Anspruch auf Arbeitslosengeld II
Minderung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages
Tatbestand
Streitig ist die Minderung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) um 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs für die Zeit von Juni bis August 2016.
Die Klägerin bezieht zusammen mit ihrem Ehemann Alg II vom Beklagten. Am 01.02.2016 nahm sie eine Beschäftigung in der Pension
F. als Zimmermädchen und Frühstückskraft mit einem Bruttomonatslohn von 510 € auf. Im Hinblick darauf bewilligte der Beklagte
nach einem Weiterbewilligungsantrag mit Bescheid vom 18.02.2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 19.05.2016 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2016 vorläufig Alg II für die Zeit von Februar bis Juli 2016. Mit Aufhebungsvertrag
vom 04.04.2016 wurde der mündliche Arbeitsvertrag bezüglich des Beschäftigungsverhältnisses rückwirkend zum 31.03.2016 aufgehoben.
Mit Schreiben vom 07.04.2016, welches die Klägerin nach eigenen Angaben (zunächst) nicht erhalten haben will, hörte der Beklagte
die Klägerin zu einer Minderung des Alg II wegen der Arbeitsaufgabe an. Ab 01.05.2016 nahm die Klägerin einen Minijob mit
maximal 330 € Bruttomonatslohn als Reinigungskraft in der Pension A. auf. Mit Bescheid vom 23.05.2016 stellte der Beklagte
die Minderung des Alg II der Klägerin für die Zeit von Juni bis August 2016 um 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs - 109,20
€ monatlich - fest und hob insoweit auch die Leistungsbewilligung für Juni und Juli 2016 nach § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf. Die Klägerin habe trotz Kenntnis der Rechtsfolgen ihr Beschäftigungsverhältnis bei der Pension F. einvernehmlich mit
Aufhebungsvertrag beendet. Einen wichtigen Grund hierfür habe sie nicht mitgeteilt. Die Sanktion folge aus § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II. Entsprechend dem Sanktionsbescheid wurde unter Berücksichtigung der Minderung um 109,20 € monatlich mit Bescheid vom 24.08.2016
endgültig Alg II iHv 477,17 € für Juni 2016 und iHv 203,23 € für Juli 2016 sowie mit Bescheid vom 18.01.2018 endgültig Alg
II iHv 268,80 € für August 2016 bewilligt. Einen Sanktionsbescheid vom 29.06.2016, mit dem für den Zeitraum August bis Oktober
2016 das Alg II der Klägerin ebenfalls gemindert werden sollte, hielt der Beklagte nach seinem Schreiben vom 09.11.2016 nicht
weiter aufrecht.
Gegen den Bescheid vom 23.05.2016 legte die Klägerin Widerspruch ein. Das Beschäftigungsverhältnis sei aufgehoben worden,
weil die Ehefrau des Inhabers sie nicht mehr habe beschäftigen wollen. Ab 01.05.2016 habe sie eine neue Beschäftigung aufgenommen
und sei auch sonst ständig um eine Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung bemüht. Zur Sanktion sei sie nicht angehört worden
und habe das Anhörungsschreiben erst im Widerspruchsverfahren erhalten. Zwar sei es zutreffend, dass das Arbeitsverhältnis
durch den Aufhebungsvertrag gelöst worden sei, sie sei aber bereits zuvor mündlich gekündigt worden. Zwar sei diese Kündigung
nicht wirksam, es komme darin aber der Wille des Arbeitgebers zum Ausdruck, an dem Arbeitsverhältnis nicht mehr festhalten
zu wollen. Es hätte eine ordentliche Kündigung unproblematisch ausgesprochen werden können. Das Kündigungsschutzgesetz finde keine Anwendung, da beim Arbeitgeber weniger als zehn Arbeitnehmer beschäftigt gewesen seien. So sei die Beendigung
des Arbeitsverhältnisses unvermeidbar gewesen. Gründe für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses seien ihr unbekannt. Vermutlich
sei nicht genug Arbeit gewesen, um sie sozialversicherungspflichtig zu beschäftigen. So habe sie teilweise auch im Privathaushalt
der Inhaber gearbeitet oder eher sinnlose Arbeiten im Malergeschäft verrichten müssen. Sie habe weder einen schriftlichen
Arbeitsvertrag erhalten, noch habe der Arbeitgeber seine Pflichten aus den Nachweisgesetz erfüllt. Trotz einer mündlichen Zusage, dass sie jeden zweiten Sonntag frei habe, habe sie tatsächlich jeden Sonntag arbeiten
müssen. Sie habe sich umgehend wieder eine Beschäftigung gesucht und arbeite wieder. Auch wenn das neue Arbeitsverhältnis
nicht sozialversicherungspflichtig sei, liege das Einkommen nur unwesentlich unter dem bisherigen.
