Befangenheit eines Sachverständigen im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
I. Die Beschwerde richtet sich gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 2. September 2008, mit dem das Gesuch der
Klägerin auf Ablehnung der Sachverständigen Dres. M., H. und H. zurückgewiesen wurde.
Im Ausgangsverfahren begehrt die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres am 11.08.2008 verstorbenen Ehemannes Verletztenrente,
die dieser wegen der Folgen seines Unfalls vom 06.04.2001 beantragt hatte. Mit Beweisanordnung vom 29.11.2007 beauftragte
das Sozialgericht den Orthopäden Dr. M. mit der Erstattung eines Gutachtens. Zu Zusatzgutachtern berief es den Psychiater
und Neurologen Dr. H. und den HNO-Arzt Dr. H ... Telefonisch genehmigte es den Vorschlag des Dr. H., ein psychologisches Zusatzgutachten
einzuholen. Letzteres erstattete die Dipl.-Psych. L ... Die Gesamtbeurteilung sollte Dr. M. vornehmen. Die Beweisanordnung
wurde der Klagepartei am 30.11.2007 bekannt gegeben.
Mit Schreiben vom 07.01.2008 bat die Klagepartei, den Beweisbeschluss abzuändern und andere Ärzte mit der Begutachtung zu
betrauen. Das Sozialgericht teilte am 09.01.2008 mit, es bleibe bei der Gutachtensbeauftragung. Das Gutachten des HNO-Arztes
Dr. H. ging bei Gericht am 20.03.2008 ein, das Gutachten des Dr. M. am 23.04.2008. Dieses trägt das Erstellungsdatum vom 16.04.2004
und beruht auf einer Untersuchung des Ehemannes der Klägerin am 16.04.2008. Dem Gutachten ist zu entnehmen, dass Dr. M. die
Akten nach der Untersuchung an Dr. H. weitergeleitet hatte, der am selben Tag seinerseits den Versicherten untersuchte. Im
Gutachten vom 17.07.2008 berücksichtigte Dr. H. die Feststellung des psychodiagnostischen Zusatzgutachtens vom 18.06.2008,
beruhend auf der Exploration am 09.06.2008.
Am 24.07.2008 übersandte das Sozialgericht die Gutachten der vorgenannten Gutachter den Beteiligten. Es wies darauf hin, es
sei nicht beabsichtigt, ein weiteres Gutachten von Amts wegen einzuholen und stelle anheim, einen Antrag nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) bis spätestens 05.09.2008 zu stellen.
Mit Fax vom 04.08.2008 äußerte die Klagepartei Bedenken gegen die eingeholten Gutachten und verlangte Auskünfte noch vor Ablauf
der 14-tägigen Frist zur Stellung eines Befangenheitsantrags. Mit Schreiben vom 08.08.2008 lehnte die Klagepartei die Sachverständigen
Dres. M., H. und H. wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dem Sachverständigen Dr. M. hält die Klägerin entgegen, er habe versucht,
den Inhalt der gerichtlichen Entscheidung zu beeinflussen, indem er als Orthopäde eine somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert
und damit den Zusatzgutachter bereits inhaltlich in eine bestimmte Richtung festzulegen versucht habe. Formulierungen im Gutachten,
körperlich vom Versicherten wahrgenommene Beschwerden ließen sich aus dem Unfallereignis eigentlich nicht mehr erklären, denkbar
sei, dass die Beschwerdeentwicklung im Zusammenhang mit degenerativen Veränderungen stünden bzw. einen eigengesetzlichen Verlauf
genommen hätten, wie im Zusatzgutachten des Dr. H. ausgeführt, seien beweisend hierfür. Dass Dr. H. von einem zeitlich vorausgehenden
Unfallereignis spreche und behaupte, dass ganz offensichtlich schwere körperliche Verletzungen nicht aufgetreten seien, spreche
ebenso dafür, dass die vorgegebene Meinung des Dr. M. berücksichtigt worden sei. Unübersehbar sei, dass der Gutachter von
der Position des wissenschaftlichen Gehilfen des Gerichts deutlich abgewichen und das Kleid des Ermittlers und Verfolgers
trage, was in weiteren Äußerungen zum Ausdruck komme. Dr. M. arbeite mit Vermutungen und Unterstellungen, u.a., dass bereits
1999 Schultergelenksbeschwerden links bestanden hätten. Das Gutachten des Dr. M. beinhalte eine bewusste Abqualifikation des
Klägers, soweit über eine angeblich ausgeprägte Verdeutlichungstendenz berichtet werde. Eine solche Feststellung hätte der
orthopädische Begutachter gar nicht treffen dürfen. Er hätte die Feststellungen des neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachtens
abwarten müssen. Auch hierin offenbare sich die fehlende Objektivität. Dass er die Angaben des Versicherten zur Medikation
als unrealistisch bezeichne, sei ebenfalls Ausdruck des Abqualifizierens.
