Tatbestand:
Streitig ist eine Versagung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB
II) gemäß §
66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I).
Der 1957 geborene Kläger bezog zunächst bis 30.09.2008 Arbeitslosengeld II vom Beklagten. Ein Weitergewährungsantrag vom 22.08.2008
wurde abgelehnt (Bescheid vom 19.09.2008).
Rund ein Jahr später, laut Kläger am 10.07.2009 (Datumsangabe des Klägers auf dem Antrag), laut Eingangsstempel des Beklagten
am 31.08.2009, beantragte der Kläger erneut Arbeitslosengeld II beim Beklagten. Im Antrag waren nur die persönlichen Daten
enthalten wie Name, Adresse und Familienstand.
In der Folge wurde der Kläger mit Schreiben vom 30.11.2009 aufgefordert, verschiedene Unterlagen zur Anspruchsprüfung einzureichen,
insbesondere Antragsformulare zu Einkommen, Vermögen und den Kosten der Unterkunft. Am 07.12.2009 ging ein Teil der erbetenen
Unterlagen beim Beklagten ein. Ein erheblicher Teil der Unterlagen, insbesondere die Antragsunterlagen zu den Kosten der Unterkunft,
Vermögen, Mehrbedarf und Sozialversicherung, enthielten lediglich Streichungen ganzer Passagen und Vermerke "bekannt".
Mit Schreiben vom 09.12.2009 wurden erneut 12 Unterlagen angemahnt, insbesondere zu Bankkonten (Kontoauszüge ab 01.06.2009,
Kontoübersicht), Vermögen und den Kosten der Unterkunft. Der Kläger übermittelte nichts und erklärte, dass alle nötigen Unterlagen,
insbesondere der Mietvertrag, die Kontoverbindung (die nochmals benannt wurde) und die Angaben zur Krankenkasse in der Akte
seien.
Mit weiterem Schreiben vom 29.12.2009 wurden erneut die mit Schreiben vom 09.12.2009 benannten Unterlagen bis spätestens 15.01.2010
angefordert und auf die Möglichkeit der Versagung von Leistungen wegen mangelnder Mitwirkung hingewiesen.
Mit Bescheid vom 29.01.2010 versagte der Beklagte die Leistungen ab 31.08.2009 gemäß §
66 SGB I. Die fehlenden Unterlagen seien zwingend erforderlich. Ermessen sei ausgeübt worden. Es sei wirtschaftlich zu handeln. Gesichtspunkte,
die im Rahmen der Ermessensentscheidung zu Gunsten des Klägers hätten berücksichtigt werden können, seien weder erkennbar
noch vorgetragen.
Im Rahmen eines Eilverfahrens (S 16 AS 1500/09 ER) teilte der Kläger dem Sozialgericht mit, dass bereits die Leistungsbeendigung zum 30.09.2008 rechtswidrig gewesen sei,
sich seitdem keine Änderungen ergeben hätten und alle erheblichen Tatsachen bekannt seien. Es erfolgte ein Erörterungstermin,
in dem der Kläger diverse Einzelangaben zum Vermögen machte. Nachfolgend wurden einzelne Kontoauszüge übermittelt. Mit Beschluss
vom 22.02.2010 lehnte das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab.
Der gegen den Versagungsbescheid erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21.04.2010 zurückgewiesen. Der Kläger
habe zwar beim Sozialgericht zu einzelnen Punkten Angaben gemacht, jedoch keine Nachweise erbracht. Zudem habe er sich geweigert,
lückenlose Kontoauszüge vorzulegen. Die Prüfung von Einkommen und Vermögen sei aber unverzichtbar. Darauf habe auch das Sozialgericht
unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hingewiesen. Deshalb sei die Leistung zu versagen.
Bereits am 25.11.2009 erhob der Kläger eine Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Augsburg, weil über seinen Leistungsantrag
nicht entschieden werde. Nach Erlass des Versagungsbescheides vom 29.01.2010 erklärte der Kläger noch vor Erlass des Widerspruchsbescheids
eine Klageänderung in eine Anfechtungs- und Leistungsklage.
Mit Gerichtsbescheid vom 26.05.2010 wurde die Klage abgewiesen. Der Versagungsbescheid sei rechtmäßig. Im Eilverfahren seien
Kontoauszüge nur teilweise vorgelegt worden. Es fehle insbesondere ein Kontoauszug, der zu einem Guthaben von 844,41 Euro
am 04.08.2009 geführt habe. Die derzeitigen Kosten der Unterkunft seien nicht belegt. Die vom Kläger erhobene Leistungsklage
sei unzulässig, weil ein Versagungsbescheid ausschließlich mit der Anfechtungsklage angegriffen werden könne. Der Gerichtsbescheid
wurde dem Kläger am 01.06.2010 zugestellt.
