Parallelentscheidung zu LSG Bayern - L 11 AS 777/15 B ER – v. 15.12.2015
Gründe
I.
Streitig ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
(Arbeitslosengeld II - Alg II -) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die mietfrei wohnende Antragstellerin ist spanische Staatsangehörige. Vom 17.06.2015 bis zur Kündigung zum 06.08.2015 arbeitete
sie bei der Firma P. Dienstleistungen GmbH + Co. KG (P). Am 17.08.2015 beantragte sie die Bewilligung von Alg II. Mit Bescheid
vom 19.08.2015 lehnte der Antragsgegner diesen Antrag ab. Es bestehe kein Arbeitnehmerstatus mehr und die Antragstellerin
sei nicht unfreiwillig arbeitslos geworden. Das Beschäftigungsverhältnis sei aufgrund vertragswidrigen Verhaltens beendet
worden. Dagegen erhob die Antragstellerin Widerspruch. Die Angabe der Arbeitgeberin zum vertragswidrigen Verhalten sei unzutreffend.
Über den Widerspruch ist bislang noch nicht entschieden. Am 11.09.2014 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Würzburg
(SG) einstweiligen Rechtsschutz dahingehend beantragt,
den Antragsgegner zu verpflichten, die begehrten Leistungen auszuzahlen, zumindest jedoch die Krankenversicherung zu bezahlen.
Sie gehe derzeit einem "Minijob" nach. Hinsichtlich der Nachfrage des SG zur geringfügigen Beschäftigung hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 07.10.2015 um Fristverlängerung bis 26.10.2015
gebeten. Das SG hat mit Beschluss vom 12.10.2015 den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Ein Hilfebedarf sei von der Antragstellerin
nicht glaubhaft gemacht worden. Sie habe trotz Aufforderung keine Unterlagen zu ihrer geringfügigen Tätigkeit vorgelegt. Der
Bedarf in Höhe von 399,00 EUR könne eventuell durch die Einnahmen aus dem "Minijob" gedeckt werden, wobei ein Abschlag vom
Regelbedarf in Höhe von 30 von Hundert im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens regelmäßig zu berücksichtigen sei.
Dagegen hat die Antragstellerin Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben. Der Antragsgegner hat mitgeteilt,
die Antragstellerin habe im September 2015 Lohn von P in Höhe von 222,52 EUR netto erhalten. Zusätzlich habe sie im September
2015 Lohn für eine ab 23.08.2015 aufgenommene geringfügige Tätigkeit als Reinigungskraft beim G. Hof (G) in Höhe von 342,13
EUR netto erhalten. Durch diese Tätigkeit habe sie im September 2015 733,13 EUR netto und im Oktober 2015 1.187,89 EUR netto
verdient. Die wöchentliche Arbeitszeit habe zuletzt 20 Stunden pro Woche betragen. Lediglich für September 2015 errechne sich
somit ein noch nicht gedeckter Bedarf. Der entsprechende Betrag für September werde an die Antragstellerin ausgezahlt. Zur
Ergänzung des Tatbestands wird auf die beigezogene Akte des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug
genommen.
II.
Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ( §§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-) ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat im Ergebnis zutreffend den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt. Rechtsgrundlage für die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes in Bezug auf das geltend gemachte Begehren zur Regelung eines vorläufigen Zustandes stellt im
vorliegenden Rechtsstreit §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG dar, denn die Antragstellerin begehrt die Bewilligung von Leistungen. Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn den Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere
und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht
mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel/ Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. Rn. 652). Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes
- das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche
Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Antragsteller glaubhaft zu machen
(§
86b Abs.
2 Satz 2 und
4 SGG i.V.m. §
920 Abs.
2, §
294 Zivilprozessordnung -
ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer,
SGG 11. Aufl., §
86 b Rn. 41). Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes
sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen
Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich
unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde
Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen.
In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu entscheiden
(vgl. BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 - 1 BvR 2971/06 -). In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend
geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das
Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend
geprüft werden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO; weniger eindeutig: BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014 - 1 BvR 1453/12). Für den Monat September 2015 fehlt es bereits am Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Zwar kommt für September 2015 nach
Auffassung des Antragsgegners ein Anspruch auf Aufstockung des Einkommens mit Alg II in Betracht. Der Antragsgegner hat sich
jedoch, nachdem nunmehr Unterlagen über das Einkommen der Antragstellerin vorliegen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren
vom SG hätten angefordert bzw. deren Übersendung durch die Antragstellerin insbesondere aufgrund der Bitte um Fristverlängerung
hätte abgewartet werden können, bereit erklärt, die entsprechende Leistung nachzuzahlen. Somit besteht jedenfalls bereits
aus diesem Grunde keine Eilbedürftigkeit mehr. Für die Zeit ab Oktober 2015 kann die Antragstellerin ihren Bedarf in Höhe
von 399,00 EUR - Unterkunft und Heizungskosten fallen nach ihrer Auskunft nicht an - unter Berücksichtigung der entsprechenden
Freibeträge aus ihrem Einkommen aus der mehr als geringfügigen Tätigkeit bei G zweifellos decken. Eine Beendigung des derzeitigen
Beschäftigungsverhältnisses bei G bzw. eine Verringerung des zuletzt genannten zeitlichen Umfanges der Tätigkeit hat die Antragstellerin
sie nicht angegeben. Damit besteht mangels entsprechendem Hilfebedarfes zurzeit kein Anspruch auf Alg II und somit kein Anordnungsanspruch.
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).