Dem Sachverständigen Dr. H. sei entgegen zu halten, dass er eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichten bis
mittelschweren Grades diagnostiziere, obwohl im psychodiagnostischen Zusatzgutachten von einer ausgeprägten depressiven Symptomatik
gesprochen werde. Hierin offenbare sich fehlende Objektivität. Das Ablehnungsgesuch werde auch auf Dr. H. erweitert.
Mit Beschluss vom 02.09.2008 lehnte das Sozialgericht es ab, dem Gesuch auf Ablehnung der Sachverständigen Dres. M., H. und
H. zu entsprechen. Der Befangenheitsantrag auf die am 24.07.2008 den Beteiligten zur Kenntnis gegebenen Gutachten sei erst
am 08.08.2008 und damit verspätet gestellt worden. Soweit den Sachverständigen Mangel an Sachkunde, Unzulänglichkeit und Fehler
der Begutachtung vorgeworfen würden, rechtfertigten solche Gründe nicht die Befangenheit. Weshalb auch der Sachverständige
Dr. H. abgelehnt werde, sei überhaupt nicht begründet worden.
Dagegen legte die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres am 11.08.2008 verstorbenen Ehemanns Beschwerde ein. Das Ablehnungsgesuch
sei nicht verspätet gewesen. Das Sozialgericht hätte sich sachlich mit dem Ablehnungsgesuch auseinandersetzen müssen.
Die Klägerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts vom 02.09.2008 aufzuheben und ihrem Gesuch, die Sachverständigen Dres. M., H. und H. wegen
Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, stattzugeben.
Die Beklagte beantragt,
die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Das Sozialgericht legte die Beschwerde dem Bayer. Landessozialgericht zur Entscheidung vor. Im Übrigen wird zur Ergänzung
des Sachverhalts auf die beigezogene Akte des Sozialgerichts sowie die Beschwerdeakte Bezug genommen.
II. Die statthafte Beschwerde ist zulässig, insbesondere rechtzeitig gemäß §§
172,
173 SGG. Gemäß §§
406 Abs.2 Satz 1 und 411 Abs.1
Zivilprozessordnung (
ZPO), die nach §
118 Abs.1
SGG im sozialgerichtlichen Verfahren anzuwenden sind, ist der Ablehnungsantrag in der Regel zwei Wochen nach Verkündung oder
Zustellung des Beschlusses über die Ernennung zu stellen und zu einem späteren Zeitpunkt nach §
406 Abs.2 Satz 2
ZPO dann, wenn der Antragsteller Gründe nennen kann, dass er die Befangenheit ohne sein Verschulden erst zu einem späteren Zeitpunkt
geltend machen konnte. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn der Ablehnungsgrund erst aus dem schriftlich abgefassten
Gutachten ersichtlich wird. In diesem Fall läuft die Frist für den Ablehnungsantrag mit dem Ablauf der Frist, die das Gericht
den Beteiligten zur Stellungnahme eingeräumt hat, ab. Unstreitig gab das Sozialgericht die Gutachten den Beteiligten am 24.07.2008
zur Kenntnis. Eine Frist zur Stellungnahme setzte es nicht. Die im Schreiben vom 24.07.2008 ausgesprochene Frist bezog sich
lediglich auf die Möglichkeit, einen Antrag nach §
109 SGG zu stellen. Bei dieser Sachlage ist das Schreiben vom 08.08.2008, in dem die Sachverständigen Dres. M., H. und H. wegen Besorgnis
der Befangenheit abgelehnt wurden, fristgerecht.
