Tatbestand
Die Parteien streiten um die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.
Der 1968 geborene Kläger hat vom 01.08.1984 bis 31.07.1986 den Beruf des Schreiners erlernt, jedoch die Abschlussprüfung nicht
bestanden. Danach war er u.a. als Lagerist und Getränkeausfahrer tätig. Eine Umschulung zum Bauzeichner (Mai 1994 bis Januar
1995) hat er wegen Krankheit abgebrochen.
Der Kläger hat einen GdB von 50 (Bescheid vom 27.10.2008).
Von März 2007 bis Juni 2007 hat er wegen einer Verletzung der Halswirbelsäule (HWS) nach einem Verkehrsunfall Krankengeld
bezogen. Seit 2008 erhält er eine private Rente. Nach seinen Angaben bekommt er seit 02.09.2009 keine öffentlichen Leistungen
mehr.
Bereits im Jahr 2007 erhob der Kläger wegen der Gewährung einer Erwerbsminderungsrente Klage zum Sozialgericht Regensburg.
Im Verfahren S 9 R 834/07 kam es zu einer Begutachtung durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Herrn R ... Dieser sah bei seiner Untersuchung
am 20.04.2009 eine Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk und rezidivierende Schmerzen im rechten Hüftgelenk. Es wurde
eine Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule (WS) mit Nerven- und Muskelreizerscheinungen angegeben; objektivierbare Auffälligkeiten
wie z.B. Lähmungen waren nicht feststellbar. Im Hinblick auf eine Fibromyalgie erklärte der Sachverständige, dass die "Tenderpoints"
sämtlich nicht reproduzierbar waren. Er stellte eine leichte Depression und eine Opiatabhängigkeit (Schmerzmittel Tramadol)
des Klägers fest. Insgesamt hielt der Sachverständige noch ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen am allgemeinen
Arbeitsmarkt für gegeben. Er gab an, dass durch eine konsequente ambulante Psycho- sowie Schmerztherapie und dem völligen
Verzicht auf opiathaltige Schmerzmittel eine weitere Stabilisierung zu erwarten sei.
Der Kläger nahm die Klage mit Schriftsatz vom 22.05.2009 zurück.
Am 11.08.2010 stellte der Kläger erneut Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.
Die Beklagte holte Befundberichte des Dr. H. vom 20.09.2010 mit ärztlichen Unterlagen ein und veranlasste eine Begutachtung
durch den Nervenarzt Dr. S. am 27.10.2010. Im Rahmen der Beschwerdeschilderung gab der Kläger an, "ihm tue der ganze Körper
weh" und er "liege den ganzen Tag nur herum". Er könne einfach nichts mehr machen. Er sei schon froh, wenn er sich eine Stunde
lang bewegen könne. Der Gutachter diagnostizierte eine depressive Entwicklung (Dysthymie) sowie eine anhaltende Schmerzstörung
mit erheblicher psychovegetativer Überlagerung. Darüber hinaus lägen Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden ohne schwerwiegende
Funktionsbeeinträchtigungen vor. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass dem Kläger am allgemeinen Arbeitsmarkt noch
leichte Arbeiten vollschichtig möglich seien.
Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 08.11.2010 ab.
Am 15.02.2011 erging der ablehnende Widerspruchsbescheid der Beklagten. Es sei noch ein sechsstündiges Leistungsvermögen am
allgemeinen Arbeitsmarkt vorhanden, sofern bestimmte qualitative Einschränkungen berücksichtigt würden.
Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 16.03.2011 Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhoben. Er sei nicht mehr in der Lage, einer Tätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden nachzugehen.
Insbesondere die vorhandenen Depressionen hätten sich aufgrund der anhaltenden Schmerzen deutlich verschlechtert. Dazu sind
Atteste beigefügt worden.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung von Befundberichten des Nervenarztes Dr. P. vom 08.07.2011, des Facharztes
für physikalische und rehabilitative Medizin, Dr. N., vom 12.07.2011 und der Allgemeinarztpraxis T./T./H. vom Juli 2011.
Sodann ist bei der Nervenärztin Dr. E. ein Gutachten in Auftrag gegeben worden. Diese hat den Kläger am 09.09.2011 untersucht
und folgende Diagnosen gestellt:
1.
Längerdauernde leichte depressive Episode bei akzentuierter Primärpersönlichkeit mit impulsiven Zügen
2.
Opiat-Abhängigkeit
3.
Degeneratives LWS-Syndrom
4.
Senk-Spreizfuß, Coxarthrose rechts, Knorpelschaden, Z.n. mehrfachen Knieoperationen.
Eine eigentliche depressive Symptomatik bestehe nicht, auch eine Gedächtnisschwäche sei nicht zu objektivieren gewesen. Der
Kläger verfüge aus neurologisch-psychiatrischer Sicht noch über ein vollschichtiges Leistungsvermögen für mittelschwere Arbeiten
am allgemeinen Arbeitsmarkt.
Dagegen hat der Kläger u.a. ausgeführt, dass vom Fehlen einer depressiven Mimik nicht auf das Fehlen einer seelischen Störung
geschlossen werden könne. Er sei wegen Suizidgedanken 2009 im Bezirksklinikum gewesen. Es habe auch eine mehrere Sitzungen
umfassende Gesprächstherapie gegeben und im Jahre 2007 eine stationäre Schmerzbehandlung in Bad A ... Es liege eine familiäre
Veranlagung für Depressionen vor. Seine ausgeprägte Depression werde durch die Fragebögen bestätigt. Er leide bereits nach
10 Minuten Wegstrecke unter starken Schmerzen. Die Behauptung, er habe übertrieben, stelle eine unbelegte Mutmaßung dar. Er
nehme Opiate nur wegen der tatsächlich vorhandenen Schmerzen ein und leide auch unter Beschwerden der HWS und an Fibromyalgie.
Auf Antrag des Klägers ist eine Begutachtung durch den Internisten, Rheumatologen und Psychotherapeuten Dr. N. erfolgt. Dieser
hat angegeben, es liege ein schwerer Ausprägungsgrad des Fibromyalgiesyndroms vor. Darüber hinaus bestehe eine deutliche depressive
Störung. Der Kläger habe im Januar 2012 einen Suizidversuch unternommen und sei daraufhin stationär im Bezirksklinikum B-Stadt
behandelt worden. Im BKH seien eine schwere depressive Episode und eine Persönlichkeitsstörung mit zwanghaften und schizoiden
Zügen festgestellt worden. Der Kläger könne seit Antragstellung keine wirtschaftliche Leistung am allgemeinen Arbeitsmarkt
mehr erbringen (weniger als drei Stunden). Bezüglich der depressiven Erkrankung dürfe nach dem erfolgten Suizidversuch eine
Verschlechterung angenommen werden. Ortsübliche Anmarschwege könne der Kläger noch zurücklegen.
Die Sachverständige Dr. E. hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 09.08.2012 darauf hingewiesen, dass Hinweise für Funktionsbeeinträchtigungen
im Alltag, eine Schilderung des Tagesablaufs und der therapeutischen Maßnahmen im Gutachten des Dr. N. fehlen würden. Aus
dessen Gutachten sei nicht abzuleiten, dass sich eine relevante Verschlimmerung der depressiven Symptomatik eingestellt hätte,
zumal der Kläger aus dem BKH nach kurzer Zeit wieder entlassen und neben einer Erhöhung der Medikamentendosis lediglich eine
ambulante psychotherapeutische Behandlung empfohlen worden sei. Zu der Diagnose der Fibromyalgie fehle eine kritische Diskussion
von therapeutischer Intensität, tatsächlicher Funktionsbeeinträchtigung und psychosozialen Faktoren. Die Diagnose der Opiatabhängigkeit
tauche nicht auf.
In einer ergänzenden Stellungnahme des Dr. N. vom 07.01.2013 hat dieser erklärt, dass bei einem Fibromyalgiesyndrom ein Ganzkörperschmerz
evident sei. Die Symptomatik der Krankheit sei nicht mit der psychischen Symptomatik gleichzusetzen. Das BKH unterstütze ausdrücklich
den Rentenantrag. Es gebe kein zugelassenes Medikament gegen Fibromyalgie. Die Diagnose einer Opiatabhängigkeit führe eher
zu einer weiteren Einschränkung.
Zusammenfassend ist der Sachverständige weiterhin der Auffassung, dass der Kläger ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden
am allgemeinen Arbeitsmarkt aufweise. Dieser Auffassung seien auch alle behandelnden Ärzte des Klägers.
Die Klage ist mit Urteil vom 06.06.2013 abgewiesen worden. Auf orthopädischem Fachgebiet lägen Gesundheitsstörungen vor, die
durch qualitative Maßnahmen ausgeglichen werden könnten. Das Fibromyalgiesyndrom könne in seiner Auswirkung auf die Leistungsfähigkeit
des Klägers nicht nachgewiesen werden, da hierfür keinerlei objektive Anhaltspunkte, sondern nur die subjektiven Angaben des
Klägers zur Verfügung stünden. Für einen Beweis im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens sei dies nicht ausreichend. Ob mit
dem Suizidversuch im Januar 2012 hinsichtlich der psychischen Situation eine Verschlimmerung eingetreten sei, die ein rentenberechtigendes
Ausmaß erreicht habe, könne dahinstehen, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzung letztmals im Mai 2011 vorlägen und
jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen noch nicht von einer schweren depressiven Symptomatik
ausgegangen werden könne.
Gegen das am 28.06.2013 zugestellte Urteil ist am 23.07.2013 Berufung eingelegt worden. Die fehlende Objektivierbarkeit der
Fibromyalgie könne nicht genügen, um dem Kläger einen Anspruch auf Leistungen abzusprechen; dies käme sonst einer Negierung
dieser Erkrankung gleich. Die Fibromyalgie werde aber in international anerkannten Diagnoseschlüsseln ausdrücklich genannt.
Die Diagnose befinde sich bereits im Gutachten vom 20.04.2009 und sei mehrfach bestätigt worden. Der Kläger leide seit 2007
auch zunehmend an Depressionen; diese hätten im Januar 2012 zum Suizidversuch geführt. Er leide unter totaler Erschöpfung
und könne keine längere Wegstrecke ohne Schmerzen zurücklegen.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nur dann erfüllt seien, wenn die Erwerbsminderung
bis zum 30.06.2011 eingetreten sei.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 6. Juni 2013 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 8.
November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2011 zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen Erwerbsminderung
zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie des gerichtlichen Verfahrens Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller oder
teilweiser Erwerbsminderung gemäß §
43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI). Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß §
240 Abs.
1 SGB VI kommt schon wegen des Geburtsdatums des Klägers nach dem Stichtag (02.01.1961) nicht in Betracht.
Nach §
43 Abs.
1,
2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersrente Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung,
wenn sie
1.teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2.in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung
oder Tätigkeit haben und
3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer
Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig
zu sein. Erwerbsgemindert ist gemäß §
43 Abs.
3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein
kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Die sog. versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind ausweislich des Versicherungsverlaufs, - gegen dessen Richtigkeit keine
Einwände erhoben worden sind, - nur bis zum 30.06.2011 noch gegeben. §
241 Abs.
2 SGB VI kommt schon deshalb nicht zur Anwendung, da der Kläger bereits die allgemeine Wartezeit vor dem 01.01.1984 nicht erfüllt
hat.
Das Vorliegen von Erwerbsminderung bis zum 30.06.2011 ist nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen.
Beim Kläger liegen Funktionsbeeinträchtigungen des Bewegungsapparats vor, die qualitative Leistungseinschränkungen bedingen,
jedoch nicht so gravierend sind, dass eine zeitliche Leistungsminderung anzunehmen ist. Im Vordergrund der Beschwerden steht
offenbar die Schmerzproblematik bzw. das Fibromyalgiesyndrom.
So findet sich in den Befundberichten des Arztes für physikalische Therapie Dr. N. die Hauptdiagnose eines Fibromyalgiesyndroms;
er beschreibt in seinem Attest vom 02.10.2008 an Funktionsbeeinträchtigungen lediglich eine endgradige Einschränkung der Wirbelsäule
für Seitneigen und Rotation und eine freie Beweglichkeit der Gelenke. Im Befundbericht vom 23.12.2008 spricht er von einer
Schmerzproblematik und nennt 16 von 18 Tenderpoints als positiv. Erwähnt werden Zustände nach Innenmeniskusteilresektionen
bzw. nach Diskusprolaps LWK 4/5 (09/00). Zu den Beschwerden am Kniegelenk heißt es im Bericht vom 09.07.2009 ausdrücklich,
dass diese nach kernspintomographischer Abklärung ggf. dem weichteilrheumatischen Krankheitsbild zuzuordnen seien.
Unter dem 30.09.2010 werden weiterhin wechselhafte Beschwerden im Bereich des gesamten Rückens und an den großen Gelenken
ohne Schwellungen festgehalten. Dabei wird ebenso beschrieben, dass alle Gelenke (auch die beiden Kniegelenke) frei beweglich
seien. Wegen der Fibromyalgie werden die Weiterführung der Medikation mit Cymbalta, Tramal und Meloxicam sowie moderate Bewegungsübungen
empfohlen. Weitgehend unveränderte Angaben finden sich im Bericht vom 12.07.2011.
Die vom Allgemeinarzt genannten Beschwerden des Klägers im Bereich des Bewegungsapparats bleiben vage. Im Befundbericht vom
20.09.2010 wird als Hauptdiagnose ein chronisches diffuses Schmerzsyndrom genannt mit Druckdolenzen über den Dornfortsätzen
und Sehnenansätzen.
Der Nervenarzt R. stellte am 20.04.2009 eine Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk (0-0-110°) und rezidivierende Schmerzen
im rechten Hüftgelenk fest. An der WS bestand neben einem leichten Rundrücken ein leichter Hartspann. Der Sachverständige
diagnostizierte eine Funktionsbehinderung der WS mit Nerven- und Muskelreizerscheinungen, hielt aber auch ausdrücklich fest,
dass die Beweglichkeit des Klägers deutlich besser ausgefallen sei, als es aufgrund der Beschwerdeschilderung zu erwarten
gewesen wäre. Nachvollziehbar fordert er an qualitativen Einschränkungen zum Bewegungsapparat die Beschränkung auf leichte
Arbeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, ohne Heben und Tragen schwerer Lasten und ohne Zwangshaltungen.
Auch der Nervenarzt Dr. S. diagnostizierte am 27.10.2010 lediglich Wirbelsäulen- und Gelenksbeschwerden ohne schwerwiegende
Funktionsminderungen. Bei seiner Untersuchung ergaben sich keine allgemein-körperlichen Befunde, die das zeitliche Leistungsvermögen
einschränken würden. An qualitativen Einschränkungen bezüglich des Bewegungsapparats gab auch Dr. S. an: kein dauerndes Stehen
oder Gehen, keine länger andauernden Zwangshaltungen, kein häufiges Bücken.
Bei der Gutachterin Dr. E. machte der Kläger zwar eine Einschränkung der Gehstrecke geltend, es zeigten sich aber keine motorischen
oder koordinativen Einschränkungen. Es fanden sich auch keine Atrophien oder Paresen; die Bewegungsprüfungen wurden wegen
Angabe von Schmerzen nur angedeutet ausgeführt. Die neurologische Untersuchung ergab keinen Hinweis für eine Funktionsbeeinträchtigung.
Auch Dr. N. stellte keinen gravierenden Befund des Bewegungsapparats fest. Er wies auf einen leichten Beckenschiefstand bei
geringgradiger Beinverkürzung links und Skoliose, Verspannungen der oberen Trapeziusränder und Druckschmerzen über den Dornfortsätzen
hin. Der Finger-Boden-Abstand betrug nur 5 cm. Es fanden sich endgradige Bewegungsschmerzen der Hüftgelenke und der Kniegelenke.
Die Wegefähigkeit sah der Gutachter als gegeben an. An qualitativen Einschränkungen zum Bewegungsapparat nannte der Gutachter:
Wechselrhythmus, Vermeidung von einseitigen Körperhaltungen, von häufigem Bücken, Klettern oder Steigen, sowie Vermeidung
von Nässe, Zugluft oder Kälte.
Zusammenfassend sind also keine gravierenden Bewegungsstörungen nachgewiesen, die nicht durch gewöhnliche qualitative Leistungseinschränkungen
kompensiert werden könnten. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit ist nicht nachgewiesen. Der Kläger verfügt laut Angaben bei
auch über ein Auto und einen Führerschein.
Soweit der Prozessbevollmächtigte darauf abstellt, dass gerade die Erkrankung der Fibromyalgie die Erwerbsminderung begründe,
vermag dies nicht zu überzeugen. Es handelt es sich bei der Fibromyalgie nicht per se um eine Berentungsdiagnose. Dr. E. führt
schlüssig aus, dass für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit eine Auseinandersetzung mit der therapeutischen Intensität,
den tatsächlichen Funktionsbeeinträchtigungen und auch psychosozialen Faktoren erforderlich ist. Die Gutachterin weist zutreffend
darauf hin, dass allein die positive Testung der sog. Tenderpoints wenig Aussagekraft hat. Wie das SG zutreffend ausführt, wurde diese Methode der Diagnosestellung sogar von ihrem Begründer selbst in Zweifel gezogen.
So hat etwa der Nervenarzt R. bei seinem Gutachten vom 20.04.2009 die Fibromyalgie als vordiagnostiziert bezeichnet, aber
selbst nicht bestätigen können. Er hat vielmehr festgehalten, dass der Kläger Angaben auch bei leichtester Berührung am ganzen
Körper gemacht habe. Die Tenderpoints waren bei seiner Untersuchung sämtlich nicht reproduzierbar.
Die Sachverständige Dr. E. hat zwar eine eigene Testung der Tenderpoints nicht durchgeführt. Die Vor-Diagnose der Fibromyalgie
durch behandelnde Ärzte war ihr jedoch bekannt, wie sich aus der Darstellung der Vorgeschichte ergibt. Sie hat sich auch in
ihrer ergänzenden Stellungnahme kritisch mit den Ausführungen des Dr. N. auseinandergesetzt. In der Tat sind dem Gutachten
des Dr. N. hierzu keine objektiven Gesichtspunkte zu entnehmen, die über die Schilderung der Tenderpoints und der Kontrollpunkte
hinausgehen.
Die Einschätzung des Ausprägungsgrads der Fibromyalgie durch Dr. N. beruht insbesondere auf einem Fragebogen (Fibromyalgia
Impact Questionnaire) und damit auf den subjektiven Angaben des Klägers. Dies mag zur Bewertung und zum Fortschritt einer
Therapie sinnvoll sein; bei der Begutachtung mit dem Ziel der Berentung sind subjektive Angaben jedoch einer kritischen Konsistenzprüfung
zu unterziehen.
Die Selbsteinschätzung des Klägers, dass sein Schmerz den Maximalwert erreicht (Frage 5 des Fragebogens), bedarf der Objektivierung.
Insoweit reicht es nicht, wenn Dr. N. abstrakte Ausführungen zum Erleben von Fibromyalgie-Patienten gibt. Entscheidend sind
die individuellen Verhältnisse. Diese wertet Dr. N. nicht ausreichend aus.
Zweifel an der Selbsteinschätzung einer maximalen Einschränkung durch die Fibromyalgie bzw. Schmerzerkrankung ergeben sich
etwa aus der geringen Behandlungs- und Therapiedichte, die den Leidensdruck in Frage stellen. So hat Dr. E. am 09.09.2011
festgehalten, dass bis zu dem Zeitpunkt ihrer Begutachtung weder eine Psychotherapie, noch eine längere stationär-psychiatrische
Behandlung, Physiotherapie oder Schmerztherapie stattgefunden haben. Aus dem eintägigen Aufenthalt im Dezember 2009 im BKH
lässt sich kein besonderer und überdauernder Schweregrad der Erkrankung ableiten; die Diagnose dort lautete zudem nur auf
Dystyhmia.
Zu Tagesablauf, Kontakten und Aktivitäten hat der Kläger keine konkreten Angaben gemacht. Er hat auf Nachfragen vielmehr gereizt
und aggressiv reagiert und unpräzise geantwortet. Soweit er angegeben hat, sich nicht zu erinnern, hat Dr. E. darauf hingewiesen,
dass Einschränkungen der Gedächtnisfunktion nicht zu objektivieren waren. Auch die inhaltlich geltend gemachten Antriebsstörungen
ließen sich in der Untersuchungssituation nicht nachweisen. Bereits Herr R. hat darauf hingewiesen, dass der Kläger bestimmt
und durchsetzungsfähig aufgetreten sei. Auch Dr. N. fand keine Hinweise für Beeinträchtigungen des energetischen Potentials.
Sie hat das Verhalten vielmehr auf eine mangelnde Mitteilungsbereitschaft zurückgeführt.
Herr R. hat des Weiteren darauf hingewiesen, dass die Beweglichkeit des Klägers deutlich besser war, als es aufgrund der Beschwerdeschilderung
zu erwarten war.
Dr. E. hält auch die Selbsteinschätzung im Beck-Depressionsinventar (äußerst schwere Depression) für aggraviert. Mit einer
solchen Aussage wird dem Kläger keine Lüge oder Simulation vorgeworfen, wie der Klägerbevollmächtigte unterstellt. Es ist
vielmehr Aufgabe des Gutachters, die subjektive Einschätzung des Klägers zu hinterfragen und den objektivierbaren Fakten gegenüberzustellen.
Aus letzteren hat Dr. E. jedoch nachvollziehbar nur eine leichtgradige depressive Symptomatik ableiten können; gravierende
Störungen der Schwingungsfähigkeit, des Gedächtnisses, der Konzentration, des Antriebs und der Psychomotorik fanden sich weder
bei der Untersuchung durch Herrn R. noch bei Dr. E ...
Der Senat ist daher nicht von dem Eintritt einer Erwerbsminderung vor dem 30.06.2011 überzeugt.
Aus dem Aufenthalt im BKH vom 08.01.2012 bis zum 20.01.2012 geht zwar die Diagnose einer rez. depressiven Episode mit gegenwärtig
schwerer Episode hervor. Wie die Gutachterin Dr. E. nachvollziehbar begründet, ist allein daraus noch keine langdauernde Verschlimmerung
abzuleiten. Erst recht lässt sich daraus nicht rückwirkend ein höherer Ausprägungsgrad der Depression nachweisen, zumal im
Bericht des BKH als Hintergrund des Suizidversuchs eine schwere zugespitzte familiäre Krise benannt wird.
Ebenso wenig lässt die Befürwortung des Rentenantrags durch das BKH auf das Vorliegen einer Erwerbsminderung spätestens zum
30.06.2011 schließen. Soweit das BKH auf die zwanghafte und schizoide Persönlichkeitsstörung des Klägers mit einem ausgeprägtem
Gerechtigkeitsempfinden und rigiden Verhaltensmustern hinweist und gerade daraus eine mangelnde Integrierbarkeit auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt ableitet, reicht dies dem Senat für die Annahme einer Erwerbsminderung nicht aus. Eine derartige Diagnose ist
auch aus den bis zum 30.06.2011 erstellten Unterlagen nicht bekannt. Dr. E. hat noch von einer impulsiven Persönlichkeitsakzentuierung
mit negativer Lebenseinstellung und geringer Leistungsorientierung gesprochen.
Die Opiatabhängigkeit wird vom Kläger offenbar nicht einschränkend erlebt; sie wäre überwindbar und führt auch nach Einschätzung
der Dr. E. nicht zu einer zeitlichen Leistungseinschränkung.
Dass die Mutter des Klägers ebenfalls nervenkrank war, ist etwa im Gutachten des
Dr. S. angesprochen und berücksichtigt worden. Entscheidend sind jedoch die im relevanten Zeitraum vorhandenen und nachweisbaren
Funktionseinschränkungen des Klägers.
Im Ergebnis teilt der Senat somit die Bewertung des Sozialgerichts.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.