Anrechnung einer polnischen Altersrente auf eine Altersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung im Fremdrentenrecht
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe der Anrechnung der polnischen Altersrente der Klägerin auf ihre Altersrente aus der deutschen gesetzlichen
Rentenversicherung im Rahmen von § 31 Fremdrentengesetz (FRG).
Die 1941 in Polen geborene, als Vertriebene anerkannte Versicherte (Vertriebenenausweis A) lebt seit 04.11.1991 im Bundesgebiet.
Hier war sie seit dieser Zeit arbeitssuchend gemeldet. Zur Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses kam es nicht. Ab 01.03.1996
bezog die Klägerin aus den in Polen zwischen 12.03.1956 und 18.10.1991 zurückgelegten Versicherungszeiten eine polnische Altersrente,
die vom deutschen Versicherungsträger an sie weitergeleitet wurde.
Mit Bescheid vom 04.04.2001 bewilligte die Beklagte der Klägerin Altersrente für Frauen ab 01.03.2001 (monatlicher Rentenzahlbetrag
DM 1.169,77). Die Rente wurde unter Berücksichtigung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik
Polen über Soziale Sicherheit vom 08.12.1990 (DPSVA) festgestellt und beruhte im Wesentlichen auf den zwischen 12.03.1956
und 18.10.1991 in Polen zurückgelegten, im Rahmen des FRG anerkannten Versicherungszeiten. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Die polnische Rente leitete die Beklagte in Höhe des
Anteils an die Klägerin weiter, der den für die deckungsgleich berücksichtigten Kalendermonate errechneten Betrag überstieg
(6,78 % von DM 363,28 entsprechend 29 von 428 Kalendermonaten Gesamtversicherungszeit in Polen).
Mit Bescheid vom 19.09.2005 teilte die Beklagte der Klägerin dazu unter Bezugnahme auf § 19 Abs.4 des DPSVA vom 08.12.1990
mit, dass die deutsche Rente in Höhe des in Euro umgerechneten Betrages ruhe, der als Leistung des ausländischen Versicherungsträgers
aus den Zeiten ausgezahlt werde, die auch der deutschen Rente zugrunde lägen. Aus verwaltungstechnischen Gründen werde jedoch
die deutsche Rente im Zahlbetrag unverändert ausbezahlt und die polnische Rente in Höhe des den nicht deckungsgleich berücksichtigten
Zeiten entsprechenden Betrages (6,78% des polnischen Rentenbetrages) an die Klägerin weitergeleitet.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 22.09.2005 hob die Beklagte den Bescheid vom 19.09.2005 in vollem Umfang und den Bescheid
vom 04.04.2001 hinsichtlich der Rentenhöhe gem. § 48 Abs.1 S.1 SGB X wegen Änderung der mit der deutschen Rente zusammentreffenden anderen Ansprüche nach Inkrafttreten des deutsch-polnischen
Doppelbesteuerungsabkommens zum 01.01.2005 mit Wirkung für die Zukunft auf und berechnete die auszuzahlende deutsche Rente
ab 01.11.2005 neu. Zur Begründung hieß es, das bisherige Verfahren zur Anwendung des § 31 FRG sei nicht mehr durchführbar. Infolge der Umsetzung des neuen deutsch-polnischen Doppelbesteuerungsabkommens durch den polnischen
Rententräger (Abzug des in Polen anfallenden Steueranteils von der Rente vor deren Weiterleitung nach Deutschland) könne die
überwiesene polnische Rente nicht mehr in Höhe des nach § 31 FRG ruhenden Teils der deutschen Rente einbehalten werden. Die polnischen Nettorentenbeträge reichten nunmehr zur Einbehaltung
des Ruhensbetrages nach § 31 FRG regelmäßig nicht mehr aus. Auch sei der deutsche Rentenversicherungsträger ab 2006 gegenüber den deutschen Finanzbehörden
zur Abgabe einer Rentenbezugsmitteilung verpflichtet, welche den deutschen Rentenbetrag ausweisen müsse, auf den rechtlich
ein Anspruch bestehe. Das bisherige Verfahren (Einbehalt des Ruhensbetrages nach § 31 FRG von der polnischen Rente und ungekürzte Auszahlung der deutschen Rente) habe die Meldung eines zu hohen deutschen Rentenzahlbetrages
und damit die Möglichkeit einer steuerlichen Fehlveranlagung zur Folge. Es werde daher ab 01.11.2005 die monatliche deutsche
Rente nach Abzug des Ruhensbetrages in Höhe von 387,09 Euro (680,94 Euro minus 93,22% des zustehenden polnischen Rentenbetrages
von 277,40 Euro = 258,59 Euro, sowie minus Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag) gezahlt. Die monatlich eingehende polnische
(Netto-) Rente werde dagegen in voller Höhe an die Klägerin weitergeleitet.