Auf weitere Nachfrage des Beklagten teilte der Arbeitgeber mit, es sei zutreffend, dass der Klägerin bereits eine Kündigung
ausgestellt worden bzw ihr bereits gekündigt worden sei. Die Klägerin sei den Anforderungen der Arbeiten in der Pension nicht
gewachsen gewesen. Die Probezeit habe drei Monate betragen. Hinsichtlich eines Arbeitseinsatzes an Sonntagen sei vereinbart
gewesen, dass gearbeitet werden müsse, wenn Gäste da seien. Hierfür sollte es dann an anderen Tagen frei geben. Die Klägerin
habe in den zwei Monaten ihres Arbeitsverhältnisses an einem Sonntag gearbeitet.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2016 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Es liege der Sanktionstatbestand des § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II vor, da die Klägerin die im
Dritten Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III) genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllt habe, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf
Arbeitslosengeld begründe. Durch den Abschluss des Aufhebungsvertrages habe die Klägerin ihre Arbeitslosigkeit grob fahrlässig
herbeigeführt. Weder habe sie einen Anschlussarbeitsvertrag noch eine konkrete Aussicht hierauf gehabt. Zwar habe der Arbeitgeber
eine Kündigung in Aussicht gestellt bzw zuvor rechtsunwirksam mündlich gekündigt. Mit Abschluss des Aufhebungsvertrags sei
jedoch eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt. Während einer Probezeit
gelte eine zweiwöchige Kündigungsfrist, so dass die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses rückwirkend zum 31.03.2016 kausal für
die früher eintretende Arbeitslosigkeit gewesen sei. Dies sei für die Klägerin auch absehbar gewesen. Ein wichtiger Grund
für die vorzeitige Arbeitsaufgabe sei nicht gegeben gewesen. Auch habe die Klägerin nicht jeden Sonntag arbeiten müssen, sondern
nach Angaben des Arbeitgebers vielmehr lediglich an einem Sonntag im gesamten Beschäftigungszeitraum.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 19.07.2016 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben. Sie habe nicht gewusst, dass ihr eine Sanktion drohe. Hätte sie dies gewusst, hätte sie sich nicht auf den Aufhebungsvertrag
eingelassen. Der Beklagte hat ausgeführt, es gebe anders als im Sperrzeitenrecht nach dem
SGB III keine Härtefallregelung im Sinne von §
159 Abs.
3 SGB III. Im SGB II dauere die Absenkung und der Wegfall des Alg II grundsätzlich drei Monate, während Sperrzeiten nach §
159 SGB III für Zeiträume von 1, 3, 6 oder 12 Wochen eintreten könnten. Insofern betreffe eine Sperrzeit nach dem
SGB III auch eine Versicherungsleistung, die ein eigentumsähnliches Recht im Sinne von Art.
14 Grundgesetz (
GG) darstelle. Im Bereich staatlicher Fürsorgeleistungen sei der Gesetzgeber wesentlich freier und es könnten unterschiedliche
Rechtsfolgen gerechtfertigt sein. Auch gebe es weitere Unterschiede zum Sperrzeitenrecht, wo für die Dauer der Sperrzeit der
Anspruch auf die Versicherungsleistung insgesamt entfalle und es zu einer Minderung des durch die Anwartschaft erworbenen
Sozialleistungsanspruchs komme. Eine Belehrung der Klägerin über mögliche Rechtsfolgen vor Abschluss des Aufhebungsvertrages
sei nicht erforderlich gewesen.
Das SG hat den Arbeitgeber der Klägerin schriftlich als Zeugen einvernommen. Dieser hat angegeben, der mündliche Arbeitsvertrag
sei in beiderseitigem Einvernehmen zum 31.03.2016 aufgehoben worden. Die im Rahmen des Arbeitsverhältnisses von der Klägerin
erbrachten Leistungen seien nicht ausreichend und der Umfang der auszuführenden Arbeiten sei zu reichlich gewesen, so dass
die Klägerin diese nicht habe überschauen können. Körperlich habe es keine Probleme gegeben. Die Klägerin sei oft wegen persönlicher
Termine "verhindert zur Arbeit gekommen".
Die Klägerin hat dazu ausgeführt, ihr sei nicht bekannt, dass sie wegen persönlicher Termine nicht habe zur Arbeit kommen
können. Sie habe mitgeteilt, dass eine dreimonatige Einarbeitungszeit wie bei jedem Arbeitgeber sinnvoll gewesen wäre. Bei
ihrem jetzigen Teilzeitjob habe sie sich auch schnell eingearbeitet und es habe keinerlei Probleme gegeben. Von einer älteren
Mitarbeiterin sei sie vor Gästen in lautem Ton angewiesen und von ihr auch angeschrien worden. Nach diesem Vorfall sei sie
weinend nach Hause gegangen. Die Auswirkungen des Aufhebungsvertrages, den die Ehefrau des Arbeitgebers unbedingt gewollt
habe, seien ihr nicht bewusst gewesen. Der Beklagte hat ergänzend ausgeführt, ein Fall des § 31 Abs. 1 SGB II sei nicht gegeben, da es sich um ein Arbeitsverhältnis handle, das nicht auf seine Initiative zustande gekommen sei. Ein
erforderlicher Bezug der Klägerin zum
SGB III sei gegeben, da es sich um eine versicherungspflichtige Beschäftigung gehandelt habe. Für eine Sanktion sei es unerheblich,
ob eine Beschäftigungsaufnahme vor oder während des Alg II-Bezuges erfolge.
Mit Gerichtsbescheid vom 16.08.2017 hat das SG den Bescheid vom 23.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2016 hinsichtlich der Feststellung einer
Minderung des Alg II der Klägerin für Juni bis August 2016 aufgehoben und den Beklagten unter Abänderung des Änderungsbescheides
vom 23.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2016 zur Zahlung von weiterem Alg II iHv 109,20 € monatlich
für die Zeit von Juni bis Juli 2016 verurteilt. Die Klägerin habe sich zwar geweigert, eine zumutbare Arbeit im Sinne von
§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II fortzuführen, sie sei aber weder schriftlich über die Rechtsfolgen ihres Handelns belehrt worden, noch habe sie nach ihrer
glaubhaften Darlegung Kenntnis über entsprechende Rechtsfolgen gehabt. Somit fehle es tatbestandlich an einer Pflichtverletzung.
Auch ein Tatbestand nach § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II liege nicht vor. Dieser sei nicht anwendbar, weil der Abschluss des Aufhebungsvertrages bereits durch § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II sanktionsbewährt sei. Voraussetzung für eine Anwendung sei, dass das "abverlangte Verhalten" nicht von § 31 Abs. 1 SGB II erfasst werde und eine Beziehung des Hilfebedürftigen zum Rechtskreis des SGB II bestehe. Eine solche enge Auslegung der Sanktionsvorschriften des SGB II sei im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum geboten. Es
werde damit gewährleistet, dass vor dem Eintritt einer ggf für den Leistungsberechtigten einschneidenden Sanktion eine Warnung
über die ihn möglicherweise treffenden Konsequenzen in Form einer Belehrung erfolgen müsse. Nur dann, wenn ein Fall vorliege,
in dem keine in § 31 Abs. 1 SGB II spezifisch für den Rechtskreis des SGB II geregelte Pflicht verletzt werde, könne eine Sanktion ohne vorherige Rechtsfolgenbelehrung auf den Rechtsgrundverweis des
§ 31 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 SGB II gestützt werden, soweit die Leistungsberechtigten durch die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zugleich
dem Rechtskreis des
SGB III zuzuordnen seien. Damit werde auch einer möglichen Ungleichbehandlung der Fälle vorgebeugt, in denen sich ein Leistungsberechtigter
aus dem Alg II-Bezug selbst eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung suche. Andernfalls würde dieser ohne die Notwendigkeit
einer vorherigen Rechtsfolgenbelehrung, wie diese bei einer Beschäftigungsaufnahme aufgrund eines Vermittlungsvorschlages
des Jobcenters notwendig sei, sanktioniert. Zwar sei die Klägerin durch die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigung in einer Beziehung zum Rechtskreis des
SGB III gestanden, die Anwendung des § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II scheitere aber daran, dass das der Klägerin abverlangte Verhalten bereits durch § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II erfasst werde. Der Änderungsbescheid sei wegen der Rechtswidrigkeit der Sanktion ebenfalls selbst rechtswidrig. Das SG hat die Berufung zugelassen.
Der Beklagte hat dagegen Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Der Anwendungsbereich des § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II sei vorliegend eröffnet. Ein Ausschluss widerspräche gerade dem Zweck der an die Voraussetzungen des
SGB III anknüpfenden Sanktionstatbestände, der darin läge, dass eine Sperrzeit nach dem
SGB III nicht folgenlos bleibe, auch wenn keine Anwartschaft auf Arbeitslosengeld vorliege. Dementsprechend sei auch die Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (BSG) auszulegen, wie es auch in der einschlägigen Kommentarliteratur getan werde. Eine entsprechende Abgrenzung finde sich zudem
in den fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit. Die Klägerin habe unstreitig eine insofern maßgebliche sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung ausgeübt, welche sie sich selbst gesucht habe, womit der erforderliche Bezug zum Rechtskreis des
SGB III und der Anwendungsbereich für eine Sanktion nach § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II eröffnet sei. Auch könne im vorliegenden Fall die Sanktion nicht auf § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II gestützt werden, da bereits fraglich sei, ob die Tatbestandsvoraussetzungen einer Fortführungsverweigerung überhaupt gegeben
sei, da der Arbeitgeber bereits vor Abschluss des Aufhebungsvertrages eine mündliche Kündigung ausgesprochen und damit zum
Ausdruck gebracht habe, dass er an dem Arbeitsverhältnis nicht länger festhalten wolle. Auch könne § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II Anwendung finden, wenn eine Sanktionierung nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II aufgrund fehlender Rechtsfolgenbelehrung bzw Kenntnis der Rechtsfolge ausscheide. Für den vorliegenden Fall bedürfe es keiner
vorherigen Rechtsfolgenbelehrung. Auch für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II gelte die Erwartung, dass ein Arbeitsplatz nicht ohne leistungsrechtliche Konsequenzen aufgegeben werden könne. Trotz der
angeblich zuvor erklärten, rechtsunwirksamen mündlichen Kündigung durch den Arbeitgeber sei durch den Abschluss des Aufhebungsvertrages
das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Kündigungsfrist - im Rahmen der Probezeit von zwei Wochen - aufgelöst worden. Es bestehe
daher eine Kausalität für die früher eintretende Arbeitslosigkeit. Ein wichtiger Grund für die vorzeitige Arbeitsaufgabe sei
nicht gegeben gewesen. Insbesondere die Angabe der Klägerin, sie habe jeden Sonntag arbeiten müssen, sei nicht zutreffend.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth 16.08.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat Anschlussberufung eingelegt und beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 16.08.2017 zurückzuweisen und den Bescheid vom 23.05.2016
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2016 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 24.08.2016
und 18.01.2018 zu verurteilen, weiteres Alg II in Höhe von 109,20 € monatlich für die Zeit von Juni bis August 2016 zu zahlen.
Nach ihrer Erinnerung habe es keine ausdrückliche mündliche Kündigung gegeben. Die Frau des Inhabers habe aber einen Aufhebungsvertrag
bereits vorbereitet gehabt. Diese habe gesagt, dass es für beide Beteiligten besser sei, einen Aufhebungsvertrag zu unterschreiben.
Auf ihre Frage, ob dies einer Kündigung entspräche, habe die Frau des Inhabers geantwortet, dass man dies so sehen könne.
Mangels einer Belehrung bzw Kenntnis über die Rechtsfolgen sei § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II nicht einschlägig. Eine Sanktion könne auch nicht auf § 31 Abs 2 Nr 4 SGB II gestützt werden, da es an einer Anwendbarkeit fehle. Der Abschluss des Aufhebungsvertrages sei bereits durch § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II sanktionsbewehrt. Eine enge Auslegung der Sanktionsvorschriften sei im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten
Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gerechtfertigt.
Der Beklagte hat weiter beantragt,
die Anschlussberufung der Klägerin zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist zulässig (§§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-), aber nicht begründet. Das SG hat zu Recht den Beklagten unter Aufhebung des Sanktionsbescheides vom 23.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 19.07.2016 verurteilt, der Klägerin für Juni und Juli 2016 weiteres Alg II zu zahlen. Der Bescheid vom 23.05.2016 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Dies gilt auch,
soweit der Beklagte mit Bescheid vom 23.05.2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25.05.2016 (Juni und Juli 2016)
ein um 109,20 € gemindertes Alg II gezahlt hat. Die (unselbständige) Anschlussberufung der Klägerin ist zulässig und dahingehend
begründet, dass der Beklagte auch zur Zahlung von 109,20 € für August 2016 zu verurteilen war.
Streitgegenstand ist vorliegend der Sanktionsbescheid vom 23.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2016,
mit dem der Beklagte die Minderung des Alg II der Klägerin für Juni bis August 2016 um monatlich 30 Prozent des maßgebenden
Regelbedarfs festgestellt und in diesem Umfang die Bewilligung von Alg II für die Monate Juni und Juli 2016 aufgehoben hat.
Der Bescheid vom 24.08.2016, mit dem ua Alg II endgültig für Juni und Juli 2016 bewilligt worden ist, ist ebenso wie der Bescheid
vom 18.01.2018 in Bezug auf die endgültige Bewilligung von Alg II für August 2018 Gegenstand des Verfahrens, da sie jeweils
leistungsrechtlich den Sanktionsbescheid umgesetzt haben. Die Bescheide bilden mit dem Sanktionsbescheid eine rechtliche Einheit
(vgl dazu BSG, Urteil vom 22.03.2010 - B 4 AS 68/09 R -; Urteil des Senats vom 06.02.2014 - L 11 AS 535/12 - alle zitiert nach juris). Darüber hinaus ist im Hinblick auf die Anschlussberufung der Klägerin auch der Anspruch auf Zahlung
von weiteren 109,20 € für August 2016 Streitgegenstand, da der Beklagte eine entsprechende Bewilligung nicht vorgenommen hat.
Die Feststellung des Beklagten, es sei eine Minderung des Alg II der Klägerin um 30 Prozent des für sie maßgeblichen Regelbedarfs
für die Monate Juni bis August 2016 eingetreten und die daraus folgende Aufhebung der Leistungsbewilligung von Juni bis Juli
2016 bzw nur um monatlich 109,20 € gekürzte endgültige Bewilligung von Alg II für Juni bis August 2016 ist rechtswidrig.
Nach § 40 Abs. 1 und 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. mit §
330 Abs.
3 Satz 1
SGB III i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen
Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Im Hinblick auf die Beschäftigungsaufgabe
bei der Pension F. liegt keine Pflichtverletzung der Klägerin iSv § 31 SGB II vor, so dass im Hinblick auf den Leistungsanspruch für Juni und Juli 2016 keine wesentliche Änderung eingetreten war.
Sofern die Klägerin tatsächlich das Anhörungsschreiben vom 07.04.2016 vor Erlass des Sanktionsbescheides vom 23.05.2016 nicht
erhalten haben sollte, wäre eine möglicherweise fehlende Anhörung iSv § 24 Abs. 1 SGB X im Rahmen der Durchführung des Widerspruchsverfahrens geheilt worden (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X). Die Klägerin hatte hier Gelegenheit, sich hinsichtlich der für die Entscheidung über einen möglichen Eintritt einer Minderung
ihres Alg II erheblichen Tatsaschen zu äußern und hat hiervon Gebrauch gemacht, so dass sich der Beklagte im Widerspruchsbescheid
vom 19.07.2016 mit dem Vorbringen auch auseinander gesetzt hat (zur Heilung eines Anhörungsmangels im Rahmen des Widerspruchsverfahrens:
BSG, Urteil vom 26.07.2016 - B 4 AS 47/15 R - und Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 196/11 R - beide zitiert nach juris).
Nach § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II mindert sich bei einer Pflichtverletzung nach § 31 SGB II das Alg II in einer ersten Stufe um 30 Prozent des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs. Vorliegend fehlt es jedoch an einer solchen Pflichtverletzung.
Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II ua ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis sich weigern, eine zumutbare
Arbeit fortzuführen, sofern sie nicht einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen (§ 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Nicht erforderlich ist es dabei, dass es sich um eine vom Beklagten angebotene Arbeit handelt (vgl dazu auch Valgolio in
Hauck/Noftz, SGB II, Stand 03/2018, § 31 Rn 91; anders ohne weitere Begründung: BayLSG, Urteil vom 21.07.2011 - L 7 AS 565/09 - juris). Auch stellt der Abschluss eines Aufhebungsvertrages eine Weigerung der Fortführung einer Arbeit dar (so auch BSG, Urteil vom 22.03.2010 - B 4 AS 68/09 R - juris; Valgolio aaO Rn 135). Damit wurde das Arbeitsverhältnis in jedem Fall vor einem Zeitpunkt beendet, zu dem eine
Kündigung hätte erfolgen können. Die mündlich erklärte Kündigung durch den Arbeitgeber war in jedem Fall formunwirksam (§
623 Bürgerliches Gesetzbuch -
BGB-). Soweit in der Literatur eine Fortführungsverweigerung angezweifelt wird, wenn das Beschäftigungsverhältnis ohnehin in
Kürze beendet worden wäre (so offenbar Sonnhoff in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 31 Rn 71) - was vorliegend hinsichtlich der kurzen Kündigungsfrist innerhalb der Probezeit ggf angenommen werden könnte -, gibt
es hierfür nach dem klaren Wortlaut der Norm keinen Anhaltspunkt. Vielmehr kommt es entsprechend der Rechtsprechung zur Arbeitsaufgabe
im
SGB III (so zB BSG, Urteil vom 12.07.2006 - B 11a AL 47/05 R - SozR 4-4300 § 144 Nr. 13; BayLSG, Urteil vom 09.03.2017 - L 10 AL 214/15 - juris) grds alleine darauf an, ob die Arbeitslosigkeit zu einem früheren Zeitpunkt als eine konkret drohende Kündigung
herbeigeführt wird. Das von der Klägerin abverlangte Verhalten, ihre (zumutbare) Arbeit fortzuführen, wird damit von § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II erfasst.
Allerdings fehlt es für die Annahme einer Pflichtverletzung an der hierfür erforderlichen schriftlichen Belehrung über die
Rechtsfolgen oder einer entsprechenden Kenntnis bei der Klägerin. Eine schriftliche Belehrung über den möglichen Eintritt
einer Minderung des Alg II bei einer Weigerung der Fortführung der Arbeit ist den Akten nicht zu entnehmen und vom Beklagten
auch nicht behauptet. Der Beklagte hätte jedenfalls die Möglichkeit gehabt, die Klägerin zu belehren, da sie spätestens am
11.02.2016 im Rahmen der Folgeantragstellung die Beschäftigungsaufnahme angezeigt hatte. Dass der Klägerin die möglichen Rechtsfolgen
aus anderen Gründen bekannt gewesen sein sollen, ist nicht ersichtlich. Sie hat auch selbst glaubhaft angegeben, vom drohenden
Eintritt einer Sanktion nichts gewusst zu haben. Dies wird vom Beklagten nicht bestritten, sondern vielmehr von ihm selbst
in der Berufungsbegründung vorgebracht, eine Sanktionierung nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II scheitere an der fehlenden Rechtsfolgenbelehrung bzw Kenntnis der Klägerin.
Auch eine Pflichtverletzung der Klägerin nach § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II kann nicht festgestellt werden. Danach liegt eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten vor, wenn sie
die im
SGB III genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld
begründen. Die Anwendbarkeit des § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II ist vorliegend jedoch ausgeschlossen, da das von der Klägerin abverlangte Verhalten bereits von § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II erfasst wird. Letzterer stellt eine spezielle gesetzliche Normierung des Tatbestandes einer Arbeitsaufgabe dar. In der Konsequenz
führt dabei eine Arbeitsaufgabe nur dann zu einer Sanktion, wenn auch eine schriftliche Rechtsfolgenbelehrung zuvor erteilt
worden ist oder der Leistungsberechtigte von diesen Folgen weiß. Ein Bedürfnis für eine erweiternde Auslegung des § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II auf solche Fälle besteht nicht (so insgesamt: Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, Stand 03/2018, § 31 Rn 134; weniger klar dagegen in Rn 202; offenbar für eine Anwendung des § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II in vorliegenden Fallgestaltungen, wenn nur ein Bezug zum
SGB III besteht: Sonnhoff in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 31 Rn 160 f; Berlit in LPK-SGB II, 6. Aufl 2017, § 31 Rn 104). Insbesondere kann § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II nicht als Auffangbecken herangezogen werden, wenn eine Sanktion nach § 31 Abs. 1 SGB II insbesondere wegen der dort erforderlichen Rechtsfolgenbelehrung bzw der Kenntnis der Rechtsfolgen scheitert (Knickrehm/Hahn
in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl 2017, § 31 Rn 87; Lauterbach in Gagel, SGB II/SGB III, Stand 03/2018, § 31 Rn 70). Dies folgt letztlich auch aus der Rechtsprechung des BSG. Zunächst wurde in der Entscheidung vom 17.12.2009 (B 4 AS 20/09 R - juris - zur vorhergehenden Rechtslage bei § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II aF) ausgeführt, die Anwendung von § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II sei ausgeschlossen, wenn das vom Leistungsberechtigten abverlangte Verhalten bereits von § 31 Abs. 1 SGB II erfasst ist und keine Beziehung des Leistungsberechtigten zum Rechtskreis des
SGB III besteht. In der späteren Entscheidung vom 22.03.2010 (B 4 AS 68/09 R - Rn 14 aE - juris) wird in Fortführung dieser Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass eine Heranziehung von §
31 Abs.
4 Nr.
3 b aF (jetzt: §
31 Abs.
2 Nr.
4 SGB III) im Sinne einer einschränkenden Anwendungsvoraussetzung voraussetze, dass das vom Leistungsberechtigten abverlangte Verhalten
nicht bereits von § 31 Abs. 1 SGB II erfasst ist und das sperrzeitrelevante Ereignis zu einem Zeitpunkt eintritt, in dem eine Beziehung des Leistungsberechtigten
zum Rechtskreis des
SGB III vorliegt. Dem schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an. Für den Ausschluss des § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II genügt damit, dass die Arbeitsaufgabe der Klägerin als sanktionsbewehrtes Verhalten vom Tatbestand des § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II erfasst wird (so auch Lauterbach in Gagel, SGB II/SGB III, Stand 03/2018, § 31 Rn 71; Burkiczak in BeckOK SozR/SGB II, Stand
03/2018, § 31 Rn 35). Ergänzend wird insofern auch auf die Ausführungen des SG hierzu Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§
153 Abs.
2 SGG).
Nach alledem kann dahinstehen, ob der Sanktionszeitraum Juni bis August 2016 zutreffend ist. Der Beklagte hat seine Entscheidung
im Bescheid vom 23.05.2016 zunächst auf § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II und später im Widerspruchsbescheid vom 19.07.2016 auf § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II gestützt. Sollte damit im Widerspruchsbescheid nicht nur ein (unschädlicher) Austausch der Rechtsgrundlagen, sondern eine
erstmalige Feststellung einer Pflichtverletzung nunmehr nach § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II gesehen werden, so wäre unter Berücksichtigung des Eintritts der Minderung im Folgemonat nach Wirksamwerden des Verwaltungsaktes,
der die Pflichtverletzung feststellt (§ 31b Abs. 1 Satz 1 SGB II), eine teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung für Juni und Juli 2016 schon deshalb nicht möglich.
Mangels des Eintritts einer Minderung des Alg II der Klägerin für die Monate Juni bis August 2016 stehen ihr für diesen Zeitraum
monatlich weitere 109,20 € zu.
Die Berufung des Beklagten hat nach alledem keinen Erfolg war daher zurückzuweisen. Auf die Anschlussberufung der Klägerin
war der Beklagte auch zur Zahlung von weiterem Alg II iHv 109,20 € für August 2016 zu verurteilen. Unter Berücksichtigung
des Umstandes der endgültigen Festsetzungen des Alg II mit den Bescheiden vom 24.08.2016 (Juni und Juli 2016) und 18.01.2018
(August 2016) waren diese entsprechend abzuändern.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.