Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II; Kein einstweiliger Rechtsschutz im sozialgerichtlichen Verfahren nach Erbringung der begehrten Leistung
1. Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht eine Wechselbeziehung.
2. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach-
und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist.
3. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden
Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen; sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache
offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
4. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch
weniger streng zu beurteilen.
5. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu
entscheiden.
Gründe
I.
Streitig ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die Übernahme von Mietschulden des Antragstellers. Der Antragsteller
(Ast) bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zuletzt wohl aufgrund des Bescheides vom 22.09.2015 für die Zeit vom 01.08.2015 bis 29.02.2016. Er bewohnt eine Wohnung
der Gemeinde A-Stadt, an die bislang die Unterkunftskosten vom Antragsgegner (Ag) gezahlt wurden. Wegen vollständigen Wegfalls
des Alg II aufgrund mehrerer Sanktionsbescheide zuletzt bis 31.12.2015 entstanden Mietschulden, die u. a. zu einer Räumungsklage
des Vermieters vor dem Amtsgericht S. führten. Am 30.09.2015 beantragte der Ast beim Ag die Gewährung eines Darlehens, das
verhindere, dass er die Wohnung verliere. Bereits am 15.10.2015 hat der Ast einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht
Würzburg (SG) u. a. dahingehend begehrt, dass der Ag ihm dadurch helfe, nicht obdachlos zu werden, dass er die fällige Miete für seine
Wohnung und die fällige Entschädigung für die Dauer der weiteren Wohnungsnutzung seiner Wohnung nach Kündigung zahle. Das
SG hat mit Beschluss vom 21.10.2015 den Ag verpflichtet, dem Ast vorläufig ein Darlehen in Höhe von 3.461,30 EUR zur Begleichung
der Mietschulden zu gewähren. Mit diesem Betrag könne er die bis Oktober 2015 entstandenen Mietschulden begleichen. Der Ag
hat daraufhin mit Ausführungsbescheid vom 23.11.2015 3.461,30 EUR an den Vermieter als Darlehen für den Ast ausgezahlt. Gegen
den Darlehensbescheid vom 11.11.2015 hat der Ast Widerspruch ohne weitere Begründung erhoben. Mit weiterem Bescheid vom 09.12.2015
hat der Ag ein Darlehen für die für November und Dezember 2015 entstandenen Mietschulden bewilligt (Auszahlung direkt an den
Vermieter). Gegen den Beschluss des SG vom 21.10.2015 hat der Ast Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben und seinen bisherigen Antrag wiederholt.
Dabei gehe es ihm um die Miete für November und Dezember 2015. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte
des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-) ist zulässig, aber nicht begründet. Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Hinblick auf das Begehren
zur Regelung eines vorläufigen Zustandes stellt §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG dar. Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann
der Fall, wenn den Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen,
zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79,
69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel/ Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. Rn. 652).
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen
eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt - voraus.
Die Angaben hierzu hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 2 und
4 SGG i.V.m. §
920 Abs.
2, §
294 Zivilprozessordnung -
ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG 10. Aufl., §
86 b Rn. 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes
sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen
Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich
unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch
weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen
Belange des Ast zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 - 1 BvR 2971/06 -).
In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend
geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das
Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend
geprüft werden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO; weniger eindeutig: BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014 - 1 BvR 1453/12). Vorliegend fehlt es bereits am vorliegen eines Anordnungsgrundes. Nachdem der Ag den Beschluss des SG vom 21.10.2015 ausgeführt hat und vorläufig ein Darlehen an den Ast für die Mietschulden bis Oktober 2015 bewilligt hat,
ist keine Eilbedürftigkeit mehr zu erkennen. Auch wenn der Ag dieses Darlehen direkt - wie bisher auch - an den Vermieter
ausgezahlt hat, ist die Eilbedürftigkeit einer weiteren Regelung hinsichtlich der Auszahlungsmodalitäten im Rahmen des einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens nicht erforderlich; die bestehenden Mietschulden bis Oktober 2015 sind vorläufig gedeckt. Die weitere
Klärung der eventuell noch streitigen Frage (u.a. § 22 Abs. 7 SGB II) - der Ast hat seinen Widerspruch gegen den Darlehensbescheid vom 11.11.2015 trotz Ankündigung bislang nicht begründet -
bleibt einem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Auch hinsichtlich der Mietschulden für November und Dezember 2015 besteht keine
Eilbedürftigkeit mehr, denn der Antragsgegner hat auch diesbezüglich bereits ein Darlehen mit Bescheid vom 09.12.2015 bewilligt.
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).