Wegfall der Leistungspflicht nach wirksam durchgeführter Beitragserstattung
Tatbestand:
Streitig ist, ob dem Kläger seine zur deutschen Sozialversicherung geleisteten Beiträge erstattet wurden und ob ein Anspruch
auf Regelaltersrente besteht.
Der 1933 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in der Türkei. Er war vom 25.05.1964 bis 31.05.1971
in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt und kehrte anschließend in die Türkei zurück. Nach den Angaben im
Versicherungsverlauf erstattete die Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz mit Bescheid vom 12.04.1976 auf Antrag vom 14.10.1974
Beiträge in Höhe von 4.643,90 DM.
Am 23.02.2006 beantragte der Kläger die Gewährung von Regelaltersrente. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 23.05.2006
ab. Dem Kläger seien die zur deutschen Rentenversicherung entrichteten Beiträge mit Bescheid vom 12.04.1976 erstattet worden.
Damit seien keine auf die Wartezeit anrechnungsfähigen Zeiten mehr vorhanden, sodass ein Anspruch auf Versichertenrente nicht
bestehe. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.09.2006 als unbegründet zurückgewiesen.
Die dagegen zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhobene Klage ist durch Urteil vom 22.01.2008 als unbegründet abgewiesen worden.
Zur Begründung der dagegen zum Bayer. Landessozialgericht eingelegten Berufung hat der Kläger unter Bezug auf sein Vorbringen
im Verwaltungsverfahren und im sozialgerichtlichen Verfahren vorgetragen, er habe weder einen Antrag auf Erstattung der Beiträge
gestellt, noch den Betrag erhalten. Er sei im Jahre 1971 in seine Heimat in Urlaub gefahren, aufgrund eines schweren Unfalles
sei er jedoch nicht mehr in die BRD zurückgekehrt. Die Beklagte möge Beweise dafür vorlegen, dass der Kläger einen Antrag
gestellt habe und ihm der Betrag erstattet worden sei. Vorgelegt hat der Kläger weiter ein Schreiben der türkischen Sozialversicherungsanstalt
vom 28.01.2008, wonach bestätigt wurde, dass Beitragserstattungen deutscher Rentenversicherungsträger nicht an das Direktorat
der Versicherungsanstalt überwiesen würden, also nicht in der SSK vorhanden seien.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 22.01.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23.05.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 06.09.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Regelaltersrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 22.01.2008 zurückzuweisen.
Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -), aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte hat zu Recht mit dem Bescheid vom 23.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 06.09.2006 einen Anspruch des Klägers auf Regelaltersrente abgelehnt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Alters.
Ein Anspruch des Klägers auf Gewährung von Regelaltersrente setzt gemäß §
35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) voraus, dass er die Regelaltersgrenze erreicht hat und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt ist (§
50 Abs.1 Satz 1 Nr.1
SGB VI). Der Kläger kann aber keine auf die Wartezeit anrechenbaren Versicherungszeiten mehr nachweisen, denn die von ihm aufgrund
der versicherungspflichtigen Tätigkeit geleisteten Beiträge für die Zeit vom 23.05.1964 bis 31.05.1971 wurden von der LVA
Rheinprovinz auf seinen Antrag vom 14.10.1974 hin in Höhe von 4643,90 DM erstattet. Durch die Erstattung sind die vom Kläger
zurückgelegten Beitragszeiten verfallen, das Versicherungsverhältnis ist aufgelöst worden. Aus den nicht erstatteten Arbeitgeberbeiträgen
zur Rentenversicherung kann ein Anspruch auf Regelaltersrente nicht hergeleitet werden.
Da dem Kläger die Beiträge vor dem 01.01.1992 erstattet wurden, ist § 1303
Reichsversicherungsordnung (
RVO) anzuwenden, denn §
210 SGB VI ist erst auf Beitragserstattungen ab dem 01.01.1992 anzuwenden (Art.85 Abs.1 Rentenreformgesetz 1992 - RRG 1992 - vom 18.12.1989, BGBl I S 2261 iVm Art. 42 Rentenüberleitungsgesetz - RÜG - vom 25.07.1991, BGBl I S 1606; vgl. Kasseler Kommentar - Gürtner §
210 SGB VI RdNr 28 Stand März 2005 mwN). Gemäß § 1303 Abs.1 Satz 1
RVO sind dem Kläger auf Antrag die Hälfte der für die Zeit nach dem 20.06.1948 im Bundesgebiet, für die Zeit nach dem 24.06.1948
im Land B-Stadt und für die Zeit nach dem 19.11.1947 im Saarland entrichteten Beiträge zu erstatten.
