Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Blindengeld nach dem Bayer. Blindengeldgesetz (BayBlindG) hat.
Die 1958 geborene Klägerin kollabierte am 06.01.2006 aufgrund eines akuten transmuralen Myokardinfarkts der Vorderwand. Bei
hypoxisch-ischämischer Hirnschädigung besteht seither das klinische Bild eines apallischen Syndroms ("Wachkoma").
Die Klägerin beantragte über ihren Betreuer beim Beklagten am 21.02.2006 Blindengeld. Dieser wertete den Entlassungsbericht
des Universitätsklinikums A-Stadt vom 27.01.2006 und ein Gutachten zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit des MDK Bayern
aus. In seiner auf Veranlassung des Beklagten gefertigten gutachterlichen Stellungnahme vom 12.07.2006 stellte Prof. Dr. Z.,
Leiter der Neuropsychologie am P.-Institut für Psychiatrie, G-Stadt, fest, dass die Hirnschädigung ohne Zweifel auch den visuellen
Cortex und damit die Sehrinde einschließe; gleichzeitig bestehe aber auch kein Wahrnehmungsvermögen in anderen Modalitäten.
Aufgrund der schweren Schädigung sei von faktischer Blindheit auszugehen, auch wenn diese aufgrund fehlender Untersuchbarkeit
nicht objektiviert werden könne. Weiter nahm der Neurologe und Psychiater Dr. B. am 13.11.2006 gutachterlich Stellung und
kam zu dem Ergebnis eines diffusen hypoxischen Hirnödems mit Engstellung sowie einer aufgehobenen Rindenmarkgrenze.
Mit Bescheid vom 08.12.2006 lehnte der Beklagte den Antrag auf Blindengeld ab. Bei der Klägerin lasse sich Blindheit im Sinne
des Gesetzes nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisen. In den beigezogenen Unterlagen würden sich keinerlei ausreichende
Hinweise für kortikale Blindheit finden. Vielmehr sei ein vollständiges apallisches Syndrom gegeben, bei dem laut Urteil des
Bundessozialgerichts (BSG) vom 20.07.2005 faktische Blindheit nicht angenommen werden könne.
Hiergegen erhob die Klägerin über ihren Betreuer am 02.01.2007 Widerspruch.
Im Widerspruchsverfahren wurde auf Veranlassung des Beklagten eine MRT vom Schädel der Klägerin angefertigt. In ihrer Stellungnahme
kam die leitende Radiologin Dr. B. zu dem Ergebnis, dass die Ausweitung der Ventrikel auf einen hochgradigen Defekt vor allen
Dingen auch im Occipitallappen hindeuten würde, so dass die Sehrinde weitgehend zerstört sein dürfte. Insgesamt biete sich
das ausgeprägte Bild einer hypoxischen Hirnschädigung mit parieto-occipitaler Betonung und konsekutiver Erweiterung sämtlicher
innerer und äußerer Liquorräume. Im Folgenden gab Dr. B. erneut eine fachärztliche Stellungnahme für den Beklagten ab und
kam u.a. zu dem Ergebnis, dass eine bevorzugte Schädigung oder isolierte Zerstörung der Sehrinden nicht vorliegen würde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.06.2007 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Das Fehlen
jeglicher sinnlicher Wahrnehmung im Rahmen eines apallischen Syndroms könne nicht generell einer Blindheit gleichgesetzt werden.
Bei der Klägerin seien sämtliche Gehirnfunktionen auf das Schwerste eingeschränkt, so dass ein bedeutsamer Unterschied der
Beeinträchtigung der einzelnen Sinnesmodalitäten nicht festgestellt werden könne. Die vom BSG geforderte stärkere Betroffenheit der visuellen Wahrnehmung als Voraussetzung einer faktischen Blindheit sei nicht gegeben.
Hiergegen richtet sich die am 16.07.2007 zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobene Klage. Diese ist damit begründet worden, dass die o.g. MRT "genau das Gegenteil" der Feststellung des Beklagten
im Widerspruchsbescheid ergeben habe.
Zur Ermittlung des Sachverhalts hat das SG ein neurologisch-nervenärztliches Gutachten von Dr. B. für die Deutsche Rentenversicherung ausgewertet. Bei der klinisch-neurologischen
Untersuchung seien, wie der Gutachter u.a. berichtet hat, mittelweite und gleich große Pupillen festgestellt worden; die Lichtreaktion
sei beidseits direkt gut erhältlich, der Cornealreflex beidseits gut auslösbar, der okulocephale Reflex negativ gewesen. Auf
akustische Reize sei eine deutlich schreckhafte Reaktion festzustellen gewesen. Auf Schmerzreize erfolge keine wesentliche
Abwehrbewegung motorisch, jedoch sei ein Anstieg der Herzfrequenz zu bemerken. Die Klägerin sei wach gewesen und habe auf
visuelle Reize nicht reagiert, eine Fixierung habe teilweise stattgefunden, jedoch nicht konstant. Laut Auskunft einer Pflegefachkraft
sei die Klägerin seit der Einnahme eines Medikaments etwas wacher gewesen; sie habe teilweise mehr fixiert, auch sei die Spastik
besser geworden. Aufforderungen habe sie nicht befolgt.
In der mündlichen Verhandlung des SG am 18.09.2008 hat der Bevollmächtigte der Klägerin erklärt, dass nach Auskunft des Ehemanns der Klägerin sich deren Zustand
ständig bessere, insbesondere das Hörvermögen. Eine Besserung des Sehvermögens finde jedoch nicht statt.
