Gründe:
I. Streitig ist, ob die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen ist.
Der 1941 geborene Antragsteller (ASt) - aus der ehemaligen UdSSR zugezogen am 17.03.1993 - bezog ab 01.02.2001 von der Antragsgegnerin
(Ag) Altersrente für Schwerbehinderte. Am 12.09.2005 beantragte er die Neufeststellung dieser Rente. Die Ag erkannte mit Bescheid
vom 20.09.2005 für Dezember 1992 bis Februar 1993 einen Überbrückungstatbestand an. Im nachfolgenden Widerspruchsverfahren
legte der ASt Nachweise über den Bezug einer russischen Invalidenrente vom 25.03.1966 bis 07.12.1992 vor. Auch diese Zeit
erkannte die Ag an. Allerdings beabsichtigte die Ag nunmehr, die Rentenbewilligung mit Wirkung ab 01.02.2001 zum Teil wieder
zurückzunehmen. Durch die Anerkennung der o.a. Rentenbezugszeit als Anrechnungszeit seien vollwertige Beiträge zu beitragsgeminderten
geworden und unterlägen damit nicht mehr der günstigeren Bewertung. Es ergebe sich somit eine Verminderung der Entgeltpunkte
und auch der Rente (Verminderung von 481,69 EUR auf 401,79 EUR). Eine Überzahlung in Höhe von 4.287,54 EUR sei zu erstatten
(Anhörungsschreiben der Ag vom 23.12.2005). Daraufhin nahm der ASt den Antrag auf Anerkennung des Bezugs der russischen Invalidenrente
wieder zurück.
Mit Rentenbescheid vom 17.02.2006/Erstattungsbescheid vom 21.02.2006 verfuhr die Ag wie angekündigt und forderte vom ASt Erstattung
des überzahlten Betrages. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.04.2006 half die Beklagte den Widersprüchen des ASt gegen die Bescheide
vom 20.09.2005/17.02.2006/21.02.2006 insoweit ab, als die Rentenbewilligung nur mit Wirkung für die Zukunft (ab 01.01.2006)
aufgehoben wurde, so dass sich die zu erstattende Überzahlung auf 319,60 EUR reduzierte. Auch stellte die Ag die aufschiebende
Wirkung der Widersprüche fest (Bescheid vom 13.03.2006).
Dagegen und gegen einen Widerspruchsbescheid vom 06.06.2006 - Ausführungsbescheide vom 03.05.2006/08.05.2006 betreffend -
erhob der ASt Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG). Daneben beantragte er, die aufschiebende Wirkung der Klagen anzuordnen.
Mit Beschluss vom 27.07.2006 wies das SG den Antrag, durch einstweilige Anordnung eine aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Bescheide der Ag vom 20.09.2005,
17.02.2006 sowie vom 21.02.2006 jeweils in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2006 herzustellen, zurück. Zur
Begründung führte es aus, die Ag habe den nunmehr bekannt gewordenen Sachverhalt zutreffend umgesetzt. Der ASt wäre im Hinblick
auf seine geringe Rente auch ohne die von der Ag vorgenommene Rentenkürzung auf Sozialhilfe angewiesen. Falls er Vermögen
besitze, müsse er dieses vorübergehend in Anspruch nehmen.
Gegen diesen Beschluss hat der ASt Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat. Das SG hat die Beschwerde dem Bayer. Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Der ASt beantragt sinngemäß, den Beschluss des SG Würzburg vom 27.07.2006 aufzuheben und durch einstweilige Anordnung die
aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Bescheide vom 20.09.2005/17.02.2006/21.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 28.04.2006 herzustellen.
Das SG habe den Sachverhalt nur einseitig gewürdigt. Auf seine Schriftsätze vom 08.05.2006/07.07.2006 nehme er Bezug. Bei der russischen
Rente habe es sich um eine Unfallrente gehandelt. Der Unfall sei inzwischen durch die Unfallkasse des Bundes (Wilhelmshaven)
anerkannt worden.
Die Ag beantragt die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die ihrer Ansicht nach zutreffende Begründung des angefochtenen Beschlusses.
Sie ist jedoch nicht begründet.
Der angefochtene Beschluss ist nicht zu beanstanden, denn das SG hat den Antrag des ASt auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zu Recht abgelehnt.
Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass die gegen die Bescheide vom 20.09.2005/17.02.2006/21.02.2006/Widerspruchsbescheid vom 28.04.2006
erhobene Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hat.