Bereits am 06.05.2010 stellte der Kläger einen erneuten Antrag auf Leistungen, der mit Versagungsbescheid vom 21.07.2010 gemäß
§
66 SGB I abgelehnt wurde. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30.06.2010 als unbegründet zurückgewiesen.
Dagegen hat der Kläger am 12.07.2010 beim Sozialgericht Augsburg Klage (S 16 AS 849/10) erhoben.
Am 30.06.2010 hat der Kläger "Sprungrevision" eingelegt. Er habe eine Sprungrevision eingelegt, um den Rechtsbeugungen und
Verfahrensverschleppungen in Bayern entgegen zu wirken. Das Bayerische Landessozialgericht teilte ihm daraufhin mit, dass
eine Sprungrevision aussichtslos wäre. In der mündlichen Verhandlung am 21.07.2011 erklärte er, dass er halt eine Berufung
einlege, "wenn es eine Berufung sein müsse".
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid vom 26. Mai 2010 und den Versagungsbescheid vom 29.01.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
21.04.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm ab 10.07.2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu
gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akte des Beklagten, die genannten Akten des
Sozialgerichts und die Akte des Landessozialgerichts verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Die Berufung ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht die Klage zu Recht abgelehnt hat. Der Versagungsbescheid ist
rechtmäßig.
Streitgegenstand ist der Versagungsbescheid vom 29.01.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.04.2010. Ein Versagungsbescheid
lehnt die Leistung wegen mangelnder Mitwirkung ab. Dies hat hier zwei prozessuale Konsequenzen:
1. Der neue Leistungsantrag vom 06.06.2010 mit dem neuen Versagungsbescheid vom 21.06.2010 schneidet den zulässigen strittigen
Zeitraum ab: Strittig ist hier nur die Zeit bis 05.06.2010. §
96 SGG ist nicht anwendbar. Der neue Versagungsbescheid betrifft die Mitwirkung im neuen Verwaltungsverfahren und damit einen anderen
Streitstoff und andere Tatsachen.
2. Die Leistungsklage ist als unzulässig abzulehnen, weil nur eine Anfechtungsklage möglich ist (BSG, Urteil vom 01.07.2009,
B 4 AS 78/08 R, Rn. 11, 12 und Meyer-Ladewig,
Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, §
54 Rn. 38b). Ein Ausnahmefall der trotzdem nachgewiesenen Leistungsvoraussetzungen (BSG aaO., Rn. 14) liegt hier nicht vor -
die Leistungsvoraussetzungen sind nicht geklärt. Die Berufung ist insoweit unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Anfechtungsklage gegen den Versagungsbescheid zu Recht abgewiesen. Dieser ist rechtmäßig, weil die
Voraussetzungen nach §
66 SGB I vorliegen.
Gemäß §
66 Abs.
1 Satz 1
SGB I kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen
oder entziehen, wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60
bis 62, 65 nicht nachkommt, hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird und die Voraussetzungen der
Leistung nicht nachgewiesen sind. Soweit die Leistungsvoraussetzungen teilweise nachgewiesen sind, ist nur eine teilweise
Versagung für den restlichen Betrag möglich (vgl. Wortlaut "soweit"). Nach §
66 Abs.
3 SGB I dürfen Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf
diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen
Frist nachgekommen ist. Die fragliche Mitwirkungspflicht darf nicht unzumutbar sein im Sinn von §
65 SGB I.
Der Kläger hatte Arbeitslosengeld II beantragt und er war gemäß §
60 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB I verpflichtet, alle Tatsachen anzugeben, die für diese Leistung erheblich sind. Nach §
60 Abs.
1 Nr.
3 SGB I war er verpflichtet, auf Verlangen der Behörde Beweisurkunden vorzulegen. Für die begehrte Leistung ist erheblich, ob der
Kläger gemäß § 9 SGB II hilfebedürftig ist, also über Einkommen und Vermögen verfügt. Er muss sich deshalb über sein Vermögen
erklären und Kontoauszüge vorlegen (zu den Kontoauszügen Urteil des BSG vom 19.02.2009, B 4 AS 10/08 R). Die Vorlage vereinzelter Kontoauszüge genügte nicht. Weil nur die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung
in den Bedarf einzustellen sind (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II), musste der Kläger auch die tatsächlichen Unterkunftskosten belegen.
