Bestimmtheit von Beitragsnachforderungsbescheiden im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruches gegen einen Betriebsprüfungsbescheid.
1. Die Antragstellerin betreibt in A-Stadt eine Wach- und Sicherheitsdienst. Gemäß ihrer Internetpräsenz (Abruf: 30.10.2012;
vgl. Bl. 3 - 5 Betriebsprüfungsakte der Beklagten) bietet sie Geld- und Werttransporte, Kurierdienste, Veranstaltungsschutz,
Personenschutz, Objektschutz, Privatdetektive, Observationen sowie u.a. Schulungen an. Auf der Homepage findet sich unter
"Das Team" ein Foto der für die Antragstellerin tätigen Wachkräfte. Darauf ist u.a. auch K. H. (K. H.) abgebildet. Dieser
war für die Antragstellerin bis 31.03.2011 als angestellte Fachkraft beschäftigt. Ab 01.04.2011 erbrachte K. H. die Wachmannsleistungen
ohne wesentliche Inhaltsänderung auf Basis einer selbständigen Tätigkeit.
Nach Auswertungen der Ermittlungen des Hauptzollamtes B-Stadt wegen Verdachts der Beitragsvorenthaltung gegen die Antragstellerin
forderte die Antragsgegnerin nach Anhörung mit Bescheid vom 30.05.2012 Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 12.025,39
EUR einschließlich Säumniszuschläge nach. Daraus sind im vorliegenden Verfahren noch die Nachforderungen für H. K. i.H.v.
9.805,74 EUR streitig. Der Nachforderungsbescheid wies als Prüfzeitraum den 01.01.2007 bis 31.12.2009 aus. Dieser Zeitraum
war bereits zuvor von der Antragsgegnerin betriebsgeprüft und als beanstandungsfrei verbeschieden worden (Bescheid vom 31.3.2010).
Im Bescheid vom 30.05.2012 war hinsichtlich des H. K. ausgeführt, dass dieser trotz des Wechsels in eine selbstständige Tätigkeit
ab 01.04.2011 nach wie vor die gleichen Tätigkeiten im Rahmen der Objektüberwachung, als Begleiter von Werttransporten nach
den Vorgaben der Antragstellerin ausübe. Tatsächlich sei deshalb H. K. nicht selbstständig, sondern abhängig beschäftigt.
Wegen Vorliegens einer illegalen Beschäftigung müsse das Nettoentgelt hochgerechnet werden.
Dagegen erhob die Antragstellerin Widerspruch unter dem 02.07.2012. Zugleich beantragte sie die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs anzuordnen, was die Antragsgegnerin mit Entscheidung vom 24.07.2012 ablehnte.
2. Daraufhin hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Bayreuth die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs
beantragt. Sie hat geltend gemacht, dass H. K. ein erlaubtes, angemeldetes selbstständiges Gewerbe ausübe, auf den Markt werbend
auftrete, nicht stets die Uniformen der Antragstellerin trage, anders als die festangestellten Kräfte nicht zu festen Zeiten
arbeiten müsse und auch nach dem Erscheinungsbild im Übrigen kein abhängig Beschäftigter sei. Zudem hat die Antragstellerin
Verfahrensmängel gerügt. Mit (Teil)-Anerkenntnis vom 07.08.2012 hat die Antragsgegnerin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs
angeordnet soweit Beitragsforderungen aus der Zeit 01.01.2007 bis 31.12.2009 betroffen waren.
Mit Beschluss vom 11.09.2012 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt, soweit die zuletzt nur noch strittigen Forderungen
bezüglich K. H. betroffen waren. Es bleibe beim Regelfall des Sofortvollzuges einer Beitragsnachforderung, weil der Bescheid
nicht offenbar rechtswidrig sei. Die Tätigkeit des K. H. erfülle die Kriterien einer abhängigen Beschäftigung, weil dieser
in den Betrieb der Antragstellerin eingebunden weisungsabhängig tätig gewesen sei. Demgegenüber stünden die Kriterien zurück,
die für eine selbständige Tätigkeit sprächen, wie die Gewerbeanmeldung, die Erlaubnis der Überwachung von Personen sowie die
Zahlung von Einkommens- und Umsatzsteuer etc.
3. Dagegen hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt und erneut Verfahrensfehler gerügt sowie geltend gemacht, dass die
Gesichtspunkte überwiegten, die für eine Selbstständigkeit des H. K. sprächen. Sie hat dazu auf Erklärungen des H. K. verwiesen,
insoweit wird auf Bl. 23 bis 25 Verfahrensakte Bezug genommen. Sie hat hinsichtlich der Höhe der Beitragsnachforderung ergänzt,
dass diese die Gewährung von beitragsfreien Reise- bzw. Fahrtkostenerstattungen berücksichtigen müsse und deshalb zu reduzieren
sei.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 11.09.2012 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den
Bescheid vom 30.05.2012 herzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach ihrer Ansicht sind keine neuen Tatsachen vorgetragen, die zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung führen
könnten.