Nach den vorliegenden Umständen ist zweifelsfrei von der Durchführung einer Beitragserstattung und der Auszahlung der Erstattungssumme
im Jahre 1976 auszugehen.
Aufgrund der Auszahlung der Beitragserstattung ist der Anspruch des Klägers der Erbringung dieser Leistung erloschen und die
Beklagte ist von der Pflicht zur Leistung freigeworden, §
362 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB). Diese Norm ist nach allgemeinem Rechtsgrundsatz auch im Sozialrecht anzuwenden. Danach erlischt ein Schuldverhältnis durch
das Bewirken der geschuldeten Leistung an den Gläubiger.
Die Beweislast für die Durchführung einer Beitragserstattung und die Erfüllung der Beitragserstattungsforderung (Auszahlung
der Erstattungssumme) trägt die Beklagte. Im Sozialrecht gilt ebenfalls die objektive Beweislast, wonach die Nichterweislichkeit
einer Tatsache zu Lasten desjenigen zu berücksichtigen ist, der aus ihr für ihn günstige Regelungen herleitet. Beruft sich
ein Beteiligter auf eine Norm, die einen bestehenden Anspruch vernichtet (zum Erlöschen bringt), trifft ihn die Beweislast
für das Vorliegen der hierzu erforderlichen Tatsachen, also die Durchführung einer Beitragserstattung und die Auszahlung des
Geldes. Das Vorliegen einer bescheidmäßigen Entscheidung über ein durch Antrag geltend gemachtes Begehren, vor allem aber
über die Erfüllung der Forderung iS des §
362 BGB ist eine rechtsvernichtende Einwendung, für die generell der Schuldner (hier die Beklagte) die Beweislast trägt. Die vorliegende
Beweislage spricht dafür, dass über den Antrag auf Beitragserstattung bereits bestandskräftig entschieden und die Beitragserstattung
an den Kläger ausgezahlt worden ist. Dies ergibt sich aus einem Beweis des ersten Anscheins. Der Anscheinsbeweis gilt auch
für die Wirksamkeit von Beitragserstattungen (Urteil des BayLSG vom 08.12.2004 - L 19 RJ 203/03 - veröffentl. in juris, Urteil des BayLSG vom 25.09.2007 - L 18 R 335/07 - veröffentl. in juris). Er ist zulässig und gegeben, wenn ein feststehender Lebenssachverhalt typischerweise bestimmte Folgen
auslöst, ohne dass eine atypische Situation nachzuweisen ist, die die Grundlagen für den Anscheinsbeweis erschüttern kann.
Der Antrag, der Bescheid und die Belege über die Auszahlung und den Erhalt des Geldes sind aufgrund des Zeitablaufs zwischenzeitlich
nicht mehr zu erlangen, weil mittlerweile sämtliche Unterlagen vernichtet worden sind. Aus dem über den Kläger geführten elektronischen
Versicherungskonto lässt sich jedoch zweifelsfrei auf die Durchführung eines Erstattungsverfahrens und die Auszahlung des
Geldes schließen. Dies gründet sich auf folgende Umstände: Für den Kläger waren ursprünglich zwei Versicherungsnummern mit
unterschiedlichen Geburtsdaten vergeben, nämlich 13 150333 C 087 und 18 151033 C 008. Letztere Versicherungsnummer wurde stillgelegt,
also nicht mehr weiterverwendet, nachdem das richtige Geburtsdatum des Klägers aufgeklärt worden war. Am 14.10.1974 beantragte
der Kläger ausweislich der Eintragungen im elektrischen Versicherungskonto die Erstattung seiner Beiträge, die ihm mit Bescheid
der LVA Rheinprovinz vom 12.04.1976 gewährt wurde. Den weiteren Antrag des Klägers auf Beitragserstattung vom 11.07.1975 erledigte
die genannte Rentenversicherungsanstalt am 20.08.1978 "auf andere Weise", also nicht durch Bescheid, sondern durch Hinweis
auf die bereits durchgeführte Beitragserstattung (Schlüssel Nr.9). Damit ist dem elektronischen Beitragskonto die vollständige
Erfassung des Beitragserstattungsvorganges nach Datum der Antragstellung, Bescheidsdatum sowie Zeitraum und Höhe der Beitragserstattung
zu entnehmen. All dies sind Belege für eine Beitragserstattung und sie reichen für die sichere Annahme der Durchführung einer
Beitragserstattung aus. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die Eintragungen im Konto des Klägers zu dessen
Ungunsten in irgendeiner Weise gefälscht oder verfälscht sein könnten. Die Tatsache, dass der Kläger seit 1971 nicht mehr
in die BRD zurückgekehrt ist, bietet keinen Grund zur Annahme, er habe den Antrag nicht am 14.10.1974 gestellt. Es ist nicht
erforderlich, den Antrag in der BRD zu stellen. Auch das Schreiben des türkischen Versicherungsträgers SSK führt nicht zu
einer Änderung der Beurteilung. Die SSK bestätigt lediglich, dass die Beitragserstattungssummen nicht an die SSK überwiesen
werden oder wurden und daher keinerlei Nachweise über erfolgte Überweisungen bei ihr vorhanden sind. Nach alledem ist eine
wirksame Beitragserstattung durchgeführt worden.