Auf die mündliche Verhandlung hin hat das SG die Klage abgewiesen. Dass der Klägerin das Augenlicht vollständig fehle, sei nicht entsprechend des Vollbeweises nachgewiesen.
Es liege zwar ein schwerer, das gesamte Gehirn betreffender hypoxischer Hirnschaden vor, jedoch lasse sich daraus eine vollständige
Zerstörung der Sehrinde und damit das Vorliegen von Rindenblindheit nicht ableiten. Gleiches gelte für die Voraussetzungen
des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG. Bei einem vollständigen apallischen Syndrom sei die visuelle Wahrnehmung nicht deutlich stärker betroffen als die Wahrnehmung
in anderen Sinnesmodalitäten. So liege es auch bei der Klägerin. Es sei eine allgemeine Herabsetzung der Wahrnehmungs- und
Verarbeitungsfähigkeit sensorischer Reize gegeben. Die vom BSG aufgestellten Kriterien für das Vorliegen faktischer Blindheit seien nicht gegeben.
Hiergegen hat die Klägerin über ihren Bevollmächtigten am 17.11.2008 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt.
Diese wurde im Wesentlichen damit begründet, dass bei der Klägerin eine der Blindheit gleich zu erachtende Störung des Sehvermögens
im Sinne der Rechtsprechung zu bejahen sei, da sie andere Sinneswahrnehmungen (Fühlen, Hören) trotz der beeinträchtigten Gehirnfunktionen
deutlich besser verarbeiten könne, jedoch nicht in der Lage sei, auf optische Reize hinreichend zu reagieren. Ihr Sehapparat
und ihr visuelles Verarbeitungsvermögen seien bei der Hirnschädigung besonders in Mitleidenschaft gezogen worden. Das SG habe es versäumt, entsprechende Feststellungen von einem Sachverständigen treffen zu lassen. Ein vollständiges apallisches
Syndrom liege nicht vor.
Das Gericht hat zahlreiche vorgelegte Befundunterlagen ausgewertet. In seinem Bericht vom 20.04.2006 hat der Neurologe Dr.
W. u.a. festgestellt, dass visuelle Reize anscheinend nicht wahrgenommen würden, taktile und akustische jedoch durchaus von
einer vegetativen Reaktion begleitet seien. Im Entlassungsbericht bezüglich einer stationären neurologischen Reha-Behandlung
im Klinikum am E., A-Stadt, vom 04.01.2007 hat Priv. Doz. Dr. R. u.a. berichtet, dass die Klägerin auf starken Schmerzreiz
reagiert habe, die Sensibilität sei nicht prüfbar. Im Abschlussbericht der Ergotherapie vom 04.01.2007 ist davon berichtet
worden, dass die Klägerin sehr schreckhaft auf akustische und taktile Reize reagiert habe und dass ein kurzzeitiges Fixieren
der Augen möglich gewesen sei. In einem weiteren Ergotherapiebericht vom 30.06.2008 ist davon die Rede gewesen, dass sich
in der ergotherapeutischen Behandlung vermehrte Wachheit gezeigt habe. Die Klägerin erwecke sogar manchmal den Eindruck einer
direkten, gezielten Beobachtung. In einer weiteren Stellungnahme ist festgestellt worden, dass die Klägerin keine deutlich
erkennbare Blickfixation auf Gegenstände oder Personen zeige.
In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme des Beklagten hat die Sozialmedizinerin P. festgestellt, dass eine generalisierte
schwere Hirnschädigung ohne abgrenzbare Zerstörung oder Schädigung im Bereich der Sehrinde oder der Sehstrahlung vorliege.
Der in den Unterlagen enthaltenen Behauptung, die ausgeprägte Schreckhaftigkeit bei Berührung und Geräuschen sei Anzeichen
für eine stark eingeschränkte Sehfähigkeit, müsse widersprochen werden. Hier handle es sich um eine als Startle-Reaktion bezeichnete
Schreckreaktion auf externe Reize, die typisch für das apallische Syndrom sei. Es handle sich um eine vegetative Reaktion,
die nicht als reizspezifische Antwort fehlgedeutet werden dürfe. Es sei nicht nur der visuelle Kanal zumindest sehr stark
eingeschränkt, sondern auch die Kanäle der übrigen Sinneswahrnehmungen.
Das Gericht hat den Facharzt für Neurologie Priv. Doz. Dr. E., N., mit der Begutachtung der Klägerin beauftragt. Dieser hat
nach einer Untersuchung der Klägerin im Rahmen eines Hausbesuchs (28.08.2009) am 03.09.2009 ein Gutachten erstellt. Der Sachverständige
hat Folgendes festgestellt: Inwieweit die Klägerin das Augenlicht vollständig verloren habe bzw. inwieweit bei ihr die Sehschärfe
auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 betrage, lasse sich im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung nicht feststellen,
da aufgrund der schweren hypoxischen Hirnschädigung eine Mitarbeit diesbezüglich nicht bestehe. Aufgrund der vorliegenden
und der bei der gutachterlichen Untersuchung erhobenen Befunde könne eine Rindenblindheit nicht mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Bei der jetzigen Untersuchung habe die Klägerin die entwickelten standardisierten Richtlinien
zur Diagnose des apallischen Syndroms bzw. des vegetativ state in vollem Umfang erfüllt.
