Gründe
I.
Verfahrensgegenstand ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruches gegen Beitragsnachforderungen aufgrund
Betriebsprüfung infolge der "CGZP-Entscheidung" des Bundesarbeitsgerichts.
Die Antragstellerin ist ein Zeitarbeitsunternehmen und betreibt erlaubt gem. §
1 AÜG die Arbeitnehmerüberlassung. Nach den Arbeitsverträgen der beschäftigten Leiharbeitnehmer wurde die Anwendung der Tarifverträge
zwischen der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) vereinbart und
die entsprechenden Vergütungen gezahlt. Die Antragsgegnerin führte als zuständiger Rentenversicherungsträger bei der Antragstellerin
am 19.01. und 20.01.2010 eine stichprobenweise Betriebsprüfung für den Zeitraum 01.01.2006 bis 31.12.2009 durch. Als Ergebnis
forderte sie mit Bescheid vom 27.01.2010 Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge iHv 10.070,81 EUR nach im
Wesentlichen wegen unzutreffender Beitragsbehandlung der Überlassung von Firmen-PKW zur Privatnutzung. Diese Entscheidung
ist bestandskräftig.
Aufgrund neuer Betriebsprüfung vom 27.09.2011 bis 26.01.2012 an drei Tagen für den Prüfzeitraum 01.12.2005 bis 31.12.2009
forderte die Beklagte mit Bescheid vom 20.02.2012 Gesamtsozialversicherungsbeiträge iHv 178.185,38 EUR nach. Für die überlassenen
Arbeitnehmer ergebe sich eine höhere Vergütung aus dem gesetzlichen Anspruch auf gleichen Lohn (Equal-Pay) infolge der durch
das Bundesarbeitsgericht am 14.12.2010 (Az.: 1 ABR 19/10) festgestellten Tarifunfähigkeit der CGZP. Daraus resultierten die nachgeforderten Beiträge (Lohndifferenz aufgrund Tarifunfähigkeit
CGZP). Die Höhe der Arbeitsentgelte schätzte die Antragsgegnerin nach von ihr zur Tarifunfähigkeit der CGZP entwickelten Grundsätzen.
Dabei legte sie einen Erhöhungsfaktor von 4,7074% entsprechend der Besonderheiten der Antragstellerin zu Grunde.
Dagegen hat die Antragstellerin parallel zu ihrem Widerspruch am 02.03.2012 beim Sozialgericht Nürnberg die Herstellung der
aufschiebenden Wirkung des Widerspruches beantragt. Sie hat dazu geltend gemacht, ausgeschlossen sei ein Rückgriff in einen
bereits bestandskräftig verbeschiedenen Betriebsprüfungszeitraum, eine Entscheidung nach § 45 SGB X liege nicht vor und könne mangels Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen auch nicht erfolgen. Zudem bestehe auf Seiten
der Antragstellerin Vertrauensschutz, so dass die Beiträge bis 2006 verjährt seien.
Dem ist die Beklagte entgegengetreten und hat im Wesentlichen eingewandt, dass noch vor Eintritt der Verjährung die Antragstellerin
bösgläubig geworden sei, es gelte also die Verjährungsfrist von 30 Jahren. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
sei eine vorangegangene Betriebsprüfung mit keiner Sperrwirkung ausgestattet. Auch die übrigen Argumente der Antragstellerin
träfen nicht zu.
Mit Beschluss vom 20.03.2012 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt, weil die vorzunehmende Interessenabwägung mangels
offenbarer Rechtswidrigkeit der Nachforderung zu Gunsten der Antragsgegnerin zu entscheiden sei.
Dagegen hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt in Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens. Ergänzend hat sie nach
Veröffentlichungen der weiteren CGZP-Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 22. und 23.05.2012 ihren bisherigen Standpunkt
zur fehlenden Rückwirkung relativiert. Erweiternd ist sie der Auffassung entgegen getreten, die Antragsgegnerin könne sich
auf die 30-jährige Verjährungsfrist berufen. Darüber hinaus hat die Antragstellerin sich darauf berufen, dass die vorangegangene
Prüfung im Jahre 2009 mit Sicherheit auch die Anwendung des Tarifvertrages zum Gegenstand gehabt habe, welcher Grundlage der
geprüften Vergütung der Arbeitnehmer der Antragstellerin gewesen sei. Deshalb sei der zum gleichen Prüfpunkt der tariflichen
Vergütung ergangene Bescheid vom 02.03.2012 rechtswidrig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.05.2012 hat die Antragsgegnerin den Widerspruch der Antragstellerin abschlägig beschieden.
Dagegen hat die Antragstellerin am 30.05.2012 Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben (Az. S 12 R 654/12).
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.03.2012 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid
vom 22.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2012 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin ist der Meinung, die Nachforderung sei zu Recht erfolgt. Insbesondere entfalte die vorangegangene Prüfung
keine Sperrwirkung und es sei die 30-jährige Verjährungsfrist anzuwenden.
Ergänzend wird Bezug genommen auf die Verfahrensakten beider Instanzen.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig gem. §§
172,
173 SGG und begründet. Die streitige Beitragsachforderung umfasst einen Zeitraum, der bereits Gegenstand des bestandskräftigen Bescheids
vom 27.01.2010 war. Dieser Bescheid ist nicht nachträglich beseitigt worden, so dass der Bescheid vom 22.02.2012 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2012 als offensichtlich rechtswidrig anzusehen ist mit der Folge der Anordnung der aufschiebenden
Wirkung der mittlerweile erhobenen Klage.
1.