Gemäß § 1303 Abs 7
RVO schließen Beitragserstattungen weitere Ansprüche aus den zurückliegenden Versicherungszeiten aus. Weitere - spätere - rentenrechtliche
Zeiten hat der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland nicht zurückgelegt. Die durchgeführten Beitragserstattungen führen
dabei nicht nur zur Auflösung des beim Rentenversicherungsträger aufgelaufenen Guthabens der erstattungsfähigen Beiträge,
sondern zur rückwirkenden Löschung des Versicherungsverhältnisses als solchem in seiner Gesamtheit (vgl. Kasseler Kommentar
Funk § 1303
RVO RdNr 28 mwN) bzw. in leistungsrechtlicher Hinsicht zum Verfall der bis dahin zurückgelegten Versicherungszeiten (BSG vom
18.02.1981 - 1 RJ 134/79 - SozR 2200 § 1303 Nr 18 bezüglich der Heiratserstattung nach § 1304 Abs.1
RVO aF). Die Beitragserstattung nach § 1303
RVO hat die Auflösung des Versicherungsverhältnisses als Rechtsfolge, ohne dass dies in dieser Vorschrift ausdrücklich bestimmt
war (vgl. dazu BSG vom 16.01.1968 - 11 RA 290/66 - SozR Nr.66 zu § 1246). Auch der Fortfall der Ansprüche aus den "bis zur Erstattung zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten"
(§
54 SGB VI) entspricht weitgehend dem bisherigen Recht (vgl. Finke in: Hauck-Heines
SGB VI §
210 Nr. 20). Zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht somit kein Versicherungsverhältnis mehr, aus dem Ansprüche hergeleitet
werden könnten. Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Kläger und der Beklagten sind mit der Beitragserstattung endgültig beseitigt.
Mangels Versicherungsverhältnis kann sich auch kein Anspruch auf eine Rente allein aus den nicht erstatteten Arbeitgeberbeiträgen
zur Rentenversicherung ergeben. Der Kläger kann sich insoweit nicht auf eine Verletzung von Grundrechten berufen. Das Bundesverfassungsgericht
und das Bundessozialgericht haben bereits wiederholt festgestellt, dass der Kläger aus den nicht erstatteten Beitragsanteilen
des Arbeitgebers allein keine eigentumsrechtlich geschützten Anwartschaften erlangt, die über Art.14 des Grundgesetzes (
GG) geschützt wären (vgl BVerfG - 1 BvR 772/85 - SozR 2200 § 1303 Nr.34; BSG vom 18.02.1981 - 1 RJ 134/79 - SozR 2200 § 1303 Nr.18; BSG vom 04.10.1979 - 1 RA 83/78 - SozR 2200 § 1303 Nr.14). Ein Verstoß gegen andere Grundrechte des Klägers, insbesondere den Gleichheitssatz nach Art.3
GG, ist ebenfalls nicht zu erkennen. Die Beitragserstattung führt bei allen Versicherten zu einer Auflösung des Versicherungsverhältnisses
und damit in leistungsrechtlicher Hinsicht zu einem Verfall der bis dahin zurückgelegten Versicherungszeiten, sodass ein verfassungsrechtlich
relevanter Tatbestand der Ungleichbehandlung nicht gegeben ist (vgl. auch BVerfG Beschluss vom 16.06.1981 - 1 BvR 445/81 - SozR 2200 § 1303 Nr.19).
Nach alledem war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs
2 Nrn 1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.