Rente wegen Erwerbsminderung
Rentenrechtliche Relevanz psychischer Erkrankungen
Adäquate Behandlung
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.
Der 1965 geborene Kläger erlernte von August 1983 bis Februar 1986 den Beruf eines Kraftfahrzeugmechanikers. Der Kläger war
nach seinen Angaben bis zum Jahr 2003 in diesem Bereich mit angelernten Tätigkeiten beschäftigt. Seither ist er arbeitslos.
Zuletzt hat er nach den vorliegenden Unterlagen bis Mai 2016 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bezogen. Seither übt er eine geringfügige Beschäftigung aus - zumindest zeitweilig wohl als Parkplatzreiniger.
Zur Beurteilung der Einsatzmöglichkeiten des Klägers im Erwerbsleben ließ die Agentur für Arbeit A-Stadt am 27.07.2015 durch
Dr. J. und am 04.07.2016 durch Herrn K. Gutachten nach Aktenlage erstellen. Während Dr. J. im Gefolge einer Thrombose am rechten
Bein (2/2015) zu einer mehrere Monate eingeschränkten Einsatzfähigkeit des Klägers von täglich weniger als drei Stunden gekommen
war, hielt ihn Herr K. - wieder - für vollschichtig einsatzfähig ohne hohe Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen,
die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit und die soziale Kompetenz sowie ohne Nachtschicht, ohne unregelmäßige Arbeitszeiten,
ohne häufiges Heben und Tragen, ohne hohe Verletzungsgefahr, ohne Hitzearbeit, ohne inhalative Belastungen und ohne Einwirkung
von Staub, Rauch, Gasen oder Dämpfen.
Am 31.05.2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Er gab an, sich seit
Jahresbeginn wegen Depressionen und Panikangst für erwerbsgemindert anzusehen.
Auf Veranlassung der Beklagten wurde der Kläger am 28.07.2016 internistisch durch Dr. S. und psychiatrisch durch Dr. M. untersucht.
Zusammengefasst wurden dabei folgende Gesundheitsstörungen beschrieben:
1. Zustand nach Lungenembolie 2/2015 mit blutverdünnender Therapie.
2. Tiefe Beinvenenthrombose rechter Unterschenkel mit leichtem postthrombotischem Syndrom.
3. Asthmoide Bronchitis bei Pollenallergien.
4. Kontrollbedürftige Nierenfunktionsstörung mit vermehrter Eiweißausscheidung bei Pyelonephritis 1979.
5. Rezidivierende Tachykardien, teilweise Überlagerung mit Panikattacken.
6. Arterielle Hypertonie.
7. Dysthymia.
8. Kombinierte Persönlichkeitsstörung.
Der Kläger sei als Kfz-Schlosser nicht mehr einsatzfähig. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er leichte Tätigkeiten täglich
sechs Stunden und mehr verrichten. Es müsse sich um Tätigkeiten ohne häufiges Bücken, Klettern, Steigen und Überkopfarbeiten,
ohne Exposition gegenüber inhalativen Reizstoffen, allergisierenden Stoffen, Nässe, Kälte oder starken Temperaturschwankungen
sowie ohne erhöhte psychische Belastung handeln. Zum Tagesablauf wurde ausgeführt, dass der Kläger gegen 6.45 Uhr aufstehe,
die Kinder zur Schule fahre und sie auch wieder abhole, E-Bike fahre und mit dem Hund spazieren gehe, fernsehe, am PC etwas
mache und Freunde und Bekannte treffe. Er mache auch Einkaufen, Haushalt, Essensvorbereitung und fahre die Frau ins Nebengewerbe.
Er leide seit seiner Kindheit durchgängig unter einer Ängstlichkeit mit Vermeidungsverhalten und habe Angst, dass seinen Kindern
etwas passieren könne.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 02.08.2016 unter Bezugnahme auf die vorliegenden Gutachten eine Rentengewährung ab und
verwies den Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Der vom Kläger hiergegen am 26.08.2016 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.10.2016 zurückgewiesen.
Die vom Kläger geltend gemachten Angaben, dass er aufgrund nächtlicher Panikattacken erhebliche Schlafstörungen hätte und
tagsüber völlig teilnahmslos sei, sowie dass er einer Tätigkeit von dreimal wöchentlich 45 Minuten nachginge, was die Obergrenze
seiner Belastung sei, würden zu keiner Änderung führen. Der Kläger habe auch angegeben, dass er sich beim Jobcenter nicht
mehr melden würde, weil er mit dem Papierkrieg und den Personen dort nicht klarkäme.