Weiter hieß es, von einer Anhörung sei abgesehen worden, weil die Ansprüche der Klägerin gegenüber der deutschen Rentenversicherung
im Ergebnis nicht zu ihrem Nachteil verändert worden seien, sondern die Minderung der Summe der Rentenzahlbeträge aus deutscher
und polnischer Rente ausschließlich auf dem von den polnischen Behörden vorgenommenen Steuerabzug beruhe.
Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, es müsse ihr weiterhin die Gesamtrente in bisher gezahlter Höhe ausbezahlt
werden. Maßgebend für die Anrechnung der polnischen Rente sei nach § 31 FRG der tatsächliche Auszahlungsbetrag.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.12.2005 zurück. Bei Anwendung der Doppelleistungsbestimmungen
sei grundsätzlich von dem Betrag auszugehen, der dem Berechtigten als Leistung der Rentenversicherung zustehe, also der Betrag
der ausländischen Rente vor Abzug von Steuern, Sozialversicherungsbeiträgen und sonstigen individuellen Abgaben oder Abzügen.
Es sei allein auf die Leistung des Rentenversicherungsträgers abzustellen, das Steuerrecht bleibe hier außer Betracht. Andernfalls
würde die deutsche Rentenversicherung die Steuerlast des Berechtigten in den Fällen übernehmen, in denen das ausländische
(Steuer-)Recht einen Vorwegabzug bei der Rente vorsehe.
Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie brachte vor, aus § 31 FRG ergebe sich nicht, dass die polnische Rente vor Abzug der Steuern anzurechnen sei.
Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28.12.2006 ab. Zu Recht habe die Beklagte unter Anwendung von § 48 SGB X die Neufeststellung der Rente der Klägerin vorgenommen und dabei die polnische Rente der Klägerin vor Abzug der Steuern auf
die deutsche Rente angerechnet. Auf Grund des am 01.01.2005 in Kraft getretenen deutsch-polnischen Doppelbesteuerungsabkommens
werde vor Überweisung der polnischen Rente der Klägerin nach Deutschland ein entsprechender Steueranteil von der Rente abgezogen;
es handle sich dabei um eine Abgabe, die die Klägerin in ihrer Person als polnische Rentenbezieherin treffe und von ihr persönlich
zu tragen sei. Es könne nicht angehen, dass diese persönliche Steuerlast über eine extensive Auslegung des Begriffes "ausbezahlt"
in § 31 FRG auf die deutsche Versichertengemeinschaft abgewälzt werde. Dieser Begriff solle lediglich klarstellen, dass nur eine auch
tatsächlich gezahlte und nicht auch eine nur bewilligte, aber nicht tatsächlich geleistete Rente zur Anrechnung komme.
Mit der Berufung wendet sich die Klägerin gegen diese Entscheidung.
Der Senat hat mit Schreiben vom 01.03.2007 Hinweise zur Rechtslage und zur Aussichtslosigkeit der Berufung gegeben.
Die Klägerin beharrte demgegenüber auf ihrer bisherigen Auffassung und machte geltend, für sie als Vertriebene und deutsche
Staatsangehörige müssten die polnischen Versicherungszeiten in der deutschen Rentenversicherung so berücksichtigt werden,
als hätte sie diese in Deutschland zurückgelegt. Der Bescheid vom 04.04.2001 müsse aufrecht erhalten werden. Andernfalls komme
es bei ihr zu einer faktischen Rentenkürzung von 60 % (nach FRG 40 %, durch polnische Steuer 20 %).
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 28.12.2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22.09.2005 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogenen
Rentenakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§
143,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -), sie erweist sich aber nicht als begründet.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 22.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2005,
mit dem mit Wirkung für die Zukunft der Bescheid vom 19.09.2005 in vollem Umfang sowie der Rentenbewilligungsbescheid vom
04.04.2001 hinsichtlich der Rentenhöhe gem. § 48 Abs.1 S.1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben wurde.
Zutreffend hat das Erstgericht die dagegen gerichtete Klage abgewiesen. Die Bescheide sind rechtmäßig ergangen.
Zwar hat die Beklagte vor Erlass des Bescheides die entgegen ihrer Auffassung gem. § 24 SGB X notwendige Anhörung nicht durchgeführt. Die unterlassene Anhörung wurde jedoch vorliegend durch die Durchführung des Widerspruchsverfahrens,
in dem die Klägerin ihre Einwendungen vorbrachte und sich die Beklagte damit auseinander setzte, geheilt (§ 41 Abs.1 Nr.3 SGB X).
Die Voraussetzungen des § 48 Abs.1 S.1 SGB X für die Aufhebung bzw. Abänderung der früheren Bescheide waren gegeben.
Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen
Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
Die wesentliche Änderung der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse bestand vorliegend darin, dass der polnische Rententräger
nunmehr auf Grund des zum 01.01.2005 in Kraft getretenen deutsch-polnischen Doppelbesteuerungsabkommens vor der Überweisung
der polnischen Rente der Klägerin nach Deutschland den in Polen anfallenden Steueranteil von der Rente vorweg abzog und nur
mehr der dadurch verringerte Netto-Auszahlungsbetrag der Rente nach Deutschland überwiesen wurde. Dieser reichte für die bisher
aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung durchgeführte Einbehaltung des sich aus § 31 Abs.1 S.1 FRG ergebenden Ruhensbetrages der deutschen Rente bei der überwiesenen polnischen Rente (neben der gleichzeitigen Auszahlung
der vollen deutschen Rente) nicht mehr aus.