Zur Ergänzung wird auf die beigezogenen Prüfakten der Antragsgegnerin sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug
genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§
171,
173 SGG) ist zulässig, sie bleibt aber ohne Erfolg. Gründe, die eine Aussetzung des Bescheides vom 30.05.2012 - im zuletzt noch strittigen
Umfange der Beiträge aus der Tätigkeit des H.K. vom 01.04.2011 bis 31.11.2011 - veranlassen könnten, bestehen nicht.
1. Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, entfällt nach §
86 Abs.
2 Nr.
1 SGG bei der Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen aufgrund Betriebsprüfung gemäß §
28 p
SGB IV - wie hier - die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs. Nach §
86 b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung eines diesbezüglichen Widerspruches anordnen, wenn im Rahmen einer
Interessenabwägung ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Bescheidsvollziehung nicht anzunehmen ist. Dabei
ist in vorsichtiger Anlehnung an §
86 a Abs.
3 Satz 2
SGG zunächst zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen
(BT-Drs. 14/5943 unter Bezug auf BVerwG NJW 1974, 1294; ständige Rechtsprechung, vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.07.2011- L 8 R 287 B ER; Bayer. Landessozialgericht,
Beschluss vom 13.08.2012 - L 5 R 595/12 B ER). §
86 b SGG verlagert damit das Vollzugsrisiko von Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen,
Beschluss vom 03.07.2012 - L 8 R 878/11 B ER).
a.) Zur rechtlichen Einordnung der Tätigkeit des H.K als versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis i.S.d. §
7 Abs.
1 SGB IV ist zunächst festzustellen, dass die Antragstellerin ihren (potentiellen) Kunden in gleicher Weise wie im Nachforderungszeitraum
nach wie vor die Dienste des H. K. als Mitglied ihres Bewachungsteams anbietet. Auf der Internetpräsenz der Antragstellerin
ist H. K. fotografisch als Teil des Teams dargestellt, welches die Überwachungs- und Sicherheitsdienstleistungen der Antragstellerin
in Erfüllung ihrer Geschäftszwecke erbringt. Zusammen mit den übrigen Gesichtspunkten, die für das Fortbestehen einer abhängige
Beschäftigung des H. K. über den 31.03.2011 sprechen und die das Sozialgericht in seinem Beschluss vom 11.09.2012 zutreffend
aufgeführt hat, überwiegen die Anzeichen der abhängigen Beschäftigung deutlich. Hinter diese Gesichtspunkte treten diejenigen,
die für eine selbstständige Tätigkeit sprechen, deutlich zurück. Insoweit wird auf die Ausführungen des Sozialgerichts Bezug
genommen (§
142 Abs.
2 Satz 3
SGG).
Auch sind im vorliegenden Verfahren keine Bedenken gegenüber der Beitragsnachforderungshöhe erkennbar. Die von der Antragsgegnerin
angenommene Entgelthöhe korrespondiert im Wesentlichen mit von H. K. gestellten Abrechnungen, auf denen durch den Vermerk
"bar bez. " die tatsächlichen Zahlungen der Antragstellerin dokumentiert sind. Die Anwendung des §
14 Abs.
2 SGB IV durch die Antragsgegnerin hält sich an die Vorgaben der Rechtsprechung (vgl. BSG Urteil vom 09.11.2011 - B 12 R 18/09 R, Rn. 25 ff - [...]). Von der Antragstellerin gerügte Verfahrensfehler wie insbesondere zur Anhörung und zur Akteneinsicht
sind im vorliegenden Verfahren nicht hinreichend erkennbar, insofern ist der Sofortvollzug der Beitragsnachforderung nicht
auszusetzen.
b.) Gemäß §
28 p Abs.
1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV) prüfen die Träger der Rentenversicherung mindestens alle vier Jahre bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und
ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß
erfüllen (§
28 p Abs.
1 S.1
SGB IV). Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe
in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Dabei unterliegen sie wie auch
sonst den verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (§ 1 Abs. 1 SGB X, vgl. Landessozialgericht Hamburg Urteil vom 22.01.2009 - L 3 R 17/08).
Hier umfasst der Bescheid vom 30.05.2012 mit der Zeit 01.01.2007 bis 31.12.2009 den Zeitraum, der mit Bescheid vom 31.03.2010
bereits bestandskräftig beanstandungsfrei verbeschieden war, ohne dass dieser vorangegangene Bescheid nach § 45 SGB X aufgehoben worden wäre (vgl. Senat Urteil vom 18.01.2011 - L 5 R 752/08; Beschluss vom 31.07.2012- L 5 R 345/12 B ER). Diese Fehlerhaftigkeit ist aber mit dem Teilanerkenntnis vom 07.08.2012 zum einen Teil beseitigt und zum anderen Teil
durch den Bescheid im Übrigen hinreichend bestimmt korrigiert worden, wie sich wie nachfolgend ergibt.
