Aussetzung der Vollstreckung des erstinstanzlichen Urteils im sozialgerichtlichen Verfahren bei nicht zu ersetzenden Nachteilen
Gründe:
I. Das Sozialgericht Würzburg (SG) hat die Antragstellerin mit Urteil vom 15.12.2008 verpflichtet, beim Antragsgegner den Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung
mit dem 28.08.2008 anzuerkennen und ab 01.03.2009 die entsprechenden gesetzlichen Leistungen bis einschließlich Februar 2011
zu gewähren.
Die Antragstellerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und beantragt, das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen
(L 18 R 66/09). Ferner hat sie am 06.03.2009 beantragt, die Vollstreckung des Urteils auszusetzen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die
erstinstanzliche Entscheidung sei unrichtig. Eine evtl. spätere Rückforderung der überzahlten Urteilsrente erscheine aufgrund
der wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragsgegners nicht erfolgversprechend. Denn der Antragsgegner sei seit 1996 arbeitslos
und beziehe derzeit Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der Antragsgegner hat beantragt zu erkennen, was Rechtens sei (Schriftsatz vom 19.05.2009).
II. Der Antrag auf einstweilige Anordnung der Aussetzung der Vollstreckung ist zulässig und begründet. Nach §
154 Abs
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) bewirkt die Berufung eines Versicherungsträgers Aufschub, soweit es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor Erlass
des angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen. Keine aufschiebende Wirkung tritt dagegen kraft Gesetzes für die Zeit
nach Erlass des Urteils ein, wenn ein Versicherungsträger verurteilt wurde, dem Kläger eine Rente zu zahlen. Der Versicherungsträger
ist daher verpflichtet, die sog. "Urteilsrente" einzuweisen, die der Kläger aber wieder zu erstatten hat, wenn das Urteil
des Erstgerichts auf die Berufung hin oder in einem eventuellen Revisionsverfahren aufgehoben wird.
Auf Antrag oder von Amts wegen kann jedoch der Vorsitzende des für die Berufung zuständigen Senats des Landessozialgerichts
gemäß §
199 Abs
2 Satz 1
SGG durch einstweilige Anordnung die Vollstreckung aus dem Urteil aussetzen, soweit - wie hier - die Berufung gemäß §
154 Abs
2 SGG keine aufschiebende Wirkung hat.
Die Entscheidung erfordert eine Folgenabwägung nach entsprechender Maßgabe der Vorschriften der
Zivilprozessordnung (
ZPO). Für das Revisionsverfahren hat das Bundessozialgericht unter entsprechender Anwendung des §
719 Abs
2 ZPO herausgestellt, dass die Einstellung der Zwangsvollstreckung dann erfolgt, wenn der Schuldner einen nicht zu ersetzenden
Nachteil erleiden würde und ein überwiegendes Interesse des Gläubigers nicht entgegensteht (vgl. Beschlüsse des BSG vom 28.10.2008
- B 2 U 189/08 B, 05.09.2001 - B 3 KR 47/01 R, 06.08.1999 - B 4 RA 25/98 B = SozR 3-1500 § 199 Nr 1). Auf die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels kommt es regelmäßig nicht an. Für das Berufungsverfahren
ist entsprechend §§
719 Abs
1 Satz 1,
707 ZPO grundsätzlich darauf abzustellen, ob die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde (Beschluss des LSG
Berlin-Brandenburg vom 09.10.2008 - L 3 U 593/08 ER; Beschlüsse des LSG Bayern vom 27.08.2008 - L 2 U 236/08 ER, 14.01.2009 - L 17 U 463/08 ER). Dem Interesse des Gläubigers entspricht es, dass es grundsätzlich bei der Vollstreckbarkeit des erstinstanzlichen Urteils
verbleibt. Allerdings ist dem Versicherungsträger ausnahmsweise die Möglichkeit eröffnet, darzutun und ggf. glaubhaft zu machen,
dass ihm in der konkreten Vollstreckungssituation nicht zu ersetzende Nachteile entstehen.
Ein nicht zu ersetzender Nachteil liegt nur vor, wenn der durch die Vollstreckung eintretende Schaden nachträglich nicht mehr
rückgängig gemacht und nicht ausgeglichen werden kann. Soweit es um die Schwierigkeiten bei der Rückgängigmachung einer gegebenenfalls
zu Unrecht gewährten Urteilsrente geht, sind konkrete Tatsachen geltend und ggf. glaubhaft zu machen, die im Falle des Antraggegners
auf solche Schwierigkeiten schließen lassen. Nicht ausreichend ist ein allgemein gehaltener Hinweis auf eine mögliche Überzahlung,
deren Rückerstattung nicht realisierbar wäre.
Die Antragstellerin hat unter Hinweis darauf, dass der Antragsgegner seit über 10 Jahren arbeitslos ist und derzeit Leistungen
nach dem SGB II bezieht, ausreichend dargelegt, dass angesichts der Einkommensverhältnisse des Antragsgegners die Gefahr besteht,
bei Obsiegen in der Hauptsache den Rückforderungsanspruch gegen den Antragsgegner nicht durchsetzen zu können. Sie hat einen
nicht wiedergutzumachenden Schaden geltend gemacht, der die Aussetzung der Vollstreckung gebietet.
Diese Anordnung ist unanfechtbar; sie kann jederzeit aufgehoben werden (§
199 Abs
2 Satz 3
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.