Hiergegen hat der Kläger am 03.11.2016 per Telefax Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben. Er hat geltend gemacht, dass
er bis Ende 2015 im dreiwöchigen Rhythmus bei Dr. M. in K-Stadt behandelt worden sei und die Depression aktuell bei Dr. D.
in A-Stadt behandelt werde. Eine stationäre Behandlung sei im Hinblick auf die Ängste des Klägers bisher nicht möglich gewesen.
Das Sozialgericht hat Befundberichte beim Internisten Dr. C. am 23.11.2016 und beim Nervenarzt Dr. D. ebenfalls am 23.11.2016
eingeholt. Sodann hat es den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser
hat den Kläger am 17.01.2017 untersucht und in seinem Gutachten vom 20.01.2017 die Diagnosen folgendermaßen beschrieben:
1. Schwere depressive Episode.
2. Generalisierte Angststörung.
3. Zwangsstörung.
4. Essstörung im Rahmen primärer affektiver Erkrankung.
5. Abnorme Tagesmüdigkeit bei Verdacht auf idiopathische Hypersomnie.
6. Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose rechter Unterschenkel mit leichtem postthrombotischen Syndrom.
7. Chronisch venöse Insuffizienz.
8. Zustand nach Lungenembolien.
9. Arterielle Hypertonie.
Der Kläger sei nurmehr täglich unter drei Stunden einsatzfähig, wobei gegenüber dem Rentengutachten vom Juli 2016 eine Verschlechterung
zu beschreiben sei. Dies sei aber nicht durch den zeitlichen Verlauf, sondern durch die Erhebung wesentlich abweichender Befunde
zu begründen. Der Sachverständige hat weiter dargelegt, dass seit 2003 beim Kläger eine Angsterkrankung vorliege, die sich
in einer Manifestation von Angst vor der Angst ausdrücke und nur durch Kontrollmechanismen einigermaßen in Schach gehalten
worden sei. Wegen dieser Kontrollmechanismen, die dem Kläger bei stationärer Behandlung nicht zur Verfügung stünden, sei eine
solche ihm auch nicht möglich. Der Kläger sei in seiner Sozialkontaktfähigkeit und seiner Gruppenfähigkeit beeinträchtigt
sowie in seiner Durchhaltefähigkeit hochgradig eingeschränkt. Aus den beschriebenen Krankheitszuständen würden hochgradige,
auch quantitative Leistungseinschränkungen resultieren. Selbst in dem eingeschränkten zeitlichen Rahmen seien dem Kläger nur
bis zu mittelschwere Tätigkeiten ohne besondere nervliche Belastung, ohne Unfallgefährdung, ohne die Bedienung von Fahrzeugen,
ohne die Steuerung komplexer Maschinen, ohne Anforderungen an die gerichtete Aufmerksamkeit, ohne besondere Verantwortung
für das Wohlergehen von Menschen und/oder hochwertigen Sachgütern, ohne besonders konfliktbehafteten Publikumsverkehr und
nicht ausschließlich im Stehen möglich. Es handele sich um eine vorübergehend geminderte Erwerbsfähigkeit für einen Zeitraum
von geschätzt zwei Jahren, da die beschriebenen Gesundheitsstörungen ihrer Natur nach durch Behandlung überwindbar bzw. wesentlich
besserbar erschienen. Es sei vor allem zunächst eine schlafmedizinische Abklärung der abnormen Tagesmüdigkeit zu empfehlen.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die Darstellung im Gutachten sich deutlich von den Feststellungen der befragten
behandelnden Nervenärzte, Psychotherapeuten und Hausärzte unterscheiden würde, wobei zudem eine unzureichende ambulante Behandlung
bestehe. Gleichwohl sei die Beklagte bereit, eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme anzubieten.
In der mündlichen Verhandlung vom 08.05.2017 hat der Kläger angegeben, dass er sich seit Mitte 2016 nicht mehr beim Jobcenter
gemeldet habe, weil er das aus psychischen Gründen nicht fertiggebracht habe. Er könne auch an keiner stationären medizinischen
Rehabilitationsmaßnahme teilnehmen, da dies seine Trennungsängste nicht zulassen würden. Die in der Stellungnahme der Beklagten
angeführten Aktivitäten, wie Treffen mit Freunden und Bekannten usw., könne er schon lange nicht mehr durchführen.
Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 08.05.2017 dazu verurteilt, beim Kläger den Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung
mit dem 17.01.2017 anzuerkennen und die entsprechenden gesetzlichen Leistungen bis einschließlich Dezember 2018 zu gewähren.
