Keine Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs bzw. einer Klage im sozialgerichtlichen Verfahren gegen einen
Sanktionsbescheid nach dem SGB II
1. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruches bzw. einer Klage ist nur möglich, wenn das besondere Interesse
des Beschwerdeführers unter Anordnung der aufschiebenden Wirkung das vom Gesetz vorausgesetzte Interesse an der sofortigen
Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt, wobei bei der Prüfung der Interessen zuerst auf die Erfolgsaussichten in der
Hauptsache abzustellen ist.
2. Unter Berücksichtigung des § 39 Nr. 1 SGB II ist von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zu Gunsten des Suspensiveffektes auszugehen, da der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung
zunächst angeordnet hat.
Gründe
I.
Streitig ist der Eintritt einer Minderung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-)
gemäß dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (-SGB II-) und die Aufhebung der Bewilligung von Alg II für die Zeit vom 01.07.2015 bis 31.08.2015. Dem 1970 geborenen, alleinstehenden
Beschwerdeführer bewilligte der Beschwerdegegner mit Bescheid vom 02.04.2015 Alg II für die Zeit bis 31.08.2015. Bereits mit
Bescheiden vom 15.01.2015 und 17.02.2015 hatte der Beschwerdegegner den Eintritt einer Sanktion bzw. den vollständigen Wegfall
des Alg II festgestellt. Auf den am 04.03.2015 unterbreiteten, mit Rechtsfolgenbelehrung versehenen Vermittlungsvorschlag
(Tätigkeit bei der Firma T.) bewarb sich der Beschwerdeführer erst nach dem Erhalt der Anhörung am 19.05.2015 wegen Nichtbewerbung
mit Schreiben vom 25.05.2015, worin er ausführte, die Stelle entspreche nicht ganz seinen Fähigkeiten und Kenntnissen und
er sei im Moment aus gesundheitlichen Gründen nicht belastbar, zur Nachtarbeit könne er nur bedingt eingesetzt werden. Mit
Bescheid vom 22.06.2015 stellte der Beschwerdegegner den vollständigen Wegfall des Alg II für die Zeit vom 01.7.2015 bis 30.09.2015
fest und hob die Bewilligung von Alg II für die Zeit vom 01.07.2015 bis 31.08.2015 auf. Sachleistungen seien mangels Antrages
nicht zu gewähren. Ein Antrag könne aber noch gestellt werden. Dagegen legte der Beschwerdeführer Widerspruch ein. Er habe
sich beworben, habe aber noch keinen Vorstellungstermin bekommen. Zur Zumutbarkeit verweise er auf ein Attest der Fachärztin
für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr.K. vom 04.08.2011, laut dem Tätigkeiten mit Heben und Tragen von schweren
Lasten, wirbelsäulenbelastende Zwangshaltungen sowie Überkopfarbeiten nicht zumutbar seien. Den Widerspruch wies der Beschwerdegegner
mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2015 zurück. Dagegen hat der Beschwerdeführer Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben (S 10 AS 378/15). Dem Beschwerdeführer sind am 01.07.2015 und 04.08.2015 Lebensmittelgutscheine iHv. je 196 EUR ausgestellt worden. Am 10.07.2015
hat der Beschwerdeführer Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches gegen den Bescheid vom 22.06.2015
zum SG gestellt. Der Sanktionsbescheid sei rechtswidrig, denn der Beschwerdegegner habe es unterlassen, Sachleistungen zu bewilligen,
obwohl der Ermessensspielraum des Beschwerdegegners diesbezüglich auf 0 reduziert sei. Das SG hat mit Beschluss vom 16.07.2015 den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt. Der Vermittlungsvorschlag
sei mit einer zutreffenden Rechtsfolgenbelehrung versehen gewesen. Der Beschwerdeführer habe sich nicht rechtzeitig und dann
für den Arbeitgeber in abschreckender Weise beworben. Das vorgelegte Attest sei vier Jahre alt und die Notwendigkeit eines
schweren Hebens und Tragens sei dem Vermittlungsvorschlag nicht zu entnehmen gewesen. Sachleistungen seien auf Antrag zu erbringen
und stünden im Ermessen des Beschwerdegegners. Der ursprüngliche Bewilligungsbescheid sei aufgehoben worden. Dagegen hat der
Beschwerdeführer Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben und zudem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
für das Beschwerdeverfahren beantragt. Aus dem Vermittlungsvorschlag seien die Rechtsfolgen hinsichtlich einer Nicht- bzw.
einer verspäteten Bewerbung nicht zu entnehmen. Im Übrigen dürfe die Erbringung von Sachleistungen nicht von einem Antrag
abhängig gemacht werden. Eine Ermessensentscheidung habe der Antragsgegner hinsichtlich der Erbringung von Sachleistungen
nicht zu treffen. Zudem werde auf dem Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Gotha vom 26.05.2015 - S 15 AS 5157/14 - verwiesen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte des Beschwerdegegners sowie die Gerichtsakten erster
und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-), aber nicht begründet. Das SG hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bzw. der Klage gegen den Bescheid vom 22.06.2015 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2015 anzuordnen. Der Widerspruch bzw. die Anfechtungsklage gegen den Aufhebungs-
und Sanktionsbescheid vom 22.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2015 hat keine aufschiebende Wirkung,
denn mit diesem Bescheid hat der Beschwerdegegner über eine Leistung der Grundsicherung für Arbeitssuchende entschieden (§
86a Abs.
