Gründe
I.
Streitig ist der Wegfall des Anspruchs auf Arbeitslosengeldes II des Antragstellers für die Monate Juni, Juli und August 2012
wegen einer weiteren wiederholten Pflichtverletzung.
Der 1965 geborene Antragsteller bezieht seit 01.01.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Antragsgegner. Er lebt in Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau und ihren 1990 und 2001 geborenen Kindern.
Mit Bescheid vom 14.04.2011 wurde das Arbeitslosengeld II des Antragstellers um 30 % der Regelleistung abgesenkt. Mit Bescheid
vom 24.10.2011 wurde das Arbeitslosengeld II des Antragstellers wegen einer weiteren Pflichtverletzung um 60 % der Regelleistung
abgesenkt.
Zuletzt wurden der Familie mit Bescheid vom 20.02.2012 Leistungen für die Zeit von März bis einschließlich August 2012 bewilligt.
Angerechnet wurde Einkommen mehrer Familienmitglieder. Für den Antragsteller selbst wurde ein Betrag von monatlich 409,57
Euro bewilligt. Auf jedes Familienmitglied entfielen monatlich ca. 182,- Euro an Kosten für Unterkunft und Heizung.
Am 17.04.2012 unterbreitete der Antragsgegner dem Antragsteller ein Stellenangebot im Rahmen des Projekts "Bürgerarbeit".
Es handelte sich um einen Arbeitsplatz in einer gemeinnützigen Fahrradwerkstatt mit einer Arbeitszeit von 30 Wochenstunden
bei einem Monatslohn von 1105,- Euro brutto. Der Antragsteller sollte sich dort am 27.04.2012 um 9:30 Uhr melden. Das Stellenangebot
enthält eine Rechtsfolgenbelehrung, wonach bei einer Weigerung, die angebotene Arbeit aufzunehmen, das Arbeitslosengeld II
des Antragstellers vollständig entfalle. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass ein Anspruch auf ergänzende Sachleistungen
oder geldwerte Leistungen bestehe, wenn minderjährige Kinder in der Bedarfsgemeinschaft leben.
Der Antragsteller legte am 20.04.2012 Widerspruch gegen das Arbeitsangebot ein. Es handele sich um eine unzumutbare Tätigkeit.
Der Widerspruch wurde als unzulässig verworfen.
Der Antragsteller erschien zwar zum Vorstellungstermin am 27.04.2012, nahm jedoch die Arbeit nicht auf, weil er die Arbeit
für unzumutbar hielt.
Nach Anhörung zur Sanktion stellte der Antragsgegner mit Bescheid vom 15.05.2012 den vollständigen Wegfall des Arbeitslosengelds
II für die Monate Juni, Juli und August 2012 fest. Der Antragsteller habe die angebotene Tätigkeit ohne wichtigen Grund abgelehnt.
Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 31.05.2012 als unbegründet zurück.
Dagegen hat der Antragsteller am 05.06.2005 Klage erhoben und zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage
beantragt. Die Zuteilung zu Bürgerarbeit sei eine Rache des Antragsgegners wegen des mehrjährigen Streits um eine Ausbildung/
Umschulung gewesen. Er sei nicht gegen Arbeit, er benötige jedoch eine Ausbildung.
Mit Beschluss vom 09.07.2012 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab. Der Sanktionsbescheid
sei gemäß § 39 Nr. 1 SGB II sofort vollziehbar. Es überwiege das Vollzugsinteresse des Antragsgegners, weil auf Grundlage des aktuellen Sach- und Beistands
keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestünden. Trotz ordnungsgemäßer Rechtsfolgenbelehrung habe
der Antragsteller das ihm vorgeschlagene Arbeitsverhältnis nicht angetreten und sich damit geweigert, eine zumutbare Arbeit
aufzunehmen. Die Tätigkeit in der Fahrradwerkstatt sei dem Antragsteller auch gemäß § 10 SGB II zumutbar. Hinderungsgründe nach § 10 Abs. 1 SGB II seien weder vorgetragen noch erkennbar. Auch der Vortrag des Antragstellers, dass er vorrangig eine Ausbildung begehre, ändere
nichts an der Zumutbarkeit der vorgeschlagenen Arbeit. Ein wichtiger Grund liege nicht vor. Es handelt sich um eine weitere
wiederholte Pflichtverletzung im Sinn von § 31a Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB II.