Die Kammer sei insbesondere durch die Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen Dr. F. überzeugt, dass der Kläger in jeder
vermittelten Anstellung scheitern würde, da er sich weiterhin primär um das Aufrechterhalten seiner Kontrollmechanismen kümmern
würde. Es sei dem Kläger nicht möglich, mit zumutbarer Willensanspannung einfach davon zu lassen. Zumindest seit dem Zeitpunkt
der Untersuchung bei Dr. F. sei der Kläger nicht mehr in der Lage, mindestens drei Stunden täglich am Erwerbsleben teilzunehmen.
Entsprechend den Ausführungen im Gutachten sei von einer zunächst bis Dezember 2018 anhaltenden Erwerbsminderung auszugehen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte am 14.06.2017 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Auf Antrag der Beklagten
ist mit Beschluss vom 28.08.2017 die Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts vorläufig ausgesetzt worden (Az.: L 19 R 476/17 ER). Zur Begründung hat die Beklagte ausgeführt, der Kläger selbst beschreibe ein regelrechtes psychosoziales Funktionsniveau
mit multiplen Interessen und Aktivitäten, wie Treffen mit Freunden und Bekannten, Tätigkeiten am PC, Spazierengehen mit dem
Hund, E-Bike-Fahren. Zudem fahre der Kläger Pkw, was auf eine ausreichende psychische und kognitive Leistungsfähigkeit hinweise.
Dies widerspreche der Darstellung des Sachverständigen Dr. F., wonach der Kläger außer für den Transport seiner Töchter zur
Schule sonst für andere Aktivitäten, Bestrebungen und Planungen keinen Raum habe. Durch das Sozialgericht sei auch der Grundsatz
Rehabilitation vor Rente gänzlich übergangen worden. Es stehe auch fest, dass der Kläger noch nicht alle Therapieoptionen
ausgeschöpft habe.
Die Klägerseite hat entgegnet, dass der Grundsatz Reha vor Rente vorliegend nicht zum Tragen komme, weil der Kläger mögliche
Therapieoptionen gar nicht wahrnehmen könne, da dies seine Erkrankung nicht zulasse.
Der Senat hat einen Befundbericht vom Internisten Dr. C. am 05.03.2018 beigezogen; danach seien neu ein Verdacht auf Protein
S-Mangel und eine Tachyarrhythmia absoluta sowie die Feststellung einer Faktor V-Genmutation. Am 13.03.2018 ist ein weiterer
Befundbericht durch den Nervenarzt Dr. D. erstellt worden. Danach haben im Zeitraum ab Dezember 2016 Behandlungstermine im
Februar und Mai 2017 stattgefunden. Die Beschwerden seien im Wesentlichen gleichgeblieben. Der Kläger habe das verordnete
Neuroleptikum Quetiapin retard abgesetzt, da es ihn zu sehr gedämpft habe. Mit der erhöhten Citalopram-Dosis seien die Ängste
etwas stärker gelindert.
Die Prüfärztin Dr. R. vom Ärztlichen Prüfdienst der Beklagten hat am 29.03.2018 durch die eingeholten Befundunterlagen die
Leistungsbeurteilung des Dr. M. als bestätigt angesehen.
Der Senat hat ein Gutachten beim Neurologen und Psychiater Dr. E. in Auftrag gegeben. Dieser hat den Kläger am 25.05.2018
unter Mitwirkung des Dipl.-Psych. Dr. D. untersucht. In seinem Gutachten vom 21.06.2018 hat der ärztliche Sachverständige
in der Anamnese - auch als Fremdanamnese - einen starken Kontrollzwang ermittelt, insbesondere in Bezug auf familiäre Angelegenheiten.
Die Schilderung des Tagesablaufes hat wenig Aktivitäten ergeben; allerdings ist angegeben worden, dass der Kläger zweimal
am Tag für ca. ein bis zwei Stunden einen Hund im Wald spazieren führe. In der Untersuchungssituation habe der Kläger anfänglich
zurückgezogen und in sich gekehrt gewirkt und habe sich nur zögerlich situationsadäquat etwas auflockern lassen. Der ärztliche
Sachverständige hat folgende Diagnosen gestellt:
1. Angst und Depression gemischt.
2. Tagesmüdigkeit, Verdacht auf Schlaf-Apnoe-Syndrom.
3. Heterozygote Faktor V-Leiden-Mutation.
4. Verdacht auf Protein S-Mangel.
5. Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose der Vena poplitea rechts mit konsekutiver Lungenembolie.