Der Bescheid vom 30.05.2012 benennt als Prüfzeitraum den 01.01.2007 bis 31.12.2009, fordert aber bezüglich H.K. ab dem 01.04.2011,
also für einen bisher noch nicht geprüften Zeitraum, Beiträge nach. Beitragsnachforderungsbescheide nach § 28p
SGB IV müssen aufgrund des Bestimmtheitserfordernisses gem. § 33 Abs. 1 SGB X, welches gem. §§ 1, 8 SGB X auch für Betriebsprüfungsverfahren Geltung besitzt, den Prüfzeitraum unzweifelhaft benennen. Denn der Adressat eines Verwaltungsaktes
muss ohne Weiteres in der Lage sein, das von ihm Geforderte klar zu erkennen (vgl. Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. § 33 Rz. 2), wobei sich die Bestimmtheitsanforderungen sich nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden Rechts richten (BVerwG
Urteil vom 20.04.2005 - 4 C 18/03, Rnr. 53, zitiert nach [...], zu dem insoweit identischen Bestimmtheitsgrundsatz in § 37 Abs. 1 VwVfG). Wer einen auf Grund Betriebsprüfung ergangenen Beitragsnachforderungs-Bescheid erhält, muss erkennen können, für welche
Zeiträume seine Meldungen und Unterlagen gem §§
28 a ff
SGB IV geprüft wurden und für welche Zeiträume sich deswegen Nachforderungen ergeben. Die Angabe des Prüfzeitraumes ist auch deshalb
unerlässlich, weil sich durch ihn bestimmt, welche Zeiträume einen aus § 45 SGB X resultierenden "Bestandsschutz" erhalten (vgl Senat Beschluss vom 31.07.2012 - L 5 R 345/12 B ER; Urteil vom 18.01.2011 - L 5 R 752/08; a.A. Besprechung des GKV-Spitzenverbandes, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Bundesagentur für Arbeit über Fragen
des gemeinsamen Beitragseinzugs am 23./24.11.2011, TOP 12).
Besondere Bedeutung hat der Prüfzeitraum darüber hinaus für die von der Prüfung nach §
28 p
SGB IV drittbetroffenen Beschäftigten. Ihnen können aus Beitragsnachforderungen sozialrechtliche Leistungsansprüche erwachsen, wie
insbesondere Rentenanwartschaften aus Beiträgen gem. §
55 Abs.
1 Satz 1
SGB VI oder Ansprüche auf Arbeitslosengeld gem. §
149 SGB III und auf Krankengeld gem. §
47 SGB V, welche sich beide nach dem "erzielten" Entgelt richten. Damit die so betroffenen Beschäftigten eine mögliche Verletzung
ihrer Rechte erkennen und geltend machen können, ist in einem ersten Schritt ein Abgleich des Prüfzeitraumes mit zurückgelegten
Beschäftigungszeiten erforderlich, so dass der unzweideutigen Bestimmung des Prüfzeitraumes auch deshalb erhebliches Gewicht
zukommt.
Der Bescheid vom 30.05.2012 erscheint insoweit zunächst widersprüchlich. Dieser Mangel führt jedoch nach den Besonderheiten
des vorliegenden Falles nicht zur Rechtswidrigkeit der streitigen Entscheidung. Denn die Antragstellerin konnte hier aus der
Anhörung vom 21.02.2012 sowie aus den Personen-, Tätigkeits- und Zeitbezogenen Ausführungen auf Seite 2 und 3 des Bescheides
selbst klar erkennen, dass der Prüf- und Beanstandungsgegenstand die Arbeit des H.K. als Sicherheitskraft vom 01.04. bis 31.11.2011
umfasst. Daher führt in diesem konkreten Einzelfall die Widersprüchlichkeit in der Angabe des Betriebsprüfungszeitraumes nicht
zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung der Antragsgegnerin, denn anhand aller Umstände des Bescheides selbst ist eine hinreichende
Bestimmbarkeit des Prüfzeitraumes bezüglich H.K festzustellen, die mit dem Bestimmtheitsgebot gem. § 33 Abs. 1 SGB X für Betriebsprüfbescheide gem. § 28p
SGB IV zu vereinbaren ist. Durch einen vorangegangenen Bescheid war die Zeit ab 01.04.2011 nicht erfasst.
2. Weil auch eine unbillige Härte nicht erkennbar ist, bleibt die Beschwerde in vollem Umfang ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197 a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
154 Abs.
1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §
197 a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §§ 52, 53 GKG und berücksichtigt die im Beschwerdeverfahren streitige Nachforderung zur Hälfte.
Dieser Beschluss beendet das Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes und ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.