Insbesondere sei festzustellen, dass bei der Klägerin keine reproduzierbaren Zuwendebewegungen erkennbar seien. Darüber hinaus
würden willkürlich keine Aufforderungen befolgt. Auf Schmerzreize wie auch auf akustische Reize würden Schreckreaktionen auftreten,
die allerdings nicht mit einer willkürlichen Abwehrbewegung zu verwechseln seien; solche sog. Startle- bzw. Schreckreaktionen
würden nicht spontan ohne externe oder interne Stimulation auftreten. Zusammenfassend könne aufgrund der jetzt erhobenen Befunde
eine spezifische Störung des Sehvermögens nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.
Mit Schriftsatz vom 20.10.2009 hat der Bevollmächtigte zahlreiche Kritikpunkte am Gutachten aufgezeigt, Vorbehalte gegen die
Person des Gutachters deutlich gemacht und später die Untersuchungsmethoden des Gutachters als "gelinde ausgedrückt altertümlich"
bezeichnet ... Die ungenügenden Ermittlungen des Gutachters würden keine sichere Grundlage für die nötigen Feststellungen
bieten. Es sei auch deutlich erkennbar, dass die Klägerin die Umwelt wahrnehme. Bei Spaziergängen bleibe sie wach und aufmerksam;
wenn sie im Rollstuhl sitze und alleine sei, schließe sie meistens die Augen wegen fehlender Reize. Das ganze Spektrum an
Reaktionen werde erst deutlich bei der Begleitung im Pflegealltag. Die Begutachtung solle durch einen mit Wachkoma-Patienten
vertrauten Neurologen erfolgen. Im Übrigen sei der Sachverständige als Privatgutachter für die gegnerische Versicherung anderer
Mandantschaft des Bevollmächtigten bereits ähnlich aufgefallen.
Im Auftrag des Gerichts hat Priv. Doz. Dr. E. sodann am 04.11.2009 ergänzend Stellung genommen. Dabei hat er u.a. festgestellt,
dass bei einer mangelnden Kommunikation wie bei der Klägerin die Prüfung des Geruchs- und des Geschmackssinns nicht aussagekräftig
durchführbar sei, da es wie beim Anbieten von akustischen Reizen nur zu einem Grimassieren komme im Sinne einer Startle-Reaktion.
Die Untersuchung der Klägerin sei nach einem schematisierten Protokoll abgelaufen. Aufgrund seiner klinischen Erfahrung sei
es ihm doch durchaus möglich, sich ein Bild über eine Patientin zu machen, die an einem apallischen Syndrom leide.
Die mündliche Verhandlung des Senats am 02.03.2010 ist zur Einholung eines Gutachtens nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) vertagt worden.
Auf Antrag der Klägerin vom 08.03.2010 hat das Gericht den Neuroradiologen Prof. Dr. D., A-Stadt, beauftragt. In seinem Gutachten
vom 06.12.2010 ist Prof. Dr. D. im Einzelnen auf die vorliegenden neuroradiologischen Untersuchungsergebnisse eingegangen
und hat festgestellt, dass die aktuelle MRT vom 18.10.2010 die früheren Befunde bestätigt habe. Nun mehr als drei Jahre später
zeige sich eine sehr ausgeprägte generalisierte Hirnvolumenminderung mit konsekutiver Erweiterung der äußeren und insbesondere
inneren Liquorräume. Auch in der aktuellen Bildgebung zeige sich eine überproportionale Beteiligung der Occipitalregion/Sehrinde.
Die morphologischen Schädigungen der Sehrinde, deutlicher die ausgeprägte Rarefizierung der Nervenfasern der Sehbahn und die
ausgeprägte Schädigung des Corpus geniculatum laterale beidseits ließen annehmen, dass ein intaktes Sehen nicht möglich sei.
Zur Fragestellung, ob eine im Wesentlichen gleichmäßige und allgemeine Herabsetzung aller Sinnesmodalitäten vorliege, könne
von ihm, Prof. Dr. D., nur aus radiologischer Sicht und auf Grundlage des vorhandenen Bildgebungsmaterials Stellung genommen
werden. Hier zeige die gesamte Bildgebung eine übermäßige Beteiligung/Schädigung der Sehbahn. Die funktionelle MR-Bildgebung
vom 18.10.2010 habe zumindest eine regelrechte Reizantwort im Gehirn auf eine sensible Reizung an der rechten Hand gezeigt,
woraus der Gutachter auf eine "Intaktheit" des somatosensorischen Bahnsystems schließt. Eine wünschenswerte direkte funktionelle
Testung der Sehbahn sei aus verschiedenen Gründen nicht durchgeführt worden.
In einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme hat der Beklagte festgestellt, dass die vorliegenden Befunde keine spezielle
Zerstörung der Sehrinde belegen würden. Blindheit im Sinne des BayBlindG könne bei Patienten mit einem apallischen Syndrom nur dann bejaht werden, wenn beide Augen nachweislich fehlen würden oder
zerstört seien oder wenn die Sehrinde/Sehstrahlung umschrieben und abgrenzbar von Schädigungen des übrigen Gehirns soweit
geschädigt oder zerstört worden sei(en), dass Blindheit angenommen werden könne. Die hier mittels hochauflösender Technik
gefundenen, etwas stärker ausgeprägten Schädigungszeichen im Bereich von Sehstrahlung und Sehrinde seien aus versorgungsärztlicher
Sicht nicht geeignet bzw. ausreichend, Rindenblindheit nachzuweisen.