6. Essentielle Hypertonie.
7. Tachyarrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern.
8. Leichtes Carpaltunnelsyndrom.
Der ärztliche Sachverständige hat eine bereits seit Kindheit vorliegende starke Angstbesetzung gesehen, mit der der Kläger
jedoch so lange habe umgehen können, bis im Jahr 2003 durch Umstrukturierungsmaßnahmen ein Arbeitsplatzverlust eingetreten
sei. Eine erste Panikattacke sei im Jahr 2010 aufgetreten. Trotz hohem Leidensdruck sei es bisher nicht zu regelmäßiger Psychotherapie
im Sinne einer Verhaltenstherapie gekommen. Der Kläger stelle sich nur in Intervallen bei Nervenärzten vor, wobei er medikamentös
behandelt werde. Der ärztliche Sachverständige Dr. E. hat den Kläger als in der Lage angesehen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
einer Tätigkeit im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich nachzugehen. Die Einschätzung des Vorgutachters teile er nicht,
da dieser nicht plausibel begründe, weshalb der Kläger nicht eine psychosomatische Behandlung beginnen könne. Nach jetziger
Einschätzung sei der Kläger nicht ausreichend behandelt. Der Kläger nehme die ambulanten psychiatrischen Termine nur sehr
unregelmäßig wahr und habe bisher auch keine ambulante Verhaltenstherapie gehabt. Bei ihm sei von einem sekundären Krankheitsgewinn
auszugehen, der seine psychische Fehlhaltung weiter verstärke. Der Kläger könne mittelschwere körperliche Arbeiten im Sitzen
und Stehen und im Gehen in geschlossenen Räumen oder im Freien bewältigen. Nicht möglich seien besondere nervliche Belastungen,
besondere Belastungen des Bewegungs- und Stützsystems, unfallgefährdete Arbeitsplätze sowie klimatisch ungünstige Bedingungen.
Die Wegefähigkeit des Klägers sei zu bejahen. Ein privater Pkw könne nur bei Kurzstrecken genutzt werden, öffentliche Verkehrsmittel
seien benutzbar.
Auf Antrag des Klägers nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ist der Kläger am 20.11.2018 erneut durch Dr. F. untersucht worden. Dieser ist in seinem Gutachten vom 23.11.2018 zum Ergebnis
gekommen, dass beim Kläger weiterhin die in seinem früheren Gutachten geschilderten Gesundheitsstörungen vorliegen würden,
wobei er jedoch die depressive Episode nunmehr in eine bipolare affektive Störung eingebettet gesehen hat und die Zwangs-
und Essstörung als leichtere Ausprägung beschrieben hat. Unter Berücksichtigung der vorliegenden Gesundheitsstörungen sei
dem Kläger nur noch eine weniger als dreistündige Tätigkeit zumutbar. Dies sei auch objektiv belegbar durch die aktuelle Arbeitssituation
des Klägers, nachdem dieser gezwungen gewesen sei, seine Aushilfstätigkeit von 34 Stunden pro Monat auf 24 Stunden monatlich
zu reduzieren. Die Aussagekraft der eigenen Angaben des Klägers sei nicht anzuzweifeln. Der ärztliche Sachverständige hat
die zusätzlichen Einschränkungen der Arbeitsbedingungen als nach wie vor in dem von ihm schon früher beschriebenen Umfang
als gegeben angesehen. Aktuell kämen weder eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme noch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
in Betracht. Vorrangig seien diagnostische Maßnahmen laut dem Vorgutachten vom Februar 2017 und danach gegebenenfalls stationäre
oder teilstationäre psychiatrische Behandlungsschritte. Eine Besserung der psychischen Haupterkrankung unter leitliniengerechter
Behandlung könne in einem Dreijahreszeitraum erhofft werden.
Zu diesem Gutachten hat Dr. M. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten dahingehend Stellung genommen, dass die nunmehr diagnostizierte
bipolare affektive Störung, die im Gutachten von Januar 2017 (noch) nicht festgestellt worden sei, nicht nachzuvollziehen
sei. Die bipolare Störung werde jetzt mit den subjektiven Angaben des Klägers zu einer zeitweise gehobenen Stimmung begründet.