Der Antragsteller hat am 13.07.2012 Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Seit mehreren Jahren gehe
der Streit nur um seine Ausbildung/ Umschulung. Er habe erfolgreich an einer Eignungsfeststellung teilgenommen. Die Sanktion
sei nur erfolgt, damit er auf seine Ausbildung verzichte. Aber er gebe nicht auf.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 09.07.2012 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid
vom 15.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.05.2012 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akte des Antragsgegners, die Akte des Sozialgerichts und die Akte des
Beschwerdegerichts verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Die Beschwerde ist unbegründet, weil das Sozialgericht München den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu Recht
abgelehnt hat.
Das Beschwerdegericht schließt sich gemäß §
142 Abs.
2 Satz 3
SGG der Begründung des Sozialgerichts an und weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.
Ergänzend wird angemerkt, dass das Beschwerdegericht von folgendem Prüfungsmaßstab ausgeht:
Das Gericht entscheidet über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung auf Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind
das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens
verschont bleiben und das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung
kommt der Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache eine wesentliche Bedeutung zu.
Dabei ist die Wertung des § 39 Nr. 1 SGB II zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug
prinzipiell den Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt. Eine Abweichung von diesem Regel-Ausnahmeverhältnis
kommt nur in Betracht, wenn dafür überwiegende Interessen des Antragstellers sprechen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen oder wenn besondere private Interessen überwiegen (vgl.
Meyer-Ladewig,
SGG, 10. Auflage 2012, §
86b Rn. 12c allerdings unter Ablehnung der Kriterien des §
86a Abs.
3 Satz 2
SGG; Conradis in LPK-SGB II, 4. Auflage 2012, § 39 Rn. 16 und Bay LSG v. 16.07.09, L 7AS 368/09 B ER).
Das Bundesverfassungsgerichts hat entschieden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05), dass bei existenzsichernden Leistungen anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden ist, wenn
(1) schwere und unzumutbare Rechtsbeeinträchtigungen entstehen können,
(2) der Prüfungsmaßstab des §
86b SGG zu einer Ablehnung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz führen würde und
(3) die Sach- und Rechtslage nicht abschließend geprüft werden kann.
Durch die Sanktion fallen drei Monate lang monatlich 409,57 Euro Arbeitslosengeld II weg, davon 182,- Euro für Unterkunftskosten
und 227,- Euro auf den Regelbedarf. Daraus können sich schwere und unzumutbare Rechtsbeeinträchtigungen ergeben. Die Sach-
und Rechtslage kann aber nicht abschließend geprüft werden, weil etwa der Verzicht auf die ergänzenden Sachleistungen einer
näheren Prüfung bedarf. In dieser Situation genügt es nicht, summarisch zu prüfen, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des Bescheids bestehen. Es sind vielmehr die besonderen privaten Interessen im Rahmen einer Folgenabwägung zu prüfen. Damit
werden die Vorgaben des BVerfG auch bei der Anordnung der aufschiebenden Wirkung umgesetzt (vgl. Breitkreuz / Fichte,
SGG, 1. Auflage 2008, §
86b Rn. 48, 49).
Einen erheblichen Teil dieser Interessen hat der Gesetzgeber in gesetzliche Regelungen aufgenommen. Im vorliegenden Fall ist
der Antragsgegner gemäß § 31a Abs. 3 Satz 2 SGB II verpflichtet, ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen zu erbringen, weil eine Minderung von mehr als 30 % des
Regelbedarfs vorliegt und minderjährige Kinder im Haushalt des Antragstellers leben. Dies hatte der Antragsgegner im Anhörungsschreiben
vom 08.05.2012 auch angeboten, der Antragsteller hatte dieses Angebot in seiner Antwort jedoch durchgestrichen. Daneben besteht
nach Auffassung des Senats auch bei einer Sanktion grundsätzlich die Möglichkeit, die daraus entstehenden Mietschulden gemäß
§ 22 Abs. 8 II zu übernehmen. Für Mietschulden besteht hier allerdings kein Anhalt.
Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass der Bedarfsgemeinschaft Erwerbseinkommen zur Verfügung steht. Dem Antragsteller waren
infolge der Anrechung von Erwerbseinkommen lediglich 409,57 Euro bewilligt worden, davon ca. 182,- Euro für Kosten der Unterkunft.
Etwa 110,- Euro seines Regelbedarfs von 337,- Euro sind mit anrechenbarem Einkommen abgedeckt. Darüber hinaus stehen der Bedarfsgemeinschaft
mehrere Erwerbsfreibeträge zur Verfügung. Insgesamt sind im vorliegenden Fall keine besonderen privaten Interessen zu erkennen,
die das Interesse am Sofortvollzug überwiegen würden.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.