Beweiswürdigung im sozialgerichtlichen Verfahren; Zulässigkeit der Ablehnung eines Beweisantrags
Tatbestand:
Das Berufungsverfahren betrifft die Frage, ob der Klägerin eine Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch
(
SGB VI) zusteht.
Die 58-jährige Klägerin besitzt eine abgeschlossene Ausbildung als Fachlehrerin sowie den Grad eines Magister Artium (Fächer
Pädagogik, Psychologie, Soziologie). Im Februar 1991 beendete sie eine Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau Reisevermittlung/Reiseveranstaltung
mit Erfolg. In ihrer beruflichen Praxis arbeitete die Klägerin bei verschiedenen Arbeitgebern zumeist in der Tourismusbranche,
insbesondere als Reiseleiterin. In jüngerer Zeit war sie von 01.04.2000 bis 31.10.2002 (mit Unterbrechung November 2001 bis
März 2002) als Reiseleiterin auf der Grundlage eines befristeten Vertrags beschäftigt (A. GmbH). Von 01.09.2004 bis 31.08.2005
(befristeter Vertrag) arbeitete sie halbtags als Justizangestellte, wobei sie als Vorlesekraft für einen blinden Mitarbeiter
fungierte.
Gesundheitliche Probleme hat die Klägerin hauptsächlich am Stütz- und Bewegungsapparat. Im Dezember 2008 wurde sie am linken
Unterarm operiert. Der aktuelle Grad der Behinderung nach dem Schwerbehindertenrecht beträgt 50.
Am 10.07.1998 beantragte die Klägerin erstmals eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die damals zuständige Seekasse lehnte den
Antrag mit Bescheid vom 15.10.1998 ab, weil sie weder Berufs- noch Erwerbsunfähigkeit sah.
Am 06.04.2006 stellte die Klägerin erneut einen Antrag auf eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte eine Arbeitgeberauskunft
bei der A. GmbH ein. Unter dem Datum 01.02.2007 gab diese an, die Arbeit habe die Begleitung von Gästen auf Tagesausflügen,
die Buchung von Führungen am Zielort sowie Erklärungen zu den Sehenswürdigkeiten entlang der Route umfasst. Ein Ungelernter
benötige eine Anlernzeit von zwei Wochen. Erforderlich sei lediglich das Sprechen einer Fremdsprache. Des Weiteren zog die
Beklagte auch eine Arbeitgeberauskunft des OLG A-Stadt bei (Datum 07.02.2007).
Des Weiteren führte die Beklagte diverse medizinische Ermittlungen durch. So ließ sie die Klägerin vom Internisten und Sozialmediziner
Dr. S. begutachten. Die internistischen Gesundheitsstörungen, so der Arzt in seinem Gutachten vom 19.03.2007, würden die Leistungsfähigkeit
der Klägerin nur geringfügig beeinträchtigen. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten seien mindestens sechs Stunden täglich
unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes möglich. Weiter erstellte die Orthopädin Dr. W. ein auf den 25.03.2007
datiertes Gutachten. Sie kam zum Schluss, leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten seien unter den Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich möglich. Schließlich wurde die Klägerin vom Psychiater Dr.
G. begutachtet (Gutachten vom 12.04.2007). Dieser stellte eine vollschichtige Leistungsfähigkeit für leichte Tätigkeiten auf
dem allgemeinen Arbeitsmarkt fest.
Auf dieser Basis lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 04.06.2007 ab. Weder, so die Beklagte zur Begründung,
sei eine Erwerbsminderung im Sinn von §
43 SGB VI noch Berufsunfähigkeit gegeben. Sie ging vom Hauptberuf "Justizangestellte" aus; der Gesundheitszustand der Klägerin lasse
es zu, diesen weiterhin mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Mit Schreiben vom 11.06.2007 legte die Klägerin Widerspruch
ein. Diesen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.08.2007 als unbegründet zurück.
Am 30.08.2007 hat die Klägerin beim Sozialgericht München Klage erhoben. In der Klageschrift hat sie darauf hingewiesen, "bisheriger
Beruf" im Sinn von §
240 SGB VI sei der der Reiseleiterin.
Das Sozialgericht hat drei medizinische Gutachten eingeholt. Der Internist W. M. (Gutachten vom 15.11.2007) hat hinsichtlich
der Lungen keine nennenswerten pathologischen Befunde feststellen können; bei der Lungenfunktionsprüfung habe sich nur eine
leichte Obstruktion, aber auch eine leichte Restriktion gefunden. Es sei die Einschränkung zu machen, dass Tätigkeiten, die
mit inhalativen Noxen in Verbindung stünden, zu meiden seien; Tätigkeiten im Freien seien aber ohne weiteres möglich. Als
wesentliche internistische Erkrankung sei nur ein intrinsisches Asthma zu nennen. Leichte, fallweise mittelschwere Arbeiten
seien vollschichtig möglich.
Der Orthopäde Dr. R. K. hat in seinem Gutachten vom 21.02.2008 diagnostiziert
- degeneratives HWS-, BWS- und LWS-Syndrom mit multisegmentalen degenerativen Veränderungen sowie pseudoradikulärer Schmerzausstrahlung
in den linken Oberschenkel, leichte skoliotische Fehlstatik und Rundrückenfehlhaltung mit erheblicher muskulärer Imbalance
und Entwicklung einer chronischen Schmerzkrankheit mit dringendem Verdacht auf psychische Überlagerung,
- Knorpelschaden Kniegelenk beids. medial und retropatellarbetont; chondropathia patellae,
- statische Verformung beider Vorfüße.
Leichte Arbeiten seien noch vollschichtig möglich.