Nach §
86 b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen - in denen wie hier gem §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG - Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die Entscheidung,
ob die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen Beitragsbescheide ausnahmsweise durch das Gericht angeordnet wird, richtet
sich zunächst nach einer Abwägung des Aufschubinteresses der Antragstellerin einerseits und des öffentlichen Interesses an
der sofortigen Vollziehung des Beitragsnachforderungsbescheides andererseits. Bei dieser Abwägung ist ein Übergewicht des
öffentlichen Interesses an der sofortigen Bescheidsvollziehung anzunehmen, wenn sich ohne Weiteres und in jeden vernünftigen
Zweifel ausschließenden Weise erkennen lässt, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig ist und die Rechtsverfolgung
keinen Erfolg verspricht (vgl. BT-Drs. 14/5943 Seite 25 unter Bezug auf BVerwG NJW 1974, 1294; ständige Rechtsprechung, vgl. LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 13.07.2011 - L 8 R 287/11 B ER; Bayer. LSG Beschluss vom 20.04.2012 - L 5 R 246/12 B ER).
2.
Wie der Senat bereits mit Urteil vom 18.01.2011 - L 5 R 752/08 sowie mit den Beschlüssen vom 22.03.2012 - L 5 R 138/12 B ER und vom 20.04.2012 - L 5 R 246/12 B ER entschieden hat, ist die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für einen Zeitraum, der bereits zuvor
Gegenstand einer Betriebsprüfung nach § 28p
SGB IV gewesen ist, nur nach Aufhebung des entsprechenden vorangegangenen Bescheides in Anwendung des § 45 SGB X möglich.
Diese Grundsätze, die in den jeweils rechtskräftigen Entscheidungen dargelegt sind, finden auch im vorliegenden Falle Anwendung.
Mit Bescheid vom 27.01.2010 hatte die Antragsgegnerin als zuständige Prüfbehörde gemäß § 28p
SGB IV für den Betriebsprüfungszeitraum 01.01.2006 bis 31.12.2010 als Ergebnis einer 19.01.2010 bis 21.10.2010 durchgeführten Betriebsprüfung
eine Entscheidung gefällt. Dort wurden Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 10.070,81 EUR nachgefordert. Diese Entscheidung
enthielt nur den Hinweis, dass die stichprobenweise durchgeführte Prüfung Feststellungen ergeben habe. Einen Widerrufsvorbehalt
oder eine ähnliche vergleichbare Regelung, wonach ein späterer Bescheid für den gleichen Zeitraum noch zu erlassen sei, enthielt
diese Entscheidung nicht. Der Bescheid vom 27.01.2010 ist bestandskräftig geworden.
Wollte die Antragsgegnerin nach § 28p
SGB IV für den bestandskräftig verbeschiedenen Zeitraum bis 31.12.2009 aufgrund einer weiteren Betriebsprüfung nach § 28p
SGB IV einen Bescheid nach § 28p
SGB IV anderen Inhalts erlassen, widerspräche dies dem Regelungsgehalt des Bescheides vom 27.01.2010. Deshalb müsste die Antragsgegnerin
nach der Gesamtkonzeption des Verfahrensrechts im SGB X die frühere Entscheidung zunächst nachträglich beseitigen und dabei § 45 SGB X anwenden. Andernfalls führte der frühere Bescheid zur Rechtswidrigkeit des späteren Bescheides (vgl. Bayer. LSG Beschluss
vom 22.03.2012 - L 5 R 138/12 B ER und vom 20.04.2012 - L 5 R 246/12 B ER). Dies ist nicht geschehen. Auch dass die Antragsgegnerin den Ausgangsbescheid vom 27.01.2010 mit dem Satz versehen
hat, die stichprobenweise Prüfung habe die Nachforderung ergeben, ändert hieran nichts. Denn Stichprobenprüfungen können die
Bescheidsrücknahme nach § 45 SGB X erleichtern, aber nicht ersetzen (Bayer. LSG Beschluss vom 20.04.2012 - L 5 R 246/12 B ER Rn. 28 - zitiert nach [...]).
Der strittige Bescheid vom 02.03.2012 ist daher offensichtlich rechtswidrig weil er für den deckungsgleichen Nachforderungszeitraum
01.12.2005 bis 31.12.2009 eine andere Regelung als der Ausgangsbescheid vom 27.01.2010 enthält. Ein überwiegendes öffentliches
Vollzugsinteresse ist daher nicht anzuerkennen, so dass der Beschwerde der Antragstellerin stattgegeben und die aufschiebende
Wirkung der mittlerweile anhängigen Klage angeordnet wird.
Von der Rechtsprechung des Senates abzuweichen besteht im vorliegenden Fall kein Anlass. Insbesondere ist im Widerspruch zu
den Ausführungen der Antragsgegnerin darauf hinzuweisen, dass das Urteil des BSG vom 14.07.2004 - B 12 KR 1/04 R - keine Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 45 SGB X enthält. Dort finden sich vielmehr Darlegungen hinsichtlich eines Verwirkungstatbestandes (a.A. LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss
vom 10.05.2012 - L 8 R 164/12 B ER; Hessisches LSG Beschluss vom 23.04.2012 - L 1 KR 95/12 B ER).
Auf die Frage, welche Rechtsfolgen aus der auffallenden Zeitintensivität der Betriebsprüfung (27.09.2011 bis 26.01.2012 an
drei Tagen) insbesondere im Hinblick auf eine möglichen Verjährungseintritt erwachsen können, kommt es damit nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit §
155 Abs.
1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG mit §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4, 47 Abs. 2 GKG. Insoweit hält der Senat noch an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dass der Streitwert der Ausgangsinstanz den Streitwert
der Rechtsmittelinstanz limitiert.
Dieser Beschluss beendet das Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes und ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.