Grundsicherung; Leistungen; Lebensunterhalt; Arbeitsverhältnis; Arbeitszeit; Sozialhilfe; Arbeitslosengeld
Gründe
I.
Die Antragssteller (ASt) begehren für die Zeit ab dem 22.11.2016 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), alternativ die Zahlung von Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU) nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) durch den Träger der Sozialhilfe.
Die ASt zu 1 sowie ihre Kinder, die ASt zu 2 (geb. 2013) und ASt zu 3 (geb. 2015), sind rumänische Staatsangehörige und -
nach Lage der Akten - am 12.06.2016 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Am 15.07.2016 beantragten sie beim Antragsgegner
(Ag) die Zahlung von Leistungen nach dem SGB II. Ausweislich eines Mietvertrages vom 15.06.2016 sei für ihre Zwei-Zimmer-Wohnung (42 qm) eine monatliche Kaltmiete in Höhe
von 340,00 EUR sowie ein Betriebskostenvorschuss (40,00 EUR) und ein Heizkostenvorschuss (120,00 EUR) zu entrichten. Einem
Arbeitsvertrag vom 09.06.2016 zufolge sei die ASt zu 1 für die Zeit ab dem 01.07.2016 als Haushaltshilfe (Gartenarbeiten,
Hausarbeiten) eingestellt. Die Tätigkeit beginne am 01.08.2016. Die monatliche Arbeitszeit (Mini- Job) betrage ca. 20 Stunden
und werde mit 8,90 EUR je Stunde entlohnt. Die ASt zu 1 hat die Befreiung von Rentenversicherungspflicht beantragt. Soweit
der Arbeitsvertrag keine Regelungen vorsehe, seien die gesetzlichen Vorschriften insbesondere die gesetzlichen Kündigungsfristen
maßgeblich. Die ASt zu 1 sei verpflichtet, eine Arbeitsverhinderung oder eine Erkrankung unverzüglich anzuzeigen und bei Arbeitsunfähigkeit
innerhalb von drei Tagen eine Bescheinigung des behandelnden Arztes vorzulegen. Zudem habe sie Anspruch auf 25 Arbeitstage
Urlaub im Jahr. Für die Monate August und September 2016 bezog die ASt zu 1 Arbeitsentgelt in Höhe von jeweils 186,90 EUR
(bei jeweils 21 Arbeitsstunden).
Mit Bescheid vom 31.08.2016 idG des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2016 lehnte der Ag gegenüber der ASt zu 1 die Zahlung
von Alg II ab. Die Ablehnung der Leistungen wegen der unterlassenen Vorsprache, mit der die Ablehnung im Bescheid vom 31.08.2016
begründet worden sei, werde nicht mehr aufrechterhalten, nachdem die ASt zu 1 im Rahmen des Widerspruchsverfahrens vorgesprochen
habe. Gleichwohl bestehe kein Leistungsanspruch, denn sie sei zur Arbeitssuche in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.
Damit falle sie unter den europarechtskonformen Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Die ASt zu 1 sei auch nicht als Arbeitnehmerin anzusehen, denn der nachgewiesene Minijob stelle in seiner Gesamtschau eine
völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit dar, die keinen Arbeitnehmerstatus vermittle.
Dagegen haben die ASt Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben (S 18 AS 549/16) und am 22.11.2016 zugleich die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes begehrt. Leistungen nach dem SGB II seien ab dem Zeitpunkt der Antragstellung beim SG zu gewähren. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II greife nicht, denn sie, die ASt zu 1, sei als Arbeitnehmerin anzusehen. Mit Beschluss vom 24.11.2016 hat das SG den Landkreis B-Stadt als örtlichen Träger der Sozialhilfe beigeladen. Den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat das
SG mit Beschluss vom 01.12.2016 abgelehnt. Als Arbeitssuchende sei die ASt zu 1 von einem Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen. Die Tätigkeit, die sie ausübe, sei völlig untergeordnet und unwesentlich, so dass hierdurch kein Arbeitnehmerstatus
vermittelt werde. Auch ein Anspruch gegen den Sozialhilfeträger bestehe nicht. Die ASt zu 1 sei lediglich Arbeitssuchende,
so dass der Ausschluss nach § 23 Abs. 3 SGB XII greife. Leistungen seien auch nicht nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII im Rahmen einer Ermessensentscheidung zu gewähren, denn der Aufenthalt der ASt sei nach weniger als einem halben Jahr noch
nicht verfestigt. Es sei legitim, ausländische Staatsbürger auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen in ihrem Heimatland
zu verweisen. Ungeachtet dessen sei eine Hilfebedürftigkeit der ASt nicht nachvollziehbar.