Im Auftrag des Gerichts hat Priv. Doz. Dr. E. am 27.09.2011 zu dem Gutachten von Prof. Dr. D. ergänzend Stellung genommen.
Er hat mitgeteilt, es müsse konstatiert werden, dass bei der Klägerin Veränderungen vorliegen würden, die ein Sehen unmöglich
machten und mit Blindheit gleichzusetzen seien. Hinsichtlich der Feststellung von Prof. Dr. D., dass somatosensorische Leitungsbahnen
in Teilen intakt seien, hat der Gutachter darauf hingewiesen, dass bei Untersuchungsverfahren im Rahmen eines apallischen
Syndroms äußerst variable funktionelle Leitungsunterbrechungen mit Inseln und mosaikförmigen Aktivitätszonen subkortikal bzw.
kortikal nachgewiesen hätten werden können. Auch gäbe es Untersuchungen, die funktional unversehrt erscheinende Areale neuronaler
Aktivität nachgewiesen hätten. Bei Patienten mit einem apallischen Syndrom würden sich jedoch die Netzwerke neuronaler Strukturen
als gestört und partiell oder vollkommen von thalamo-kortikalen Verbindungen getrennt erweisen. Bei ihnen bestehe eine schwere
Bewusstseinsstörung, die eine sinnvolle Verarbeitung afferenter Reize unmöglich machen würde.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18.09.2008 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 08.12.2006 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin ab 01.02.2006 Blindengeld
zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akten des Beklagten (Blindengeld- und Behindertenakte) und des Sozialgerichts Nürnberg beigezogen. Wegen
der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§
143,
151 SGG), jedoch nicht begründet.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin blind im Sinne des BayBlindG ist und ihr deshalb ab dem Monat der Antragstellung Blindengeld zusteht. Dies hat das Sozialgericht zu Recht verneint. Der
streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 08.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2007 ist rechtmäßig
und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Änderung des BayBlindG v. 20.07.2011 (GVBl. Nr. 14/2011, S. 311) erhalten blinde Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt
in Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004
zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 166 S. 1, ber. ABl L 200 S. 1, 2007 ABl L 204 S. 30) in der jeweils
geltenden Fassung dies vorsieht, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld.
Dabei beinhaltet nach der Rechtsprechung des BSG die Formulierung "zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen" keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung, sondern
umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung (BSG v. 26.10.2004 - B 7 SF 2/03 R).
Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,
1.
deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt,
2.
bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung
der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.
Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.
Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 1/50 (0,02) oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der Deutschen Ophtalmologischen Gesellschaft folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe Teil A
Nr. 6 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze - VG -, Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung):
a) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds
in keiner Richtung mehr als 30 vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50 unberücksichtigt bleiben,
b) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes
in keiner Richtung mehr als 15 vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50 unberücksichtigt bleiben,
c) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds
in keiner Richtung mehr als 7,5 vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50 unberücksichtigt bleiben,
d) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung
mehr als 5 vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50 unberücksichtigt bleiben,e) bei großen Skotomen
im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50 -Gesichtsfeld unterhalb
des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,
f) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der
Horizontalen nicht mehr als 30 Durchmesser besitzt,
g) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen
besteht.
1. Lichtlosigkeit/Rindenblindheit
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld, weil ihr das Augenlicht vollständig fehlen würde (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Es kann offen bleiben, ob bei ihr Rindenblindheit vorliegt und/oder ihr Sehorgan so schwer geschädigt ist, dass von Lichtlosigkeit
auszugehen ist. Denn bei der Klägerin kann eine spezifische Störung des Sehvermögens im Hinblick auf andere Sinnesmodalitäten
nicht festgestellt werden.
Die Klägerin befindet sich infolge der durch Sauerstoffmangel nach zeitweiligem Herzstillstand (im Januar 2006) aufgetretenen
cerebralen Schäden (hypoxisch-ischämische Hirnschädigung) im sog. Wachkoma (apallisches Syndrom). Dies folgt aus dem Ergebnis
der Beweisaufnahme, ergibt sich darüber hinaus bereits aus den zahlreichen vorliegenden Befundunterlagen und ist zwischen
den Beteiligten auch nicht strittig. Das Vollbild eines solchen Syndroms ist gekennzeichnet durch - vereinfacht dargestellt
- den vollständigen Verlust der Wahrnehmungsfähigkeit, also permanente Bewusstlosigkeit bei Erhalt der vegetativen Körperfunktionen.
Hieraus kann per se eine vollständige Zerstörung der Sehrinde und damit das Vorliegen einer Rindenblindheit (siehe Teil A
Nr. 6c VG) oder eine zur Funktionslosigkeit führende Schädigung der Sehbahn (etwa des Tractus Opticus) zwar nicht abgeleitet
werden (vgl. die Entscheidung des Senats v. 17.01.2006 - L 15 BL 1/05), auch wenn, wie der Beklagte mit seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 30.05.2011 überzeugend dargelegt hat, bei
einer hypoxisch-ischämischen Hirnschädigung die Beeinträchtigungen des Gehirns nicht vollkommen gleichmäßig ausgeprägt sind
und die Sehrinde empfindlicher und schneller auf Sauerstoffmangel reagiert als andere Hirnabschnitte. Denn wie die Betrachtung
des vorliegenden Falls zeigt, liegen eine Reihe von Befunden vor, die gegen die Annahme von Rindenblindheit und einer vollständigen
Unterbrechung der Sehbahn sprechen (siehe hierzu im Folgenden).