Eine Krankheitswertigkeit lasse sich aus einer bisweilen gehobenen Stimmung aber nicht ableiten; dies entspreche vielmehr
einem Normalbefund, wie er bei jedem gesunden Menschen auftrete. Außerdem stehe die angegebene aktuell schwere depressive
Episode im Widerspruch zu dem von Dr. F. selbst erhobenen Untersuchungsbefund, in dem er nur eine dysthym-depressive Stimmung
festgestellt habe. Auch der ambulant behandelnde Nervenarzt Dr. D. habe im März 2018 nur eine gleichbleibende leichte bis
mittelgradige depressive Symptomatik festgestellt, was sozialmedizinisch durchaus ein vollschichtiges Leistungsvermögen erlaube.
Hinzu komme, dass vom Kläger weder die ambulante Behandlung in ausreichendem Umfang noch stationäre oder teilstationäre Therapieoptionen
wahrgenommen worden seien. Sowohl die aufscheinende Aggravationstendenz als auch die ungenutzten möglichen Therapieoptionen
seien von Dr. F. nicht adäquat berücksichtigt worden.
Der Kläger hat ergänzend noch eine nervenärztliche Bescheinigung des Dr. D. vom 19.02.2019 vorgelegt. Dieser hat dort angegeben,
dass der Kläger durchgängig während der ambulanten Behandlung (so seien im Jahr 2018 am 21.06. und 09.10. und im Jahr 2019
am 18.01. Behandlungstermine gewesen) adynam, lustlos, massiv antriebsgemindert und gedrückt in der Stimmung gewirkt habe.
Es sei auch eine gestörte Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeitsminderung erkennbar gewesen. Es hätten sich zudem deutliche
Auswirkungen der Panikstörung gezeigt, wenn der Kläger den Aufenthalt im Wartezimmer nicht habe aushalten können und sich
separat gesetzt habe. Die fehlende Behandlung des Klägers entspreche nicht fehlendem Leidensdruck, sondern seiner ausgeprägten
Antriebshemmung. Einen sekundären Krankheitsgewinn könne er nicht sehen. Der Wunsch bei einer eingeführten Substanz zu verbleiben,
sei für einen Angstpatienten nicht ungewöhnlich, da ein solcher große Angst vor neuerlichen Nebenwirkungen äußere. Diagnostisch
sei von einer rezidivierenden depressiven Störung mit mittelgradiger Symptomatik auszugehen; aufgrund der bislang in der Behandlung
getroffenen diagnostischen Einschätzung halte er den Kläger weiterhin für vollständig erwerbsgemindert.
In einem aktuellen Versicherungsverlauf sind Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II bis Oktober 2015 sowie im Dezember
2015 und im Januar und Mai 2016 verzeichnet; seit Mai 2016 übt der Kläger eine geringfügige Beschäftigung nicht versicherungspflichtig
aus.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.05.2017 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 02.08.2016 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 06.10.2016 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.05.2017 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der Gerichtsakte L 19 R 476/17 ER sowie der beigezogenen Akten der Beklagten und des Jobcenters A-Stadt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§
143,
144,
151 SGG) ist zulässig und auch begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und
dem Kläger eine Zeitrente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannt.
Gemäß §
43 Abs.
2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung
haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gelten in gleicher Weise für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung
(§
43 Abs.
1 SGB VI) und einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§
240 SGB VI i.V.m. §
43 Abs.
1 SGB VI).
Der Kläger hat die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen jedenfalls zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung und auch zu
dem vom Sozialgericht angenommenen medizinischen Leistungsfall erfüllt gehabt:
Die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren mit Pflichtbeiträgen hat er schon seit Langem unproblematisch zurückgelegt gehabt. Allerdings
war dies nicht schon vor 1984 der Fall gewesen, nachdem der Kläger aufgrund seines Geburtsjahrgangs erst im September 1982
als damals 16-jähriger eine Ausbildung aufgenommen hatte. Der Kläger kann daher die Ausnahmevorschrift des §
241 Abs.
2 SGB VI nicht für sich in Anspruch nehmen. Somit ist es erforderlich, dass der Kläger in den letzten 5 Jahren vor einem eventuellen
medizinischen Leistungsfall in ausreichendem Umfang Pflichtbeiträge aufzuweisen hatte.
Zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung waren im maßgeblichen Zeitraum vom 31.05.2011 bis 31.05.2016 zwar keine Pflichtbeiträge
vorhanden gewesen. Der Zeitraum war jedoch nach §
43 Abs.
4 Nr.
1 SGB VI zu verlängern, wobei der Kläger in diesem Zeitraum in 57 Kalendermonaten Leistungen nach dem SGB II bezogen hatte, die über §
58 Abs.
1 Satz 1 Nr.
6 SGB VI Anrechnungszeiten sind. Da auch in den Zeiträumen davor Anrechnungszeiten vorliegen, verlängert sich der maßgebliche Zeitraum
schließlich auf die Monate Februar 2000 bis Mai 2016; in diesem Zeitraum sind mit 57 Monaten Pflichtbeiträgen deutlich mehr
als die erforderlichen drei Jahre (= 36 Kalendermonate) vorhanden gewesen. Die erforderliche Mindestzahl von Pflichtbeiträgen
wäre letztmals bei einem im Februar 2018 eingetretenen Leistungsfall erfüllt, weil dann im verlängerten Zeitraum von November
2001 bis Februar 2018 gerade noch 36 Monate mit Pflichtbeiträgen vorhanden gewesen wären. Bei fiktiven medizinischen Leistungsfällen,
die erst im März 2018 oder später eingetreten wären, wäre dagegen die erforderliche Mindestzahl von 36 Monaten mit Pflichtbeiträgen
im - teilweise verlängerten - 5-Jahreszeitraum nicht mehr vorhanden. Auf etwaige aktuell neu feststellbare Gesundheitsstörungen
oder Verschlechterungen - z. im Zusammenhang mit dem Attest von Dr. D. vom Februar 2019 - kommt es bei dieser Ausgangslage
somit nicht mehr an. Voll erwerbsgemindert sind gemäß §
43 Abs.
2 Satz 2
SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen
für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach §
43 Abs.
1 SGB VI erfordern, dass ein Versicherter nicht mindestens 6 Stunden täglich einsatzfähig ist. Ergänzend führt §
43 Abs.
3 SGB VI aus, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden
täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.
Eine volle Erwerbsminderung im Sinne von §
43 Abs.
2 Satz 2
SGB VI liegt und lag bei dem Kläger entgegen der Entscheidung des Sozialgerichts nach dem Ergebnis der umfangreich fortgeführten
Ermittlungen nicht vor.
Der Schwerpunkt der Erkrankungen des Klägers betrifft nach der Gutachtenslage das psychische Fachgebiet. Die im Jahr 2015
- also noch vor der Rentenantragstellung - aufgetretene tiefe Beinvenenthrombose stellte eine behandelte Akuterkrankung dar,
deren Besserung schon aus den vor dem Rentenverfahren erstellten Gutachten des Dr. J. und des Herrn K. zu ersehen ist. Auch
die übrigen internistischen Erkrankungen wie die Nierenfunktionsstörung und die Erkrankung des Herz-Kreislaufsystems sowie
auch das leichte Karpaltunnelsyndrom bedingen nach den ärztlichen Darlegungen ganz eindeutig nur Einschränkungen bezüglich
bestimmter Belastbarkeiten im Erwerbsleben, schränken aber den zeitlichen Umfang des Einsatzes des Klägers an geeigneten Arbeitsstellen
in keiner Weise ein.
Der Senat sieht insbesondere mit dem überzeugenden Gutachten des Dr. E. es als gerechtfertigt an, beim Kläger noch ein ausreichendes
Restleistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt anzunehmen. Danach sind dem Kläger bis zu mittelschwere körperliche
Arbeiten im Sitzen und Stehen und im Gehen in geschlossenen Räumen oder im Freien zumutbar, wobei jedoch besondere nervliche
Belastungen, besondere Belastungen des Bewegungs- und Stützsystems, unfallgefährdete Arbeitsplätze sowie klimatisch ungünstige
Bedingungen auszuschließen sind. Im Vordergrund der Auswirkungen der beim Kläger unzweifelhaft vorhandenen psychischen Störungen
stehen die von den verschiedenen Sachverständigen ähnlich beschriebene Antriebslosigkeit - überlagert durch Tagesmüdigkeit
- und die Einschränkungen durch Kontrollzwänge. Der Senat sieht es als nicht hinreichend belegt an, dass die Tagesmüdigkeit
Aktivitäten des Klägers und berufliches Tätigwerden ausschließen würde. Es ist zwar nachvollziehbar, dass dies und die Kontrollzwänge
als zusätzliche Belastung zu den beruflichen Anforderungen hinzutreten. Deswegen sind dem Kläger auch Arbeitsplätze mit besonderen
nervlichen Anforderungen oder mit Unfallgefährdung nicht zumutbar. Andererseits bestand die Persönlichkeitsstörung des Klägers
schon über das bisherige Erwerbsleben hinweg und es wird nicht explizit ausgeschlossen, dass sie bei einer Struktur durch
eine adäquate Beschäftigung auch zukünftig - wie eben in der Vergangenheit - kompensierbar wäre.
Der Senat sieht durch die Gutachten des Dr. F. eine zeitliche Einschränkung des Einsatzvermögens des Klägers auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt nicht als nachgewiesen an - weder durch das erstinstanzlich eingeholte, noch durch das im Berufungsverfahren
auf Antrag des Klägers veranlasste. Zur Überzeugung des Senats wird gegen die Gutachten des Dr. F. zu Recht eingewandt, dass
die vom Gutachter in den Vordergrund gerückte depressive Störung - und erst recht die später angenommene bipolare Störung
- sich nicht habe hinreichend nachweisen lassen; die anamnestischen Angaben und die gutachterliche Diagnostik - die divergiert
haben - haben nicht ausgereicht, die Zweifel des Senats zu beseitigen. Dafür dass die vom Kläger wiederholt gemachten Angaben
zu seinen Aktivitäten - etwa im Sinne einer Dissimulation - unzutreffend sein sollten, lassen sich keine Anhaltspunkte erkennen.
Eine gewisse Rückläufigkeit des Aktivitätsumfangs mag zwar zu konstatieren sein, doch gibt es keine ausreichenden Belege dafür,
dass dies unumkehrbar wäre. Besonders problematisch erscheint dem Senat die Annahme des Dr. F., dass die psychischen Störungen
des Klägers auf Grund der persönlichen Verhältnisse nicht weiter bzw. verstärkter behandelbar seien. Konsequenterweise hätte
Dr. F. bei einer solchen Konstellation von einer Dauerhaftigkeit dieser Einschränkungen ausgehen müssen, was er aber gerade
nicht getan hat. In beiden Gutachten beschreibt er eine zeitliche Befristung der Einschränkungen im Hinblick auf Behandlungsoptionen.
Hinzu kommt, dass die Angaben des Dr. F. zu den Zeiträumen einer möglichen Besserung ebenfalls nicht stimmig sind. Während
zunächst ein Zeitraum von zwei Jahren angenommen wird, der Ende 2018 vorüber gewesen wäre, wird später ein Zeitraum von drei
Jahren benannt, der bis April 2021 dauern würde, ohne dass eine hinreichende Begründung für die unterschiedliche Einschätzung
gegeben würde. Aus den diesbezüglichen Ausführungen lässt sich aus Sicht des Senats am ehesten ableiten, dass bisher beim
Kläger keine ausreichende leitliniengerechte psychiatrische und therapeutische Behandlung erfolgt ist. Eine solche fordert
aber gerade der Sachverständige Dr. E. und mahnt deren Fehlen an, während Dr. F. und der behandelnde Psychiater Dr. D. die
unzureichende Behandlungsfrequenz, die Einschränkungen der medikamentösen Behandlung und den Ausschluss stationärer Behandlungsformen
zu rechtfertigen versuchen. Damit ergibt sich für den Senat, dass letztlich auch Dr. F. die Durchführung einer leitliniengerechten
Behandlung beim Kläger nicht als ausgeschlossen ansieht. Dies ist weiter insofern auch bedeutsam, als nach ständiger Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts psychische Erkrankungen regelmäßig erst dann rentenrechtlich relevant werden, wenn trotz adäquater
Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen
Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe
(BSG Urteile vom 12.09.1990 - 5 RJ 88/89, 29.02.2006 - B 13 RJ 31/05 R; BayLSG Urteile vom 21.03.2018 - L 13 R 211/16, 15.11.2017 - L 19 R 66/15, 21.03.2012 - L 19 R 35/08; LSG Baden-Württemberg Urteile vom 22.09.2016 - L 7 R 2329/15, 25.05.2016 - L 5 R 4194/13, 27.04.2016 - L 5 R 459/15 jeweils zitiert nach juris). Ein solcher Fall der dauerhaften oder zumindest längerfristigen Unüberwindbarkeit der psychischen
Störungen ist beim Kläger bisher nicht belegt.
Abgesehen davon, dass beim Kläger für den Eintritt eines nachgewiesenen medizinischen Leistungsfalls ab Februar 2019 die versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen nicht mehr erfüllt wären, lässt sich zur Überzeugung des Senats auch aus dem Attest des Dr. D. vom Februar
2019 dieser Nachweis nicht herleiten. Zu berücksichtigen ist dabei auch die äußerst geringe fachärztliche Behandlungsfrequenz,
wonach der Kläger laut Attest etwa zwei Mal pro Jahr behandelt worden ist.
Die beantragte Rente wegen voller Erwerbsminderung käme nach der Rechtsprechung des BSG (Beschl. v. 11.12.1969 - Az. GS 4/69; Beschl. v. 10.12.1976 - Az. GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76 - jeweils zitiert nach juris) zwar schon dann in Betracht, wenn nur eine teilweise Erwerbsminderung (§
43 Abs.
1 Satz 2
SGB VI) vorliegen würde, gleichzeitig aber eine Teilzeitbeschäftigung nicht ausgeübt würde und der Teilzeitarbeitsmarkt für den
Kläger als verschlossen anzusehen wäre (s.a. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand August 2012, §
43 SGB VI Rn 30 mwN). Unabhängig von der Diskussion darüber, ob diese Rechtsprechung auch aktuell noch zur Anwendung zu bringen ist,
scheitert ein derartiger Rentenanspruch daran, dass beim Kläger zur Überzeugung des Senats keine teilweise Erwerbsminderung
im Rechtssinne vorliegt. Eine zeitliche Einschränkung in geringem Umfang entsprechend §
43 Abs.
1 Satz 2
SGB VI, wie sie etwa häufiger im Zusammenhang mit körperlichen Belastungsgrenzen zu beobachten ist, wird von keinem der Ärzte angenommen,
so dass es eindeutig an der Grundlage für einen derartigen Anspruch fehlt.
Zwar kann die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung im Ausnahmefall selbst dann in Betracht kommen, wenn - wie
im Fall des Klägers - eine relevante quantitative Einschränkung seines Leistungsvermögens an geeigneten Arbeitsplätzen nicht
nachgewiesen ist. Dazu müssten allerdings die Voraussetzungen für einen von der Rechtsprechung des BSG entwickelten sog. Katalogfall erfüllt sein, was beim Kläger nicht der Fall ist. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 09.05.2012, B 5 R 68/11 R - zitiert nach juris) ist bei der Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, mehrschrittig vorzugehen. Zunächst ist festzustellen,
ob mit dem Restleistungsvermögen Verrichtungen erfolgen können, die bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden,
wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Maschinenbedienung, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen.
Wenn sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben lassen und ernste Zweifel an der tatsächlichen
Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen aufkommen, stellt sich im zweiten Schritt
die Frage nach der besonderen spezifischen Leistungsbehinderung oder der Summierung ungewöhnlicher Einschränkungen und, falls
eine solche Kategorie als vorliegend angesehen wird, wäre im dritten Schritt von der Beklagten eine Verweisungstätigkeit konkret
zu benennen und die Einsatzfähigkeit dann hinsichtlich dieser Tätigkeit abzuklären (vgl. Gürtner a.a.O. Rn 37 mwN).
Für den Senat ergeben sich bereits keine ernsthaften Zweifel an der Einsatzfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt,
da sämtliche genannte Arbeitsfelder als grundsätzlich geeignet anzuführen wären, und die Einschränkungen der Arbeitsbedingungen
zu keinen umfassenderen Ausschlüssen führen. Eine schwere spezifische Behinderung wie etwa eine - ggf. funktionale - Einarmigkeit
oder eine Summierung von ungewöhnlichen Einschränkungen würden ohnehin nicht bestehen.
Der Kläger ist auch nicht gehindert, einen eventuellen Arbeitsplatz zu erreichen. Die Gehfähigkeit des Klägers ist grundsätzlich
in dem geforderten Umfang (4 mal täglich mehr als 500 Meter in jeweils weniger als 20 Minuten) zu bestätigen und auch die
Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel erscheint zumutbar, worin sich die ärztlichen Sachverständigen einig sind.
Das oben dargestellte Nichtvorliegen von teilweiser Erwerbsminderung führt auch dazu, dass ein Anspruch auf die erstinstanzlich
hilfsweise beantragte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§
43 Abs.
1 SGB VI) nicht besteht.
Ein Hilfsantrag auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§
240 SGB VI) war erstinstanzlich nicht gestellt worden; er hätte auch keinen Erfolg gehabt, weil der Kläger aufgrund seines Geburtsdatums
nicht zu dem von dieser Vorschrift erfassten Personenkreis gehört.
Dementsprechend sind die Entscheidungen der Beklagten, die einen Rentenanspruch des Klägers nicht als belegt ansehen, nicht
zu beanstanden.
Nach alledem war der Berufung der Beklagten zu entsprechen und antragsgemäß das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.05.2017
aufzuheben sowie die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 02.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.10.2016
abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.