Gegen den Beschluss haben die ASt Beschwerde beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Die Auffassung des SG, die auf der Grundlage vom 09.06.2016 ausgeübte Tätigkeit sei als untergeordnet und unwesentlich anzusehen, sei unzutreffend.
Sie, die ASt zu 1, unterliege allen für ein Arbeitsverhältnis geltenden Arbeitnehmerpflichten und die Frage des zeitlichen
Umfanges sei nicht relevant, denn in der Rechtsprechung gebe es keine Festlegung auf eine zeitliche Mindestgrenze.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter
Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerechte Beschwerde ist zulässig (§§
172 Abs.
1,
173 Sozialgerichtsge-setz -
SGG) und im tenorierten Umfang begründet.
Gegenstand des Rechtsstreites ist die (vorläufige) Bewilligung von Alg II für die Zeit ab 22.11.2016, die die ASt (für die
Zeit ab Juli 2016) bereits in der Hauptsache vor dem SG (S 18 AS 549/16) im Rahmen einer Anfechtungs- und Leistungsklage geltend machen, so dass vorliegend §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes darstellt. Vorliegend kann dahinstehen, dass
Ausgangspunkt des Eilverfahrens lediglich der Ablehnungsbescheid vom 31.08.2016 in Bezug auf die ASt zu 1 ist, wohingegen
nach Lage der Akten über die Ansprüche der ASt zu 2 und 3 bislang (wohl) nicht entschieden ist.
Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der
Fall, wenn der Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen,
zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG, Beschluss vom 25.10.1998 -
2 BvR 745/88 - BVerfGE 79, 69 (74); Beschluss vom 19.10.1977 - 2 BvR 42/76 - BVerfGE 46, 166 (179); Beschluss vom 22.11.2002 - 2 BvR 745/88 - NJW 2003, 1236).
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen
eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt - voraus.
Die Angaben hierzu hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 2 und
4 SGG iVm §
920 Abs.
2, §
294 Zivilprozessordnung -
ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl, §
86b Rn 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes
sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage in dem vom BVerfG vorgegebenen
Umfang (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Breith 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich
unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen und deshalb eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung
in den Grundrechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann,
droht, ist eine Versagung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nur dann möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend
geklärt ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 - 1 BvR 1335/13). Für eine Entscheidung aufgrund einer sorgfältigen und hinreichend substantiierten Folgenabwägung ist nur dann Raum, wenn
eine - nach vorstehenden Maßstäben durchzuführende - Rechtmäßigkeitsprüfung auch unter Berücksichtigung der Kürze der im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren regelmäßig zur Verfügung stehenden Zeit nicht verwirklicht werden kann, was vom zur Entscheidung berufenen
Gericht erkennbar darzulegen ist (vgl zum Ganzen auch: BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 - 1 BvR 1335/13; Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Breith 2005, 803; weniger eindeutig: BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014 - 1 BvR 1453/12).
Unter Beachtung dieser Überlegungen ist den ASt einstweiliger Rechtsschutz im tenorierten Umfang zu gewähren, denn im Hinblick
auf den Arbeitsvertrag vom 09.06.2016 gibt es hinreichende Anhaltspunkte dafür, in einem Hauptsacheverfahren von einer Arbeitnehmereigenschaft
der ASt zu 1 für die Zeit ab dem 01.08.2016 auszugehen, womit nicht der Beigeladene sondern der Ag vorläufig zu verpflichten
war, Leistungen der Grundsicherung an die ASt zu erbringen.