Der gem. §
109 SGG beauftragte Gutachter Prof. Dr. D. hat jedoch festgestellt, dass "schon die morphologischen Schädigungen der Sehrinde beidseits,
viel deutlicher aber die ausgeprägte Rarefizierung der Nervenfasern der Sehbahn und letztendlich die ausgeprägte Schädigung
des Corpus geniculatum laterale beidseits ... die schwere Schädigung (Zerstörung) der Sehnbahn belegen" würden, so dass mit
hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden könne, dass ein intaktes Sehen nicht möglich sei und mit hinreichender Sicherheit
"Blindheit" vorliege.
Ob es entsprechend den Anforderungen des Vollbeweises mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist, dass
bei der Klägerin Rindenblindheit gegeben bzw. die Klägerin wegen einer Zerstörung der Sehbahn blind ist - was das genannte
Gutachten und auch das von Priv. Doz. Dr. E. zwar nahe zu legen scheinen, aus Sicht des Senats wegen der vorliegenden Befunde
und der weiteren Formulierungen des Gutachters aber zumindest keinesfalls ohne Weiteres anzunehmen ist -, kann letztlich jedoch
offen bleiben. Denn jedenfalls fehlt es vorliegend an einer im Vergleich zu anderen Gehirnfunktionen spezifischen Störung
des Sehvermögens, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung Voraussetzung für die Anerkennung von Blindheit im Sinne des
BayBlindG ist.
Nach der Rechtsprechung des BSG (31.01.1995 - 1 RS 1/93 = SozR 3-5920 § 1 Nr.1; 26.10.2004 - B 7 SF 2/03 R; 20.07.2005 - B 9a BL 1/05 R) stehen auch cerebrale Schäden, die - für sich allein oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans - zu
einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führen, der Annahme von Blindheit nicht grundsätzlich entgegen. Allerdings ist in
Abgrenzung vor allem zu Störungen aus dem Bereich der seelisch-geistigen Behinderung zu differenzieren, ob das Sehvermögen,
das heißt das Sehen- bzw. Erkennen-Können beeinträchtigt ist, oder ob - bei vorhandener Sehfunktion - (nur) eine zentrale
Verarbeitungsstörung vorliegt, bei der das Gesehene nicht richtig identifiziert bzw. mit früheren visuellen Erinnerungen verglichen
werden kann, die also nicht (schon) das Erkennen, sondern (erst) das Benennen betrifft. Ausfälle allein des Benennen-Könnens
erfüllen mithin die Voraussetzungen von Blindheit nicht.
Bei Vorliegen umfangreicher cerebraler Schäden ist nach der Rechtsprechung des BSG (20.07.2005, a.a.O.), der sich der Senat anschließt, darüber hinaus eine weitere Differenzierung erforderlich: Es muss sich
im Vergleich zu anderen - möglicherweise ebenfalls eingeschränkten - Gehirnfunktionen eine spezifische Störung des Sehvermögens
feststellen lassen.
Diese vom BSG entwickelte zusätzliche Differenzierung beim Vorliegen umfangreicher cerebraler Schäden entspricht, wie der Senat bereits
früher festgestellt hat (17.01.2006 - L 15 BL 1/05), dem sich aus den Motiven des BayBlindG (Landtagsdrucksache 13/458 vom 16.02.1995, S. 5) ergebenden Willen des Landesgesetzgebers insoweit, als dieser Leistungen
nach dem BayBlindG aufgrund einer ausschließlich als Folge einer generellen cerebralen Behinderung mit allgemeiner Herabsetzung der kognitiven
Fähigkeiten bestehenden Unfähigkeit zur visuellen Wahrnehmung ausschließen wollte. Der Senat sieht im Übrigen bereits mit
Blick auf den Ausnahmecharakter des Blindengelds im System behinderungsbedingter Sozialleistungen keine Anhaltspunkte dafür,
dass das Erfordernis, die visuelle Wahrnehmung müsse für den Nachweis von Blindheit bei generalisierten cerebralen Schäden
deutlich stärker als andere Sinnesmodalitäten betroffen sein, zu einer sachwidrigen Benachteiligung mehrfach schwerst wahrnehmungsbehinderter
Menschen führen könnte (offen gelassen von LSG Niedersachsen-Bremen v. 20.01.2011 - L 12 SB 54/09).
Dem entsprechend gilt das Erfordernis einer spezifischen Störung des Sehvermögens nicht nur für die Fälle einer faktischen
Blindheit, sondern auch für die Anspruchsgrundlage des Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG, jedenfalls soweit die Ursachen der Blindheit wie hier in einem engen Zusammenhang mit der cerebralen Schädigung stehen.
