Voraussetzungen für die Übernahme der Kosten einer Begutachtung auf die Staatskasse im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
I. Die Beteiligten stritten vor dem Sozialgericht Augsburg über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit.
Die Beklagte hatte den Rentenantrag des Klägers und Beschwerdeführers vom 17. Oktober 1997 mit Bescheid vom 8. Juli 1998 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 1998 abgelehnt.
Während des hiergegen gerichteten Klageverfahrens haben umfangreiche medizinische Behandlungen, u.a. auch eine medizinische
Rehabilitationsmaßnahme vom 2. November bis 7. Dezember 1999 stattgefunden. Das Sozialgericht hat Befundberichte und ärztliche
Unterlagen der behandelnden Ärzte eingeholt und Prof.
Dr. H. M. (Leiter der Medizinischen Klinik - Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie, Rheumatologie - des Klinikums
A.) mit der Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage beauftragt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 12. Januar
2008 nach Bewertung der Untersuchungsbefunde keinen eindeutigen Hinweis für eine organische Erkrankung des Klägers festgestellt.
Eine Polyneuropathie und beginnende Myopathie könnten nicht bestätigt werden. Es sei insgesamt von einer Ausheilung einer
Borrelieninfektion auszugehen. Es habe sich somit kein ausreichender Hinweis für eine Infektion bzw. eine Borreliose, insbesondere
eine Neuroborreliose ergeben. Für den Zeitraum bis 1999 habe eine komplexe psychosomatische Störung mit funktionellen Organbeschwerden
vorgelegen. Im Zeitraum von 1995 bis 1999 sei sowohl in dem erlernten Beruf als Energiegeräteelektroniker und Elektrogerätemechaniker
als auch für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ein vollschichtiges Leistungsvermögen gegeben gewesen. Hinsichtlich
der nervenärztlichen Beeinträchtigungen hat der Gutachter auf ein von der Beklagten im Verwaltungsverfahren eingeholtes nervenärztliches
Gutachten des Dr. K. für den Zeitraum von 1995 bis 1998 verwiesen, der eine komplexe psychosomatische Störung diagnostiziert
hatte.
Der auf klägerischen Antrag nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) gehörte Dermatologe, Venerologe und Umweltmediziner Dr. K. E. M. hat in einem Gutachten nach Aktenlage vom 28. März 2009
eine Multisystem-Erkrankung diagnostiziert, die gegenwärtig hauptsächlich durch ein chronisches Erschöpfungssyndrom geprägt
sei. Ursache hierfür seien zahlreiche Infekte mit intrazellulären Erregern, die jeweils nach aktueller Immunleistung kompensiert
bzw. aktiviert würden, sowie ein Mitochondrienschaden. Ein nachgewiesener Testosteronmangel sowie eine Nahrungsmittelintoleranz
wirkten dabei verstärkend. Eine psychische bzw. psychosomatische Zuordnung sei unzutreffend. Die Beeinträchtigung des psychischen
Befindens sei nicht Ursache, sondern Folge der organischen Erkrankungen. Die dauerhafte Persistenz der Infekte habe beendet
werden können. Derzeit könne der Kläger drei Arbeitsstunden täglich verrichten. Ergänzend hat der Sachverständige am 15. Mai
2009 ausgeführt, dass das Leistungsbild seit 17. Mai 1996 bestehe, d.h. es habe sowohl im erlernten Beruf wie auch für Tätigkeiten
des allgemeinen Arbeitsmarktes nur noch ein Leistungsvermögen von weniger als drei Stunden täglich bestanden.
Der Sozialmedizinische Dienst der Beklagten hat sich in einer Stellungnahme vom 18. Juni 2009 dieser Einschätzung nicht angeschlossen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 28. Juli 2009 abgewiesen. Unstreitig sei, dass die versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen letztmalig zum 31. Mai 1997 erfüllt gewesen seien. Zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger unter einer komplexen
psychosomatischen Störung mit funktionellen Organbeschwerden gelitten. Er sei aber nicht gehindert gewesen, den erlernten
Beruf des Energiegeräteelektronikers vollschichtig auszuüben. Das Sozialgericht hat sich insoweit auf das Gutachten des Prof.
Dr. M. gestützt. Für die von Dr. M. feststellte "Multisystem Erkrankung" lägen nach dem Gutachten des Prof. Dr. M. keine belastbaren
Laborwerte vor. Für das Vorliegen einer psychosomatischen Störung spreche auch das zeitnah erstellte Gutachten des Dr. K ...
Dr. M. bezeichne die psychische bzw. psychosomatische Zuordnung als unzutreffend, obwohl er in der Beurteilung der Persönlichkeit
und des Phänotyps des Klägers nicht wesentlich von der Einschätzung des Dr. K. abweiche. Da somit keine Berufsunfähigkeit
vorliege, seien erst recht die Voraussetzungen einer Erwerbsunfähigkeit im Sinne von § 44 Abs. 2 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch
in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung zu verneinen.
