Zulässigkeit von Widerspruch und Klage gegen einen Änderungsbescheid aus einem anhängigen Vor- oder Klageverfahren im sozialgerichtlichen
Verfahren
Tatbestand
Der Kläger begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit von 01.06.2008 bis 31.08.2008.
Dem 1957 geborenen Kläger wurde für die strittige Zeit mit Bescheid vom 10.06.2008 Arbeitslosengeld II bewilligt. Dabei wurde
ein Renteneinkommen von 292,58 Euro monatlich, bereinigt 262,58 Euro monatlich, als Einkommen auf den Bedarf angerechnet.
In der Folge kam es zu zwei Sanktionsbescheiden vom 07.05.2008, weil der Kläger zwei Meldetermine versäumt habe. Das Arbeitslosengeld
II des Klägers wurde für die Monate Juni, Juli und August 2008 jeweils um 10 % der Regelleistung abgesenkt, mithin um drei
mal 35,- Euro je Meldeversäumnis, insgesamt also um 210,- Euro. Der Kläger erhob dagegen erfolglos Widerspruch und anschließend
Klagen (Az. S 5 AS 600/08 und S 5 AS 599/08) zum Sozialgericht Landshut.
Im Rahmen dieser Klageverfahren erging am 15.03.2010 ein Änderungsbescheid für die Monate Juni, Juli und August 2008, mit
welchem die Sanktionsentscheidungen vom 07.05.2008 aufgehoben wurden. Dieser Bescheid werde gemäß §
96 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens. Die gegen die Sanktionsbescheide vom 07.05.2008 erhobenen Klagen wurden mit Urteil
vom 07.06.2010 abgewiesen. Die dagegen erhobenen Berufungen wurden vom Bayerischen Landessozialgericht als unzulässig verworfen
(vgl. Beschluss vom 26.04.2011, L 16 AS 548/10).
Der Kläger erhob gleichwohl bereits am 22.03.2010 Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 15.03.2010. Das Renteneinkommen
von 292,58 Euro dürfe nicht angerechnet werden. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 16.06.2010 als unzulässig
zurückgewiesen. Der Änderungsbescheid sei bereits Gegenstand der jeweiligen Klageverfahren geworden. Dagegen erhob der Kläger
am 16.07.2010 Klage. Der Kläger wurde vom Sozialgericht darauf hingewiesen, dass die Klage unzulässig sei. Daraufhin teilte
der Kläger mit, dass er die Klage nicht zurücknehme. Er könne zum Termin am 10.10.2010 - terminiert war auf 10:00 Uhr - aus
gesundheitlichen Gründen nicht erscheinen. Er wolle einen Termin ab 14:00 Uhr. Der Kläger wohnt 77 km vom Gerichtssitz entfernt.
Außerdem stünden ihm Fahrtkosten für Fahrten zu medizinischer Behandlung, Kosten für Medikamente und Fahrtkosten für Meldetermine
beim Beklagten zu. Der Beklagte widersprach diesen Klageänderungen.
Mit Urteil vom 10.10.2012 wies das Sozialgericht die Klage ab. Die Klage sei bereits unzulässig, weil kein Rechtsschutzbedürfnis
bestehe. Der angegriffene Änderungsbescheid vom 15.03.2010 habe lediglich die vorher verhängte Sanktion aufgehoben. Eine Anrechnung
des Renteneinkommens sei im vorhergehenden Bewilligungsbescheid vom 10.06.2008 bestandskräftig verfügt worden. Nur hilfsweise
sei angemerkt, dass das Renteneinkommen zutreffend angerechnet worden sei. Die vorgenommene Klageänderung sei unzulässig,
weil sie weder sachdienlich sei noch der Beklagte eingewilligt habe. Außerdem sei der angegriffene Änderungsbescheid Gegenstand
eines anderen laufenden Klageverfahrens geworden. Das Urteil wurde dem Kläger am 24.12.2012 zugestellt.
Der Kläger hat am 23.01.2013 Berufung gegen das Urteil eingelegt. Er beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil
er am Gerichtstermin beim Sozialgericht nicht habe teilnehmen können. Hilfsweise lege er fristgerecht Berufung ein. Dem Kläger
wurde vom Landessozialgericht mitgeteilt, dass es eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Teilnahme an einer Sitzung
bei einem Urteil nicht gebe. Das Gericht gehe deshalb von einer Berufung aus. Gleichwohl sei das Urteil des Sozialgerichts
inhaltlich nicht zu beanstanden. Zugleich wurden die Beteiligten zu einer die Berufung zurückweisenden Entscheidung durch
einstimmigen Beschluss des Landessozialgerichts angehört.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 10.10.2012 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Änderungsbescheid vom
15.03.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.06.2010 zu verurteilen, ihm in der Zeit von 01.06.2008 bis 31.08.2008
Leistungen ohne Anrechung des Renteneinkommens zu gewähren.
