Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II; Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs für Alleinstehende
Tatbestand
Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.01.2011 bis 31.01.2012 im Hinblick auf einen höheren Regelbedarf.
Die Klägerin bezieht Alg II vom Beklagten. Ihre Miete betrug einschließlich Betriebskosten 330 EUR (265 EUR zzgl. 65 EUR)
monatlich und ihr Heizkostenabschlag 65 EUR bzw. 94 EUR (ab Juli 2011) monatlich. U.a. im Hinblick auf eine gesetzliche Erhöhung
des Regelbedarfs änderte der Beklagte die ursprüngliche Bewilligung von Alg II im Bescheid vom 28.10.2010 mit Bescheid vom
26.03.2011 idF des Änderungsbescheides vom 05.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2011 für die Zeit
vom 01.01.2011 bis 28.02.2011 ab und gewährte Leistungen iHv monatlich 759 EUR (364 EUR Regelbedarf und 395 EUR Bedarfe für
Unterkunft und Heizung).
Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 07.02.2011 idF der Änderungsbescheide vom 26.03.2011, 05.05.2011 und 28.07.2011 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2011 Alg II für die Zeit vom 01.03.2011 bis 30.06.2011 iHv monatlich 759
EUR (364 EUR Regelbedarf und 395 EUR Bedarfe für Unterkunft und Heizung) und für die Zeit vom 01.07.2011 bis 31.07.2011 iHv
788 EUR (364 EUR Regelbedarf und 424 EUR Bedarfe für Unterkunft und Heizung). Die mit Schreiben vom 13.07.2011 beantragten
Leistungen bezüglich einer Heizkostennachzahlung iHv 242,12 EUR bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 28.07.2011 in voller
Höhe.
Mit Bescheid vom 08.07.2011 idF des Änderungsbescheides vom 28.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2011
idF des Änderungsbescheides vom 26.11.2011 wurden der Klägerin für die Zeit vom 01.08.2011 bis 31.12.2011 Leistungen iHv monatlich
788 EUR (364 EUR Regelbedarf und 424 EUR Bedarfe für Unterkunft und Heizung) und für die Zeit vom 01.01.2012 bis 31.01.2012
iHv 798 EUR (374 EUR Regelbedarf und 424 EUR Bedarfe für Unterkunft und Heizung) bewilligt.
Gegen die Widerspruchsbescheide vom 27.10.2011 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Die Höhe des Regelbedarfs werde den aktuellen Lebenshaltungskosten nicht gerecht. Auch seien im Nachgang zur Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2010 lediglich einzelne Posten der Bemessung als strittig deklariert, aber keine
Konsequenzen gezogen worden. Nachzahlungsposten würden keine Berücksichtigung finden. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21.03.2012 abgewiesen. Die Bemessung der Höhe des Regelbedarfs sei nicht verfassungswidrig.
Die Klägerin hat dagegen Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Der Regelbedarf sei auch nach der Erhöhung
um 10 EUR zu niedrig. Eine Teilnahme am Leben und der Kauf von Nahrungsmitteln seien damit nicht möglich. Unabhängig davon,
wie der Gesetzgeber das Existenzminimum rechtfertige, seien die Leistungen zu niedrig. Es seien monatlich 459 EUR zu zahlen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 21.03.2012 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides
vom 26.03.2011 idF des Änderungsbescheides vom 05.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2011, des Bescheides
vom 07.02.2011 idF der Änderungsbescheide vom 26.03.2011, 05.05.2011 und 28.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 27.10.2011 und des Bescheides vom 08.07.2011 idF des Änderungsbescheides vom 28.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 27.10.2011 idF des Änderungsbescheides vom 26.11.2011 zu verurteilen, für die Zeit vom 01.01.2011 bis 31.12.2011 weitere
Leistungen für den Regelbedarf iHv monatlich 95 EUR und für die Zeit vom 01.01.2012 bis 31.01.2012 iHv 85 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerechte eingelegte Berufung ist zulässig (§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-), aber nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 26.03.2011 idF des Änderungsbescheides vom 05.05.2011 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2011, der Bescheid vom 07.02.2011 idF der Änderungsbescheide vom 26.03.2011, 05.05.2011
und 28.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2011 und der Bescheid vom 08.07.2011 idF des Änderungsbescheides
vom 28.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2011 idF des Änderungsbescheides vom 26.11.2011 sind rechtmäßig
und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Streitgegenstand ist vorliegend die Zahlung weiteren Alg II für die Zeit
vom 01.01.2011 bis 31.01.2012 in Bezug auf höhere Regel- und Mehrbedarfe (vgl zur möglichen Beschränkung des Streitgegenstandes
zuletzt BSG, Urteil vom 06.08.2014 - B 4 AS 55/13 R - und Urteil vom 28.10.2014 - B 14 AS 65/13 R - jeweils zitiert nach [...]), worüber der Beklagte mit Bescheid vom 26.03.2011 idF des Änderungsbescheides vom 05.05.2011
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2011 (01.01.2011 bis 28.02.2011), Bescheid vom 07.02.2011 idF der Änderungsbescheide
vom 26.03.2011, 05.05.2011 und 28.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2011 (01.03.2011 bis 30.06.2011)
und Bescheid vom 08.07.2011 idF des Änderungsbescheides vom 28.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2011
idF des Änderungsbescheides vom 26.11.2011 (01.08.2011 bis 31.01.2012) entschieden hat. Nicht zu prüfen waren weitere Bedarfe
für Unterkunft und Heizung. Im Übrigen gibt es keine Anhaltspunkte für einen höheren Anspruch in Bezug auf die Bedarfe für
Unterkunft und Heizung, da der Beklagte diesbezüglich die tatsächlichen Kosten berücksichtigt hat. Er hat hierfür durchgehend
Leistungen iHv 330 EUR (Miete 265 EUR und Betriebskosten 65 EUR) erbracht. Daneben wurde der jeweils zu zahlende Heizkostenabschlag
iHv 65 EUR bzw. 94 EUR (ab Juli 2011) zugrunde gelegt.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höheres Alg II in Bezug auf den Regelbedarf bzw. für Mehrbedarfe für die Zeit vom 01.01.2011
bis 31.01.2012.
Nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sowie hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik
Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Diese Leistungsvoraussetzungen werden von der Klägerin im Zeitraum vom
01.01.2011 bis 31.01.2012 unstreitig erfüllt. Höhere als die vom Beklagten gewährten Leistungen kann die Klägerin im Hinblick
auf den Regelbedarf aber nicht beanspruchen.
Das Alg II enthält nach § 19 Abs 1 Satz 1 und Satz 3 SGB II neben dem Bedarf für Unterkunft und Heizung auch den Regelbedarf und Mehrbedarfe. Als Regelbedarf werden bei Personen, die
alleinstehend oder alleinerziehend sind oder deren Partnerin oder Partner minderjährig ist, monatlich 364 EUR anerkannt (§
20 Abs 2 Satz 1 SGB II). Diese Regelbedarfshöhe hat der Beklagte in den angefochtenen Bescheiden für die Zeit vom 01.01.2011 bis 31.12.2011 zutreffend
berücksichtigt. Auch wurde die neue Regelbedarfshöhe ab 01.01.2012 iHv 374 EUR für die Zeit vom 01.01.2012 bis 31.01.2012
berücksichtigt (§ 20 Abs 1 und 2 Satz 1, Abs 5 SGB II i.V.m. § 28a Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII - i.V.m. der Verordnung zur Fortschreibung der Regelbedarfsstufen nach § 138 Nr 2 SGB XII für das Jahr 2012 - RBSFV 2012 - vom 17.10.2011 - BGBl I S 2090). Anhaltspunkte für Mehrbedarfe sind bei der Klägerin nicht
gegeben und auch nicht vorgetragen.
Die Höhe des Regelbedarfs ist nicht verfassungswidrig. Gerichte sind an das Gesetz gebunden (Art
20 Abs
3, Art
97 Abs
1 Grundgesetz -
GG-). Bei einem Konflikt zwischen einem einfachen Gesetz und der Verfassung kann sich ein Gericht nicht über das Gesetz stellen,
es kann das Gesetz nur gemäß Art
100 Abs
1 GG dem BVerfG vorlegen. Dies kommt aber nur dann in Betracht, wenn das vorlegende Gericht von der Verfassungswidrigkeit des
einfachen Gesetzes überzeugt ist (vgl Beschluss des Senats vom 08.02.2012 - L 11 AS 49/12 B PKH - [...]). Für eine Verfassungswidrigkeit des neuen Regelbedarfsgesetzes gibt es keine entsprechenden Anhaltspunkte.
Das Gericht schließt sich insofern der Auffassung des BVerfG (Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 - [...]) zur Verfassungsmäßigkeit der Neuermittlung der Regelbedarfe ab 01.01.2011 für Alleinstehende an. Danach erstreckt
sich der verfassungsrechtlich garantierte Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nur
auf die unbedingt erforderlichen Mittel zur Sicherung sowohl der physischen Existenz als auch zur Sicherung eines Mindestmaßes
an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Dem Gesetzgeber steht hierbei ein Gestaltungsspielraum
zu. Mit den von ihm getroffenen Regelungen zur Festsetzung der Regelbedarfe hat er den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung
des Regelbedarfs nach dem SGB II zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums und die Anpassung der Leistungshöhe gesetzlich gesichert. Weder sind
Leistungen evident unzureichend festgesetzt noch liegt ein Verstoß gegen Grundrechte vor. Die Vorgaben für die Bestimmung
der Leistungshöhe genügen im streitgegenständlichen Zeitraum den Anforderungen an eine sachangemessene Berechnung der Leistungshöhe
und die Vorgaben für die Fortschreibung des Regelbedarfs sind mit der Verfassung vereinbar. Insbesondere hat der Gesetzgeber
relevante Bedarfe nicht übersehen und sich auf geeignete empirische Daten gestützt. Er konnte sich an dem Verbrauchsverhalten
der unteren Einkommensgruppen orientieren. Der existenzielle Bedarf wurde auch nicht unzutreffend ermittelt. Insbesondere
entspricht - jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum - der für den Haushaltsstrom zugrunde gelegte Bedarf den grundgesetzlichen
Anforderungen. Auch wenn es bei einzelnen Bedarfen zu punktuellen Unterdeckungen kommen kann, ist dies nicht zu beanstanden,
da ein interner Ausgleich stattfinden kann.
Da mit den vom Beklagten zugrunde gelegten Regelbedarfen das menschenwürdige Existenzminimum gesichert ist, besteht kein Anspruch
auf die Gewährung eines monatlichen Regelbedarfs von 459 EUR, wie ihn die Klägerin geltend macht. Der Gesetzgeber hat insbesondere
Bedarfe für die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und zum Erwerb für Nahrungsmittel in nicht zu beanstandender Weise berücksichtigt.
Die Berufung der Klägerin hatte nach alledem keinen Erfolg und war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision nach §
160 Abs
2 Nr
1 und
2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.