Dr. B. hat unter dem 03.07.2008 ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten erstellt und dabei ein Mischsyndrom aus einer leicht
ausgeprägten depressiven Verstimmung und einer diffusen Angststörung, chronifiziertes Schmerzsyndrom bei degenerativem Wirbelsäulensyndrom
und anhaltender somatoformer Störung diagnostiziert. Leichte bis mittelschwere Arbeiten könnten vollschichtig verrichtet werden.
Weiter hat das Sozialgericht Arbeitgeberauskünfte von der A. GmbH sowie vom OLG A-Stadt eingeholt.
Mit Urteil vom 14.10.2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat sich den drei von ihm eingeholten Gutachten angeschlossen
und zur Begründung ausgeführt, eine Erwerbsminderung im Sinn von §
43 SGB VI sei nicht gegeben. Auch eine Berufsunfähigkeit liege nicht vor. Das Sozialgericht hat offen gelassen, ob als "bisheriger
Beruf" der der Reiseleiterin oder der Justizangestellten anzusehen sei. Erster Beruf vermittle keinen Berufsschutz, weil es
sich um eine ungelernte Tätigkeit handle. Die Tätigkeit als Justizangestellte sei dem oberen Angelerntenbereich zuzuordnen.
Eine entsprechende Verweisung sei gesundheitlich möglich.
Am 11.12.2008 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen und ein
orthopädisches Gutachten von Dr. E. (Gutachten vom 15.09.2009) sowie ein psychiatrisches von Dr. M. (Gutachten vom 19.10.2009)
eingeholt.
Dr. E. hat folgende orthopädische Diagnosen gestellt:
- leichtgradigstes HWS-Syndrom,
- leichtes, allenfalls mittelschweres LWS-Syndrom mit sich daraus ergebendem Funktionsdefizit ohne Zeichen eines peripher-neurogenen
Defekts,
- Gonalgien bei Chondropathia patellae, Senkspreizfüße und Hallux-valgus-Deformität beidseits mit leichtgradig verminderter
Geh- und Stehfähigkeit,
- unspezifische Handgelenkarthralgien links bei freier Funktion unter Ausschluss einer Tendovaginitis stenosans.
Die Klägerin sei in der Lage, so Dr. E., leichte Tätigkeiten unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens
sechs Stunden täglich zu verrichten. Als qualitative Einschränkungen hat der Sachverständige genannt: Wechsel von Gehen, Stehen,
Sitzen mit gewisser Regelmäßigkeit; keine Arbeiten mit Zwangshaltungen, Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, häufiges Bücken,
häufiges Treppensteigen, häufige Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Arbeiten, die eine volle Gebrauchsfähigkeit der Hände
voraussetzten, seien möglich. Die Wegefähigkeit sei gegeben. Folgende Berufe seien mindestens sechs Stunden täglich möglich:
Reiseverkehrskauffrau, Justizangestellte im Vorlesedienst oder in anderen Tätigkeiten, Poststellenmitarbeiterin, Reiseleiterin
(bei Wechsel von Gehen, Stehen, Sitzen 20/20/60%). Dagegen komme der Beruf der Registratorin wegen der damit verbundenen Anforderungen
an Geschicklichkeit und Feinmotorik nicht in Betracht. Die Beschwerden am linken Handgelenk seien nicht erklärbar und Ausdruck
einer somatoformen Schmerzstörung. Trotz der verminderten Anforderungen an Kraft und Geschicklichkeit der Finger könne von
einer vollen Gebrauchsfähigkeit der Hände in Bezug auf Fingerfertigkeit und Griffsicherheit ausgegangen werden. Überkopfarbeiten
seien im betriebsüblichen Umfang möglich.
Dr. M. hat in ihrem psychiatrischen Gutachten eine Dysthymie im Sinn einer chronisch depressiven Entwicklung, Teilsymptome
einer posttraumatischen Belastungsstörung, eine somatoforme Schmerzstörung, unspezifische Handgelenksarthralgien links, HWS-
und LWS-abhängige Beschwerden ohne neurologische Funktionsausfälle, Tinnitus bds. sowie eine Harndrang-Inkontinenz diagnostiziert.
Eine durchgehend schwerergradig ausgeprägte depressive Symptomatik liege sicherlich nicht vor. Die vorliegende chronifizierte
depressive Störung sei vorwiegend reaktiv bedingt; würde eine finanzielle Entlastung erfolgen, wäre mit einer Besserung zu
rechnen. Die Klägerin sei in ihrer psychischen, nervlichen und körperlichen Belastbarkeit leicht bis mäßiggradig eingeschränkt.
Leichte Arbeiten seien sechs Stunden und mehr unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes möglich. Seit dem Gutachten
des Dr. B. hätten sich die psychischen Gesundheitsstörungen nicht verschlimmert. Als qualitative Einschränkungen hat die Sachverständige
verminderte Stressbelastbarkeit, vermehrte Erschöpfbarkeit und vermindertes Durchhaltevermögen genannt. Vermieden werden müssten
Arbeiten mit besonderen Anforderungen an die psychische und nervliche Belastbarkeit, unter Zeitdruck sowie in Nacht- und Wechselschicht.
Arbeiten mit Publikumsverkehr seien möglich. Das Einlegen zusätzlicher Arbeitspausen sei nicht erforderlich. Es bestünden
gutes Verantwortungsbewusstsein und Gewissenhaftigkeit. Besondere Anforderungen an Ausdauer, Stressbelastbarkeit und Stresstoleranz
dürften nicht gestellt werden. Die Klägerin könne als Reiseverkehrskauffrau (im Reisebüro) arbeiten, nicht aber als Reiseleiterin
für Busausflüge. Möglich sei auch eine Tätigkeit als Justizangestellte und im Vorlesedienst sowie als Poststellenmitarbeiterin
(Umstellung innerhalb von drei Monaten wäre möglich), nicht als Registratorin wegen der überwiegenden Arbeit mit einer Tastatur.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 03.11.2009 hat Dr. M. ausgeführt, in psychiatrischer Hinsicht sei der Tinnitus kompensiert.