Nach §
86a Abs
2 Nr
3 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung für die Anfechtungsklage in Angelegenheit der Sozialversicherung bei Verwaltungsakten,
die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen (Nr 3). Das Gericht der Hauptsache kann allerdings auf Antrag in den
Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder
teilweise anordnen (§
86b Abs
1 Nr
2 SGG).
Dem Gesetz ist in den Fällen des §
86a Abs
2 Nrn 1 bis 4
SGG ein Regel-Ausnahmeverhältnis zu Gunsten des Suspensiveffektes zu entnehmen, da der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung
grundsätzlich angeordnet hat. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt
Belasteten feststellbar ist. Ausgesetzt wird, wenn der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist, weil dann ein überwiegendes
öffentliches Interesse an der Vollziehung nicht mehr erkennbar ist. Sind die Erfolgsaussichten nicht abschätzbar, ist eine
allgemeine Interessenabwägung vorzunehmen, wobei die Aussichten des Hauptsacheverfahrens mit berücksichtigt werden können.
Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten, insbesondere eine unbillige Härte, sind zu beachten. Eine solche liegt
vor, wenn dem Betroffenen durch die Vollziehung Nachteile entstehen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht
oder nur schwer wieder gut gemacht werden können. Der ASt muss insoweit konkrete Angaben machen (zum Ganzen vgl Keller in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 8.Aufl, §
86b RdNr 12 ff, §
86a RdNr 27; Krodel NZS 2001, 449 ff).
Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, dass das SG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu Recht abgelehnt hat, denn die angefochtenen Bescheide sind weder offenbar rechtswidrig
noch bestehen an ihrer Rechtmäßigkeit ernstliche Zweifel.
Die Ag durfte die Rentenbewilligung mit Wirkung für die Zukunft (ab 01.01.2006) zum Teil zurücknehmen. Rechtsgrundlage hierfür
ist § 45 Abs 2 Sozialgesetzbuch Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Danach besteht grundsätzlich Vertrauensschutz; allerdings ist der Vertrauensschutz für die Zukunft bedeutend geringer.
Bei laufenden Leistungen aus öffentlich-rechtlichen Mitteln wird in der Regel ein Vertrauensschutz für die Zukunft verneint.
Hier ist das öffentliche Interesse höher einzuschätzen als bei der Gewährung einmaliger Leistungen, weil eine Dauerleistung
die Allgemeinheit regelmäßig stärker belastet als eine einmalige Leistung (Wiesner in von Wulffen, SGB X, 5.Aufl, § 45 RdNr 17). Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben.
Die Neufeststellung der Rente hatte auch nicht deshalb zu unterbleiben, weil der ASt seinen gemäß § 44 SGB X gestellten Antrag zurückgenommen hat.
Zwar beendet die Rücknahme eines Antrags das Verwaltungsverfahren (von Wulffen aaO. § 18 RdNr 9). Vorliegend war davon aber nur der Antrag nach § 44 SGB X betroffen. Im Hinblick auf den Grundsatz der Amtsermittlung (§ 20 SGB X) war die Ag jedoch verpflichtet, die im Rahmen des Überprüfungsverfahrens gewonnenen Erkenntnisse zu berücksichtigen. Denn
das öffentliche Interesse an der Feststellung des wahren Sachverhalts hat Vorrang vor den Privatinteressen der Beteiligten
(von Wulffen aaO. § 20 RdNr 3). Der ASt könnte auf diese rentenrechtlichen Zeiten auch nicht verzichten (BSG SozR 3-2600 §
71 Nr 3).
Im Übrigen möchte der ASt nunmehr (vgl Klageschrift vom 08.05.2006) die Zeit des Bezugs der russischen Invalidenrente weiterhin
berücksichtigt wissen, allerdings als "Sowjetische Unfallrente" und "ohne negative Auswirkungen". Es handelt sich dabei um
einen weiteren Neufeststellungsantrag, über den die Ag noch nicht entschieden hat. Dieser Antrag ist (bislang) auch nicht
Gegenstand der anhängigen Verfahren, so dass hierüber nicht zu befinden ist.
Eine unbillige Härte hat der ASt nicht nachvollziehbar vorgetragen. Im Übrigen hat das SG bei der Würdigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des ASt zutreffend darauf hingewiesen, dass dieser im Hinblick auf die
geringen Renten (einschl. der Unfallrente) auch ohne die Rentenkürzung ohnehin auf die ergänzenden Leistungen anderer Träger
angewiesen war. Insoweit tritt durch die Versagung der aufschiebenden Wirkung keine wesentliche Verschlechterung in den wirtschaftlichen
Verhältnissen ein.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG Würzburg vom 27.07.2006 war somit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist endgültig (§
177 SGG).