Den Antrag, die Kosten der Begutachtung durch Dr. M. auf die Staatskasse zu übernehmen, hat das Sozialgericht mit Beschluss
vom 15. September 2009 abgelehnt. Dieses Gutachten sei nicht überzeugend und habe die Sachaufklärung nicht objektiv gefördert.
Die bloße Einführung einer abweichenden Sachverständigeneinschätzung in das gerichtliche Verfahren begründe nicht die Möglichkeit,
der Staatskasse die Kosten aufzuerlegen.
Zur Begründung der gegen diesen Beschluss erhobenen Beschwerde hat der Beschwerdeführer vorgebracht, Dr. M. habe in dem Gutachten
zahlreiche organische Erkrankungen aufgezeigt, durch die das Leistungsvermögen erheblich gemindert würde. Diese seien vom
Gericht im Urteil nicht berücksichtigt worden.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang die Kosten einer Begutachtung nach §
109 SGG von dem Antragsteller zu tragen sind, steht im Ermessen des Gerichts. Die Ermessensentscheidung ist im Beschwerdeverfahren
beschränkt darauf nachprüfbar, ob die Voraussetzungen und die Grenzen des Ermessens richtig bestimmt und eingehalten sind.
Die Übernahme der für ein Gutachten nach §
109 Abs.
1 SGG verauslagten Kosten auf die Staatskasse im Wege einer "anderen Entscheidung" ist gerechtfertigt, wenn das Gutachten die Aufklärung
objektiv gefördert hat und somit Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung gewonnen hat bzw. hätte. Dabei spielt der Ausgang
des Verfahrens keine Rolle. Entscheidend ist vielmehr, ob durch das Gutachten beispielsweise neue beweiserhebliche Gesichtspunkte
zu Tage getreten sind oder die Leistungsbeurteilung auf eine wesentlich breitere und für das Gericht und die Prozessbeteiligten
überzeugendere Grundlage gestellt wurde.
Diese Voraussetzungen liegen bei dem Gutachten des Dr. M. vom 28. März 2009 einschließlich der ergänzenden Stellungnahme vom
15. Mai 2009 nicht vor. Zwar weicht dieses Gutachten sowohl in der Diagnose als auch in der Leistungsbewertung wesentlich
von dem Gutachten des Prof. Dr. M. ab. Es ist jedoch nicht zu beanstanden, dass dieses Gutachten für das Sozialgericht keine
Bedeutung bei der Entscheidung gespielt hat. Dr. M. vermag nämlich seine Auffassung, dass eine psychische bzw. psychosomatische
Zuordnung ein wesentlicher Grund für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers war, nicht bzw. nicht überzeugend
zu begründen. Auch der Vorgutachter ging dabei von funktionellen Organbeschwerden bis 1999 aus. Nach Auswertung der vorliegenden
Untersuchungsbefunde konnte eine organische Erkrankung aber nicht nachgewiesen werden. Es gibt keine objektivierbaren Untersuchungen,
die für eine tatsächliche Polyneuropathie oder Myopathie sprechen. Dabei berücksichtigte der Sachverständige Prof. Dr. M.
auch die von Dr. M., der den Kläger auch als Arzt behandelte, erhobenen Befunde wie Immunkomplexe, unspezifische Antikörper
und erhöhtes Quecksilber im Stuhl. Eine organische Erkrankung lässt sich aber auch hieraus nicht ableiten mit Ausnahme einer
Ausheilung einer Borrelieninfektion.
Zutreffend führte das Sozialgericht ferner aus, dass in dem maßgeblichen Zeitraum der Schwerpunkt der Erkrankung in Form einer
psychosomatischen Störung auf nervenärztlichem Fachgebiet gelegen hat. Hierfür sprechen nicht nur das Gutachten des Prof.
Dr. M., sondern auch das des Dr. K. sowie die persönliche und berufliche Anamnese des Klägers, wie sie sich auch in dem Gutachten
des Dr. M. findet.
Darüber hinaus weist der Senat darauf hin, dass im Rahmen der Beurteilung der medizinischen Voraussetzungen einer Rente wegen
Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nicht die Diagnose, sondern die Auswirkungen der festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen
auf das Leistungsvermögen des Versicherten maßgebend sind. Auch die von Dr. M. aufgezeigten Diagnosen einer organischen Erkrankung
führen nicht zwangsläufig zu einer relevanten quantitativen Leistungseinschränkung. Der Kläger war vor allem durch Erschöpfungszustände
beeinträchtigt. Dr. M. erläutert auch in der ergänzenden Stellungnahme nicht näher, aus welchen Gründen er die Einschätzung
der Verminderung des quantitativen Leistungsvermögens abweichend von den Vorgutachtern beurteilt.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar und ergeht kostenfrei (§
183 SGG).