Die Klägerin hat auf die eingeholten Gutachten wie folgt reagiert: In einer Erwiderung vom 30.11.2009 hat sie moniert, es
sei kein Befundbericht ihres HNO-Arztes eingeholt worden. Dabei hat sie ihren Tinnitus in den Mittelpunkt der Argumentation
gerückt. Sinngemäß hat sie vorgetragen, einerseits liege bei ihr eine Hörminderung vor, die ein HNO-Arzt besser feststellen
könne als eine Psychiaterin. Andererseits habe Dr. M. die psychischen Auswirkungen des Tinnitus falsch beurteilt. Die Einholung
eines HNO-ärztlichen Gutachtens sei erforderlich. Mit Schriftsatz vom 11.12.2009 hat die Klägerin mitgeteilt, ihr behandelnder
Chirurg Dr. B. habe diverse Verschlechterungen im Gesundheitszustand bezüglich der linken Hand und der Füße diagnostiziert.
Der Senat hat daraufhin von dem Arzt einen Befundbericht angefordert und zusätzlich mit ihm am 14.01.2010 telefonisch Kontakt
aufgenommen. Im Rahmen des Telefonats hat Dr. B. die explizit gestellte Frage, ob sich der Gesundheitszustand der Klägerin
verschlechtert habe, verneint. Nachdem sich die Klägerin mit Schriftsatz vom 22.12.2009 nochmals umfassend mit den medizinischen
Ermittlungen auseinandergesetzt hatte, hat sie mit Schriftsatz vom 23.12.2009 beantragt, Dr. E. und Dr. M. persönlich in der
mündlichen Verhandlung zu vernehmen. Sie hat sich jedoch geweigert, vorab zu präzisieren, was sie die Sachverständigen persönlich
fragen wolle; das werde sie erst in der mündlichen Verhandlung offenbaren.
In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin einen Katalog mit Fragen übergeben, die sie an die Sachverständigen richten
wollte. Daneben hat sie einen weiteren Schriftsatz übergeben, wonach sie den Antrag, Dr. E. und Dr. M. sollten ihre Gutachten
mündlich erläutern, aufrecht erhalte. In diesem Schriftsatz hat sie dargestellt, warum nach ihrer Ansicht der Antrag, die
Sachverständigen persönlich zu hören, nicht verspätet sei.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts München vom 14. Oktober 2008 sowie der Aufhebung des Ablehnungsbescheides
vom 4. Juni 2007 in Form des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2007 die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller
Erwerbsminderung ab April 2006 zu gewähren, hilfsweise die Anhörung der Sachverständigen Dr. E. und Dr. M., hilfsweise die
schriftliche Ergänzung deren Gutachten, hilfsweise die Einholung eines HNO-ärztlichen Befundberichts.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, insbesondere der genannten Stellungnahmen, Befundberichte und Gutachten,
wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Akten des Sozialgerichts und des Bayerischen Landessozialgerichts
verwiesen. Diese waren alle Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch
auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.
Die gesetzlich festgelegten Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung liegen nicht vor. Folgende
materiell-rechtliche Regelungen sind maßgebend:
Nach §
43 Abs.
1 Satz 1
SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebens-jahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
teilweise erwerbsgemindert sind und die im Gesetz genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Teilweise erwerbsgemindert
sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§
43 Abs.
1 Satz 2
SGB VI).
Gemäß §
43 Abs.
2 Satz 1
SGB VI haben bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Versicherte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie neben
der Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen voll erwerbsgemindert sind. Das ist nach §
43 Abs.
2 Satz 2
SGB VI dann der Fall, wenn Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich
erwerbstätig sein kann (§
43 Abs.
3 SGB VI).
Der Senat ist davon überzeugt, dass bei der Klägerin - trotz aller gesundheitlichen Beeinträchtigungen - im gesamten streitbefangenen
Zeitraum weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung gegeben ist oder war. Die Klägerin ist vielmehr in der Lage,
unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - noch mindestens sechs
Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Der Senat folgt insoweit den übereinstimmenden medizinischen Gutachten des Internisten
M., von Dr. K., Dr. B., Dr. E. und Dr. M ... Betrachtet man diese Gutachten in einer Zusammenschau, so sind allein in den
gerichtlichen Verfahren überaus sorgfältig Befunde erhoben und einfühlsam bewertet worden. Keines der Gutachten lässt fachliche
oder methodische Schwächen erkennen, die sich negativ auf die Überzeugungskraft auswirken könnten. Nimmt man die drei im Verwaltungsverfahren
erstellten medizinischen Gutachten hinzu, ergibt sich ein Gesamtbild vom medizinischen Sachverhalt, das keine Zweifel offen
lässt.