Nach § 31 Abs.1 S.1 FRG ruht dann, wenn dem Berechtigten von einem Träger der Sozialversicherung oder einer anderen Stelle außerhalb der Bundesrepublik
Deutschland für die nach Bundesrecht anzurechnenden Zeiten Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder anstelle einer
solchen eine andere Leistung gewährt wird, die Rente in Höhe des in Euro umgerechneten Betrages, der als Leistung des Trägers
der Sozialversicherung außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ausgezahlt wird. Sinn und Zweck dieser gesetzlichen Regelung
ist die Vermeidung von Doppelleistungen (vgl. BT-Drucks zum FANG, 3/1109, Begründung zu §§ 11, 31 FRG S 38; BSG SozR 3-5050 § 31 Nr 1).
Der Begriff "ausgezahlt" kann daher nur dahin zu verstanden werden, dass ein Ruhen der deutschen Rente in Höhe eines entsprechenden
Anteils des Betrages erfolgen soll, der als tatsächliche Leistung des fremden Versicherungsträgers - und nicht nur als fiktiv
errechnete Leistung - zur Auszahlung kommt. Diese umfasst jede dem Versicherten direkt oder indirekt aus dem Versicherungsverhältnis
seitens des ausländischen Versicherungsträgers zufließende Leistung, nicht dagegen, wie die Klägerin meint, nur die ihr ausgezahlte
Rentenleistung. Eine indirekte Leistung des Rententrägers kann auch in einer durch zulässige gesetzliche Bestimmungen angeordneten
Tilgung einer Schuld des Versicherten gegenüber Dritten liegen. Dies ist bei der Erfüllung der in Polen entstandenen persönlichen
Steuerschuld der Klägerin durch den polnischen Versicherungsträger auf Grund gesetzlicher Anordnung der Fall, ähnlich wie
auch im Fall einer Verrechnung nach §
52 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I), bei der dem Versicherten der wirtschaftliche Wert des vollen Rentenanspruchs zufließt, ein Teil des Zahlbetrages infolge
der Verrechnungserklärung aber nicht an ihn ausgekehrt wird, sondern den Untergang einer gegen ihn bestehenden Verrechnungsforderung
bewirkt. Unter dem vom ausländischen Versicherungsträger "ausgezahlten" Betrag im Rahmen von § 31 FRG ist daher der Bruttorentenbetrag zu verstehen.
Dass nur diese Auslegung der Ruhensbestimmung zutrifft, ergibt sich weiter aus der Überlegung, dass es ohne Vorwegabzug der
Steuerschuld bei voller Auszahlung des polnischen Rentenbetrages und erst nachträglicher Begleichung der individuellen polnischen
Steuerschuld durch die Klägerin - also ohne Vorwegabzug in Polen - ebenfalls zu einer Anrechnung des Bruttorentenbetrages
im Rahmen von § 31 FRG käme. Es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, dass die Beklagte und mit ihr die Versichertengemeinschaft diese der
Klägerin obliegende polnische Steuerschuld zu tragen hätte. Die der Klägerin vom polnischen Staat auferlegten Steuerpflichten
können nicht dazu führen, dass sich die von der Beklagten auszuzahlende Rentenleistung erhöht.
Auf ihre deutsche Staatsangehörigkeit und auf ihre Vertriebeneneigenschaft kann sich die Klägerin demgegenüber nicht berufen.
Die außerhalb der Bundesrepublik Deutschland auf Grund der individuellen Lebenssachverhalte bei der Klägerin entstandenen
Steuer- und Abgabenlasten werden davon nicht berührt.
Die Beklagte hat nach allem zu Recht eine Verfahrensänderung vorgenommen und dabei in Anwendung von § 31 FRG das Ruhen der deutschen Rente in Höhe eines Anteils des Brutto-Zahlbetrages der polnischen Rente festgestellt sowie ab 01.11.2005
nur den nicht ruhenden Teil neben der Weiterleitung des jeweils eingehenden polnischen Rentenbetrages in voller Höhe an die
Klägerin gezahlt.
Bei dieser Sachlage konnte die Berufung keinen Erfolg haben. Sie war mit der Kostenfolge aus §
193 SGG zurückzuweisen.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich. Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage i. S. v. 160 Abs. 2 S. 1
SGG ist nach Auffassung des Senats angesichts des ausreichend klaren, nach Sinn und Zweck bestimmbaren Wortlauts des § 31 FRG nicht gegeben. Auf die beim BSG anhängige Sprungrevision zur Frage, ob die Ruhensbestimmung des § 31 Abs.1 S.1 FRG auf den steuerlichen Bruttobetrag der ausländischen Rente abstellt, wird jedoch hingewiesen.