Ob bei Schädigungen bzw. Zerstörungen des Sehorgans ohne direkten Bezug zu den cerebralen Beeinträchtigungen des Großhirns
- etwa im Falle eines Anophthalmus - etwas Anderes zu gelten hat, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, liegt aus
Sicht des Senats jedoch nahe. Das Erfordernis einer spezifischen Störung des Sehvermögens steht auch mit dem Wortlaut des
Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG in Einklang, der keine diesbezügliche ausdrückliche Einschränkung enthält. Aus Sicht des Senats ist es jedoch mit den Formulierungen
des Gesetzes wegen der bestehenden Begriffsunschärfen und dem hieraus folgenden Konkretisierungserfordernis durchaus vereinbar,
wenn jedenfalls bei nicht mehr von Schädigungen des übrigen Gehirns im Einzelnen abgrenzbaren Beschädigungen/Zerstörungen
von Sehrinde und Sehstrahlung - wie es hier der Fall ist, was aufgrund des Gutachten von Prof. Dr. D. zur vollen Überzeugung
des Senats feststeht, - eine zusätzliche Voraussetzung, nämlich eine spezifischen Störung des Sehvermögens verlangt wird,
so wie nicht die Rede davon sein kann, dass bei selbst im Einzelnen abgrenzbaren Gehirnschäden ohne Weiteres entsprechend
des allgemeinen Sprachgebrauchs von "vollständigem Fehlen von Augenlicht" zu sprechen wäre (vgl. hierzu bereits den Begriffsursprung
bzgl. d. Zusammensetzung "Auge" und "Licht", weiter die Bedeutung des Synonyms Sehkraft: "Funktionstüchtigkeit des Auges;
Fähigkeit des Auges zu sehen"; s. Duden-Online, Bibliographisches Institut GmbH, 2012, www.duden.de, Recherche am 02.08.12,
18:00 Uhr). Für die oben genannten Fälle der Zerstörung des Sehorgans ohne direkten Bezug zu cerebralen Beeinträchtigungen
wird insoweit Anderes zu gelten haben. Denn wer z.B. aufgrund des Fehlens der Augäpfel ohne Sehvermögen ist, gilt fraglos
als "blind", ohne dass weitere Begriffsklärungen und Differenzierungen im Raum stünden.
Zum Nachweis einer zur Blindheit führenden schweren und spezifischen Störung des Sehvermögens genügt es nach der Rechtsprechung
des BSG (a.a.O.) insoweit, dass die visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen ist als die Wahrnehmung in anderen Sinnesmodalitäten.
Diese Voraussetzung ist bei der Klägerin nicht erfüllt.
Eine entsprechende Prüfung ist trotz der Rechtsprechung des BSG nicht entbehrlich. Dieses hat in dem genannten Urteil vom 20.07.2005 (a.a.O.) festgestellt, dass "bei einem vollständigen
apallischen Syndrom" die visuelle Wahrnehmung nicht deutlich stärker betroffen sei als die Wahrnehmung in anderen Sinnesmodalitäten.
Bei wörtlichem Verständnis dieser Aussage wäre anzunehmen, dass das Gericht bei einem apallischen Syndrom eine spezifische
Störung des Sehvermögens in jedem Fall ausschließen würde und insoweit einen medizinischen Erfahrungssatz aufgestellt hätte.
Solche Erfahrungssätze lassen aber definitionsgemäß eine unbekannte Zahl und unbekannte Art von Ausnahmen zu (vgl. z.B. Kater,
in: Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Auflage, S. 50). Hinzu kommt ferner die der Feststellung
eines apallischen Syndroms immanente diagnostische Unsicherheit, die zur Überzeugung des Senats durch das Gutachten von Priv.
Doz. Dr. E. nachgewiesen ist (siehe u.a. die dort angeführten Richtlinien zur Diagnose des apallischen Syndroms/des persistent
vegetativ state), vorliegend jedoch vernachlässigt werden kann. Selbst in diesem Fall des wörtlichen Verständnisses der Feststellung
des BSG wäre also, unter Einschaltung medizinischer Sachkunde, eine Prüfung im Einzelnen vorzunehmen.
Der Senat geht jedoch davon aus, dass das BSG insoweit von einem "Regelfall" (des Vollbilds) des apallischen Syndroms ausgegangen sein und selbst hier annehmen dürfte,
dass seiner Feststellung entgegenstehende medizinische Erkenntnisse, die anlässlich der Untersuchung eines konkreten Einzelfalls
gewonnen werden, grundsätzlich möglich sind.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist festzustellen, dass eine spezifische Störung des Sehvermögens der Klägerin nicht
mit der erforderlichen Gewissheit angenommen bzw. nicht nachvollzogen werden kann, dass die visuelle Wahrnehmung deutlich
stärker betroffen wäre als die Wahrnehmung anderer Modalitäten, wie z.B. der Sensorik oder der Akustik.
Dies ergibt sich vor allem daraus, dass eine gezielte Prüfung einzelner Sinnesfunktionen bei der Klägerin aufgrund der vorliegenden
schweren Bewusstseinsstörung nicht möglich ist, was aufgrund der plausiblen Darlegung des Sachverständigen Priv. Doz. Dr.
E. feststeht, der die Klägerin am 28.08.2009 untersucht hat. Dabei sind Geruch und Geschmack nicht prüfbar gewesen. Bei wiederholten
optischen Reizen aus 50 cm Entfernung ist von beiden Seiten keine sichere Zuwendung erfolgt, auf mehrmalige akustische Ansprache
mit Namen von beiden Seiten keine Blickwendung und keine Kopfbewegung. Auf Klatschen ist eine Schreckreaktion mit Zukneifen
der Augen und einer angedeuteten Beugereaktion der Arme erfolgt. Bei Ansprache des Ehemannes von der Seite ist keine reproduzierbare
Reaktion in Form einer Kopfwendung feststellbar gewesen; bei taktilen Reizen an den oberen und unteren Extremitäten ist ebenfalls
keine sichere Zuwendung erfolgt. Bei Setzen von Schmerzreizen ist eine Beschleunigung der Atmung und Zukneifen der Augen sowie
eine Schreckreaktion beobachtet worden. Wie Priv. Doz. Dr. E. ebenfalls nachvollziehbar ausgeführt hat, handelt es sich bei
den bei der Klägerin beobachteten (Schreck-)Reaktionen, um allgemeine vegetative Funktionen. Diese auch als Startle-Reaktion
bezeichneten Schreckreaktionen auf externe Reize - wie auch eine ausgeprägte Spastik - sind typisch für das apallische Syndrom.