Nach §
118 Abs.1
SGG in Verbindung mit §
406 Abs.1
ZPO und §
60 SGG können Sachverständige aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen. Wegen Besorgnis
der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen in die Unparteilichkeit
des Sachverständigen zu rechtfertigen (§
42 Abs.2
ZPO). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist; entscheidend ist vielmehr, ob ein Beteiligter
von seinem Standpunkt aus vernünftigerweise Bedenken gegen dessen Unparteilichkeit haben kann (BSG, SozR 1500 § 60 Nr.3).
Rein subjektive unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge des Ablehnenden scheiden jedoch aus (Thomas Putzo,
ZPO, 24. Auflage, §
42 Rdnr.9). Andere Bedenken gegen den Sachverständigen als die Befürchtung, dieser werde nicht unvoreingenommen sein Gutachten
erstatten, können mit dem Ablehnungsgesuch nicht geltend gemacht werden. Insbesondere rechtfertigt ein angeblicher Mangel
der Qualifikation des bestellten Gutachters oder die Fehlerhaftigkeit des Gutachtens nicht die Ablehnung wegen Befangenheit.
Die Ablehnung ist nur berechtigt, wenn Umstände auch bei nüchtern denkenden Beteiligten die Befürchtung rechtfertigen könnten,
der Sachverständige habe sich einseitig festgelegt. Ein Mangel an Sachkunde, Unzulänglichkeiten oder Fehlerhaftigkeit können
ein Gutachten zwar entwerten, aber für sich allein nicht die Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit rechtfertigen
(BGH, Beschluss vom 15.03.2005 - VI ZB 74/04). Ein solcher Vorwurf begründet regelmäßig nicht die Besorgnis der Befangenheit, weil er nicht die Unparteilichkeit des Sachverständigen
betrifft. Der mangelnden Sorgfalt bzw. mangelnden Kompetenz eines Sachverständigen sehen sich beide Parteien in gleicher Weise
ausgesetzt. Eine Voreingenommenheit zu Ungunsten einer Partei lässt sich daraus in der Regel nicht ableiten.
Inwieweit der Sachverständige Dr. H. seine Neutralitätspflicht als Sachverständiger verletzt hat, wird von der Klägerin auch
nicht ansatzweise begründet. Gründe, Voreingenommenheit annehmen zu wollen, lassen sich nicht erkennen. Allein deshalb war
dem Gesuch, Dr. H. wegen Befangenheit abzulehnen, nicht zu entsprechen.
Den Gedankengängen der Klägerin, das Gutachten des Dr. H. drücke deshalb dessen Voreingenommenheit aus, weil sich dieser von
Dr. M. habe beeinflussen lassen, kann der Senat nicht nachvollziehen. Dies gilt insbesondere für den Vorwurf, Dr. M. habe
den Neurologen durch seine Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung in eine bestimmte Richtung festlegen wollen. Mehrfach
betont Dr. M., das Ergebnis der neurologisch-psychiatrischen Begutachtung müsse abgewartet und berücksichtigt werden, wie
z.B. auf S.23, 24 und 28 seines Gutachtens. Dass die Einflussnahme im Gutachten des Dr. H. darin zum Ausdruck komme, dass
Worte wie "eigentlich, denkbar, keinesfalls, zeitlich vorausgehendes Unfallereignis, ganz offensichtlich" von Dr. H. verwandt
wurden, erschließt sich dem Senat nicht. Darüber hinaus ist der Senat der Auffassung, dass Voreingenommenheit ein bewusstes
Handeln zu Lasten einer Partei voraussetzt. Wenn sich ein Sachverständiger, wie die Klägerin meint, von der Meinung eines
anderen Gutachters beeinflussen lässt, so kann das die Aussagekraft eines Gutachtens in Frage stellen. Ein Beweis der bewussten
Voreingenommenheit des angeblich beeinflussten Sachverständigen offenbart sich darin nicht.