Die Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet bewirken bei der Klägerin allenfalls mittelgradige Einschränkungen
ihrer Leistungsfähigkeit. Diese sind lediglich qualitativer Art. In zeitlicher Hinsicht dagegen ist die Klägerin in der Lage,
mindestens sechs Stunden täglich einer zustandsangepassten Tätigkeit unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes
nachzugehen. Zuzugeben ist, dass der Stütz- und Bewegungsapparat der Klägerin erhebliche morphologische Veränderungen aufweist
(z.B. Arthrose, Knorpelschaden am Kniegelenk). Darauf kommt es im Rahmen der Beurteilung der Leistungsfähigkeit aber nicht
an. Gerade bei arthrotischen Veränderungen an Gelenken handelt es sich um normale Abnutzungsprozesse bei fortschreitendem
Lebensalter; diese setzen sehr häufig bereits um das 30. Lebensjahr ein. Sie können sich auf die Funktion des Stütz- und Bewegungsapparates
auswirken, sie müssen es aber nicht. Die körperliche Leistungsfähigkeit im Arbeitsleben wird in erster Linie durch den Grad
definiert, in dem die normalen körperlichen Funktionen aufrecht erhalten sind. Diesbezüglich haben die Beweiserhebungen ergeben,
dass bei der Klägerin keine Einschränkungen bestehen, die eine leichte Tätigkeit unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes
sechs Stunden und mehr täglich vereiteln.
So hat Dr. E. im Rahmen seiner Untersuchung beim Ent- und Bekleiden kein Funktionsdefizit der Gelenke der oberen Extremitäten
bei Ausübbarkeit der Grob- und Feingriffformen und eine ausreichende Umkrümmungsfähigkeit des Achsorgans bei etwas unsicherem
Einbeinstand beidseits gesehen. Die beiden Handgelenke sind frei beweglich gewesen. Ein Funktionsdefizit des linken Daumens
hat der Sachverständige ausschließen können. Bei der Klägerin bestehen ausreichende Kraftmuster, Durchblutung, Motorik und
Sensibilität der Finger sind intakt. Bei der Untersuchung durch Dr. E. hat eine freie Beweglichkeit beider Hüft-, Knie- und
Sprunggelenke bestanden. Zudem hat der Gutachter eine normale, seitengleiche Beschwielung der Hände und Füße festgestellt;
das spricht u.a. gegen eine schmerzbedingte Schonung dieser Körperpartien.
Anders als die Klägerin meint, weist das Gutachten des Dr. E. zur Gebrauchsfähigkeit der linken Hand keinen Widerspruch auf:
Der Sachverständige hat eine normale Ge- brauchsfähigkeit bejaht; lediglich besondere Anforderungen, wie sie bei einer Registraturtätigkeit
auftreten könnten, hat er für ungünstig erachtet. Ebenfalls unzutreffend ist die im Schriftsatz vom 11.12.2009 aufgestellte
Behauptung, Dr. A. B. habe diverse Verschlechterungen beim Gesundheitszustand bezüglich der linken Hand und der Füße diagnostiziert.
Vielmehr hat Dr. B. am 14.01.2010 im Rahmen eines Telefonats mit dem Berichterstatter ausdrücklich klargestellt, dass dies
nicht der Fall sei. In der mündlichen Verhandlung ist die Einlassung des Dr. B. der Klägerin vorgehalten worden.
Auch von neurologisch-psychiatrischer Seite bestehen keine Gesundheitsstörungen, die sich auf das quantitative Leistungsvermögen
auswirken. Die neurologischen Befunde sind jeweils unauffällig gewesen. In Zusammenschau der medizinischen Gutachten von Dr.
G., Dr. B. und Dr. M. kommt der Senat zum Ergebnis, dass bei der Klägerin durchaus eine neurotische Fehlverarbeitung in Form
einer chronischen depressiven Störung vorliegt. Diese ist aber ihrer Schwere nach nicht geeignet - auch nicht in einer Gesamtbetrachtung
mit den übrigen Gesundheitsstörungen -, die Klägerin von einer zumindest leichten Erwerbstätigkeit im Umfang von mindestens
sechs Stunden täglich unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes abzuhalten.
Sowohl die psychiatrischen Sachverständigen als auch die Gerichte stehen dabei vor der Frage, ob und wie psychische Probleme
geeignet sind, sich auf die Arbeitsfähigkeit in quantitativer Hinsicht auszuwirken. Dies bedarf einer besonders differenzierten
Betrachtung, weil die "Kausalkette" von der Gesundheitsstörung hin zur quantitativen Leistungseinschränkung nicht selten länger
und mittelbarer ist als bei rein somatischen Erkrankungen. Psychische Erkrankungen können einer Erwerbstätigkeit z.B. dadurch
im Wege stehen, dass der Betroffene nicht den Antrieb und die Energie aufzubringen vermag - im Sinn eines Nicht-Könnens trotz
aller Anstrengungen, nicht eines Nicht-Wollens -, den Arbeitsalltag zu beginnen oder durchzuhalten. Schwere Depressionen äußern
sich häufig darin, dass die kognitiven Fähigkeiten gravierend gestört sind. Des Weiteren führen sie oft zu massiven Schlafstörungen,
was am darauffolgenden Tag eine bleierne Müdigkeit nach sich zieht. Gerade bei psychotischen Störungen wäre denkbar, dass
der Betroffene seine sozialen Kompetenzen in einer Weise einbüßt, dass er nicht mehr in eine Beschäftigungsstruktur eingegliedert
werden kann.
Der Senat hegt keine Zweifel, dass die bei der Klägerin bestehenden psychischen Abnormitäten keine derart dramatischen Auswirkungen
haben. Das ergibt sich eindeutig aus den drei psychiatrischen Gutachten, die in ihrer Zusammenschau ein lückenloses Bild von
der psychischen Befindlichkeit der Klägerin zeichnen. Danach ist erwiesen, dass die vorliegende depressive Störung reaktiver
Natur ist. Allem Anschein nach spielt der Wunsch nach einer Verbesserung ihrer finanziellen Verhältnisse im Leben der Klägerin
eine zentrale Rolle. Diese leidet augenscheinlich unter ihrer nach ihrer Ansicht unzureichenden finanziellen Ausstattung.
Besonders aus dem Gutachten der Dr. M. gewinnt der Senat den Eindruck, als ob die Klägerin ihre psychischen Probleme im Wesentlichen
darauf zurückführt. In den Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung sieht die Klägerin offenbar die einzige Möglichkeit,
für Abhilfe zu sorgen; das lässt sich daraus ersehen, dass sie ihr Rentenbegehren mit großer Energie und Nachhaltigkeit verfolgt.
Eine generalisierte Form einer Depression liegt dagegen, wie sich aus den psychiatrischen Gutachten ergibt, nicht vor. Daraus
erklärt sich, dass die psychischen Funktionen bei der Klägerin weitgehend intakt sind: So hat Dr. B. erwähnt, während der
Untersuchung habe sich die Klägerin in einer überwiegend dysphorischen Grundstimmung bei ungestörter affektiver Schwingungsfähigkeit
befunden. Psychomotorisch sei sie unruhig gewesen, teilweise habe sie emotional labile Reaktionen gezeigt. Jedoch sei sie
dann schnell wieder zu sich gekommen. Kognition, Gedächtnis und Merkfähigkeit seien nicht pathologisch, die Konzentrationsfähigkeit
gut ausgeprägt gewesen. Auf der gleichen Linie bewegen sich die psychischen Befunde von Dr. M.: Die Klägerin habe innerlich
angespannt und umständlich gewirkt, zum Teil habe sie detailliert über gesundheitliche Beschwerden berichtet. Das Gespräch
habe immer wieder strukturiert werden müssen. Die Klägerin habe appellativ gewirkt, der Rentenwunsch sei deutlich geworden.
Dr. M. hat zwar eine gedrückte, subdepressive und dysthyme Stimmungslage festgestellt, jedoch keinen Hinweis für eine tiefergreifende
Depressivität, insbesondere keine Anzeichen für tageszeit- oder jahreszeitabhängige Stimmungsschwankungen. Der formale Denkablauf
sei stellenweise etwas zäh und umständlich und wenig flexibel gewesen, jedoch habe keine Denkverlangsamung im eigentlichen
Sinn vorgelegen. Die Psychomotorik sei ausreichend lebhaft, der Antrieb leicht gemindert gewesen; Vitalstörungen hätten nicht
bestanden. Auffassungsvermögen und Konzentration seien ungestört. Die Primärpersönlichkeit der Klägerin trage überwiegend
narzisstische, auch sensitiv-selbstunsichere Züge.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die kognitiven Fähigkeiten der Klägerin in hinreichendem Maß erhalten sind. Auch
der Antrieb ist nicht wesentlich gestört. Dass die Klägerin mit Energie, Überlegung, Umsicht und Struktur zu handeln in der
Lage ist, hat sich auch im gerichtlichen Verfahren gezeigt. Insbesondere die strukturierten, durchdachten, ausführlichen und
präzisen Darstellungen der Klägerin zu den vom Senat eingeholten Gutachten zeigen, dass bei dieser kein Mangel an Antrieb
oder kognitiven Fähigkeiten besteht. Das gilt unabhängig davon, ob und inwieweit ihr bei der Abfassung der Schriftsätze geholfen
worden ist. Denn die maßgebenden Impulse zu dieser engagierten Prozessführung sind mit Sicherheit von der Klägerin ausgegangen.
Auch in der mündlichen Verhandlung haben sich die von den Sachverständigen erhobenen Befunde verifizieren lassen, wobei es
dazu keiner medizinischen Fachkompetenz bedurft hat. Die Klägerin hat sich trotz der insgesamt eineinhalbstündigen Dauer der
mündlichen Verhandlung konzentriert und aufmerksam gezeigt. Es sind keine Ermüdungserscheinungen feststellbar, die Einlassungen
der Klägerin präzise und adäquat gewesen. Im Verhalten hat sich die Klägerin trotz aller emotionalen Beteiligung höflich und
beherrscht gezeigt. Ihre Gesprächsführung ist auf Dialog und Diskurs ausgerichtet gewesen. Kurzzeitig überfordert ist sie
lediglich gewesen, als die Vertreterin der Beklagten thematisiert hat, bei einem Leistungsfall zum Zeitpunkt der Gutachtenserstellung
durch Dr. M. seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Das verwundert jedoch nicht, weil es sich dabei
um eine Leistungsvoraussetzung handelt, deren sichere Handhabung Einiges an juristischen Fähigkeiten und Erfahrung voraussetzt.
Der Hinweis durch die Vertreterin der Beklagten hat die Klägerin erstmals mit einer für sie sehr ungünstigen Sachverhaltslage
konfrontiert. Deren anfängliche Bestürzung hat sich schnell gelegt. Nach der Verhandlungsunterbrechung hat sie zusammen mit
ihrem Beistand einen durchdachten und wohl kalkulierten Plan präsentiert, wie sie der prekären Lage beikommen wolle.
Die Einschätzung, dass bei der Klägerin keine rentenrelevanten psychischen Störungen vorliegen, wird dadurch bestätigt, dass
diese umfangreiche Pläne zu ihrer Lebensgestaltung für den Fall gefasst hat, dass sie zu entsprechenden finanziellen Mitteln
kommt. So beabsichtigt sie, dann zu verreisen und ihren Lebensmittelpunkt mehr in den Schwarzwald zu verlagern. Das zeigt,
dass die Klägerin im Sinn eines "gesunden Lebenshungers" durchaus Erwartungen hegt und keinen Lebensüberdruss empfindet.
Des Weiteren fällt ins Gewicht, dass die therapeutischen Bemühungen der Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet als unzureichend
zu bezeichnen sind. Davon vermögen deren Einlassungen im Schriftsatz vom 22.12.2009 nichts zu ändern. Vor Dr. M. hat sie dazu
geäußert, im Jahr 2006 sei sie bei einer Psychiaterin gewesen, wobei sie das von dieser verordnete Medikament nicht eingenommen
habe (Gründe: kein Geld für Zuzahlung, Angst vor Psychopharmaka). Zu der Ärztin sei sie nicht mehr gegangen, weil diese keine
Zeit gehabt hätte. Im gleichen Jahr sei sie anschließend einmal bei einem Psychiater gewesen, der eine Psychotherapie empfohlen
hätte. Sie habe den Arzt nicht mehr aufgesucht, weil sie sich nicht ernst genommen gefühlt hätte. 2008 habe sie wieder eine
andere Nervenärztin aufgesucht; diese hätte eine stationäre Behandlung vorgeschlagen. Das wolle sie aber nicht; sie habe Angst,
dort mit Medikamenten behandelt zu werden. Die letzte Nervenärztin habe ebenfalls eine Psychotherapie vorgeschlagen; auch
das lehne sie, die Klägerin, ab. Aktuell nimmt sie keine Psychopharmaka ein. Zwar steht es der Klägerin frei, ob, mit welcher
Intensität und mit welchen Methoden sie sich wegen ihrer psychischen Probleme behandeln lässt. Gleichwohl schließt der Senat
daraus - ebenso wie Dr. M. - auf einen nur gering ausgeprägten Leidensdruck.
Die Tinnituserkrankung vermag der Klägerin nicht zu einer Rente wegen Erwerbsminderung zu verhelfen. Anders als diese meint,
ist diese Gesundheitsstörung umfassend gewürdigt worden. Es bedarf weder eines Befundberichtes des behandelnden HNO-Arztes
noch eines HNO-ärztlichen Gutachtens. Theoretisch kann sich ein Tinnitus entweder dadurch negativ auf die Leistungsfähigkeit
auswirken, dass das Ohrgeräusch die Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt, oder aber dadurch, dass es den Betroffenen psychisch
"zermürbt" oder seine Konzentrationsfähigkeit vermindert. Dr. M. hat explizit festgestellt, dass mit der Klägerin eine normale
Verständigung möglich ist. Auch in der mündlichen Verhandlung hat diese alles problemlos verstanden. Auf den dortigen Vorhalt,
dass der Senat den Eindruck habe, ihre Hörfähigkeit sei intakt, hat die Klägerin auch nicht widersprochen. Mehr Informationen
benötigt der Senat nicht, um feststellen zu können, dass eine rentenrelevante Hörminderung nicht vorliegt. Dabei mag es durchaus
sein, dass der HNO-Arzt der Klägerin eine Minderhörleistung festgestellt hat; auf die exakten Messwerte kommt es jedoch nicht
an. Auch nennenswerte mittelbare Beeinträchtigungen der psychischen Befindlichkeit aufgrund des Tinnitus sind nicht gegeben.
Das hat Dr. M. in einer ausführlichen und differenzierten ergänzenden Stellungnahme untermauert, die der Senat für überzeugend
hält. Bezüglich der Frage einer psychischen Kompensation bedarf es neben der psychiatrischen Äußerung keiner eines HNO-Arztes.
Dass die Konzentrationsfähigkeit der Klägerin nicht beeinträchtigt ist, ist oben ausgeführt worden. Darüber hinaus gibt der
Senat zu bedenken, dass die Klägerin vor Dr. M. selbst gesagt hat, der Tinnitus würde sie beim Autofahren stören. Wenn sie
das in dieser Weise beschränkt hat, so wird dadurch indiziert, dass das ansonsten nicht nennenswert der Fall ist. Die Einlassungen
der Klägerin dazu im Schriftsatz vom 22.12.2009 führen nicht zu einem anderen Ergebnis.
Der Beweisantrag der Klägerin auf Einholung eines HNO-ärztlichen Befundberichts war aus diesem Grund abzulehnen. Allgemein
scheint das Problem, nach welchen Maßstäben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit förmliche Beweisanträge ablehnen dürfen,
noch nicht geklärt. Zum Einen gibt es eine bedeutende Auffassung, die es den Gerichten im Hinblick auf §
103 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) ermöglichen will, Beweisanträge immer schon dann abzulehnen, wenn die beantragte Beweiserhebung am Maßstab der Amtsermittlungspflicht
gemessen nicht notwendig erscheint (vgl. BSG SozR 1500 §
160 SGG Nr. 5, 12, 13, 35; BSG, Beschluss vom 07.10.2005 - B 1 KR 107/04 B sowie Beschluss vom 27.06.2006 - B 2 U 421/05 B; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Auflage 2008, III. Kapitel Rn. 13 ff. sowie IX. Kapitel,
Rn. 134; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/ders.,
Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, §
160 Rn. 18 d [an anderer Stelle tendiert Leitherer aber offenbar zu einer strengeren Ansicht - siehe sogleich unten]; Pawlak
in: Hennig,
Sozialgerichtsgesetz, §
103 RdNr. 60 ff.; Becker, Die Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG (Teil II), SGb 2007, S. 328). Eine starke Gegenansicht orientiert sich, soweit ersichtlich, an den Voraussetzungen von §
244 Abs.
3 bis
5 der
Strafprozessordnung (vgl. BSG, Beschluss vom 06.02.2007 - B 8 KN 16/05 B; Leitherer, aaO., §
103 Rn. 8, 12 c; Zeihe,
Sozialgerichtsgesetz, §
160 Rn. 26 b; Kummer in: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 103 S. II/74-5 f; Behn in: Peters/Sautter/Wolff,
aaO., § 160 Rn. 216 ff.).
Der Senat schließt sich der Auffassung an, dass im Sozialgerichtsprozess ein Beweisantrag auch dann abgelehnt werden darf,
wenn vor dem Hintergrund des Amtsermittlungs- prinzips weitere gerichtliche Aufklärung nicht mehr notwendig ist. Weitere Aufklärung
ist dann nicht mehr notwendig, wenn das Gericht sich bei fehlerfreier Beweiswürdigung eine hinreichende Gewissheit vom Vorliegen
oder Nichtvorliegen einer Tatsache verschafft hat. Das ist hier der Fall.
Bezüglich der behaupteten Harninkontinenz ist darauf zu verweisen, dass diese im Gutachten des Internisten M. mitberücksichtigt
worden ist. Der Senat glaubt der Klägerin nicht, diese könne keine 500 Meter gehen, ohne in der Zwischenzeit eine Toilette
aufsuchen zu müssen. In keinem der acht Gutachten ist dem jeweiligen Sachverständigen aufgefallen, dass die Klägerin bei der
Untersuchung besonders häufig hat austreten müssen. Entsprechendes war auch bei der mündlichen Verhandlung nicht zu erkennen.
Zudem wird im aktuellen Befundbericht des Hausarztes die Harninkontinenz nicht einmal erwähnt. Beim Internisten M. hat die
Klägerin geäußert, "das Wasser könne bei Stresssituationen kaum noch gehalten werden". Darin sieht der Senat doch einen erheblichen
Unterschied zu der reklamierten Unfähigkeit, 500 Meter ohne Toilettenpause zurücklegen zu können.
Den Beweisanträgen, sowohl Dr. E. als auch Dr. M. für die mündliche Verhandlung zu laden und sie dort ergänzend zu hören,
war nicht stattzugeben, ebenso wenig dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag, diese gegebenenfalls nochmals schriftlich
anzuhören. Nach den Maßstäben der gerichtlichen Amtsermittlungspflicht hat kein weiterer Ermittlungsbedarf bestanden.
Einwände der Beteiligten gegen ein schriftliches Sachverständigengutachten werden in der Regel im schriftlichen Vorverfahren
vorgebracht. Das Gericht muss ein Gutachten schriftlich oder mündlich ergänzen lassen, wenn sich aus dem Vorbringen ergibt,
dass es im Hinblick auf entscheidungserhebliche Fragen nicht schlüssig oder unvollständig ist (Krasney/Udsching, Handbuch
des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Auflage 2008, III. Kapitel Rn. 69). Wegen der Verweisung in §
118 Abs.
1 SGG haben die Beteiligten grundsätzlich das Recht, an den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung Fragen zu stellen (§§
402,
397 der
Zivilprozessordnung -
ZPO); das Gericht kann den Sachverständigen zur Erläuterung des Gutachtens laden (§
411 Abs.
3 ZPO). Eine Pflicht des Gerichts, einen Sachverständigen zu laden, besteht jedoch nur dann, wenn der Sachverhalt noch nicht zweifelsfrei
geklärt ist und bestehende Zweifel durch schriftliche Nachfragen nur unzulänglich geklärt werden können (Krasney/Udsching,
aaO., Rn. 70).
Für den Senat hat kein Anlass bestanden, die beiden Sachverständigen überhaupt noch einmal, geschweige denn mündlich, ergänzend
zu hören. In allen Äußerungen der Klägerin, die zeitlich auf die Gutachten von Dr. E. und Dr. M. gefolgt sind, hat diese letztendlich
weniger Fehler bei der Art und Weise der Ergebnisfindung moniert, sondern mehr die Ergebnisse selbst. Der Senat ist, wie bereits
ausgeführt, von der Richtigkeit der Gutachten überzeugt. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte, den Sachverständigen seien
irgendwelche wichtigen Anknüpfungstatsachen verborgen geblieben. Auch der Klägerin selbst ist es offenbar nicht darauf angekommen,
solche aufzudecken. Wie der in der mündlichen Verhandlung übergebene Fragenkatalog dokumentiert, ist es ihr im Wesentlichen
um ein Insistieren auf der Ebene der gutachterlichen Wertung gegangen.
Für sämtliche Fragen, welche die Klägerin an Dr. E. hat stellen wollen, besteht kein Klärungsbedarf. Die Ausführungen Dr.
L. zur Befindlichkeit der linken Hand (dazu Fragen 1 bis 4) sind widerspruchsfrei (vgl. dazu oben) und erschöpfend. Die Klägerin
verschließt sich in diesem Zusammenhang der ärztlichen Feststellung, dass bei ihr eine normale Gebrauchsfähigkeit der Hände
vorliegt, dass aber keine besonderen Anforderungen daran gestellt werden dürfen. Verschiedene Fragen kreisen um die Bedenken
der Klägerin, ob Dr. E. gewisse Umstände denn auch tatsächlich berücksichtigt habe (z.B. Frage 4, 7, 8). Dafür, dass Dr. E.
irgendwelche relevanten Gesichtspunkte bei seiner Beurteilung außer Betracht gelassen oder falsch gewichtet haben könnte,
existieren keine Anhaltspunkte. Selbst wenn der Sachverständige die in diesem Zusammenhang formulierten Fragen der Klägerin
negativ beantworten müsste, würde dies dem Gutachten nicht die Überzeugungskraft nehmen. Denn die Klägerin verfügt, obwohl
ihre eigene körperliche Befindlichkeit betroffen ist, nicht über die Kompetenz, die Begutachtungsmaßstäbe für die Sachverständigen
vorzugeben. Auch wenn sie meint, ein bestimmter Umstand müsse in bestimmter Weise Berücksichtigung finden, so bedeutet das
nicht, dass dem tatsächlich so ist. Für ein insistierendes Nachfragen besteht nach alldem kein Anlass. Mehrfach hat die Klägerin
eine ausführlichere Begründung gewünscht, als sie Dr. E. gegeben hat (z.B. Frage 2, 5, 7). Das mag aus ihrer Sicht verständlich
sein, gleichwohl genügt die Begründung des Sachverständigen, um als Entscheidungsgrundlage für das Gericht dienen zu können.