Hierbei handelt es sich um vegetative Reaktionen, die nicht als reizspezifische Antworten bzw. willkürliche motorische Reaktionen
fehlgedeutet werden dürfen (vgl. die Entscheidung des Senats v. 01.08.2006 - L 15 BL 13/05). Der Senat geht davon aus, dass hinsichtlich der von der Klägerseite - als Beleg für eine bessere Wahrnehmung in anderen
Modalitäten - geschilderten Reaktionen der Klägerin solche Fehldeutungen eine zentrale Rolle spielen dürften.
Der Sachverständige hat festgestellt, dass bei Patienten mit einem apallischen Syndrom und (somit) bei der Klägerin das Bewusstsein
und die neuronalen Netzwerke so gestört sind, dass eine adäquate Verarbeitung der Informationen und Sinneseindrücke nicht
gelingt. Der Senat macht sich die sachverständigen Feststellungen des Priv. Doz. Dr. E. zu eigen.
Auch aus dem Gutachten von Prof. Dr. D. ergibt sich nichts Anderes. Wie dieser selbst festgestellt hat, kann er aus klinisch-funktioneller
Sicht nicht beurteilen, ob ein deutlicher Leistungsunterschied des Sehvermögens im Vergleich zu den anderen Sinnesmodalitäten
besteht. Daher stützt er sich ausschließlich auf die Bildgebung (in Gestalt der Ergebnisse der funktionellen MR-Bildgebung
vom 18.10.2010). Hier hat jedoch lediglich eine regelrechte Reizantwort im Gehirn auf eine sensible Reizung an der rechten
Hand (Handfläche und Finger) gezeigt werden können, was nach Ansicht des Gutachters erlaubt, "zumindest bei einem stabilen,
reproduzierbaren und etablierten Reizparadigma von einer Intaktheit des somatosensorischen Bahnsystems auszugehen". Bereits
an der linken Hand hat sich aber nur eine unzureichende cerebrale Reizantwort ergeben. Die von Prof. Dr. D. festgestellte
isolierte Reizantwort (ausschließlich bezüglich der rechten Hand) kann also im Wesentlichen allenfalls ein Nachweis für die
Funktionsfähigkeit von Leitungsbahnen sein, jedoch keiner für eine erhebliche Besserstellung der anderen Modalitäten bzw.
eines erheblichen Leistungsunterschieds im Sinne der Rechtsprechung. Eine Aussage zur generellen Verarbeitung taktiler Reize
bei der Klägerin wird, worauf der Beklagte zu Recht hinweist, insoweit nicht getroffen.
Auch die Hinweise auf wissenschaftliche Erkenntnisse hinsichtlich der funktionellen MR-Messungen an Probanden mit apallischem
Syndrom ergeben nichts Anderes. Denn die erwähnten Forschungsergebnisse zur Möglichkeit einer willentlichen Beeinflussung
deren Hirnaktivität (Monti MM, Vanhaudenhyse A, Coleman MR, Boly M, Pickard JD, Tshibanda L, Owen AM, Laureys S (2010) Willful
Modulation of Brain Activity in Disorders of Consciouness, New England Journal of Medicine, 362 (7): 579-589) lassen sich
jedenfalls deshalb nicht ohne Weiteres auf die Klägerin übertragen, weil die entsprechenden Probanden ihre cerebrale Schädigung
im Rahmen eines Schädelhirntraumas erlitten hatten, so dass keine Fälle einer hypoxischen Hirnschädigung vorliegen; auf Letzteres
weist Prof. Dr. D. explizit hin. Bei Probanden mit einer hypoxischen Hirnschädigung hat, so der Sachverständige, eine Reizantwort
zu keinem Zeitpunkt nachgewiesen werden können. Somit kann offen bleiben, ob und inwieweit im Übrigen der Rückschluss auf
die Situation der Klägerin wissenschaftlich begründbar und zulässig ist; insoweit müsste der Senat freilich auch zunächst
weitere Ermittlungen durchführen. Vor allem kann ebenfalls offen bleiben, ob die im Rahmen des gewählten Designs des Messablaufs
durchgeführten funktionellen MR-Messungen an Probanden mit apallischem Syndrom in der genannten Veröffentlichung (a.a.O.)
grundsätzlich geeignet sein können, eine willentliche Beeinflussung der Hirnaktivität im Sinne der im vorliegenden Rechtsstreit
zu klärenden Frage nachzuweisen. Der Senat hat insoweit jedenfalls Zweifel, da aus den in einer funktionellen MR-Messung beobachteten
Aktivitätsmustern per se keine Rückschlüsse auf die zu Grunde liegende Funktion gezogen werden können.