Der weiter von der Klägerin gegen den Sachverständigen Dr. H. erhobene Vorwurf, er habe die Diagnose im psychodiagnostischen
Zusatzgutachten nicht berücksichtigt und sei abweichend von diesem lediglich zur Diagnose einer leichten bis mittelschweren
Episode einer rezidivierenden depressiven Störung gelangt, ist ebenso wenig geeignet, eine Neutralitätspflichtverletzung zu
offenbaren. Vermuteten Ungereimtheiten eines Gutachtens kann mit anderen prozessualen Mitteln begegnet werden. Der Vorwurf
der Voreingenommenheit zugunsten bzw. zuungunsten einer Partei ist damit jedenfalls nicht zu begründen.
Ähnliches gilt, soweit sich die Klägerin durch das Gutachten des Dr. M. benachteiligt sieht. Diesem wirft sie vor, er sei
von der Position des wissenschaftlichen Gehilfen des Gerichts deutlich abgewichen und sei unübersehbar in die Rolle des Ermittlers
und Verfolgers übergewechselt. Als Beispiel für diese Behauptung nennt die Klägerin, Dr. M. bezweifle Angaben ihres Ehemannes
bei der Untersuchung, als es darum ging, ob und in welchem Zusammenhang Röntgenaufnahmen in früherer Zeit gefertigt worden
waren. Dass darin zum Ausdruck komme, dem Gericht solle der Eindruck vermittelt werden, dass keine Unfallschäden, zumindest
am linken Knie, entstanden seien, erschließt sich dem Senat nicht. Eine Täuschungshandlung des Sachverständigen kann der Senat
den Äußerungen des Sachverständigen insoweit nicht entnehmen. Ob die Deutung früherer Röntgenaufnahmen zutreffend ist, ist
eine Frage der Schlüssigkeit eines Gutachtens und deutet insoweit nicht auf eine Verletzung der Neutralitätspflicht. Gleiches
gilt für die Rüge der Klägerin, der Sachverständige habe Fremdgutachten nicht oder nicht ausreichend erwähnt. Einen Vergleich
zu dem vom Oberlandesgericht Oldenburg am 13.11.2007 entschiedenen Fall, den die Klägerin zitiert, vermag der Senat ebenso
wenig zu sehen. Im Kern wirft die Klägerin dem Gutachter vor, er habe die Fragestellung des Gerichts nicht beachtet bzw. sei
über die Fragestellung hinausgegangen. Die Klägerin verkennt dabei, dass sich die zivilrechtliche Rechtsprechung zu diesem
Thema darauf konzentriert, dass ein Sachverständiger, obwohl er danach nicht gefragt war, Fakten und Aussagen lieferte, die
über den Streitgegenstand hinaus gingen und der einen Partei Grundlage für einen anderen nicht geltend gemachten Anspruch
lieferte. Eine Erklärung, inwieweit hierin eine Parallele zum Vorwurf gegenüber Dr. M. liegen solle, wenn dieser ihrer Meinung
nach Fremdgutachten nicht erwähnt bzw. sich mit anderen medizinischen Äußerungen nicht kritisch auseinandergesetzt habe, nennt
die Klägerin nicht. Eine solche vermag der Senat auch nicht zu erkennen. Ob und inwieweit ein Gutachten ergänzungs- oder erläuterungsbedürftig
ist, betrifft die Qualität und Verwendbarkeit eines Gutachtens, offenbart aber nicht eine Neutralitätspflichtverletzung.
Insgesamt kommt der Senat damit zum Ergebnis, dass dem Gesuch der Klägerin, die Sachverständigen Dres. M., H. und H. wegen
Befangenheit abzulehnen, nicht zu entsprechen war. Der Beschluss des Sozialgerichts vom 02.09.2008 ist nicht zu beanstanden.
Die Beschwerde der Klägerin war zurückzuweisen.
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).