Die individuellen Vorstellungen der Klägerin zum Begründungsumfang sind unmaßgeblich. Mitunter stehen hinter den Fragen Anknüpfungstatsachen,
die so, wie von der Klägerin behauptet, nicht existieren; dies wirkt sich z.B. bei den Fragen 7 und 8 aus, wo die Klägerin
ihre Beeinträchtigungen aufgrund der Harninkontinenz zu drastisch darstellt. Die Fragen, welche die Klägerin für Dr. M. vorgesehen
hat, weisen im Wesentlichen die gleichen Merkmale auf.
Zusammenfassend hat keine einzige der von der Klägerin formulierten Fragen vermocht, dem Senat weiteren Ermittlungsbedarf
anzuzeigen. Dass die Klägerin in der Sache mit den Ergebnissen der Sachverständigen nicht einverstanden ist, ist für die Frage,
was die gerichtliche Amtsermittlungspflicht im konkreten Fall an Aufklärungsmaßnahmen gebietet, nicht relevant. Der Sachverhalt,
insbesondere der medizinische, ist restlos "ausermittelt". Vor diesem Hintergrund waren die förmlichen Anträge, Dr. E. und
Dr. M. noch einmal mündlich oder schriftlich zu vernehmen, abzulehnen.
Gegen eine mündliche Vernehmung der Sachverständigen spricht weiter, dass die von der Klägerin damit verfolgten Ziele nicht
prozessdienlich sind. Denn ihr ist offensichtlich darum gegangen, die Gutachter vor Gericht in Verlegenheit zu bringen. Der
Senat vermag die Weigerung der Klägerin, die Fragen vorab mitzuteilen, nur schwerlich anders zu interpretieren. Nachdem die
Klägerin mit gerichtlichem Schreiben vom 29.12.2009 gebeten worden war, die beabsichtigten Fragen zu konkretisieren, hat sie
der Geschäftsstelle telefonisch mitgeteilt, sie würde dem nicht entsprechen, da die Sachverständigen nicht in die Lage versetzt
werden sollten, sich auf die Fragen vorbereiten. Einen anderen Zweck, als die Kompetenz der Gutachter durch ins Detail gehende
Fragen in ungünstigem Licht erscheinen zu lassen, kann die Klägerin mit dieser Taktik schlechterdings nicht verfolgt haben.
Die Einlassungen in dem auf den 27.01.2010 datierten Schreiben, das neben dem Fragenkatalog in der mündlichen Verhandlung
übergeben worden ist, vermögen diesen Eindruck nicht zu korrigieren. Für ein solches Ansinnen, das der Sachaufklärung in keiner
Weise förderlich ist, bietet die mündliche Verhandlung vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit kein Forum.
Der Klägerin steht auch keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu.
Nach §
240 Abs.
1 SGB VI haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen
der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die erstens vor dem 2. Januar 1961 geboren und zweitens berufsunfähig sind. Berufsunfähig
sind gemäß §
240 Abs.
2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig
und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als
sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist,
umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des
Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet
werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit
Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden
täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Eine Berufsunfähigkeit im Sinn von §
240 Abs.
2 SGB VI liegt nicht vor. Denn die Klägerin ist in der Lage, eine ihr zumutbare Tätigkeit in diesem Sinn mindestens sechs Stunden
täglich auszuüben.
Welche Tätigkeiten sozial zumutbar und damit als Verweisungsberufe geeignet sind, richtet sich nach dem von der Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts entwickelten Mehrstufenschema. Dieses weist verschiedene Berufsgruppen auf, die danach unterscheiden,
welche Bedeutung die Dauer und der Umfang einer Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben. Die Berufsgruppen werden durch
die Leitberufe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters,
des angelernten Arbeiters und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (BSG, Urteil vom 22.08.2002 - B 13 RJ 19/02 R m.w.N.). In vergleichbarer Weise werden auch Angestellte eingestuft.
Ebenso wie das Sozialgericht kann auch der Senat offen lassen, ob als "bisheriger Beruf" - dessen Wertigkeit für die Einstufung
maßgebend ist - der der Reiseleiterin oder der Justizangestellten anzusehen ist. Es spricht jedoch Einiges dafür, insoweit
den der Reiseleiterin heranzuziehen. Weiter kann dahin stehen, ob der Beruf der Reiseleiterin tatsächlich als ungelernte oder
nicht doch als angelernte Tätigkeit betrachtet werden muss. Denn jedenfalls ist die Klägerin in der Lage, den von ihr erlernten
Beruf als Reiseverkehrskauffrau Reisevermittlung/Reiseveranstaltung im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich auszuüben.
Das haben Dr. M. und Dr. E. in überzeugender Weise bestätigt. Damit existiert ein geeigneter Verweisungsberuf, der sogar hochwertiger
ist als der "bisherige Beruf". Wie sich aus dem Gutachten von Dr. M. ergibt, ist die Klägerin in der Lage, sich in drei Monaten
auf die Tätigkeit als Reiseverkehrskauffrau im Reisebüro ein- bzw. umzustellen, zumal sie über eine einschlägige Ausbildung
verfügt und den Beruf auch tatsächlich - wenn auch nur kurz - ausgeübt hat. Zur ggf. notwendigen Auffrischung ihrer Kenntnisse
wäre die Klägerin gehalten, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu beantragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin auch vor dem Bayerischen Landessozialgericht ohne Erfolg geblieben ist.
Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.