2 Nr.
4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II). Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und der Anfechtungsklage keine aufschiebende
Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (§
86b Abs.
1 Nr.
2 SGG). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruches bzw. einer Klage ist nur möglich, wenn das besondere Interesse
des Beschwerdeführers unter Anordnung der aufschiebenden Wirkung das vom Gesetz vorausgesetzte Interesse an der sofortigen
Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt, wobei bei der Prüfung der Interessen zuerst auf die Erfolgsaussichten in der
Hauptsache abzustellen ist. Unter Berücksichtigung des § 39 Nr. 1 SGB II ist von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zu Gunsten des Suspensiveffektes auszugehen, da der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung
zunächst angeordnet hat. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt
Belasteten unvorstellbar ist (vgl. den Beschluss des Senates vom 18.11.2008 - L 11 B 948/08 AS ER). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (Keller
in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl., §
86b Rdnr. 12c). Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und ist der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt,
wird ausgesetzt, weil dann ein überwiegendes öffentliches Interesse oder Interesse eines Dritten an der Vollziehung nicht
erkennbar ist. Ist die Klage aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten nicht
in dieser Weise abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens und
die Entscheidungen des Gesetzgebers in § 39 Nr. 1 SGB II mitberücksichtigt werden (vgl. zum Ganzen Keller a.a.O. Rdnr. 12f, Beschluss des Senates a.a.O.). Das SG hat die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches (bzw. nunmehr der Klage) gegen den Bescheid vom 22.06.2015
zu Recht abgelehnt. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen des SG gemäß §
142 Abs.
2 Satz 3
SGG Bezug genommen. Im Rahmen des Vermittlungsvorschlages ist der Beschwerdeführer über die Rechtsfolgen einer Nichtbewerbung
bzw. einer verspäteten Bewerbung belehrt worden. Er ist aufgefordert worden, sich "umgehend" zu bewerben. Nachdem bereits
mehrere Sanktionen festgestellt worden waren, kam ein Wegfall der Leistungen in Betracht. Einwände hinsichtlich der Zumutbarkeit
einer Tätigkeit bei der Firma T. werden im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nicht mehr erhoben. Das vom Beschwerdeführer zunächst
vorgelegte Attest, das ein schweres Heben und Tragen ausschließt, stammt aus dem Jahre 2011 und ist nicht mehr aktuell. Somit
ergeben sich vorliegend im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens keine Hinweise auf eine zumindest offenbare Rechtswidrigkeit
der festgestellten Sanktion. Der Beschwerdeführer bringt hierzu auch nichts vor, er stützt sich lediglich auf die fehlende
Bewilligung von Sachleistungen im Bescheid vom 22.06.2015. Im Rahmen des Sanktionsbescheides ist der Antragsteller aber auf
die Möglichkeit der Beantragung von Sachleistungen hingewiesen worden. Dabei regelt § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II ausdrücklich, dass diese Ermessensleistungen nur auf Antrag zu erbringen sind; minderjährige Kinder leben nicht im Haushalt
des Antragstellers. Der Auffassung des Beschwerdeführers zum fehlenden Erfordernis eines Antrages kann daher nicht gefolgt
werden. Dabei überrascht den Senat die Tatsache, dass der Beschwerdeführer den Bezug zweier Lebensmittelgutscheine über je
196 am 01.07.2015 und 04.08.2015 völlig unerwähnt lässt. Die vom Sozialgericht Gotha geäußerten Bedenken hinsichtlich der
Verfassungsmäßigkeit und Sanktionsregelungen teilt der Senat nicht. Insbesondere sind vom Bundesverfassungsgericht keine voraussetzungslosen
steuerfinanzierten Staatsleistungen gefordert worden (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 07.07.2010 - 1 BvR 2556/09 -; BSG Urteil vom 09.11.2010 - B 4 AS 27/10 R - sowie Knickrehm/Hahn in Eicher SGB II, 3. Aufl., § 31 Rdnr. 7). Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung
des §
193 SGG. Prozesskostenhilfe war mangels hinreichender Erfolgsaussicht nicht zu bewilligen (§
73a SGG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).