Aus alldem ergibt sich, dass bei der Klägerin Reaktionen auf Reize allenfalls in ganz rudimentärer, schwacher Form vorhanden
sind; der Hirnschaden der Klägerin hat eine gleichmäßige und "allgemeine" Herabsetzung der Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeiten
zur Folge. Die auf anderen Feldern der Sinneswahrnehmung verbliebenen Fähigkeiten sind ihrerseits so weit herabgesetzt, dass
der Leistungsunterschied zur fehlenden visuellen Modalität unbeachtlich ist. Insbesondere ist eine deutlich schlechtere Funktion
des visuellen Sinnes nicht festzustellen. Dabei ist zu beachten, dass sogar Unterlagen vorliegen - z.B. berichtet der Gutachter
Dr. B. in seinem Gutachten vom 27.06.2006 für die Deutsche Rentenversicherung von einem Fixieren der Klägerin -, die eine
gewisse Funktionsfähigkeit des visuellen Sinns nahe legen.
Aus Sicht des Senats ist es zwar gerade aufgrund der Begrenztheit der diagnostischen Möglichkeiten nicht völlig auszuschließen,
dass einzelne Sinneswahrnehmungen in anderen Modalitäten - gegebenenfalls auch vorübergehend, aber für einen längeren Zeitraum
- unbemerkt erheblich besser sind als die visuelle Wahrnehmung der Klägerin. Dafür fehlt es aber jedenfalls am notwendigen
Beweis. Kann das Gericht bestimmte Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen (non liquet),
so gilt der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen
(vgl. z.B. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders.,
SGG, 10. Aufl., §
103, Rn. 19a, m. Nachw. d. höchtsrichterl. Rspr.). Die Klägerin muss daher nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast die Folgen
tragen, wenn eine Ungewissheit bezüglich der für sie günstigen Tatsachen verblieben ist. Denn für das Vorliegen der Voraussetzungen
der Blindheit gemäß Art. 1 Abs. 2 BayBlindG zu treffenden Feststellungen trägt der sehbehinderte Mensch die objektive Beweislast. Der Senat hat alle Ermittlungsmöglichkeiten
ausgeschöpft. Er hat zahlreiche Befundunterlagen ausgewertet und ein neurologisches sowie ein neuroradiologisches Sachverständigengutachten
eingeholt. Es ist nicht ersichtlich, wohin etwaige Anfragen noch hätten gerichtet werden sollen. Ein weiterer Beweis durch
Einholung eines augenfachärztlichen Gutachtens musste nicht erhoben werden, da die Hauptschädigung der Klägerin zweifellos
im cerebralen Bereich liegt. Weitere Gesichtspunkte, die zur Einholung eines solchen Gutachtens hätten veranlassen müssen,
sind nicht im Ansatz erkennbar. Auch waren Anfragen bei den der Klägerin nahestehenden bzw. sie täglich betreuenden Personen
nicht veranlasst. Denn insoweit wurden zum einen zahlreiche Berichte und umfangreiches Vorbringen durch die Klägerseite bereits
ausgewertet und vom Senat bereits bewertet (s.o.), zum anderen wären hier nur weitere subjektive Eindrücke ohne wissenschaftliche
Fundierung und ohne die Möglichkeit zur Entkräftung der gutachterlichen Feststellungen zu erhalten gewesen. Entsprechendes
hat die Klägerseite denn auch nicht (mehr) vorgeschlagen oder beantragt. Schließlich war auch der gemäß §
109 SGG beauftragte Gutachter nicht mehr erneut zu befragen. Prof. Dr. D. hat sich in seinem Gutachten klar und abschließend geäußert;
die zeitlich nachfolgende Stellungnahme von Priv. Doz. Dr. E. hat das Gutachten auch nicht in Frage gestellt, sondern vielmehr
die von Prof. Dr. D. dargestellten Ergebnisse als eindrücklich und nachvollziehbar bezeichnet.
Im Übrigen sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das Gutachten von Priv. Doz. Dr. E. nicht verwertbar wäre. Insbesondere
ist eine grundsätzliche mangelnde Qualifikation des Sachverständigen in keiner Weise gegeben. Auch bestehen keine Bedenken
gegen den Untersuchungsablauf am 28.08.2009. Vor allem aber ist auch ein Rechtsverstoß des Gutachters bei dieser Unersuchung
nicht erkennbar. Der Senat hat keinen Anlass, an den glaubhaften und plausiblen Darstellungen des Sachverständigen in dessen
ergänzender Stellungnahme vom 04.11.2009 zu zweifeln. Vielmehr bezweifelt der Senat, ob es gerade bei einer hochkomplexen
medizinischen Fragestellung angebracht sein kann, den Gutachter mit Vorwürfen gegen seine Person zu konfrontieren, die zum
vorliegenden Verfahren erkennbar keinerlei Bezug aufweisen.
2. Beeinträchtigung der Sehschärfe
Dass der Nachweis von Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BayBlindG bei der Klägerin nicht geführt werden kann, liegt auf der Hand. Denn die Reduzierung der Sehschärfe - also des Auflösungsvermögens
der Augen - auf maximal 1/50 auf dem besseren Auge muss durch Messungen/Tests, die den Anforderungen des Vollbeweises genügen,
festgestellt sein. Exakte Mess- und Testergebnisse sind bei der Klägerin aufgrund der schweren cerebralen Beeinträchtigung
aber nicht zu erhalten.
3. Faktische Blindheit
Auch die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG sind nicht erfüllt. Zwar liegen Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vor, dass sie einer Visusminderung
auf 1/50 gleich zu achten sind. Doch auch hier ist nach der Rechtsprechung eine spezifische Störung des Sehvermögens erforderlich
(s.o. 1.) Diese ist, wie im Einzelnen dargestellt, jedenfalls nicht nachgewiesen.
Die Berufung kann somit unter keinem Gesichtspunkt Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG).