Arbeitslosengeld II
Bewohnen einer Wohnung
Einstweiliger Rechtsschutz
Vorläufige Zahlungseinstellung
Gründe
I.
Streitig ist die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Hinblick auf das tatsächliche Bewohnen einer Wohnung.
Der Antragsteller (ASt) bezog vom Antragsgegner (Ag) Alg II. Zuletzt waren ihm auf seinen Antrag vom 10.05.2016 mit Bescheid
vom 10.05.2016 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 16.06.2016 und 28.06.2016 Leistungen für die Zeit vom 01.06.2016
bis 31.05.2017 unter Berücksichtigung eines Bedarfs für Unterkunft und Heizung für seine Wohnung A-Straße in A-Stadt bewilligt
worden. Mit Schreiben vom 15.08.2016 stellte der Ag vorläufig die Zahlung der Leistungen ein. Nach den Feststellungen des
Außendienstes würde der ASt seine angemietete Wohnung nicht bewohnen. Hierfür spreche auch, dass kaum Energie für Strom und
Heizung verbraucht würde. Mit Bescheid vom 14.10.2016 nahm der Ag sodann die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.09.2016
bis 31.05.2017 vollständig zurück. Aufgrund des sehr geringen Stromverbrauchs und der geringen Heizkosten sei festgestellt
worden, dass die angegebene Wohnung nicht bewohnt würde. Soweit man den ASt bei verschiedenen Außendienstbesuchen - nach Vorankündigung
- überhaupt angetroffen habe, sei dabei ersichtlich gewesen, dass er dort nicht wohne. Es seien im Antrag vom 10.05.2016 insofern
zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht worden. Dagegen hat der ASt am 20.10.2016 Widerspruch eingelegt, über den
nach Aktenlage bislang nicht entschieden worden ist.
Bereits am 02.09.2016 hat der ASt beim Sozialgericht Bayreuth (SG) beantragt, den Ag im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gem. §
86b Abs
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zu verpflichten, ihm vorläufig für September 2016 Alg II iHv 504,86 EUR und ab Oktober 2016 iHv 643 EUR monatlich zu zahlen.
Das SG hat darauf den Ag mit Beschluss vom 13.10.2016 verpflichtet, für die Zeit vom 02.09.2016 bis 30.09.2016 vorläufig Alg II
iHv 312,43 EUR und vom 01.10.2016 bis 31.05.2017 iHv monatlich 323,20 EUR zu zahlen. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt.
Nur hinsichtlich der Gewährung von Regelbedarfen sei ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden.
Es seien die Voraussetzungen für eine teilweise vorläufige Leistungseinstellung, die nicht durch Verwaltungsakt geltend gemacht
werden müsse, gegeben. Die Bewilligungsbescheide könnten im Hinblick auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die Vergangenheit
nach § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) teilweise aufgehoben werden, da der ASt die Wohnung nach den vorliegenden Hinweistatsachen nicht bewohne. Bei der Gewährung
des Regelbedarfs könne im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ein Abschlag von 20% vorgenommen werden.
Dagegen hat der ASt am 20.10.2016 Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
(PKH) für das Beschwerdeverfahren beantragt. Unter Abänderung des Beschlusses des SG sei der Ag zu verpflichten, vorläufig für September 2016 Alg II iHv 492,74 EUR und für Oktober 2016 bis Mai 2017 iHv monatlich
593,60 EUR zu zahlen. Eine Kürzung des Regelbedarfs komme nicht in Betracht. Es bestehe ein Anspruch auf Gewährung der Kosten
der Unterkunft, da er unter seiner Meldeanschrift seinen eigenen Haushalt führe.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die Akten des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§
172,
173 SGG), aber nicht begründet. Eine Änderung des Beschlusses des SG zugunsten des ASt kommt nicht in Betracht, da der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Erfolg ist.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist vorliegend der Antrag des ASt, den Ag zu weiteren vorläufigen Zahlungen im Rahmen
einer einstweiligen Anordnung (§
86b Abs
2 SGG) zu verpflichten. Dies ergibt sich aus dem bisherigen Streitgegenstand vor dem SG und den vom ASt gestellten Antrag in seiner Beschwerdeschrift.
Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes in Form einer einstweiligen Anordnung, wie sie hier beantragt
ist, stellt §
86b Abs
2 Satz 2
SGG dar. Insofern hat das SG den Ag zur vorläufigen, teilweisen Fortzahlung der mit Bescheid vom 10.05.2016 in der Fassung der Änderungsbescheide vom
16.06.2016 und 28.06.2016 bewilligten Leistungen gem. §
86b Abs
2 SGG verpflichtet, da die vorläufige Zahlungseinstellung (§ 40 Abs 2 Nr 4 SGB II i.V.m. §
331 Abs
1 Satz 1
SGB III) keinen Verwaltungsakt darstellt und in der Hauptsache damit eine allgemeine Leistungsklage, nicht aber eine Anfechtungsklage
statthaft wäre (vgl auch Düe in Brand,
SGB III, 7. Auflage, §
331 Rn 7). Bei der Zahlungseinstellung handelt es sich insofern lediglich um die Statuierung eines Zurückbehaltungsrechts, das
die Fälligkeit des sich aus dem Bewilligungsbescheid ergebenden Anspruchs aufhebt und nicht durch Verwaltungsakt geltend gemacht
zu werden braucht. Damit soll eine Aufhebungsentscheidung als endgültige Leistungseinstellung vorbereitet und im Fall des
Wegfalls der gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen das Auflaufen einer Erstattungsforderung vermieden werden (vgl dazu im
Einzelnen: Beschluss des Senates vom 15.07.2015 - L 11 AS 353/15 B ER - [...] - mwN).
Insoweit ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der
Fall, wenn der ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren
Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 - BVerfGE 79, 69; vom 19.10.1997 - BVerfGE 46, 166 und vom 22.11.2002 - NJW 2003, 1236). Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das
Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus.
Die Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§
86b Abs
2 Satz 2 und
4 SGG i.V.m. §
920 Abs
2, §
294 ZPO; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage, §
86b Rn 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes
sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen
Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 - Breithaupt 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre
eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches
der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund
entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund
und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung
der grundrechtlichen Belange des ASt zu entscheiden (vgl BVerfG vom 15.01.2007 - 1 BvR 2971/06; vom 12.05.2005 - Breithaupt 2005, 803 und vom 22.11.2002 - NJW 2003, 1236; weniger eindeutig BVerfG, Beschluss vom 04.08.2014 - 1 BvR 1453/12).
Ein Anordnungsanspruch ist aber nicht mehr gegeben. Mit dem Erlass des Bescheides vom 14.10.2016 hat der Ag die Leistungsbewilligung
ab September 2016 bis einschließlich Mai 2017 vollständig zurückgenommen. Dies steht aber einem Leistungsanspruch (derzeit)
entgegen, da der Bescheid trotz des dagegen vom ASt eingelegten Widerspruchs vom 20.10.2016 nach § 39 Nr 1 SGB II i.V.m. §
86a Abs
2 Nr
4 SGG - unabhängig von dessen Rechtmäßigkeit - sofort vollziehbar ist. Der ASt kann damit aus dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid
keine Leistung verlangen.
Anderes gilt erst dann, wenn in Bezug auf den Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.10.2016 die aufschiebende Wirkung angeordnet
würde. In den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, kann das Gericht der Hauptsache
auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, §
86b Abs
1 Satz Nr
2 SGG. Ein solcher Antrag ist im Hinblick auf §
86b Abs
2 Satz 1
SGG vorrangig vor einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, da ein letzterer nur zulässig ist, soweit nicht ein
Fall nach §
86b Abs
1 SGG vorliegt.
Bislang wurde ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 20.10.2016 gegen den Bescheid vom 14.10.2016
nicht gestellt. Als Gericht der Hauptsache iSv §
86b Abs
1 Satz 1
SGG wäre hierfür das SG zuständig. In einem solchen Verfahren wäre insbesondere zu prüfen, ob der Bescheid vom 14.10.2016 rechtmäßig ist. Dabei wäre
zu beachten, dass den Ag zunächst die Feststellungslast für das Nichtbestehen eines Anspruchs auf den Regelbedarf und das
Nichtbewohnen der vom ASt angemieteten Wohnung trifft, da er sich insofern auf diese Tatsachen beruft. Von Belang könnten
dabei die Angaben des ASt bei seiner Befragung am 23.11.2015 sein, wonach er sich bei seiner Freundin wegen deren Kindern
nicht über Nacht bzw. länger aufhalten könne. Ggf. wären in einem etwaigen Hauptsacheverfahren weitere Ermittlungen wie die
Befragung von Zeugen notwendig. Fraglich erscheint auch, ob der ASt tatsächlich grob fahrlässig falsche Angaben gemacht hat.
Die Beschwerde war nach obigen Ausführungen zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des §
193 SGG.
Aus den oben dargelegten Gründen ist die für die Bewilligung von PKH erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht der Beschwerde
gemäß §
73a Abs
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
114 ZPO nicht gegeben. Der Antrag auf PKH war somit abzulehnen.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).