Der Kläger beantragt ferner,
den Beklagten zu verurteilen, Fahrtkosten für Fahrten zu medizinischen Behandlungen, Kosten für Medikamente und Fahrtkosten
für Meldetermine zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akte des Beklagten, die Akten S 5 AS 591/10 und S 7 AS 600/08 des Sozialgerichts und die Akte des Berufungsgerichts verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Die Berufung ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht die Klage zu Recht abgelehnt hat. Die Klage war unzulässig.
Es fehlt nicht am Überschreiten der Beschwerdesumme von 750,- Euro nach §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG, weil der Kläger zumindest für die strittigen drei Monate jeweils um 262,58 Euro höhere Leistungen (ohne Anrechung des Renteneinkommens)
begehrt.
Nach §
153 Abs.
4 SGG kann das Landessozialgericht, außer wenn das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid entschieden hat, die Berufung durch Beschluss
zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten
sind vorher zu hören.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das Sozialgericht hat in erster Instanz durch ein Urteil aufgrund einer mündlichen
Verhandlung entschieden. Der Kläger hatte an dieser Verhandlung nicht teilgenommen, er hatte dazu jedoch ausreichend Gelegenheit
und deshalb rechtliches Gehör nach §
62 SGG. Es ist kein erheblicher Grund für eine Terminsänderung nach §
202 SGG i.V.m. §
227 Zivilprozessordnung ersichtlich. Der Vorsitzende bestimmt gemäß §
110 Abs.
1 Satz 1
SGG Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung. Es ist nicht erkennbar, weshalb der Kläger an einem Termin um 14:00 Uhr teilnehmen
konnte, nicht aber um 10:00 Uhr.
Eine mündliche Verhandlung erachtet das Berufungsgericht nicht für erforderlich. Es ist ausschließlich über Rechtsfragen zu
entscheiden. Auch am Landessozialgericht bestimmt der Vorsitzende Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung. Einen Verhandlungstermin
um 14:00 Uhr würde es ohne zwingenden Grund, der hier nicht ansatzweise ersichtlich ist, ebenfalls nicht anbieten.
Der Änderungsbescheid vom 15.03.2010 wurde unmittelbar bei Erlass gemäß §
96 SGG Gegenstand der anhängigen Klageverfahren gegen die beiden Sanktionsbescheide vom 07.05.2008. Solange die diesbezüglichen
Klageverfahren S 5 AS 600/08 und S 5 AS 599/08 und die zugehörigen Berufungsverfahren anhängig waren, war das streitgegenständliche Klageverfahren wegen anderweitiger Rechtshängigkeit
unzulässig (§
202 SGG i.V.m. §
17 Abs.
1 Satz 2
GVG). Nachdem diese Hauptsacheverfahren beendet wurden, bestand für die strittigen Ansprüche entgegenstehende Rechtskraft (§
141 SGG; vgl. zu dieser Konstellation Urteil des BSG vom 15.11.2012, B 8 SO 22/10 R).
Selbst wenn man eine Ausnahme von der entgegenstehenden Rechtskraft zulassen würde, wenn im ursprünglichen Hauptsacheverfahren
versehentlich nicht über den neuen Änderungsbescheid mit entschieden wurde (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1985, 7 RAr 23/84), wäre dies hier nicht einschlägig. Das Sozialgericht hat in den ursprünglichen Klageverfahren die Klagen wegen der Abhilfe
durch den Änderungsbescheid vom 15.03.2010 abgewiesen.
Das gleichwohl parallel gegen den Änderungsbescheid vom 15.03.2010 betriebene Klageverfahren war unzulässig, die Berufung
gegen das klageabweisende Urteil ist unbegründet und zurückzuweisen.
Die im Klageverfahren geltend gemachte Klageänderung mit dem Begehren, vom Beklagten Fahrtkosten für Fahrten zu medizinischen
Behandlungen, Kosten für Medikamente und Fahrtkosten für Meldetermine zu erhalten, wurde vom Sozialgericht zu Recht als gemäß
§
99 Abs.
1 und
2 SGG unzulässige Klageänderung betrachtet. Diese neue Klage hat das Sozialgericht daher zu Recht als unzulässig abgewiesen (Meyer-Ladewig,
SGG, 10. Auflage 2010, §
99 Rn. 14). Die dagegen eingelegte Berufung ist unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision wurde nicht zugelassen, weil keine Gründe nach §
160 Abs.
2 SGG ersichtlich sind.