Leistungen nach dem SGB II erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig (iSd § 8 SGB II) sowie hilfebedürftig (iSd § 9 SGB II) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Diese
Voraussetzungen erfüllt der ASt zu 1. Sie hat die Altersgrenze für den Alg II- Bezug noch nicht erreicht, Einschränkungen
der Erwerbsfähigkeit sind nicht dargelegt und die ASt zu 1 ist derzeit nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt (und den ihrer
Kinder) aus eigenem Einkommen oder Vermögen zu bestreiten. Dies wird vom Ag auch nicht in Abrede gestellt.
Ausgenommen von einem Leistungsbezug sind aber Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck
der Arbeitsuche ergibt (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b SGB II). An der Europarechtskonformität dieses Leistungsausschlusses bestehen im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH (vgl.
Urteil vom 02.06.2016 - C-233/14 (Rs. Alimanovic) - NVwZ 2016, 1076ff) und des BSG (Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - SozR 4-4200 § 7 Nr. 43) zwar keine Zweifel mehr, jedoch ist aufgrund der Darlegung der ASt zu 1, sie gehe einer abhängigen
Beschäftigung mit einer monatlichen Arbeitszeit von 21 Stunden nach, nicht ohne weiteres auszuschließen, dass sie als Arbeitnehmerin
iSd § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) anzusehen ist, so dass sie ihr Aufenthaltsrecht nicht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ableitet und ein Leistungsschluss
des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht greift.
Der Begriff des Arbeitnehmers in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ist, wie die Bezugnahme auf das FreizügG/EU und die europäischen Vorschriften zeigt, europarechtlich geprägt, denn durch die Regelung zum Leistungsausschluss wird die
die Freizügigkeitsrechte der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen innerhalb der Union regelnde RL 2004/38/EG - auf Grundlage der Europäischen Verträge - in nationales Recht umgesetzt. Mangels einer europarechtlich kodifizierten Definition
des Arbeitnehmerbegriffs ist daher auf die Ausprägung zurückzugreifen, die er auf Grundlage der Rechtsprechung des EuGH erfahren
hat. Die Arbeitnehmereigenschaft wird danach bei der Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit als gegeben angesehen,
was gestützt auf objektive Kriterien und in einer Gesamtbetrachtung aller Umstände, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten
und des fraglichen Arbeitsverhältnisses betreffen, festzustellen ist. Um Arbeitnehmer zu sein, muss die betreffende Person
während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringen, für die sie als Gegenleistung eine
Vergütung erhält. Dabei sind nicht nur Gesichtspunkte wie die Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung zu berücksichtigen, sondern
auch solche wie der Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung des Tarifvertrags
in der jeweils gültigen Fassung auf den Arbeitsvertrag sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses. Dies bedeutet, dass eine
Integration in den Betrieb des Arbeitgebers gegeben sein muss, bei der die betreffende Person unter der Weisung oder Aufsicht
eines Dritten steht, der die zu erbringenden Leistungen und/oder die Arbeitszeiten vorschreibt und dessen Anordnungen durch
den Arbeitnehmer zu befolgen sind (vgl. BSG, Urteil vom 03.12.2015 aaO mwN und unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH in den Verfahren C-14/09 [Urteil vom 04.02.2010], C-413/01 [Urteil vom 6.11.2003] und C-46/12 [Urteil vom 21.2.2013]).
Das Bundessozialgericht hat bereits in seiner Entscheidung vom 19.10.2010 (B 14 AS 23/10 R - SozR 4-4200 § 7 Nr. 21), wenn auch nicht in den Gründen tragend, ausgeführt, dass ein Beschäftigungsverhältnis mit einer
Wochenarbeitszeit von 7,5 Stunden und einem monatlichen Entgelt von 100,00 EUR die Arbeitnehmereigenschaft iSv § 2 Abs. 2 Nr. 1 (vormals Nr. 1 Alt. 1) FreizügG/EU begründet, wobei das Arbeitsverhältnis der ASt zu 1 bereits in seiner Gesamtbetrachtung von Arbeitsentgelt und Arbeitszeit
diesen Arbeitsbedingungen qualitativ gleichwertig erscheint (fünf Arbeitsstunden pro Woche; Arbeitsentgelt: 186,90 EUR).
