2, §
294 Zivilprozessordnung -
ZPO; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl, §
86b Rn 41). Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes
sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage in dem vom BVerfG vorgegebenen
Umfang (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene
Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen
Anordnung abzulehnen. Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende
Bedeutung zu.
Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen und deshalb eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung
in den Grundrechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann,
droht, ist eine Versagung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nur dann möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend
geklärt ist (vgl BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 - 1 BvR 1335/13). Für eine Entscheidung aufgrund einer sorgfältigen und hinreichend substantiierten Folgenabwägung ist nur dann Raum, wenn
eine - nach vorstehenden Maßstäben durchzuführende - Rechtmäßigkeitsprüfung auch unter Berücksichtigung der Kürze der im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren regelmäßig zur Verfügung stehenden Zeit nicht verwirklicht werden kann, was vom zur Entscheidung berufenen
Gericht erkennbar darzulegen ist (vgl zum Ganzen auch: BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 - 1 BvR 1335/13; Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, 803; weniger eindeutig: BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014 - 1 BvR 1453/12).
Vorliegend ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, denn streitig sind existenzsichernde Leistungen und eine abschließende
Rechtmäßigkeitsprüfung kann im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens aufgrund der Eilbedürftigkeit nicht erfolgen.
Eine Zeugeneinvernahme im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist daher nicht angezeigt, wobei für einen Teil
der Zeugen keine ladungsfähige Anschrift vom Antragsteller genannt wird. Diese Rechtmäßigkeitsprüfung muss dem Hauptsacheverfahren
vorbehalten bleiben. Dazu muss der Antragsteller ggfs. nochmals ausführlich einvernommen werden und evtl. seine Unterkunft
in der A-Straße aufgesucht werden, um seinen gewöhnlichen und tatsächlichen Aufenthalt im Einzelnen zu ermitteln. Die Ausführungen
des SG hierzu überzeugen nicht und stimmen zum Teil auch nicht mit den Angaben des Antragstellers überein bzw. sind nicht im Protokoll
der mündlichen Verhandlung zu finden. Ebenfalls kommt die Einvernahme von Zeugen in Betracht. Zudem ist zu klären, welche
Einnahmen dem Antragsteller aus seiner selbstständigen Tätigkeit zugeflossen sind bzw. zufließen und welche Ausgaben er hat.
Im Rahmen der daher vorzunehmenden Folgenabwägung ist entsprechend der Ausführungen des BVerfG (a.a.O.) eine Versagung des
einstweiligen Rechtsschutzes vorliegend nur dann möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Dies ist
vorliegend nicht der Fall, so dass der Antragsgegner zur Erbringung vorläufiger Leistungen zu verpflichten ist.
Allerdings ist der Antragsgegner erst ab dem Zeitpunkt der Entscheidung des Senates und unter Berücksichtigung eines Abschlages
zur vorläufigen Leistungserbringung zu verpflichten.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Anordnungsgrundes, also der Eilbedürftigkeit der Sache, ist in jeder Lage des
Verfahrens der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 17.01.2011
- L 11 AS 889/10 B ER - veröffentlicht in [...]), wobei der Senat an einer früheren Entscheidung gehindert war, nachdem zunächst die schriftliche
Begründung des Beschlusses des SG und die vom Antragsteller angekündigte Begründung abgewartet werden musste. Insoweit beschreibt im Rahmen einer Regelungsanordnung
der Anordnungsgrund die Notwendigkeit, wesentliche Nachteile abzuwenden, um zu vermeiden, dass der Antragsteller vor vollendete
Tatsachen gestellt wird, ehe er wirksamen Rechtsschutz erlangen kann (vgl. Keller aaO § 86b Rn.27a). Charakteristisch ist
daher für den Anordnungsgrund die Dringlichkeit der Angelegenheit, die in aller Regel nur in die Zukunft wirkt. Es ist rechtlich
zwar nicht auszuschließen, dass auch für vergangene Zeiträume diese Dringlichkeit angenommen werden kann; diese überholt sich
jedoch regelmäßig durch Zeitablauf. Ein Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung ist daher nur ausnahmsweise
anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird, und ein besonderer
Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt oder ein Anspruch
eindeutig besteht (vgl. Beschluss des Senates vom 12.04.2010 - L 11 AS 18/10 B ER - veröffentl. in [...]). Ein solcher Ausnahmefall liegt in Bezug auf den allein streitigen Leistungszeitraum vom 25.04.2017
bis 17.07.2017 - ausgehend vom Zeitpunkt der Senatsentscheidung also einen bereits abgelaufenen Leistungszeitraum - nicht
vor. Eindeutige Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens sind beim derzeitigen Sachstand nicht zu erkennen, und der Antragsteller
hat nichts dazu vorgetragen, sich in einer existenziellen Notlage zu befinden, die eine umgehende (Nach-)Zahlung von Leistungen
im Rahmen einer Abwägungsentscheidung erforderlich erscheinen ließe. Insoweit hat der Antragsteller lediglich erklärt, auf
die Leistungen der Grundsicherung angewiesen zu sein (vgl. zum Ganzen: Beschluss des Senates vom 26.06.2017 - L 11 AS 336/17 B ER-).
Um einer Vorwegnahme der Hauptsache jedoch vorzubeugen, ist es zudem in aller Regel aber gerechtfertigt, einen Abschlag von
der im Hauptsacheverfahren zu beanspruchenden Leistung vorzunehmen, wobei sich der Abschlag in Abhängigkeit von einer Erfolgsaussicht
des Hauptsacheverfahrens und unter Beachtung des Prozessrisikos allenfalls in einem Bereich von bis zu 30 vH - entsprechend
der Sanktionsmöglichkeiten - bewegen kann (vgl. Beschluss des Senats vom 18.04.2007 - L 11 B 878/06 AS ER - veröffentl. in [...]). Dieser Abschlag rechtfertigt sich vorliegend daraus, dass der Antragsteller bislang keine
exakten Angaben zu seiner Unterkunft und seinem Aufenthalt macht. Seine Angaben hierzu sind zum Teil widersprüchlich, wenn
er zunächst angibt, aus beruflichen gründen sich vermutlich mehrere Wochen in Norddeutschland aufzuhalten, später aber ausführt,
eine Rückreise von dem Gerichtstermin sei mangels Barauszahlung des dort anfallenden Zeugengeldes nicht möglich gewesen, wobei
sich ein Nachweis über die Ladung als Zeuge zu einem Gerichtstermin in Norddeutschland bislang nicht in den Akten findet.
Auch hat er keinerlei Nachweise und Belege zu seinem angegebenen Einkommen in 2017 vorgelegt. Aufgrund der derzeit nicht im
vollen Umfang nachvollziehbaren Angaben des Antragsteller hält der Senat einen Abschlag von 30% vom Regelbedarf für angemessen,
so dass der Antragsgegner zur Zahlung von 286,30 EUR monatlich (für Juli 2017 anteilig) zu verpflichten war. Die Zahlung vorläufiger
Leistung war auf die Zeit bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens, längstens bis zum 30.09.2017 zu begrenzen.
Hinsichtlich der vom Antragsteller vorgetragenen Verfahrensfehler ist darauf hinzuweisen, dass diese aufgrund der Zulässigkeit
der Beschwerde keine Bedeutung erlangen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Eine "Zulassung der Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundessozialgericht" kommt nicht in Betracht, dieser Beschluss ist unanfechtbar
(§
177 SGG).