Die Vorlage der angeforderten Unterlagen war auch nach §
65 Abs.
1 SGB I zumutbar. Sie standen in einem angemessenen Verhältnis zu der begehrten Leistung, es ist kein entgegenstehender wichtiger
Grund geltend gemacht worden oder sonst erkennbar und der Leistungsträger konnte sich die erforderlichen Kenntnisse nicht
mit geringem Aufwand selbst beschaffen.
Die Aufklärung des Sachverhalts wurde durch die fehlende Mitwirkung nicht nur erheblich erschwert, sondern teilweise unmöglich
gemacht. Der Beklagte konnte die Kontoauszüge nicht selbst beschaffen. Der Vermieter ist keine der Personen, die nach § 60
SGB II als Dritte auskunftspflichtig sind.
Der Kläger war mit Schreiben vom 29.12.2009 auf die Rechtsfolge der Versagung hingewiesen worden, in dem auch eine angemessene
Frist bis 15.01.2010 gesetzt wurde (§
66 Abs.
3 SGB I). Das Schreiben bezog sich auf die Liste von zwölf Unterlagen im Schreiben vom 09.12.2009 und dafür war die Frist relativ
kurz. Allerdings war dem Antragsteller schon längere Zeit die Notwendigkeit der Vorlage dieser Unterlagen bekannt und es handelte
sich um Unterlagen, die er leicht beschaffen konnte (Kontoauszüge, Vermögensnachweise zu vorhandenem Vermögen, Nachweis zu
den Kosten der Unterkunft) bzw. um Erklärungen, die er selbst abgeben konnte (vollständig ausgefüllte Antragsunterlagen).
Die erforderliche Mitwirkung wurde nicht fristgerecht erbracht. Der Leistungsträger durfte die Leistung vollständig versagen,
weil die Hilfebedürftigkeit insgesamt nicht geklärt war.
Die Versagung ist eine Ermessensentscheidung, die das Gericht nach §
54 Abs.
2 Satz 2
SGG nur eingeschränkt auf Ermessensfehler überprüfen darf. Damit wird der Anspruch des Betroffenen auf pflichtgemäße Ausübung
des Ermessens nach §
39 Abs.
1 Satz 2
SGB I gesichert und zugleich der Entscheidungsspielraum der Behörde gewahrt. Ermessensfehler liegen hier nicht vor. Die Ermessensausübung
ist ausreichend.
Der Bescheid vom 29.01.2010 beschränkt sich auf die Aussagen, dass die Unterlagen zwingend erforderlich seien, Ermessen ausgeübt
worden sei, die Behörde wirtschaftlich handeln müsse und keine Gesichtspunkte erkennbar seien, die zugunsten des Klägers hätten
berücksichtigt werden können. Dies sind formelhafte Erwägungen, die in jedem Versagungsbescheid stehen könnten und keinen
Bezug zum konkreten Fall zeigen. Notwendig sind einzelfallbezogene Erwägungen. Der Bescheid enthält eine Ermessensunterschreitung.
Zureichende Ermessenserwägungen können bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens, also noch im Widerspruchsbescheid nachgeschoben
werden. Dies ist hier geschehen. Der Widerspruchsbescheid enthält ausreichendes Ermessen. Er legt dar, dass die im Eilverfahren
abgegebenen Erklärungen nicht ausreichen, weil keine Nachweise dazu erbracht wurden und lückenlose Kontoauszüge fehlen. Außerdem
habe das Sozialgericht den Kläger im Eilverfahren auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hingewiesen, dass Auskünfte
zu aktuellem Einkommen und Vermögen zu geben sind. Diese Erwägungen zeigen, dass der Beklagte der Ermessensentscheidung die
Umstände des konkreten Falles zu Grunde legte. Es geht nicht darum, ob das Gericht sich noch weitere Umstände des Einzelfalles
vorstellen kann, die eventuell auch hätten berücksichtigt werden können. Eine solche Ermessenskontrolle würde die bei Ermessenentscheidungen
in §
54 Abs.
2 Satz 2
SGG festgelegte Beschränkung der gerichtlichen Überprüfung aushebeln.
Damit liegen die Voraussetzungen der Versagung der begehrten Leistung vor. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Berufung ist nicht begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision wurde nicht zugelassen, weil keine Gründe nach §
160 Abs.
2 SGG ersichtlich sind. Das vom Kläger geäußerte Misstrauen gegenüber den bayerischen Gerichten ist kein Zulassungsgrund.