Der Senat teilt nicht die Auffassung des SG, dass sich vorliegend das Arbeitsverhältnis der ASt zu 1 als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt. Die vom SG in Bezug genommeine Rechtsprechung und Literaturmeinung rekuriert auf die Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Levin
(Urteil vom 23.03.1982 - 53/81 - juris Rn.17) und Meeusen (Urteil vom 08.06.1999 - C-337/97 - juris Rn.13), wonach der Begriff des Arbeitnehmers als ein Begriff des Gemeinschaftsrechts, nicht eng auszulegen sei. Arbeitnehmer
sei jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübe, wobei aber Tätigkeiten außer Betracht blieben, die einen so geringen
Umfang hätten, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellten. In diesem Zusammenhang hat der EuGH aber
auch ausgeführt, dass es mit dem Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowie mit der Stellung der diesbezüglichen Bestimmungen
innerhalb des Systems des Vertrages der Europäischen Union unvereinbar wäre, wenn der Inhalt dieser Begriffe der Kontrolle
durch die Gemeinschaftsorgane entzogen würde, indem es den nationalen Gesetzgeber überlassen bliebe - einseitig durch nationale
Rechtsvorschriften - die Begrifflichkeiten festzulegen, so dass sie in der Lage wären, bestimmten Personengruppen nach Belieben
den Schutz des Vertrages zu entziehen (vgl. EuGH, Urteil vom 23.03.1982 aaO Rn.11). Ausgehend von diesem europarechtlichen
Verständnis des Arbeitnehmerbegriffes, der im Wesentlichen geprägt ist durch den Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit und
den Gleichbehandlungsgrundsatz, wird auch für die Auslegung des Begriffes Arbeitnehmer im Rahmen des § 7 Abs. 1 SGB II in erster Linie darauf abzustellen sein, ob ausländischen Arbeitnehmern, die (noch) nicht über eine (grundsicherungsrechtlich)
gefestigte Aufenthaltsberechtigung verfügen, soziale Teilhaberechte und Vergünstigungen in vergleichbarer Weise in ihrem Beschäftigungsverhältnis
zugutekommen, wie sie inländische oder ausländische Arbeitnehmern mit einer (grundsicherungsrechtlich gefestigten) Aufenthaltsberechtigung
in Anspruch nehmen können. Damit wird für die Frage, ob eine Tätigkeit völlig untergeordnet und unwesentlich ist, nicht in
erster Linie auf den wirtschaftlichen Ertrag einer Tätigkeit abzustellen sein und in welchem Umfang hierdurch eine Existenzsicherung
möglich erscheint, sondern ob das Arbeitsverhältnis in einer Weise strukturiert ist, dass es einem inländischen Erwerbstätigen
Zugang zu den Rechten eines Arbeitnehmers verschaffen würde. Insoweit könnte vorliegend das vom SG in den Vordergrund gestellte Kriterium des Maßes der Existenzsicherung allenfalls als Indiz gegen eine Erwerbstätigkeit von
Relevanz sprechen, soweit der ASt zu 1 durch ihr Arbeitsverhältnis kein Zugang zu Rechten eines Arbeitnehmers verschafft würde.
Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Anhaltspunkte dafür, dass es sich um ein Scheinarbeitsverhältnis handelt und die
ASt zu 1 nicht verpflichtet wäre, sich arbeitnehmertypisch in die vom Arbeitgeber vorgegeben Struktur einzufügen, gibt es
nicht. Darüber hinaus hat sie ausweislich ihres Arbeitsvertrages vom 09.06.2016 Anspruch auf 25 Tage Jahresurlaub und - dies
ergibt sich aus §
3 Abs.
1 Satz 1
Entgeltfortzahlungsgesetz (EntFG) - Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Ein inländischer Erwerbstätiger wäre angesichts dieser Umstände auf der Grundlage
der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) - ungeachtet der Höhe des Verdienstes - ohne jede Einschränkung
als Arbeitnehmer zu qualifizieren, so dass es - unter Beachtung der oben genannten Auslegungskriterien - derzeit keinerlei
Anhaltspunkte dafür gibt, der ASt zu 1 sei die Anerkennung dieses Status im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens zu verweigern.
Dies zugrunde gelegt, lassen sich die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zwar noch nicht abschließend beurteilen, es gibt
jedoch mehr als hinreichende Anhaltspunkte, die auf das Bestehen eines materiellrechtlichen Anspruches der ASt in der Hauptsache
hinweisen. Damit sind die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruches zwar nicht vollständig glaubhaft gemacht, die Frage des
Anordnungsanspruches ist jedoch allenfalls noch als offen zu betrachten, so dass aber gleichwohl das Vorliegen eines Anordnungsgrundes
zu betrachten ist. Dessen Voraussetzungen sind zumindest für die Zeit ab dem Monat der Beschwerdeentscheidung glaubhaft gemacht.
Die ASt sind nach ihren nicht widerlegbaren Angaben derzeit außer Stande, ihre elementaren Grundbedürfnisse durch Einkommen
oder Vermögen sicherzustellen. Im Ergebnis ist daher eine existenzielle Notlage der ASt belegt, die den Erlass einer Regelungsanordnung
rechtfertigt.
Um einer Vorwegnahme der Hauptsache vorzubeugen, ist es in aller Regel aber gerechtfertigt, einen Abschlag von der im Hauptsacheverfahren
zu beanspruchenden Leistung vorzunehmen, wobei sich der Abschlag in Abhängigkeit von den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens
und unter Beachtung des Prozessrisikos allenfalls in einem Bereich von bis zu 30 v.H. - entsprechend der Sanktionsmöglichkeiten
- bewegen kann (vgl. Keller in Meyer- Ladewig/ Keller/ Leitherer,
SGG, 11.Aufl., §
86b Rn. 35 d; Beschluss des Senates vom 18.04.2007 - L 11 B 878/06 AS ER - juris).
Soweit sich die Ansprüche der ASt in einem Hauptsacheverfahren nach den Regelungen des SGB II bemessen, haben als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft die ASt zu 1 (§ 7 Abs. 3 Nr. 1 SGB II) und die ASt zu 2 und 3 (§ 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II) gemäß § 19 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB II Anspruch auf Alg II (für die ASt zu 1) bzw. Sozialgeld (für die ASt zu 2 und 3). Diese Leistungen umfassen den Regelbedarf,
Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II). Die Regelbedarfe zur Sicherung des Lebensunterhalts, die insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie
ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Leben
umfassen (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II), betragen ab 01.01.2017 für die ASt zu 1 monatlich 409,00 EUR und für die ASt zu 2 und 3 jeweils 237,00 EUR (monatlich).
Darüber hinaus hat die ASt zu 1 Anspruch auf einen Mehrbedarf als Alleinerziehende (§ 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II) in Höhe von 147,00 EUR (= 36 vH aus 409,00 EUR). Die Bedarfe für Unterkunft (380,00 EUR) und Heizung (120,00 EUR) sind in
Höhe der tatsächlichen Aufwendungen berücksichtigungsfähig (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II), denn der Ag hat nichts dazu mitgeteilt, dass diese Aufwendungen unangemessen wären. Unter Beachtung der gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu berücksichtigenden Einkünfte aus der Erwerbstätigkeit der ASt zu 1 (186,90 EUR), den Absetzbeträgen gemäß § 11b Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II (117,38 EUR) hierzu und des für die ASt zu 2 und 3 zu beanspruchenden Kindergeldes (jeweils 192,00 EUR), haben die ASt im
Rahmen des Hauptsacheverfahrens voraussichtlich Leistungsansprüche in Höhe von insgesamt 1037,00 EUR zu erwarten (ASt zu 1:
665,00 EUR; ASt zu 2 und 3: jeweils 186,00 EUR).
Ausgehend hiervon ist - unter Beachtung des Prozessrisikos - bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens jedoch
für die Dauer von sechs Monaten, die Bewilligung vorläufiger Leistungen für die ASt in Höhe von insgesamt 820,00 EUR monatlich
zu rechtfertigen (ASt zu 1: 480,00 EUR; ASt zu 2 und 3 jeweils 170,00 EUR). Hierbei war einerseits zu beachten, dass die Unterkunftskosten
für die ASt unausweichlich sind, so dass eine Unterdeckung dieses Bedarfes nicht Betracht kommt, um nicht den Verlust angemessenen
Wohnraumes herbeizuführen. Andererseits besteht im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ohne die Darlegung entsprechender
Aufwendungen keine Notwendigkeit, einen Mehrbedarf iSd § 21 Abs. 3 SGB II in vollem Umfang zu berücksichtigen (vgl. zu beidem Beschluss des Senates vom 14.09.2012 - L 11 AS 585/12 B ER). Zudem ist die Berücksichtigung von (Einkommens-)Freibeträgen - soweit ihnen kein Aufwand zur Erzielung von Einkünften
gegenübersteht - im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzes nicht geboten, denn diesen Freibeträgen kommt im Wesentlichen
eine Anreizfunktion zu und den Anspruchsberechtigten soll ermöglicht werden, Bedarfe zu decken, die mit den Regelbedarfen
nicht berücksichtigt werden. Eine vorläufige Regelung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes dient jedoch allein der Sicherung
der existenziellen Bedürfnisse bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, die bei lediglich offenen Erfolgsaussichten nicht
vorweggenommen werden darf.
Darüber hinaus haben die ASt für die abgelaufenen Leistungszeiträume (vom 22.11.2016 bis einschließlich 31.01.2017) die Eilbedürftigkeit
der Angelegenheit, die eine Vorwegnahme rechtfertigen könnte, nicht glaubhaft gemacht. Es ist ständige Rechtsprechung des
Senates, dass für Leistungsansprüche, die allein für die Vergangenheit im Streit stehen, in aller Regel ein Anordnungsgrund,
d.h. die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit, nicht glaubhaft zu machen ist. Hierbei ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung
des Anordnungsgrundes in jeder Lage des Verfahrens, insbesondere auch noch im Beschwerdeverfahren, der Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung (vgl. Beschluss des Senates vom 12.01.2009 - L 11 B 785/08 AS ER - juris). Im Rahmen einer Regelungsanordnung ist Anordnungsgrund die Notwendigkeit, wesentliche Nachteile abzuwenden,
um zu vermeiden, dass die ASt vor vollendete Tatsachen gestellt werden, ehe sie wirksamen Rechtsschutz erlangen können (vgl.
Keller aaO § 86b Rn.27a). Charakteristisch ist daher für den Anordnungsgrund die Dringlichkeit der Angelegenheit, die in aller
Regel nur in die Zukunft wirkt. Es ist rechtlich zwar nicht auszuschließen, dass auch für vergangene Zeiträume diese Dringlichkeit
angenommen werden kann; diese überholt sich jedoch regelmäßig durch Zeitablauf. Ein Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer
gerichtlichen Entscheidung ist daher nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer
Nachteil glaubhaft gemacht wird, und ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit
auch in der Zukunft noch fortwirkt oder ein Anspruch eindeutig besteht (vgl. Beschluss des Senates vom 12.04.2010 - L 11 AS 18/10 B ER - juris).
Beides ist vorliegend nicht der Fall, denn der ASt hat nichts zu einer existenzbedrohenden Notlage vorgetragen, die es durch
eine umgehende Nachzahlung von Leistungen zu beseitigen gilt und die eine Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen könnte.
Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die ASt bezüglich ihrer Mietzahlungen in Verzug geraten wären und ihnen eine Kündigung
des Mietverhältnisses drohe, denn hierzu haben sie trotz einer erheblichen Zahlungsverpflichtung (500,00 EUR monatlich) und
behaupteter Mittellosigkeit keine Erklärungen abgegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG und ergibt sich aus dem Umfang des Erfolges der ASt im Beschwerdeverfahren.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).