Tatbestand:
Der 1942 geborene Kläger ist kosovarischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in seinem Heimatland. Der Kläger hat von Mai 1959
bis August 1970 und Mai bis Oktober 1979 Pflichtbeitragszeiten in Serbien sowie - mit Unterbrechungen - von Juli 1971 bis
November 1974 Pflichtbeitragszeiten in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt. Im Versicherungsverlauf des Klägers sind
ferner von November 1974 bis Juni 1975 Zeiten der Arbeitslosigkeit vorgemerkt. Der Kläger war auch in der Schweiz von 1976
bis 1978 versicherungspflichtig beschäftigt. Von dort erhält er nach seinen eigenen Angaben seit 1978 eine Invalidenrente.
Der Kläger begehrte erstmals mit formlosem Antrag vom 18. November 1996 Rente wegen Erwerbs-/Berufsunfähigkeit von der Beklagten.
Die Beklagte zog medizinische Unterlagen der schweizerischen Unfallversicherungsanstalt bei. Hieraus ergibt sich im Wesentlichen,
dass der Kläger am 22. September 1976 einen Verkehrsunfall erlitt. Hierbei kam es zu einer Atlasbogenfraktur mit Schleudertrauma
der Halswirbelsäule, einer Gehirnerschütterung und einer Distorsion der Cervikalwirbelsäule. Bei der Untersuchung durch Professor
Dr. C. (Gutachten vom 25. Juli 1977) zeigte sich beim Kläger ein postdistorsionelles Cervikalsyndrom mit Verspannung der Nackenmuskulatur
und Einschränkung der Beweglichkeit, jedoch ohne neurologische Veränderungen. Der Kläger sei in seinem Beruf als Maurer teilarbeitsunfähig.
Für sitzende, leichte Arbeiten bestehe jedoch noch volle Leistungsfähigkeit.
Der Antrag wurde daraufhin mit Bescheid vom 16. Oktober 2001 abgelehnt, weil weder volle Erwerbsminderung noch teilweise Erwerbsminderung
bzw. teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit vorliege, da der Kläger noch 6 Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
Arbeiten verrichten könne. Auch nach dem bis 31. Dezember 2000 geltenden Recht ergebe sich kein Rentenanspruch.
Mit Schreiben vom 22. April 2005 erklärte der Kläger, er komme zurück auf das Schreiben vom 16. Oktober 2001. Er habe Erwerbsminderungsrente
seit 1993 verlangt. Der Antrag sei mehrmals abgelehnt worden. Aus dem beigefügten Merkblatt ergebe sich aber, die Voraussetzungen
zu a) und b) müssten nicht erfüllt sein, wenn die Erwerbsminderung aufgrund besonderer Tatbestände eingetreten sei (zum Beispiel
Arbeitsunfall). Er sei in der Arbeitszeit verletzt worden. Er bitte daher um nochmalige Überprüfung.
Die Beklagte wandte sich daraufhin an den Versicherungsträger im Kosovo und bat um Zusendung von Formblättern und ärztlichen
Gutachten. Im Juni 2005, September 2005, Juni 2006, April 2007 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass eine Entscheidung
über den formlosen Rentenantrag nicht möglich sei, da im Kosovo noch keine Invalidenkommission eingerichtet sei. Der kosovarische
Versicherungsträger übersandte einen serbischen Bescheid, wonach der Kläger seit 29. Oktober 1989 eine Invalidenpension erhält.
Weitere Anfragen sollten an den serbischen Rentenversicherungsträger gerichtet werden. Auf eine Anfrage der Beklagten vom
10. Oktober 2007 beim serbischen Rentenversicherungsträger übersandte dieser den Antrag des Klägers auf Altersrente mit einer
Aufstellung der Versicherungszeiten des Klägers in Serbien bzw. Slowenien.
Mit Schreiben vom 7. April 2008 wandte sich der Kläger an das Sozialgericht Frankfurt am Main. Er habe ein Problem mit der
LVA. Nach dreieinhalb Jahren Arbeit in Deutschland sei er 1976 in die Schweiz gegangen. Dort habe er einen Verkehrsunfall
erlitten. Im Jahr 1978 sei er in der Schweiz zum Invaliden (40 %) erklärt worden und sei in seine Heimat zurückgekehrt. Er
habe sich wegen seiner Invalidität an die Beklagte gewandt. Die Antwort sei negativ gewesen mit der Begründung, er könne 6
Stunden arbeiten. Dies sei aber unmöglich, da er Invalide sei.
Mit Bescheid vom 30. Mai 2008 bewilligte die Beklagte daraufhin dem Kläger auf seinen Antrag vom 2. Mai 2005 hin Regelaltersrente
ab 1. November 2007 und fragte beim Sozialgericht Frankfurt am Main an, ob damit der Rechtsstreit erledigt sei. Der Kläger
teilte mit, dieser Bescheid betreffe nur die Regelaltersrente. Am 7. April 2008 habe er einen Antrag bezüglich der Invalidenversicherung
zugeschickt. Dem Altersrentenbescheid sei zu entnehmen, dass der Antrag zur Invalidenversicherung nicht bearbeitet worden
sei. Sein Anliegen sei, dass er seit 1978 Invalide sei, und stets habe er sich bemüht, eine Invalidenrente von der deutschen
Rentenversicherung zu erhalten. Doch seine Anträge seien wiederholt abgelehnt worden. Er möchte hiermit einen Antrag auf Erstattung
der Rentenversicherungsbeiträge als Invalide für die Zeit von 1978 bis 2009 stellen.
Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat mit Beschluss vom 12. Mai 2009 den Rechtsstreit an das Sozialgericht Landshut (SG) zuständigkeitshalber verwiesen.
Mit Bescheid vom 11. November 2009 lehnte die Beklagte den Antrag vom 2. Mai 2005 auf Überprüfung und Rücknahme des Bescheids
vom 16. Oktober 2001 nach § 44 SGB X ab. Da sich keine Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit des bisher ergangenen Bescheids ergeben hätten, sei eine Rücknahme
nach § 44 SGB X nicht möglich. Auf die Anforderungen vom 17. Juli und 11. August 2009 habe der Kläger keine ärztlichen Unterlagen ab 1993
mehr vorlegen können. Die Unterlagen der schweizerischen Unfallversicherungsanstalt seien bei der Erteilung des Bescheides
vom 16. Oktober 2001 bereits gewürdigt worden. Eine Überprüfung, ob seit 1993 verminderte Erwerbsfähigkeit vorliege, könne
daher mangels weiterer ärztlicher Unterlagen nicht erfolgen. Seit Erlass des Bescheides sei auch keine wesentliche Änderung
in den rechtlichen Verhältnissen eingetreten, so dass eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 SGB X ebenfalls nicht möglich sei. In der Rechtsbehelfsbelehrung wurde darauf verwiesen, dass dieser Bescheid nach §
86 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens werde.
Der Kläger erklärte mit Schreiben vom 8. November 2009 (richtig wohl: 8. Dezember 2009), er verstehe nicht, dass die deutsche
Rentenversicherung eine Invalidität nicht anerkenne, die schweizerische Rentenbehörde hingegen schon.
Mit Gerichtsbescheid vom 22. März 2011 wies das SG die Klage auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung seit 1978 als nicht (mehr) zulässig ab. Die Klage sei zunächst als
Untätigkeitsklage gemäß §
88 SGG zulässig gewesen. Das Begehren des Klägers auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente sei von der Beklagten ignoriert worden.
Erst mit Bescheid vom 11. November 2009 habe die Beklagte die Gewährung von Erwerbsminderungsrente abgelehnt. Gegen diesen
Bescheid habe der Kläger jedoch keinen Widerspruch erhoben. Daher sei die Klage nicht mehr zulässig, da gemäß §
78 Abs.
1 S. 1, Abs.
3 SGG vor Erhebung der Anfechtungsklage bzw. Verpflichtungsklage Recht- und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakt in einem Vorverfahren
nachzuprüfen seien.
Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt mit der Bitte um einen Bescheid oder eine
Empfehlung. Er habe sich bereit erfolglos an das Bundesverfassungsgericht sowie den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
gewandt.
Auf Bitte der Beklagten, medizinische Unterlagen der Jahre 1986 bis 1993 beizubringen sowie beweiskräftige Unterlagen über
die von ihm verrichtete Tätigkeit als Maurer vorzulegen, verwies der Kläger auf die bereits vorliegenden Befundberichte der
Krankenhäuser B. und W ... Er habe in Deutschland bei der Firma H. in H. als gelernter Maurer gearbeitet.
Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2011 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 11. November 2009 zurück.
Sie wertete dabei das beim Sozialgericht Landshut am 17. Dezember 2009 eingegangene Schreiben als Widerspruch gegen den Bescheid
vom 11. November 2009. Die Rücknahme des Bescheids vom 16. Oktober 2001 gemäß § 44 SGB X sei zu Recht abgelehnt werden. Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung oder Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei
Berufsunfähigkeit habe nicht bestanden. Aus den vorliegenden ärztlichen Unterlagen ergebe sich, dass zum Zeitpunkt der Erteilung
des Bescheides vom 16. Oktober 2001 noch ein Leistungsvermögen des Klägers von täglich mindestens 8 Stunden auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt bestanden habe. Die vom Kläger verrichtete Tätigkeit als Maurer sei der Gruppe der angelernten Arbeiter zuzuordnen.
Der Kläger sei damit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 11. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Mai 2011
zu verurteilen, den Bescheid vom 16. Oktober 2001 zurückzunehmen und dem Kläger Rente wegen Erwerbsminderung ab dem frühestmöglichen
Zeitpunkt entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 22. März 2011 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung
an das Sozialgericht Landshut zurückzuverweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Auf die zulässige Berufung des Klägers hin war der Gerichtsbescheid des SG vom 22. März 2011 aufzuheben und die Sache an das SG zurückzuverweisen, weil das Verfahren vor dem SG an einem wesentlichen Mangel leidet (§
159 Abs.
1 Nr.
2 SGG).
Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, ist das Schreiben des Klägers vom 7. April 2008 an das Sozialgericht Frankfurt am Main als Untätigkeitsklage
gemäß §
88 SGG auszulegen. Der Antrag des Klägers vom 22. April 2005 war von der Beklagten ohne zureichenden Grund bis dahin sachlich nicht
beschieden worden.
Lehnt die Behörde - wie hier durch den Bescheid vom 11. November 2009 - den Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes ab, ist
zwar der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, weil Streitgegenstand nur die Bescheidung als solche ist. Der Kläger kann
jedoch seine Klage ändern und als Verpflichtungsklage weiterverfolgen. Das Gericht muss den Kläger auf die Möglichkeit der
Klageänderung hinweisen und kann diese für sachdienlich halten (Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer,
SGG, §
88 Rn. 12).
Ein entsprechender Hinweis des SG ist nicht erfolgt. Der Kläger hat aber ausweislich des beim SG am 17. Dezember 2009 eingegangenen Schriftsatzes vom 8. November 2009 (richtig wohl 8. Dezember 2009) sein Begehren konkludent
auf die Aufhebung dieses Bescheides und die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung umgestellt, indem er sich gegen die
Ablehnung seines Rentenantrags gewandt und sein Unverständnis über die unterschiedliche Behandlung durch die schweizerische
Rentenbehörde und die Beklagte geäußert hat.
Eine entsprechende Klageänderung ist angesichts der langen Verfahrensdauer bei der Beklagten nach Ansicht des Senats auch
als sachdienlich anzusehen. Das SG äußert sich zu dieser Frage nicht explizit. Da es die Klage aber nicht als unzulässig abgelehnt hat, weil es die Klageänderung
als unzulässig ansieht, sondern weil das vorgeschriebene Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt worden ist, ist davon auszugehen,
dass es die Klageänderung stillschweigend zugelassen hat.
Auch für die geänderte Klage müssen sämtliche Prozessvoraussetzungen erfüllt sein. Erforderlich ist daher - wie das SG zutreffend erkannt hat - auch die Durchführung eines Vorverfahrens (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 99 Rn. 13a). Soweit dies - wie hier jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das SG - nicht der Fall ist, muss das SG dem Kläger aber die Möglichkeit geben, das Vorverfahren nachzuholen. Zu diesem Zweck kann das Verfahren analog §
114 Abs.
2 SGG ausgesetzt oder vertagt werden. Erfolgt dies nicht, liegt ein Verfahrensmangel vor (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
§ 90 Rn. 13a; § 78 Rn. 3a unter Hinweis auf BSGE 25, 66, 68 u.a.).
In der fehlenden Aussetzung des Verfahrens ist ein Verfahrensfehler zu sehen, der auch wesentlich ist, da das Urteil des SG auf ihm beruhen kann. Hätte das SG das Verfahren ausgesetzt und der Beklagten die Möglichkeit eingeräumt, das Widerspruchverfahren nachzuholen, hätte keine
Abweisung als unzulässig erfolgen können.
Bei der Frage, ob die Sache bei Vorliegen eines Verfahrensfehlers an das Sozialgericht zurückzuweisen ist, steht dem Berufungsgericht
Ermessen zu. Es ist dabei abzuwägen zwischen den Interessen der Beteiligten an einer möglichst schnellen Sachentscheidung
einerseits und dem Verlust einer Instanz andererseits. Bei der Ausübung seines Ermessens stellt der Senat durchaus in Rechnung,
dass das Verfahren für den Kläger damit noch länger dauert. Entscheidend ist jedoch, dass das SG in der Sache bisher nicht entschieden hat und auch keinerlei Ermittlungen durchgeführt worden sind. Der Rechtsstreit ist
in keiner Weise entscheidungsreif. So kommt es durchaus in Betracht, den der deutschen Sprache ersichtlich nur schlecht mächtigen
und rechtlich unkundigen Kläger ggf. in seiner Landessprache anzuschreiben, um weitere medizinische Unterlagen zu erlangen.
Auch erscheint die Einholung eines Gutachtens nach Aktenlage erwägenswert. Schließlich sind auch Ermittlungen zu der Frage
erforderlich, ob dem Kläger Berufsschutz zusteht. Insoweit wird etwa zu prüfen sein, ob von dem vom Kläger angegebenen Arbeitgeber
noch Auskünfte über die von ihm zuletzt verrichteten Tätigkeiten zu erhalten sind. Die Notwendigkeit der Durchführung umfangreicher
Ermittlungen spricht für eine Zurückverweisung (BSG SozR Nr. 5 zu §
159 SGG). Hierfür spricht auch, dass der Rechtsstreit beim Berufungsgericht noch nicht sehr lange anhängig ist.
Nach alledem war der Gerichtsbescheid des SG vom 22. März 2011 aufzuheben und die Sache an das SG zurückzuverweisen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem SG vorbehalten.
Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. §
160 Abs.
2 SGG), liegen nicht vor.